RN/6

11.13

Bundesrätin Amelie Muthsam (SPÖ, Niederösterreich): Vielen Dank, Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundesministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Demokratie und Wissenschaft haben etwas sehr Entscheidendes gemeinsam: Sie leben von Widerspruch, von Zweifel, von der Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen und gemeinsam nach Wahrheiten zu suchen. Beides, Wissenschaft und Demokratie, sind kein Zustand, den man einmal erreicht und dann einfach behalten kann, sondern sie sind Prozesse. Sie leben davon, dass Menschen sich einmischen, dass sie diskutieren, dass sie Argumente austauschen und vor allem auch immer die Frage stellen: Stimmt das wirklich? 

Das, was wir heute erleben, ist aber etwas anderes. Wir erleben, dass dieser Zweifel missbraucht wird, denn da geht es oft nicht mehr um ehrlichen Zweifel, sondern vielmehr ist das der kalkulierte Angriff auf Vertrauen durch jene, die Zweifel nur vortäuschen, um Spaltung zu säen, die so lange an Fakten rütteln, bis die Lüge glaubwürdiger klingt als die Wahrheit. 

Ich war vor Kurzem bei einem europäischen Jugenddialog, bei dem wir mit jungen Menschen aus ganz Europa über Klimaschutz diskutiert haben. Dabei kam die Frage aus dem Publikum: Wenn wir so viele Daten, so viele Fakten und so viel Forschung dazu haben und so viel darüber wissen, wie kann es dann immer noch sein, dass manche Menschen einfach nicht an den Klimawandel glauben? – Das ist eine simple Frage, aber eine Frage, die den Kern dieser Zeit trifft, denn sie zeigt, dass das Problem nicht mehr darin besteht, dass wir Dinge nicht wissen, sondern dass wir sie nicht glauben wollen. 

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der ich dachte, dass wir das eigentlich längst hinter uns gelassen haben, dass Aufklärung, Vernunft und Wissenschaft fest verankert sind und dass wir gelernt haben, was passiert, wenn man Denken durch Dogma ersetzt. Ich dachte, wir wären weiter. Wir alle profitieren jeden Tag von unzähligen wissenschaftlichen Erkenntnissen, von Medikamenten, die Leben retten, von Technologien, die unser Leben erleichtern, von Forschung, die uns hilft, Krisen zu bewältigen oder Sicherheit und Frieden zu gewährleisten. Wir haben gesehen, was Impfungen bewirken. Gleichzeitig müssen wir aber erleben, dass es genau diese Errungenschaften sind, die von manchen Menschen abgewertet werden. Wir erleben, wie sich eine neue Kultur des Misstrauens breitmacht – gegen Wissenschaft, gegen Medien und gegen die Politik. Wissenschafter:innen, die Fakten erklären, werden beschimpft. Journalist:innen, die recherchieren, werden bedroht; Politiker:innen, die Verantwortung übernehmen, werden als Eliten diffamiert.

Ich möchte jetzt vor allem noch auf zwei Punkte eingehen, weil es nämlich nicht reicht, nur im eigenen Land zu sagen, dass die Wissenschaft frei sein soll. Wissenschaft hört nicht an Landesgrenzen auf. Wenn wir sehen, dass Universitäten finanziell ausgehungert oder geschlossen werden, weil Forschung politisch unerwünscht ist, dann ist das kein fernes Problem, sondern ein Problem, das wir auch hier in Europa sehen. Wenn Wissenschafter:innen in anderen Ländern wegen ihrer Haltung bedroht, verfolgt oder zensiert werden, dann ist das auch ein Angriff auf unsere gemeinsame Zukunft, denn Wahrheit braucht keine Grenzen, sondern sie braucht Verbündete.

