18.46
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Präsidium! Sehr geehrter Herr Minister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste hier im Saal! Ich erinnere mich an die Zeit der Pandemie: Da mussten wir als eine Nebenwirkung der vielen Maßnahmen, die ergriffen wurden, auch erleben, dass eine große Zahl an Schülerinnen und Schülern regelrecht von den Bildschirmen – Sie erinnern sich an das Distance-Learning – verschwunden ist, und wir hatten große Sorge, wo diese jungen Menschen sind und wie es ihnen in der Pandemie geht, wie sie zu Hause zurechtkommen und wann sie wieder in den Schulalltag zurückfinden. Ich kann mich erinnern, dass es sehr schwer auszuhalten war, nicht zu wissen, wie es diesen jungen Menschen geht.
Damals gab es noch keine Handhabe, wie die Schule proaktiv mit diesen jungen Menschen, mit den Familien in Kontakt treten kann, und das war aus meiner Sicht ein großes Problem. Ich finde, es ist neben der Verantwortung der Eltern schon auch eine Verantwortung des Staates und damit der Bildungseinrichtungen, zu wissen und Verantwortung dafür zu übernehmen, wo unsere Kinder sind und wie es ihnen geht. (Beifall bei der SPÖ.) In diesem Sinne, möchte ich gleich zu Beginn sagen, beruhigt es mich sehr, dass wir heute diese Maßnahmen, die sich in diesem Paket finden, beschließen werden; wir als SPÖ-Fraktion stimmen dem sehr, sehr gerne zu.
Man unterscheidet in diesem Paket zwischen jenen Schüler:innen, die die Schule abbrechen, und jenen, die vorübergehend suspendiert werden müssen. Für beide Gruppen gilt aus meiner Sicht aber eben dieses staatliche Interesse, sie weiterhin zu begleiten, denn diese Menschen stehen nach wie vor am Beginn ihrer Bildungs- und auch beruflichen Karriere, und wir alle wollen, dass sie diese Zukunft für sich auch gut nutzen können.
Bei den Schulabbrecherinnen geht es darum, dass wir gemeinsam mit ihnen einen neuen Weg, eine sinnvolle Beschäftigung, eine Arbeit oder eine nächste Ausbildung finden, denn es wäre fatal, wenn man sie ohne Begleitung in ihre Zukunft entlässt. Bei denjenigen jungen Menschen, die das Bildungssystem dermaßen herausfordern, dass man quasi vorübergehend eine Pause einlegen muss, zu ihrem Schutz, aber auch zum Schutz der restlichen Klassengemeinschaft oder Gruppengemeinschaft eine Distanz herstellen muss, geht es auch darum, diesen Kontakt nicht abbrechen zu lassen. Diese Pause muss nämlich auch genutzt werden, um nachzusehen: Was genau ist das Problem? Warum verhält sich dieser junge Mensch so? Und was kann in Zukunft anders gemacht werden, damit diese Kooperation wieder gelingen kann?
Denn: Nach ein paar Tagen, nach ein paar Wochen kommen diese Schüler und Schülerinnen im Idealfall wieder zurück in die Schule, in die Klassengemeinschaft, und dann muss es in irgendeiner Form weitergehen und dann soll im Idealfall etwas besser sein als davor. Das heißt, wir brauchen in beiden Fällen, beim Schulabbruch und bei der Suspendierung, einen Blick auf das dahinter liegende Problem. In den meisten Fällen geht es nicht nur um ein schlechtes Benehmen, sondern um eine Themenstellung, die dieser junge Mensch mitbringt, die sich über viele Jahre aufgebaut hat und die man auch nicht in wenigen Tagen wegknipsen kann und dann ist alles gut und alle verstehen sich und das Zusammenleben funktioniert wunderbar.
Das heißt in weiterer Folge: Um diese Sachlagen bearbeiten zu können, brauchen diese Menschen in erster Linie verlässliche Bezugspersonen, Menschen, die quasi einen Draht zu diesen jungen Menschen haben und mit ihnen in Beziehung treten können, ihnen etwas anbieten können. Dafür brauchen diese Pädagog:innen, die Schulsozialarbeiter:innen, die Stützkräfte vor allem Zeit, sich diesen Menschen widmen zu können, diese schwierigen Gespräche zu führen, oft auch mit den Eltern.
Kollege Ruf, da habe ich ein bisschen eine andere Erfahrung: Meine Erfahrung ist, dass Eltern im Zweifelsfall oder im Normalfall ihr Bestes geben, um ihre Kinder zu erziehen. Sie in die Pflicht zu nehmen oder auch mit Sanktionen oder Strafen zu drohen, macht oft die Situation zu Hause nicht viel besser oder kann nicht einen schnellen Umschwung bringen. Das heißt, man muss auch die Eltern begleiten und mitnehmen und man muss ihnen neue Angebote setzen, damit sich in dieser Beziehung irgendetwas ändert, in der Klasse oder in der Kindergartengruppe. (Beifall bei der SPÖ.)
