RN/55
13.56
Bundesrätin Mag. Dr. Julia Deutsch (NEOS, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Es ist mir wirklich eine große Ehre, dass ich heute hier stehe und als Mitglied des Bundesrates meine erste Rede halten darf. Ich wurde vor etwas mehr als zwei Wochen vom Wiener Landtag in den Bundesrat entsandt. Auf dem Weg nach Hause bin ich in die Straßenbahn eingestiegen und habe zufälligerweise meine ehemalige Französischlehrerin getroffen. Ich habe mich zu ihr gesetzt und habe ihr gesagt: Stellen Sie sich vor, Frau Professor, ich bin jetzt Bundesrätin! – Wir haben kurz geplaudert, haben dann aber sehr schnell das Thema gewechselt und kamen auf das zu sprechen, was an diesem Tag Österreich vollkommen fassungslos zurückgelassen hat. Ich wurde nämlich am 10. Juni entsandt, an dem Tag, an dem ein Amokläufer seine ehemalige Schule betreten hat und zehn Menschen ermordet hat, viele verletzt hat und sich im Anschluss suizidiert hat. Es gibt eigentlich keine Worte dafür, und schon gar keine richtigen. Uns hat in diesem Gespräch in der Straßenbahn auch die Sorge beschäftigt, dass weitere solche unfassbare Taten folgen könnten. Dann hat sie eines zu mir gesagt, sie hat gesagt: Julia, du bist in der Politik. Tu etwas dagegen!
Jetzt ist meine eigene Schulzeit schon eine Weile her – ich habe vor 13 Jahren maturiert –, aber eigentlich erinnere ich mich an meine eigene Schulzeit schon sehr gerne zurück. Schule, das ist der Ort, wo ich meine Freundinnen und Freunde jeden Tag getroffen habe; das ist der Ort, wo ich für meine Zukunft gelernt habe; das ist der Ort, wo die Lehrkräfte mich unterstützt haben, damit ich die Basis schmieden kann für den Weg, den ich danach gehen sollte und den ich heute noch gehe. In keinem Moment hätte ich mich in der Schule irgendwie nicht sicher gefühlt. In keinem Moment hätte ich auch nur irgendeine Sorge gehabt, dass irgendetwas passieren könnte. Der Gedanke, dass diese Sicherheit den Schülerinnen und Schülern am Borg Dreierschützengasse, ebenso wie auch den Lehrkräften und allen Betroffenen, genommen worden ist, trifft mich zutiefst. Es trifft uns alle. Diese Betroffenheit ist natürlich auch menschlich. Wir aber, wir sind hier in der Verantwortung, und wir müssen diese Verantwortung jetzt auch tragen, um Maßnahmen zu setzen, die langfristig wirken.
Die flexiblen Regeln zur Erleichterung der Durchführung der Matura an der betroffenen Schule sind natürlich ein guter erster Schritt, aber eben auch nur ein erster Schritt von vielen großen Schritten, die jetzt gesetzt werden müssen. Schulen müssen Orte der Sicherheit und des Vertrauens sein, Orte, an denen junge Menschen nicht nur Wissen erwerben, sondern wo sie Orientierung finden, wo sie Schutz erhalten. Deshalb ist auch der massive Ausbau der Schulpsychologie, die flächendeckende Einführung von Schulsozialarbeit auch an den Bundesschulen und die verstärkte Einbindung von externen Expertinnen und Experten für psychische Gesundheit, für Gewaltprävention, für Mobbingprävention sehr zu begrüßen.
Wir dürfen aber eines nicht vergessen: Die Prävention hört ja nicht vor der Schultüre auf. Viele Jugendliche kämpfen mit psychischen Belastungen, mit Rückzug, mit Perspektivenlosigkeit – oft, ohne dass auch nur irgendjemand das eigentlich bemerkt. Genau da brauchen wir niederschwellige Angebote, um psychische Krisen zu erkennen, um frühzeitig Hilfe zu ermöglichen; auch Laien benötigen das notwendige Wissen, um eben einschreiten zu können. Nur durch proaktive Unterstützung und Aufklärung lassen sich solche Eskalationen möglicherweise vermeiden.
Gleichzeitig braucht es eine gestärkte außerschulische Jugendarbeit, die den jungen Menschen dort begegnet, wo formale Bildungsangebote enden. Sie schafft Räume, in denen die Jugendlichen Vertrauen erhalten, soziale Kompetenzen entwickeln können und sich ausdrücken können. Dazu kommt natürlich – wir leben im 21. Jahrhundert –: Viele Jugendliche verbringen einen großen Teil ihres Alltags online. Rückzug in digitale Welten heißt jetzt nicht automatisch, dass das eine Gefahr bedeutet, aber es braucht dort ebenso Präsenz, es braucht Orientierung, es braucht professionelle Ansprache. Die aufsuchende Jugendarbeit im digitalen Raum ist heutzutage kein Nice-to-have mehr, sondern sie ist notwendig, eine notwendige Ergänzung zur klassischen Präventionsarbeit.
Wer heute Jugendliche erreichen will, muss ihre Lebensrealität ernst nehmen, auch wenn sie sich unserem Blick eigentlich entzieht. Ebenso unverzichtbar sind niederschwellige und anonyme Beratungsangebote, egal ob telefonisch, ob online oder in Präsenz, damit junge Menschen in belastenden Situationen schnell Hilfe finden, ohne sich rechtfertigen oder vielleicht sogar schämen zu müssen.
Prävention heißt: Beziehungsangebote machen, bevor es eskaliert; zuhören, bevor jemand schreit; helfen, bevor jemand handelt. Gewaltprävention ist dabei keine einmalige Maßnahme, das ist kein Projekt mit einem Start- und einem Endzeitpunkt, sondern ein dauerhafter gesamtgesellschaftlicher Auftrag, denn Sicherheit entsteht nicht durch Kontrolle, sie entsteht durch Vertrauen, sie entsteht durch Nähe und das Wissen: Da ist jemand, der mich sieht, da ist jemand, der mir zuhört, und da ist jemand, der mir hilft.
Verantwortung dafür tragen wir alle – in der Schule, im Netz, in der Familie oder in der Nachbarschaft. Deshalb, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, möchte ich den Appell meiner ehemaligen Französischlehrerin auch an Sie richten: Wir alle hier sind in der Politik; tun wir etwas dagegen! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen.)
14.03
Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Antonia Herunter. – Bitte schön, Frau Bundesrätin.