Wenn wir über Wissenschaft und Demokratie reden, dann müssen wir auch darüber reden, wer in dieser Wissenschaft oft nicht sichtbar ist und wer immer noch überhört wird. Freiheit in diesem Bereich bedeutet nämlich nicht nur, dass man forschen darf, sondern sie bedeutet auch, dass alle die gleichen Chancen haben, gehört zu werden. Jahrhundertelang haben Frauen Wissen geschaffen und wurden aus den Büchern gestrichen. Forscherinnen, die bahnbrechende Entdeckungen gemacht haben, wurden vergessen, während ihre männlichen Kollegen Preise bekommen haben. Und auch heute sehen wir noch: Frauen werden in der Wissenschaft seltener zitiert, seltener berufen, seltener gehört. Darum investieren wir nicht nur in Labore und Programme, sondern auch in Gleichstellung, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit in der Forschung. Wir fördern Initiativen, die junge Frauen in der Wissenschaft stärken. Wir schaffen Strukturen und sichere Arbeitsverhältnisse, damit Wissenschafterinnen nicht zwischen Karriere und Familie wählen müssen. Und wir holen feministische Perspektiven in die Forschungspolitik, weil damit oft Fragen gestellt werden, die sonst niemand stellt.

„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ – Mit diesen Worten habe ich meine erste Rede hier in diesem Haus begonnen. Ich habe damals gesagt, dass diese Freiheit kein Geschenk, sondern eine Aufgabe ist, und deswegen bin ich stolz darauf, dass wir es nicht nur bei diesen schönen Worten belassen, sondern sie auch mit Leben füllen: Wir setzen konkrete Schritte, um Wissenschaft und Demokratie zu schützen. Wir schaffen Förderungen, die Forschung unabhängig machen. Wir öffnen Universitäten für internationale Kooperationen. Und wir geben beispielsweise Forscher:innen aus den USA, die in ihren Heimatländern nicht mehr frei arbeiten können, hier in Österreich die Möglichkeit, frei zu forschen, frei zu lehren und frei zu denken. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesrät:innen von ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W].)

Das ist nicht nur Solidarität, sondern auch eine Investition in unsere eigene Freiheit und Zukunft. Demokratie und Wissenschaft sind nicht einfach stabile Systeme, die sich selbst erhalten, sondern sie sind lebendige Versprechen, und sie brauchen Menschen, die sie Tag für Tag auch erneuern, und eine Politik, die sie fördert und die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft. 

Ich habe in dieser Rede jetzt ganz bewusst ausgespart, dass es auch in diesem Haus und in diesem Land Kräfte gibt, die diese Systeme regelmäßig angreifen, aushöhlen und infrage stellen. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Hören Sie auf, immer gegen die Grünen vorzugehen!) Das habe ich nicht deshalb weggelassen, weil ich nicht sehe, was Sie ja selbst Mal für Mal eindrücklich zur Schau stellen, wie Sie mit Wissenschaft und Fakten agieren. Das beste Beispiel dafür ist das, was gestern im Rahmen der Enquete hier von diesem Podium aus verbreitet wurde. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: All das sind Experten, denen Sie nicht einmal annähernd das Wasser reichen können!) Für uns ist aber ganz klar: Wir gehen dabei einen anderen Weg. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Das ist Wissenschaftsfeindlichkeit!) Wir stärken die Wissenschaft und die Demokratie, weil Wissenschaftsfreiheit nicht nur die Freiheit ist, zu forschen, sondern Wissenschaftsfreiheit auch die Freiheit ist, dass wir alle informierte Entscheidungen treffen können. Darum geht es nämlich. Wir lassen niemanden zurück. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W].)

Wir werden nicht zulassen, dass die Wissenschaft verächtlich gemacht wird, die Bildung instrumentalisiert wird und die Wahrheit zur Verhandlungsmasse wird, denn wer Forschung diskreditiert, wer Zweifel gegen Erkenntnisse wendet und wer Menschen gegeneinander aufhetzt, um Macht zu sichern, der greift nicht nur Universitäten an, sondern die Grundlage unseres Zusammenlebens. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W].) Das, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, werden wir nicht zulassen. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W].)

11.20

Präsident Peter Samt: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Markus Stotter. Ich erteile es ihm. 

Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.