RN/5

9.25

Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Werte Damen und Herren, die uns vielleicht zu Hause oder wo auch immer zuschauen! Ich glaube, auch heute in der Früh, wenn man die Nachrichten aufdreht, war es wieder so: Man merkt es, man spürt es, man hat das Gefühl, die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein, Kriege, Konflikte, ja schier – so scheint es – unlösbare Situationen, Handelskriege, die zunehmen. All diese Konflikte und Herausforderungen sind eine ganz große Herausforderung für Europa – für einen Raum der liberalen Demokratie, der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit und des Friedens – und auch eine Herausforderung für unseren Wohlstand, auch bei uns in Österreich. Es ist wahrscheinlich die größte Herausforderung seit Bestehen der Zweiten Republik. 

Die Konflikte nehmen zu, von Sahel über den Nahen Osten bis hin zur Ukraine, und ebenso das, was man mittlerweile als multipolare Weltordnung bezeichnet – systemische Rivalitäten zwischen den Großmächten in der Frage, welches Modell, Wirtschaftsmodell, mehr oder weniger demokratisches Modell, vorherrschen soll. 

Es ist spürbar, die USA richten sich neu aus. Internationale Regeln werden sehr laut infrage gestellt. Wirtschaftliche Unsicherheiten wachsen, und es ist ein globaler Handelskrieg im Gange. 

Europa ist aufgrund seiner Geografie verwundbar. Ich glaube aber vielmehr, dass Europa auch deshalb verwundbar ist, weil es ein Raum des Friedens, der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit, der liberalen Demokratie ist und wir in einer Welt, in der sich das Recht des Stärkeren durchsetzt und nicht die Stärke des Rechts, nicht gewinnen. Wir sind das auch nicht gewöhnt. Es ist nicht unsere zivilisatorische Errungenschaft, insbesondere nach den Lehren des Zweiten Weltkriegs, durch die Welt zu gehen und sich als Bully auf dem Schulhof aufzuführen, sondern wir pochen auf die Einhaltung von internationalen Regeln, wir pochen auf Multilateralismus, wir pochen auf das Recht von Verträgen und wir pochen auch auf Fairness und Augenhöhe in der Frage, wie wir miteinander umgehen. 

Ich bekomme oft die Frage gestellt: Na ja, was gehen mich diese Kriege und Konflikte an? – Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind mittendrin. Die Frage der konventionellen Bedrohung muss uns beschäftigen, aber vielmehr noch die Frage der hybriden Bedrohungen. 

Ich kann Ihnen berichten, ich war gestern bei meinem tschechischen Amtskollegen in Prag: Dort wird sich intensiv, vor allem auch vonseiten des Außenministeriums, aber auch von der gesamten Regierung – übrigens: wie auch in Österreich – mit den Vorfällen, die es gibt, von verschiedenartigen hybriden Bedrohungen auseinandergesetzt – seien es Cyberattacken, sei es Informationsmanipulation, die ja gezielt auch von ausländischen Akteuren betrieben wird, um bestimmte Narrative zu verbreiten, um aber vor allem auch ganz konkret zu versuchen, die Frage der europäischen Unterstützung in der Ukraine zu erodieren. 

Das heißt, die Frage ist: Wie gehen wir damit um – in einer Weltlage, in der wir selber bedroht sind und in der wir in Europa uns ernsthaft die Frage stellen müssen, wie wir uns aufstellen müssen, um weiterhin die Flagge der Rechtsstaatlichkeit, des Multilateralismus, der regelbasierten Weltordnung, aber vor allem des Friedens, der Freiheit und des Wohlstandes hochzuhalten? 

Die Lehre daraus ist ganz klar: Wir müssen stärker werden. Wir müssen in einem gemeinsamen Vorgehen in Europa stärker werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir in dieser Weltordnung Spielball sind, sondern wir müssen das Selbstbewusstsein und auch den Stolz entwickeln, selbst geopolitischer Akteur werden zu wollen – wieder werden zu wollen, sagen wir es einmal so. 

Das bedeutet, es braucht wirtschaftliche Stärke. Das ist ein ganz klares Bekenntnis zu wirtschaftlicher Stärke, die unseren Wohlstand schützt, und andererseits muss diese wirtschaftliche Stärke aber auch in der Welt eingesetzt werden. Wir sehen das gerade ganz konkret in der Auseinandersetzung, in den Zollstreitigkeiten mit der Trump-Administration, dass uns da wirtschaftliche Stärke und das Sprechen mit einer Stimme hilft. Es macht uns nicht schwächer, es macht uns stärker. 

Es geht aber auch um militärische Stärke. Wir müssen uns selber um unsere Verteidigung kümmern, weil wir uns nicht mehr darauf verlassen können, dass es andere für uns machen werden. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer die Arbeit der Bundesregierung in den ersten Wochen verfolgt, der sieht ganz klar, dass wir ehrlich zu den Menschen sind, dass wir uns auch in diesen ungemütlichen, unerfreulichen Zeiten nicht davor scheuen, diese unbequemen Wahrheiten auszusprechen. 

Eine unbequeme Wahrheit ist zum Beispiel: Neutralität allein schützt nicht, schon gar nicht vor diesen hybriden Bedrohungen, wie wir sie gerade erleben. Österreich muss und Österreich wird eine aktive Rolle in Europas Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einnehmen und ein verlässlicher Partner sein, denn das Einzige, was uns schützt, ist Solidarität, ein Zusammenstehen in Europa, denn gemeinsam sind wir stärker als allein. 

