13.03.07

Abgeordneter Kai Jan Krainer (SPÖ): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute vor zwei Jahren ist das Ibizavideo veröffentlicht worden, bekannt ge­worden. Wir erinnern uns alle an das Sittenbild, das wir da gesehen haben: dass der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache und der damalige Klubobmann der FPÖ Johann Gudenus offenbar bereit waren, gegen Geld mehr oder weniger alles zu tun, zu verkaufen – Gesetze, Positionen, öffentliche Aufträge und so weiter.

Wir als Opposition haben uns natürlich die Frage gestellt: War das nur ein Sittenbild, war das nur ein Vorsatz, oder ist es tatsächlich passiert? Wir, die Sozialdemokraten, haben deswegen gemeinsam mit den NEOS bei der ersten Gelegenheit – das war im Dezem­ber 2019 – einen Untersuchungsgegenstand definiert und einen Untersuchungsaus­schuss eingesetzt, weil wir uns die mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesre­gierung ansehen wollten. Ist das in der Praxis tatsächlich umgesetzt worden?

Nach in etwa einem Jahr Befragungen und Arbeit im Untersuchungsausschuss kann man noch nicht Bilanz ziehen, das werden wir im September, spätestens im Dezember machen, wenn der Endbericht vorliegt, aber man kann schon einiges sagen, was der Untersuchungsausschuss gezeigt hat. Ich bringe nur drei Beispiele, weil es hier eine Partei gibt, die der Meinung ist, da kommt ja nichts heraus. (Abg. Wöginger: Ja, ist ja so!) Die anderen vier Parteien haben sehr, sehr viel dazugelernt, die eine Partei eben nicht. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ich darf drei Beispiele anführen.

Das erste Beispiel ist der Bereich der Privatkliniken; hatten wir gar nicht am Radar, bevor der Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, bevor die Arbeit begonnen wurde. Was sind die Fakten betreffend die Privatkliniken? – Wir wissen heute, es gab einen FPÖ-nahen Betreiber, der an Strache, ich glaube, 10 000 Euro gespendet hat, und wir haben das SMS von Strache an diesen Betreiber: „Welches Gesetz soll ich für dich ändern?“ Auf der anderen Seite haben wir zwei Spenden eines ÖVP-nahen Betreibers aus dem Raiffeisen-Konzern, 50 000 Euro an die Kurz-ÖVP, und wir haben das E-Mail des Ge­schäftsführers dieses Betreibers von Privatkliniken an Strache, in dem er schreibt, bei­liegenden Gesetzestext habe er mit Löger und Blümel abgestimmt.

Faktum ist, dieser Gesetzestext wurde dann hier auch beschlossen, und Faktum ist, der ÖVP-nahe Betreiber hat dadurch aus öffentlichen Mitteln pro Jahr 5 Millionen Euro Ge­winn gemacht – 5 Millionen Euro pro Jahr! (Abg. Wöginger: ... Prikraf gegründet!) Das ist das, was an Fakten auf den Tisch gelegt worden ist. Die unabhängige Justiz ermittelt, es gibt Beschuldigte, teilweise schon Angeklagte, und die, die von der Justiz genau untersucht werden, sind Strache, der FPÖ-nahe Betreiber, aber auch der ehemalige Finanzminister Löger und der ÖVP-nahe Betreiber einer Privatklinik aus dem Raiffeisen-Konzern.

