18.32

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuseherin hier im Saal und liebe Zuseher:innen vor den Bildschirmen! Ja, ich glaube, Sie wissen es – ich habe es des Öfteren schon hier gesagt –, ich habe fast mein ganzes Leben in einem Gemeindebau im 20. Bezirk gelebt, und ich kannte dort die Mädchen, die total stolz darauf waren, endlich wie ihre Mutter ein Kopftuch zu tragen. Sie sahen aus wie kleine Prinzessinnen und sie wollten auch ein bisschen Erwachsenenluft schnuppern. Und ja, natürlich, je jünger man ist, desto eher gewöhnt man sich an etwas und desto schwerer legt man diese Gewohnheit im sprichwörtlichen Sinn ab.

Ich muss zugeben, als 2004 das Kopftuchverbot an Frankreichs Schulen kam, neben dem Verbot aller religiösen Symbole, dachte ich: Wenn in der Schule Kopftuchtragen verboten ist, bekommen die jungen Frauen und Mädchen einen Raum, wo sie spüren, wie es ist, kein Kopftuch in der Öffentlichkeit zu tragen. Heute aber denke ich: Was nehme ich mir eigentlich heraus, für andere zu bestimmen, was sie tragen sollen? Was würde mich dann von denjenigen unterscheiden, die sagen: Du musst ein Kopftuch tragen!? Den Zwang, kein Kopftuch zu tragen, gegen den Zwang, eines zu tragen, auszutauschen, ist meiner Meinung nach widersinnig.

Es sollte auch vollkommen egal sein, ob Mädchen ein Kopftuch tragen oder nicht. Das sollte allen egal sein, wirklich allen. Wenn wir in einer menschenfreundlichen Gesellschaft leben wollen, ist das Nichtbeachten von äußeren Merkmalen, solange sie nichts Verbotenes symbolisieren, essenziell im Umgang miteinander, im gegenseitigen Respekt und in der Würde des Menschen. Es muss egal sein, was wir anhaben, es sind Menschen, alle mit ihrer eigenen Geschichte, mit ihrem eigenen Charakter, egal ob sie ein Kopftuch aufhaben oder nicht.

Sie wissen – das habe ich auch hier öfter schon gesagt –, ich bin Feministin, und es schneidet mir ins Herz, wenn ich an Unterdrückung von Frauen und Mädchen denke. Und ja, das Kopftuch kann ein solcher Unterdrückungsmechanismus von Familien oder Peergroups sein – muss es aber eben nicht. Es kann auch von den Mädchen selbst gewollt sein, und das ist in den überwiegenden Fällen sicher auch so.

Haben Sie schon einmal mit einem Kind oder Teenager darüber diskutiert – oder besser: gestritten –, was es anziehen soll? Ich nicht, glücklicherweise. Dieser Kampf ist nämlich fast nicht zu gewinnen, und das ist wohl okay so, denn das ist die Freiheit, die in diesem Alter ins Leben tritt. Und jetzt soll ich diese Kinder zwingen, kein Kopftuch zu tragen? – Nein.

Und ich sage Ihnen, es geht mir auch wahnsinnig auf die Nerven, dass andauernd darüber diskutiert wird – vor allem von Männern, und im Nationalrat haben überwiegend auch Männer dazu gesprochen –, was Frauen anziehen sollen oder was sie anziehen dürfen: Kleider, die über oder unter das Knie gehen, BH tragen oder nicht, Haare kurz oder lang, offen oder zusammengebunden, vom Kopftuch bedeckt oder nicht. Und ich bitte euch: Lasst uns Frauen und Mädchen doch endlich in Ruhe damit, und das auf allen Seiten: in der Politik genauso wie im Privaten!

Ob ich ein Kopftuch trage oder nicht, muss als Mädchen und als Frau alleine meine Entscheidung sein – niemandes anderen, niemandes! Wenn es als religiöses Symbol gewertet wird, dann will ich Gleichbehandlung für alle religiösen Symbole. Juristisch übersetzt heißt das, das Kopftuchverbot verstößt gegen den Gleichheitssatz, also die Gleichbehandlung von Religionen, und es ist eine Diskriminierung von muslimischen Kindern. Damit verstößt es auch gegen die UN-Kinderrechtskonvention im Sinne der grundrechtlich anerkannten Fähigkeit eines Kindes zur Selbstbestimmung.

Das sage nicht nur ich, sondern das sagt die Bundesjugendvertretung, der Klagsverband, die Österreichische Liga für Menschenrechte, Amnesty International, der Frauenring, die katholische Kirche Österreichs, die Bischofskonferenz und auch – ich erinnere die SPÖ daran – die Roten Falken, die Kinder- und Jugendbewegung der SPÖ, und die sagen explizit: „Kinderschutz bedeutet nicht Verbote und Ausgrenzung. Kinderschutz bedeutet echte Unterstützung: kleinere Klassen, bessere Sozialarbeit, leistbare Freizeitangebote und psychische und soziale Förderung.“

Wenn das Kopftuch Unterdrückungsinstrument ist, dann ist es das nie alleine, dann geht es dem Mädchen oder der Frau an sich nicht gut, dann ist die Bedrohung nicht nur das Kopftuch, dann ist es wichtig, Räume zu schaffen und Aufklärung und Unterstützung zu geben, wie das Mädchen am besten aus dieser Situation rauskommt. Zusätzlich ist es für Mädchen wichtig, dass sie gefördert werden, um aus Abhängigkeiten zumindest im Erwachsenenalter herauszukommen. Da kann sicherlich die Schule einiges tun und da wird auch sicherlich bereits einiges getan.

Erst kürzlich hat Melisa Erkurt darüber geschrieben, dass migrantische Kinder so gut wie nie als Hochbegabte gefördert werden beziehungsweise diese Förderung in Anspruch nehmen können, da ihre Fähigkeiten leider nur an den Deutschkenntnissen gemessen werden. Da hinzuschauen und etwas zu ändern, wäre ein Projekt, das auch Mädchen in ihrer Selbstständigkeit weiterbringt.

Und ja, auch wir wollen eine gewaltfreie Schule, aber rufen dazu die Länder in ihrer Zuständigkeit auf, dafür zu sorgen.

Blamen und shamen wir nicht die Mädchen, sondern die, die sich herausnehmen, über den Kleidungsstil von Frauen permanent zu urteilen oder gar zu bestimmen! Stellen wir die Bubenarbeit in den Vordergrund, reden wir darüber, wie wir die Buben und Männer dazu bekommen, ihre Herrschafts- und Kontrollansprüche gegenüber Mädchen und Frauen ins Mittelalter zu verbannen, und wie wir es anstellen, dass softe und sorgende Männer weit cooler und weit zivilisierter wahrgenommen werden als die vermeintlich starken Männer! 

Daher möchte ich hier explizit jedem Mann und jeder Frau danken, die diesen gewaltvollen Geschlechterrollen widerstehen und gleichberechtigte Beziehungen im weitesten Sinn führen, wo beide Partner:innen stark und sensibel sein dürfen, genauso wie kämpferisch und fürsorglich. – Und mit dieser Fürsorge wünsche ich euch viel Erholung und viel Freude in den Weihnachtsferien. Auf ein Wiedersehen im neuen Jahr – und ein bissl Streit belebt die Sinne. – Danke. (Beifall bei den Grünen sowie des Bundesrates Mertel [SPÖ/Ktn.].)

18.39

Präsident Peter Samt: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bernhard Ruf. Ich erteile es ihm.

Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.