RN/127
20.01
Bundesrätin Simone Jagl (Grüne, Niederösterreich): Danke schön, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Ich habe eine Frage an Kollegen Repolust: Wovon haben Sie eigentlich mit „Sozialsystem ausnutzen“ gesprochen? Es geht bei diesem Tagesordnungspunkt um eine Bildungsförderung. (Präsident Samt übernimmt den Vorsitz.)
Bildung ist, finde ich, förderungswürdig, weil wir gebildete Menschen haben wollen; also zumindest wir. Das ist eine gute Sache. (Heiterkeit bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP. – Bundesrätin Geieregger [ÖVP/NÖ]: Wir auch!)
Sehr geehrte Frau Bundesministerin, als ich mich für diesen Tagesordnungspunkt vorbereitet habe, hatte ich irgendwann ein lebhaftes Bild davon im Kopf, wie Sie wohl hier heraußen reagiert hätten, wenn wir in den letzten fünf Jahren so etwas wie das vorliegende Weiterbildungsgeld hier vorgelegt und vorgestellt hätten. Ich glaube, Sie hätten uns möglicherweise ordentlich die Leviten gelesen. (Bundesministerin Schumann: Das tun Sie jetzt!) – Das tue ich jetzt, genau (Heiterkeit der Rednerin), es ist ein bisschen ein Rollentausch. Manchmal muss man halt etwas, das man mittragen muss, Reform nennen, auch wenn es in Wahrheit ein Rückschritt ist. (Bundesministerin Schumann: Das ist es nicht! Nein, nein!)
Kollegin Schweiger, Sie haben davon gesprochen, Menschen zu ermutigen, sich weiterzubilden, Sie haben von Chancen für viele Menschen gesprochen. – Das sehen wir ein bisschen anders. Die Bildungskarenz war nicht perfekt und es gab Verbesserungsbedarf, ja, das ist unumstritten. Nicht jede Weiterbildung war sinnvoll, es gab auch Fälle, mit denen das System überfordert wurde. Sie hat aber einen ziemlich wichtigen Wert gehabt, sie hat es nämlich Menschen ermöglicht, selbst zu entscheiden, welchen Bildungsweg sie einschlagen wollen, ob für eine berufliche Neuorientierung oder einfach nur so zur Qualifizierung – also einfach nur so. Diese Freiheit war so etwas wie – das kann man sagen – fast das Herzstück der Bildungskarenz, und genau diese Freiheit wird jetzt leider abgeschafft.
Was nun als Weiterbildungshilfe präsentiert wird, ist unserer Ansicht nach keine Reform, sondern stellt eine massive Verschlechterung dar. Es ist eine Kürzung auf vielen Ebenen, nämlich in inhaltlicher, finanzieller und auch sozialer Hinsicht; ich muss das leider so deutlich sagen. Es stehen nur noch 150 Millionen Euro statt wie bisher 600 Millionen Euro zur Verfügung, das entspricht nur mehr einem Viertel – dies in einer Zeit, in der sich der Arbeitsmarkt durch Digitalisierung, durch künstliche Intelligenz, aber auch durch die Erfordernisse, die die Folgen des Klimawandels mit sich bringen, rasant ändert. Wir bräuchten gerade jetzt mehr Unterstützung für Weiterbildung, und nicht weniger. Es ist eigentlich völlig unverständlich, wie die werten Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie so etwas mittragen können. (Beifall bei den Grünen.)
Zukünftig zählt nun nicht mehr, was Arbeitnehmer:innen lernen wollen, sondern ob das Gelernte für den Betrieb verwertbar ist. Wer mehr als 3 225 Euro brutto verdient, muss sogar auf die Zustimmung und finanzielle Unterstützung oder Beteiligung des Arbeitgebers hoffen – 15 Prozent der Beihilfe müssen die Betriebe mitzahlen. Damit wird Weiterbildung in dieser Art ausschließlich zur betrieblichen Investition und nicht mehr zu einer Chance auf persönliche oder berufliche Weiterentwicklung. Die Bildungskarenz, im Kern eine Möglichkeit zur Stärkung individueller Selbstbestimmung, mutiert damit zu einer Art AMS-gesteuerter Unternehmensförderung.
Und: Besonders hart trifft das wieder Frauen. Ich habe wieder ein sehr lebhaftes Bild vor Augen, wie Sie hier am Rednerpult zur Höchstform auflaufen. (Bundesministerin Schumann: Das tue ich heute noch einmal, was glauben Sie?!) – Ja, na bitte, dann freue ich mich schon darauf. Viele Frauen haben die Bildungskarenz tatsächlich genutzt, um nach der Babypause den Wiedereinstieg mit einer Weiterbildung zu verbinden. Diese Möglichkeit fällt in Zukunft komplett weg. Das ist nicht nur schade, das ist ein Rückschritt für die Gleichstellung und auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Es verwundert mich besonders, dass das, was ich jetzt im Folgenden sage, von Ihnen mitgetragen wird, denn auch Menschen mit Behinderungen werden benachteiligt. Während es für Eltern mit Betreuungspflichten eine geringere Mindeststundenanzahl gibt, gilt das nicht für Menschen mit Behinderungen. Das ist nicht nachvollziehbar und nicht wirklich gerecht und das Gegenteil von Inklusion. (Bundesministerin Schumann: Das hat es vorher auch nicht gegeben!) – Ja, es hätte jetzt die Möglichkeit gegeben, das einzubinden. Das ist wirklich schade, denn das ist das Gegenteil von Inklusion, nämlich Exklusion.
Zudem schafft das neue Modell neue Unsicherheiten: Das AMS bekommt große Ermessensspielräume, die genaue Ausgestaltung soll erst durch zwei Richtlinien festgelegt werden, die es noch gar nicht gibt. Niemand weiß, wie die begrenzten Mittel überhaupt vergeben werden. Geschieht das dann nach dem First-come-first-served-Prinzip? Entscheidet dann nicht der Bedarf, sondern die Geschwindigkeit, die Macht des Stärkeren, des Schnelleren? Chancengleichheit schaut meiner Meinung nach anders aus.
Es gibt auch Verbesserungen: Wir finden zum Beispiel die Einführung der Mindesthöhe der Beihilfe und auch die Bildungsberatung, die die Kollegin vorhin schon angesprochen hat, für gut. Vieles andere bedeutet aber einen Rückschritt für Bildungsgerechtigkeit, für soziale Durchlässigkeit und wie gesagt halt auch für Chancengleichheit.
Wenn Weiterbildung vermehrt zu einem Privileg wird, und das wird es damit, dann verliert nicht nur jeder Einzelne und jede Einzelne, sondern dann verliert auch die gesamte Gesellschaft, und das kann doch nicht wirklich im Sinne der Sozialdemokratie sein. Wir brauchen Menschen, die sich weiterentwickeln können, nicht nur dann, wenn der Betrieb es will und der Betrieb es gutheißt und es für den Betrieb gut ist, sondern auch dann, wenn es das Leben erfordert. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)
20.07
Präsident Peter Samt: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Barbara Prügl. Ich erteile es ihr.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.