Das ist etwas, das ist zum Beispiel neu im Untersuchungsausschuss herausgekommen, das hatten wir vorher alle nicht am Radar: Spende, Gesetz und Vorteil für den, der ge­spendet hat. Ob es strafrechtlich relevant ist, wird die Justiz entscheiden, aber alleine aus politischer Sicht ist die Tatsache, dass es diese Abläufe gibt, etwas, worüber wir alle reden sollten, darüber, wie wir so etwas in Zukunft verhindern können. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Der zweite Bereich: „Novomatic zahlt alle“. Wir sind in den Untersuchungsausschuss reingegangen, weil wir davon ausgegangen sind, dass es so etwas wie einen Deal zwi­schen der Novomatic und der FPÖ gegeben hat. Auf der einen Seite wird ein FPÖ-naher Manager, Herr Sidlo, bei den Casinos Vorstand, auf der anderen Seite setzt sich die FPÖ für Gesetze ein, für Lizenzen ein, die der Novomatic zuträglich sind. Was wir aber in den Akten und Unterlagen im Untersuchungsausschuss gesehen haben, ist, dass die Verbindungen zwischen der ÖVP und der Novomatic zu jedem Zeitpunkt wesentlich dichter und enger waren als jemals mit der FPÖ. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Die No­vomatic und die ÖVP waren schon auf Du und Du, da war die Novomatic mit Herrn Strache noch per Sie.

Das, was wir sehen, das ist nicht nur Herr Sobotka, was die Verbindungen zur Novomatic betrifft, das ist nicht nur Herr Blümel, das ist nicht nur Herr Kurz (Rufe bei der ÖVP: Der Herr Matznetter, oder?), das sind ganz, ganz viele in der ÖVP, die da ganz enge Ver­bindungen haben. Ich weiß, das macht Sie nervös. Ich kann nur sagen, Novomatic-Vor­stand Neumann ist bei Herrn Kurz im Bundeskanzleramt ein und aus gegangen. (Abg. Wöginger: Jaja! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Das, was wir sehen, ist, dass die ÖVP im Finanzministerium hinter dem Rücken der FPÖ – und das war so – ein Glücksspielgesetz vorbereitet hat, das für die Novomatic wie Weihnachten und Ostern gewesen wäre. (Abg. Wöginger: ... der Herr Hoscher!) Da haben wir alle Fakten auf dem Tisch. (Heiterkeit bei der ÖVP.)

Und das Zweite, das wir sehen, ist, dass die Novomatic im Gegenzug die ÖVP-Vertreter Rothensteiner, Pröll und Ihre damalige Stellvertreterin, Herr Bundeskanzler, Frau Glatz-Kremsner, in den Vorstand beziehungsweise in den Aufsichtsrat gewählt hat. Das sind die Fakten, die wir haben. Die Justiz untersucht noch, ob es auch Geldflüsse gab, neben den Geldflüssen zum Sobotka-Verein, ob es auch direkte Spenden oder sonstige Spon­sorings und Zuwendungen direkt an die ÖVP gegeben hat. Da habe ich Vertrauen, dass die Justiz sieht, ob das tatsächlich passiert ist oder nicht. Aber das ist neu, das hatten wir nicht am Radar. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Und ein dritter Bereich: die Schredderaffäre. (Heiterkeit und Ja-Rufe bei der ÖVP.) – Das freut Sie besonders, ich weiß. Drei Tage nach dem Erscheinen des Ibizavideos kommt der Auftrag, Festplatten zu schreddern (Zwischenrufe der Abgeordneten Hanger und Melchior); und das nicht, wie es normalerweise gemacht wird, sondern unter falschem Namen, ohne die Rechnung zu bezahlen und an den Beamten und Sicherheitsstandards des Bundeskanzleramtes vorbei.

