Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 146. Sitzung / 77

wenn es weiter auf Beamtenebene, welcher politischen Gruppierung diese Beamten auch immer nahestehen mögen, möglich ist, solche Unrechtsakte auf diese ganz subtile, bürokratische Art und Weise zu setzen, dann werden wir immer wieder mit Vertuschungs- und Verschleierungsanträgen nach dem Motto "Unrecht hat es ja überall und immer und allerorts gegeben!" konfrontiert werden. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Frau Bundesministerin! Herr Staatssekretär! Auch meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Ich bitte Sie: Besprechen Sie das Problem dieser bürokratischen Schikanen, dieser fortgesetzten "Die wollen wir da nicht!"-Politik in der Bundesregierung! Es wird meiner Meinung nach nicht in allen Fällen möglich sein, das individuelle Unrecht auch nur finanziell wiedergutzumachen. Die Opfer sind weit weg oder verstorben, ihre Erben oft nur schwer auffindbar, oder sie wollen nichts mehr von Österreich wissen.

Es bedarf neben diesen Ansätzen einer finanziellen, einer materiellen Wiedergutmachung und einer Rückgabe von Kunstgegenständen meiner Ansicht nach vor allem einer lückenlosen und ehrlichen Anerkenntnis dieses Unrechts, das über das Jahr 1945 hinaus angedauert hat. Ich glaube auch, daß es von den Spitzen der Ressorts, von der Leitung der Administrationen in Sachen Finanzen in den Ländern und in den Städten klarer Anordnungen bedarf, damit diese Art des fortgesetzten Unrechts nicht mehr stattfinden kann.

Ich bitte Sie, sich im konkreten Fall darum zu kümmern, daß vielleicht anhand dieses Beispiels in Wien Unter St. Veit ein Exempel für das Eingeständnis dieser Republik statuiert wird, das geschehene Unrecht anzuerkennen, verbunden mit dem Bekenntnis an die Opfer und ihre Nachkommen und an die ganze Welt, daß dieses Österreich dafür Sorge tragen wird, daß sich so etwas nie wieder ereignen darf. (Beifall bei den Grünen, beim Liberalen Forum und bei Abgeordneten der SPÖ.)

13.20

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Weiters zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Höchtl. – Bitte, Herr Abgeordneter.

13.20

Abgeordneter Mag. Dr. Josef Höchtl (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben nun einige Stunden lang über ein Ereignis diskutiert – und darauf eine österreichische Antwort zu geben versucht –, das in der Geschichte einmalig war. Wir hoffen, daß diese Einmaligkeit für alle Zukunft gegeben sein wird. Es war ein einmaliges Verbrechen an einem Volk in einer Dimension, die wir alle gemeinsam verurteilen, und wir hoffen, daß alles getan wird, damit sich niemals mehr gegen irgendein Volk ein derartiges, ungeheures Schicksal ereignen wird. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir haben – von verschiedenen Seiten betont – klar zum Ausdruck gebracht, daß Unrecht nicht aufgerechnet werden darf. Es hat im Laufe der Geschichte viele Völker gegeben, denen Unrecht widerfahren ist, nicht nur im kleinen, sondern sogar im großen Rahmen. Wir – alle fünf Parteien – haben uns aber heute dazu entschlossen, mit diesen drei Gesetzen der Einmaligkeit und der Größe des Verbrechens, das gegen das jüdische Volk begangen worden ist, Rechnung zu tragen.

Es ist aber in dieser Diskussion angeschnitten worden, daß auch andere Völker gelitten haben: unter dem Nationalsozialismus, ja unter den Wirkungen des Zweiten Weltkrieges. Ich möchte deshalb am Schluß dieser Debatte folgendes sagen: Es stimmt, daß einige Völker unter dem furchtbaren Morden und unter der Tragik des Zweiten Weltkrieges, unter dessen Wirkungen und unter dessen Brutalität gelitten haben – darunter auch Sudetendeutsche. Wir stellen ohne jeglichen Vorbehalt fest: 3,5 Millionen Sudetendeutsche gewaltsam zu vertreiben und 241 000 von ihnen brutal zu ermorden, ist ein Verbrechen, das auch nicht vergessen werden darf.

Unrecht kann und darf man nicht aufrechnen. Eines aber müssen wir in Zukunft gemeinsam tun: Wir benötigen in Europa eine gemeinsame Kraftanstrengung, um alle Schatten der Vergangenheit und vor allem alle Schatten und Verbrechen des Zweiten Weltkrieges aufzuklären. Denn


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