Als Bundesregierung sind wir hin zu dieser Solidarität und zu diesem klaren Bekenntnis einen wichtigen Schritt gegangen, und wir werden diesen Weg konsequent weiterverfolgen. Wir bekennen uns dazu, dass Österreich in allen Schritten der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Richtung einer Verteidigungsunion eine aktive Rolle einnimmt und auch seinen Beitrag leistet. Wir haben das auch klargestellt – weil immer wieder diese Diskussion herrscht. 

Natürlich ist der Schutzschirm, der in Europa besteht – und das mag einem gefallen oder nicht –, derzeit vor allem durch die Nato begründet, und dabei vor allem durch den Artikel 5, die Beistandsverpflichtung in der Nato. Ich habe das letztlich auch in einem Interview der „Financial Times“ gesagt. Natürlich tut Europa alles, um die USA als Partner an Bord zu halten. 80 Jahre nach Weltkriegsende ist das auch mein Zugang für Österreich. Wir wissen, was wir den USA an Freiheit und Befreiung vom Nazi-Regime verdanken und übrigens auch der Klugheit und Weitsicht, mit dem Marshallplan dafür zu sorgen, dass wir wirtschaftlich wieder in Schwung kommen und auf solide und feste Beine gestellt werden. 

Also der Zugang ist sehr wohl, den Nutzen herauszuarbeiten, den beide Seiten von einer starken, verlässlichen Partnerschaft haben. 

Es ist aber nun einmal so eine Sache mit so einem Artikel 5. Wenn der einmal infrage gestellt wird, dann kann man nicht zurück zur Normalität gehen und sagen, da war nichts. Das kann man schon tun, aber dann macht man eine Politik auf Basis des Prinzips Hoffnung, und ich glaube, angesichts der Verwerfungen, die tagtäglich passieren, oftmals nur mittels eines Tweets, ist Hoffnung wohl nicht der beste Rat, den ich derzeit als europäische Politikerin geben könnte. 

Wir haben aber auch eine Beistandsverpflichtung in unseren europäischen Verträgen, und das ist auch in unserer Verfassung festgeschrieben. Wir haben auch als Bundesregierung ganz klargestellt, dass diese Beistandsverpflichtung selbstverständlich gilt und in der Frage des Ob nicht infrage gestellt wird. 

Selbstverständlich aber offen ist die Frage des Wie, wie es auch unserer Neutralität entsprechen würde, die natürlich innerhalb Europas durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union verändert wurde. Aber das betrifft auch andere Staaten, das betrifft auch Nato-Staaten: dass die Frage des Wie noch oder jedenfalls in der vollen Autonomie eines Staates liegt und wir daher auch frei sind, dann zu entscheiden. (Beifall der Bundesrät:innen Sumah-Vospernik [NEOS/W] und Schwindsackl [ÖVP/Stmk].

Aber die Solidarität ist ganz wichtig. 

Ich habe vorhin von Stolz gesprochen, und ich möchte hier schon noch etwas zum Ausdruck bringen: Österreich leistet seinen Beitrag, und zwar seit vielen Jahren, sehr verlässlich bei zivilen Missionen der Europäischen Union genauso wie bei militärischen Missionen der Europäischen Union. Unser Einsatz, etwa bei Eufor-Althea – und ich glaube, ich habe hier darüber schon einmal gesprochen – zur Sicherung der Sicherheit und der Stabilität in Bosnien und Herzegowina, ist ein unerlässlicher Beitrag zur Friedenssicherung und wird geschätzt, so wie auch unsere Beiträge im Rahmen von anderen Missionen: KFOR im Kosovo, aber auch die UN-Mission im Libanon. Das sind alles Missionen, bei denen Österreich seit 1960 als verlässlicher Partner Teil der Friedenssicherung in der Welt ist. Ich glaube, darauf können wir stolz sein, und wir sollten da unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. 

Das ist alles kein Widerspruch zu Diplomatie und Multilateralismus. Ich habe es vorhin gesagt: In einer Welt, in der diese regelbasierte Friedensordnung infrage gestellt wird, ist es wichtiger denn je, Diplomatie als erste Verteidigungslinie fest aufrechtzuerhalten und sich gleichzeitig zu Multilateralismus zu bekennen. Das sind die Foren, wo wir auf Augenhöhe auch unsere Interessen, was den Schutz von Zivilisten, Abrüstung, Friedenssicherung angeht, durchsetzen können. 

Deshalb sage ich es an dieser Stelle gerne noch einmal – und ich bin sehr verwundert, dass ich gestern eine Kritik vonseiten einer FPÖ-Politikerin lesen musste –: Unsere Kandidatur als nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, eine Kandidatur, die vor 14 Jahren begonnen wurde, daher auch unter einer freiheitlichen Außenministerin sehr aktiv vorangetrieben wurde, ist so ein Beispiel dafür, wie wir als kleines Land unseren Beitrag in der Welt zur Friedenssicherung leisten können und leisten wollen. – Ich bitte Sie, unterstützen Sie uns dabei! – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik [NEOS/W].)

9.35

Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesrätin Mag.a Christine Schwarz-Fuchs. Ich erteile es ihr und mache darauf aufmerksam, dass entsprechend der Vereinbarung in der Präsidialkonferenz die Redezeit 10 Minuten beträgt. – Bitte, Frau Bundesrätin.