Die Ermittlungen wurden dann eingestellt (Ah-Rufe, Beifall und Bravoruf bei der ÖVP – Abg. Wöginger: So, wie die auch eingestellt werden, nicht?), weil es falsche Angaben von einem ehemaligen Kabinettsmitarbeiter von Herrn Kurz gab (Ruf bei der ÖVP: Ja, genau! – Abg. Wöginger: Jaja!), der nämlich gegenüber der Justiz gesagt hat (Ruf bei der ÖVP: Ersatzrichter!), es wurden nur Druckerfestplatten geschreddert. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS. – Abg. Melchior: Jaja! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Der Untersuchungsausschuss hat in detektivischer Arbeit (Abg. Hanger: Ja, genau! – Heiterkeit bei der ÖVP – Abg. Melchior: Tribunal! – Rufe bei der ÖVP: Oberdetektiv! Columbo!) nachgewiesen, dass nicht fünf, sondern nur drei Druckerfestplatten und zwei Laptopfestplatten geschreddert wurden. Zwei Laptopfestplatten wurden geschreddert – das hat der Untersuchungsausschuss nachgewiesen, und die Justiz hat diese Ermittlun­gen wieder aufgenommen, weil wir zutage gefördert haben, dass das, was die ÖVP ein Jahr lang behauptet hat, nämlich dass das nur Druckerfestplatten waren, unwahr war. (Ruf bei der ÖVP: Das Einzige, was ihr könnt, ist anzeigen!) Das war einfach nicht die Wahrheit! Die Wahrheit ist: Es waren drei Druckerfestplatten und zwei Laptopfestplatten. (Abg. Hanger: Sie nehmen ja nicht einmal zur Kenntnis, was die Staatsanwaltschaft sagt!) Die Frage, die nicht nur ich mir stelle, sondern die ganz Österreich sich stellt, ist: Was war auf den Laptopfestplatten und wo sind die zwei fehlenden Druckerfestplatten? (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS. – Abg. Wöginger: So wirst du nicht Klubobmann!)

Damit komme ich zu Ihnen, Herr Bundeskanzler, denn es geht hier auch um die Frage, wie Sie mit der Wahrheit umgehen. Bei der Schredderaffäre haben Sie persönlich ein Jahr lang immer wieder behauptet, es waren nur Druckerfestplatten. In der Zwischenzeit wissen wir (Abg. Melchior: Kein Mensch weiß das!), das war nicht die Wahrheit, sondern die Wahrheit sieht anders aus, nämlich: Es waren zwei Laptopfestplatten und nur drei Druckerfestplatten. (Rufe bei der ÖVP: Es sind immer Druckerfestplatten! Das ist einfach falsch! ... Lüge!) Ich stelle mir die Frage: Wieso haben Sie einen so schlampigen Um­gang mit der Wahrheit? (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS.)

Ich kann hier jetzt gar nicht die ganze lange Liste an Beispielen für Ihren schlampigen Umgang mit der Wahrheit referieren (Abg. Melchior: Ja, weil dir nichts einfällt!), aber lassen Sie mich noch ein paar Themen herausgreifen. (Abg. Hanger: Sie und schlampi­ger Umgang mit Wahrheit! Wer glaubt ...?)

Das Nächste sind die Wahlkampfkosten. Wir haben ein Gesetz, das festschreibt, wie viel Geld eine Partei für den Wahlkampf ausgeben darf. Wir haben ein erstinstanzliches Ur­teil, in dem steht, die ÖVP hat bewusst und absichtlich doppelt so viel Geld ausgegeben, wie das Gesetz erlaubt. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS. – Abg. Melchior: Das stimmt nicht! Das stimmt ja nicht! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Das ist das Urteil.

Das Zweite, was da drinnen steht, ist: Die ÖVP hat absichtlich die Öffentlichkeit und uns alle darüber getäuscht und hat von Anfang an die Unwahrheit gesagt. Das ist ein erst­instanzliches Gerichtsurteil. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS. – Abg. Melchior: Das stimmt auch nicht! Die nächste Lüge!)

Das dritte Beispiel ist jenes, über das ganz Österreich spricht, nämlich Ihre Aussage vor dem Untersuchungsausschuss. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Sie haben dort, als es um die Bestellung von Öbag-Vorstand Schmid gegangen ist, ein Bild gezeichnet (Abg. Mel­chior: Ihr zeichnet ein Bild!), als ob Sie aus den Medien oder am Rande informiert ge­wesen wären und Sie ab und zu jemand um Rat gefragt hat.