Was mich freut, was auch in diesem Paket verankert ist, ist, dass ein Monitoring vorgesehen ist, also ein Begleiten der Anzahl der Suspendierungen, auch ein Mechanismus, wie diese Suspendierung stattfinden kann, nach welchen Kriterien suspendiert werden darf und so weiter, denn das Schlimmste wäre, wenn dieses Instrument inflationär verwendet wird, dass immer, wenn ein Schüler, eine Schülerin unangenehm wird, gleich die Suspendierungskarte gezogen wird. Das will man durch diese Kriterien verhindern, und dieses Monitoring wird uns auch zeigen, wie dieses Modell verwendet wird und ob man vielleicht an irgendeiner Stelle auch gegensteuern muss, denn ich glaube, das Ziel muss nach wie vor sein, nicht mehr zu suspendieren oder mehrere Pausen einzulegen, sondern das Bildungssystem stark zu machen, die Ressourcen dorthin zu geben, wo sie gebraucht werden, damit die Kinder und Jugendlichen im System bleiben können und das Bildungssystem mit allen Kindern gut zurande kommt. Das müsste das nachhaltige Ziel sein. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Mitgliedern des Bundesrates von der ÖVP.)
Jetzt möchte auch ich noch ein Wort zum Kopftuchverbot wagen. Für mich ist das zugegebenermaßen gar nicht so leicht, aber mir geben immer die Kinderrechte – Kollegin Kittl hat sie auch schon ins Treffen geführt – Orientierung, um zu bewerten, wann eine Maßnahme gut ist oder nicht gut ist. Beim Kopftuchverbot gilt es, mehrere verschiedene und zum Teil widersprüchliche Kinderrechte gegeneinander abzuwägen, das macht es in diesem Fall so tricky.
Es gibt ein Recht auf freie Religionsausübung, und zwar egal, um welche Religionsgemeinschaft es sich handelt, und – das muss uns bewusst sein – dieses Recht haben auch junge Menschen und Kinder. Es geht auch um ein Recht auf Teilhabe, das jedem Kind zusteht, egal in welchem Alter und egal mit welchem Hintergrund. Es geht um ein Recht auf Schutz vor Diskriminierung, und es geht – und das ist in diesem Fall wohl eines der starken Rechte – um ein Recht auf Schutz vor Zwang und vor Gewaltausübung. Ich glaube, wir alle wollen, dass niemand jungen Mädchen vorschreibt, was sie tragen sollen, was sie anzuziehen haben. Wir kennen zum Teil die patriarchalen Strukturen, die dahinterstecken, und dem will man da entgegenwirken.
Es ist tatsächlich aber diese schwierige Abwägungsfrage, und das, was uns eint – Kollegin Kittl, da möchte ich dir ganz recht geben –, ist, dass diese Debatte um religiöse Symbole in der Öffentlichkeit nicht auf dem Rücken junger Mädchen ausgetragen werden darf. Ich möchte alle auffordern, vor allem im Bildungs- und Freizeitbereich, nicht mit dem Finger auf junge Mädchen zu zeigen, die in einer extrem schwierigen Situation sind, sondern im Gegenteil, junge Mädchen, junge Frauen müssen wir als Kollektiv stärken. Wir müssen sie bestärken, ihren eigenen Weg zu finden, ihren eigenen Weg zu gehen. Manchmal dauert es auch Generationen, bis tradierte Rollenbilder und Normen sich überholen oder auflösen, und diese Zeit sollten wir auch im Blick behalten. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätinnen Hauschildt-Buschberger [Grüne/OÖ] und Deutsch [NEOS/W].)
Trotzdem muss ich in diesem Hause sagen: Wenn wir wirklich wollen – und ich hoffe, das eint uns –, dass Frauen gleichberechtigt sind und auch gleichberechtigt leben können, dann ist die Verwendung der Sprache ein Ding, das man nicht negieren kann. Sprache schafft Realität! (Beifall bei SPÖ und Grünen, bei Mitgliedern des Bundesrates von der ÖVP sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W].)
Wenn auch hier im Haus – und ich richte mich jetzt dezidiert an die FPÖ – permanent verbal Frauen und weibliche Personen ignoriert werden (Ruf bei der FPÖ: Das ist ja ein Unsinn!), wenn man ganz bewusst immer nicht Frauen, sondern nur Männer benennt und wenn man alles daransetzt, dass nur die männliche Version des Menschen Öffentlichkeit bekommt, dann ist das eine bewusste Form der Ignoranz (Zwischenrufe bei der FPÖ) und der Unterdrückung und ein Bekenntnis dazu, dass man Männer vor Frauen stellt – und das machen Sie seit gestern und natürlich schon viel länger, aber hier auch ununterbrochen. (Beifall bei SPÖ und Grünen, bei Mitgliedern des Bundesrates von der ÖVP sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W]. – Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Wir reden halt normal, das ist ganz einfach!)
Das kann man machen, das ist Ihre Entscheidung, aber dann ist es nicht legitim, jemals noch mit dem Zeigefinger auf andere patriarchale Strukturen zu zeigen (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ] – erheitert –: Ja, genau! Genau!), sich an Communitys zu wenden, die patriarchal sind, und die gibt es. Das ist in diesem Fall nicht mehr legitim. Da muss man anfangen, vor den eigenen Türen zu kehren. (Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Ich bin so froh, dass die hohe moralische Instanz das vorgibt! Danke!) – Frohe Weihnachten! (Beifall bei SPÖ und Grünen, bei Mitgliedern des Bundesrates von der ÖVP sowie der Bundesrätin Deutsch [NEOS/W]. – Bundesrat Spanring [FPÖ/NÖ]: Die hohe moralische Instanz ..., geh bitte!)
18.57
Präsident Peter Samt: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrat Irene Partl. Ich erteile es ihr.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 65 Abs. 2 GO-BR autorisiert.