RN/7
9.34
Bundesrätin Amelie Muthsam (SPÖ, Niederösterreich): Danke schön, Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher hier im Saal, aber auch zu Hause vor den Bildschirmen! Ich könnte mich jetzt hier hinstellen und Zahlen runterrattern: Zahlen über junge Menschen, die unter depressiver Symptomatik leiden, so und so viel Prozent unter dauerhaftem Stress. Wir kennen alle diese Zahlen, wir kennen sie aus Studien, aus der Forschung, aus der Wissenschaft, aus Berichten, aber ganz ehrlich: Wer mit Jugendlichen und mit Schülerinnen und Schülern spricht, der weiß ganz genau, wie es ihnen geht.
Hinter jeder dieser Zahlen steckt ein junger Mensch, der sich vielleicht nicht traut, etwas zu sagen, der glaubt, es muss halt so sein, der funktioniert, bis es nicht mehr geht – und zwar nicht weil er schwach ist, sondern weil er überfordert ist, weil wir in einer Welt aufwachsen, in der Krisen der neue Normalzustand sind. Ich rede hier von einer Generation, die gleich mit mehreren Dauerkrisen lebt, und ich weiß, dass uns die Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ wahrscheinlich gleich darauf hinweisen werden, dass Corona natürlich eines dieser Brenngläser war, das die Lage aufgezeigt hat.
Wir haben aber auch Krieg vor der eigenen Haustür; wir haben Inflation, Klimakrise, Algorithmen, die ständig mehr Aufmerksamkeit fordern; wir haben soziale Medien, die uns sagen: Du musst schön sein, du musst dünn sein, du musst groß sein, du musst politisch sein, aber nicht zu radikal, du musst einen genauen Plan fürs Leben haben, du musst leistungsfähig sein, aber am besten nie erschöpft. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)
Dann kommt da noch die Schule: ein Ort, der eigentlich Halt geben sollte, aber für viele leider nur mehr Druck bedeutet. In den letzten Wochen und Monaten wurde in Österreich sehr viel über sichere Schulen gesprochen und davon, dass Schulen ein sicherer Hafen für unsere Kinder und Jugendlichen sein sollen, besonders nach diesen tragischen Ereignissen in Graz. Diese Diskussion ist auch wichtig und es ist gut, dass wir darüber sprechen, aber wir müssen aufpassen, dass wir dabei nicht die Realität von ganz vielen Jugendlichen verkennen, dass wir dabei nicht ein idealisiertes Bild von Schule zeichnen, wo alle gerne hingehen, wo man sich wohlfühlt, worauf man sich freut.
Denn so ehrlich müssen wir sein: Das hat mit der Realität von vielen jungen Menschen leider aktuell nichts zu tun. Für viele ist Schule kein sicherer Ort, und das hat nicht immer mit physischer Gewalt zu tun, sondern auch damit, dass psychischer Druck, Angst, Überforderung, Mobbing, Beschämung zum Alltag gehören. Sie ist ein Ort, an dem zwar die Noten zählen, aber das eigene Wohlbefinden oft nicht, ein Ort, an dem man entweder funktionieren muss oder untergeht. Sicher ist eine Schule dann, wenn man keine Angst hat: keine Angst vor Prüfer:innen, keine Angst vor Bloßstellung und nicht vor dem Moment, in dem man sagt: Ich kann nicht mehr!, und es trotzdem niemand hört.
Ich weiß, wovon ich spreche: Ich war selbst jahrelang Schüler:innenvertreterin inmitten dieser Pandemie. Wir wurden plötzlich zum Auffangnetz für unsere Schulkolleg:innen und die Ersten, die thematisiert haben, was das mit unseren Kolleg:innen und mit den Schülerinnen und Schülern macht. Auch bei mir selbst habe ich es gemerkt: Ich war engagiert, leistungsstark und – auch wenn ich mich immer gegen den Titel verwehrt habe – wahrscheinlich das, was die meisten als Streberin bezeichnen würden. Ich musste nie Angst um meine Noten oder um den Weg danach haben, aber auch ich bin nicht immer gerne in die Schule gegangen. Ich hatte teilweise Angst vor Lehrpersonen, die Schülerinnen und Schüler einfach öffentlich bloßgestellt haben. Ich habe mich unwohl gefühlt, wenn Mädels im Unterricht sexualisiert oder anders behandelt wurden, nur weil sie Mädchen sind – mit Sprüchen, die man halt – unter Anführungszeichen – „nicht so ernst“ nehmen soll. Und ich war müde – nicht weil ich zu wenig geschlafen habe, sondern weil es teilweise einfach zu viel war.
Was ich sagen will: Wenn sogar diejenigen, die eigentlich immer gut durchkommen, an ihre Grenzen stoßen, was sagt das über unser System aus? Deshalb ist dieses Maßnahmenpaket, das die Bundesregierung hier präsentiert, so wichtig: weil sie nämlich nicht behauptet, dass eh alles gut sei, sondern weil es anpackt und weil es die richtigen Maßnahmen setzt. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)
Wir verdoppeln die Anzahl der Schulpsycholog:innen; wir bringen Schulsozialarbeit endlich auch in den Bundesschulbereich; wir schaffen mehr Krisenhilfe vor Ort, mehr Nachbetreuung, verpflichtende Exitgespräche. Wir erkennen an, dass psychische Gesundheit nicht länger egal ist, und wir nehmen die Realität ernst, dass Jugendliche heutzutage halt nicht in einem Vakuum groß werden, sondern in einem Spannungsfeld aus Zukunftsängsten, Selbstoptimierung und immer stärker werdendem sozialen Vergleich.
Wenn wir das ignorieren, dann produzieren wir weiter stille Krisen, die irgendwann laut werden, und das manchmal leider zu spät. Ich will, dass Schule ein Ort wird, an dem man nicht nur abliefert, sondern auch auffangen darf; dass dort nicht nur bewertet wird, was jemand kann, sondern auch gesehen wird, wie es jemandem geht; und dass junge Menschen nicht ständig hören müssen, sie müssen halt resilienter werden oder einfach mehr aushalten, sondern dass wir Strukturen schaffen, in denen sie sich nicht dauernd selbst bekämpfen müssen.
Wenn ich ein gebrochenes Bein habe, wird mich niemand in den Sportunterricht zwingen, aber wenn ich eine gebrochene Seele habe, ist es anders. Psychische Probleme sind kein Zeichen von Schwäche; sich Hilfe zu holen – das ist stark. Eine Schule, in der man vor der nächsten Stunde Angst hat, ist keine starke Schule, und eine Gesellschaft, die das hinnimmt, ist keine starke Gesellschaft.
Werden wir besser, wir sind es unseren Kindern schuldig! – Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ und Beifall bei den Grünen, bei Bundesrät:innen der ÖVP sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W].)
9.40
Präsident Peter Samt: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Isabella Theuermann.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.