1737/J-BR BR
DRINGLICHE ANFRAGE
Gem. § 61 Abs. 3 GO - BR
der Bundesräte Kraml, Hedda Kainz, Marizzi
und GenossInnen
an den Bundesminister für Land - und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
betreffend die weitere Vorgangsweise der Bundesregierung nach der Inbetriebnahme des
Atomkraftwerks Temelin
Nach der nunmehr erfolgten Aktivierung des Reaktors beginnt der irreversible Prozess der
radioaktiven Kontamination. Derzeit befindet sich Temelin allerdings weiterhin in einer
Probephase, sodass für einige weitere Monate die radioaktive Verstrahlung relativ gering ist
und erst dann bei Vollbetrieb dramatisch ansteigen wird. Deshalb bleibt noch ein Zeitraum
von wenigen Wochen, der verhandlungstechnisch zu nutzen ist.
Sachlich bleibt festzuhalten, dass es sich beim Reaktorblock Temelin um eine noch nie
erprobte Mischung aus Ost - und Westtechnologie handelt. Die Bauzeit des Reaktors umfasste
15 Jahre und war durch mehrere Umplanungsphasen gekennzeichnet. Der deutsche
Umweltminister Trittin hat erst vor wenigen Tagen bekräftigt, dass das Atomkraftwerk
Temelin sowohl nach deutschen als auch nach französischen Sicherheitsbestimmungen keine
Betriebsbewilligung erhalten würde. Es ist daher davon auszugehen, dass dieses Kraftwerk
nicht den europäischen Sicherheitsstandards entspricht.
Umso bedauerlicher ist es, dass die tschechische Regierung trotz aller Anstrengungen und
Unterstützungsangebote von Seiten Österreichs, aber auch nach Diskussionen mit der
Europäischen Union und anderen Mitgliedsstaaten, insbesondere der Bundesrepublik
Deutschland, nicht von der Inbetriebnahme von Temelin abrücken wollte.
Jetzt ist die Geschlossenheit der österreichisch politischen Instanzen besonders gefordert.
Sowohl die österreichische Bundesregierung, aber auch National - und Bundesrat,
Landesregierungen und Landtage sowie Bund und Gemeinderäte haben einhellig gegen
Temelin Stellung bezogen und versucht die Inbetriebnahme zu verhindern. Alle Parteien des
Nationalrates haben sowohl am 5. Juli 2000 als auch bei der Sondersitzung des Nationalrates
am 5. September 2000 nochmals in Entschließungsanträgen ihre ablehnende Haltung
bekräftigt und die Bundesregierung ersucht, weitere Maßnahmen gegen die Inbetriebnahme
von Temelin zu setzen.
Trotz vielfältiger Aktivitäten aller politischen Organe Österreichs und Notmaßnahmen der
Bürger in Form von Grenzblockaden konnte allerdings nicht einmal erreicht werden, dass die
Republik Tschechien einer Umweltverträglichkeitsprüfung der zentralen Anteile des
Kernkraftwerks Temelin zustimmt.
Die nach langen Verhandlungen zugesagte Begehung durch eine österreichische
Parlamentarierdelegation samt Experten des Kernkraftwerks Temelin geriet zum Affront. So
wurde unmittelbar vor Eintreffen der österreichischen Delegation die Stufe 3 der Aktivierung
in Gang gesetzt, sodass zentrale Bestandteile des Kraftwerks von der Delegation offiziell
nicht besichtigt werden konnten. Gleichzeitig hat die Begehung grundsätzlich bedeutende
Sicherheitsmängel zu Tage gebracht, z.B. dass die Notfallschaltzentrale direkt unter dem
Reaktor angebracht ist und damit als erste bei einer Kernschmelze zerstört werden würde.
Mit Baukosten von mehr als 40 Mrd. Schilling ist Temelin nicht in der Lage, zu wirtschaftlich
vertretbaren Preisen Strom zu erzeugen. Gleichzeitig ist die Höhe der investierten Kosten
durch CEZ sowie der Umstand der Haftung der Kredite durch die tschechische Republik einer
der wesentlichen Gründe, dass trotz aller sachlicher Kritik im letzten Jahr der Ministerrat der
tschechischen Regierung sich mit knapper Mehrheit doch entschloss, das Atomkraftwerk
Temelin fertigzustellen. Dies, obwohl von Seiten der damaligen österreichischen
Bundesregierung angeboten wurde, sich bei der Europäischen Union für die Anerkennung
von Temelin als "stranded investment" einzusetzen und damit eine wesentliche finanzielle
Zuwendung zu erreichen.
Da die Republik Tschechischen bereits im Vorjahr massiv Stromexporte durchgeführt hat, ist
davon auszugehen, dass das Atomkraftwerk Temelin nicht für die Bedeckung des
Inlandsbedarfs benötigt ist. Vielmehr ist offensichtlich beabsichtigt, die Stromproduktion ins
Ausland zu verkaufen. Temelin kann dabei auf Grund der enormen Baukosten keinesfalls zu
europäischen handelsüblichen Preisen Strom erzeugen. In diesem Zusammenhang ist auf das
im Juli beschlossene Energieliberalisierungsgesetz hinzuweisen, wonach Dumpingimporte
nach Österreich bzw. solche von Atomkraftwerksanlagen zu verbieten sind.
In der gegenwärtigen Situation ist es aus Ansicht der SPÖ - Fraktion erforderlich, weiterhin
konsequent den Kurs für ein kernkraftwerksfreies Mitteleuropa fortzusetzen. In diesem Sinne
gilt es die österreichischen Sicherheitsbedürftiisse über Parteigrenzen hinweg zu vertreten.
Jetzt gilt es, auf Grund der vorliegenden Faktenlage neue Initiativen zu setzen, um einerseits
mit der tschechischen Republik weiterhin das Gespräch im Interesse der Sicherheit der
österreichischen Bevölkerung zu suchen, andererseits auch auf europäischer Ebene
Unterstützung einzufordern.
Die unterzeichneten Bundesrätlnnen richten daher an den Bundesminister für Land - und
Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft nachstehende
Anfrage:
1. Welche Initiativen wurden in den entscheidenden letzten drei Monaten von der
österreichischen Bundesregierung zu Temelin gesetzt? Mit wem wurden wann
welche Gespräche geführt?
2. Wird die österreichische Bundesregierung der Republik Tschechien erneut ein
Angebot für den Stopp der Inbetriebnahme von Temelin machen? Wenn ja, welches?
3. Wie wird sich Österreich im Rahmen der Erweiterungsdiskussion auf europäischer
Ebene verhalten? Welche Bedingungen muss die tschechische Republik erfüllen,
damit Österreich das Energiekapitel unterschreibt?
4. Wird die Frage der nuklearen Sicherheit auch gegenüber allen anderen
Beitrittskandidaten in den Vordergrund gerückt werden?
5. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, gemeinsam mit der Republik
Tschechien Notfallspläne auszuarbeiten?
6. Werden Stromimporte aus Tschechien nach Österreich verboten werden? Wird es in
diesem Zusammenhang auch Gespräche mit Deutschland geben, Stromimporte aus
Temelin nach Deutschland zu verhindern?
7. Welche Initiativen setzt die Bundesregierung, um einen europäischen
Sicherheitsstandard zu definieren, den alle beitrittswilligen Mitgliedsstaaten erfüllen
müssen?
8. Hält die Bundesregierung an ihrer Forderung fest, nachdem eine
Umweltverträglichkeitsprüfung für Temelin durchgeführt werden muss? Verlangt
eine derartige Umweltverträglichkeitsprüfung auch die Europäische Union und wie
soll sie im Rahmen des Beitrittsprozesses durchgesetzt werden?
9. In welcher Form werden Bürger und non governmental organisations in die
Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung eingebunden werden?
10. Ist der im Vorjahr beschlossene Anti - Aktionsplan weiterhin die Grundlage der Politik
der österreichischen Bundesregierung?
11. Wird die österreichische Bundesregierung alles unternehmen, um bei der sechsten
Klimaschutzvertragsstaatenkonvention in Den Haag eine Förderung der Atomkraft
im Rahmen einer internationalen Klimastrategie auszuschließen?
Unter einem wird in formellem Sinn verlangt, diese Anfrage im Sinne des
§ 61 Abs. 3 GO - BR nach Erledigung der Tagesordnung dringlich zu behandeln.
HTML-Dokument erstellt: Oct 16 15:44