Seit den Chats, die aufgetaucht sind, wissen wir: Das war Chefsache. (Abg. Melchior: Du weißt gar nichts, null!) Sie hatten die Endentscheidungen und Sie haben am Schluss die Fäden gezogen. (Abg. Melchior: Alles nur eine Lüge!) Das ist mehr als ein schlam­piger Umgang mit der Wahrheit: Das ist einfach unwahr, objektiv unwahr, was Sie im Untersuchungsausschuss gesagt haben! (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Ob Sie das absichtlich oder unabsichtlich getan haben, wird die Justiz beurteilen, aber ich sage Ihnen heute schon eines: Wenn es zur Anklage kommt, gibt es nur eines, was Sie machen können, nämlich dem Konsens Folge zu leisten, den es seit 1945 zwischen allen politischen Parteien gibt (Abg. Wöginger: Ja, genau!), den Sie noch vor Kurzem eingefordert haben, als es Ermittlungen gegen den damaligen SPÖ-Bundeskanzler gab. Da haben Sie als ÖVP gesagt: Bei der Anklage ist die rote Linie, da muss er zurücktreten. Diese rote Linie gilt für uns – für alle, die gilt nicht nur für SPÖ-Bundeskanzler, sondern die gilt für alle Bundeskanzler, für alle Regierungsmitglieder und auch für die Landes­hauptleute. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ, Grünen und NEOS.)

Ich weiß nicht, ob es Abraham Lincoln gesagt hat, aber es gibt ein Zitat: „Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht!“ (Abg. Wöginger: Erzählt uns ihr nichts von Charakter! Erzähl uns du nichts von Charakter! – Weiterer Ruf bei der ÖVP: Das sind zu viele Fachfragen!) Dann sehen wir uns doch an, wie Bundeskanzler Kurz mit dieser Macht umgeht. (Ruf bei der ÖVP: ... Charakter gar nicht kennenlernen!) Wie geht er mit seiner Macht um, wenn er kritisiert wird, wenn es um seinen Umgang mit Kritikern geht? Wir wissen alle, die Kirche hat die Bundesregierung für ihre Asylpolitik kritisiert. (Abg. Wöginger: Weil du schon einmal in der Kirche warst! Da fällt der Herrgott runter! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Was passiert dann? Wie geht der Herr Bundeskanzler damit um?

In seinem Auftrag geht der Herr ÖVP-Generalsekretär im Finanzministerium, Herr Schmid – das ist übrigens derselbe Herr Schmid, der jetzt Vorstand der Öbag geworden ist –, zur Kirche – in seinem Auftrag! – und meldet ihm dann am Tag: Heute ist dieser Termin, und wir werden ihm die volle Packung rüberlegen, wir werden der Kirche vor­rechnen, was wir alles an den Steuergesetzen und an den Förderungen verändern kön­nen, wenn sie unbotmäßig agieren! – Was ist die Antwort des Herrn Bundeskanzlers? Er sagt: „Ja, super. Bitte Vollgas“, schüchte- -, schüchte- - (Heiterkeit bei der ÖVP) – da fehlen einem die Worte, da haben Sie recht –, schüchter meine Kritiker ein! – Das ist die Art und Weise, wie Sie damit umgehen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS. – Abg. Melchior: Leg immer was dazu! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Herr Schmid berichtet auch, was war. (Abg. Melchior: ... den Rest dichte dazu!) Er sagt ja dann auch: Den Bischof haben wir genau eingeschüchtert, und am Anfang war er rot, dann blass und dann zittrig. Am Anfang war er rot, dann blass, dann zittrig. (Ruf bei der ÖVP: Na rot war er nicht, weil das gibt’s gar nicht!) Und wie reagiert der Herr Bundes­kanzler? – Er sagt: „Super danke vielmals!!!!“ (Abg. Melchior: Und jetzt wieder irgend­was von dir dazu, komm!) – Das ist Ihr Charakter, wie Sie mit der Macht umgehen, und das ist kein schönes Bild! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Wir können uns ansehen, wie Sie mit dem Parlament, mit der Demokratie umgehen. Das sehen wir in diesem Untersuchungsausschuss: Kaum haben wir den Untersuchungsge­genstand vorgelegt, was hat die ÖVP, damals noch unter Mithilfe der Grünen, die in der Zwischenzeit geläutert sind – zumindest ist das mein Eindruck ihrer Arbeit im Untersu­chungsausschuss (Ruf bei der ÖVP: Ja schau!) –, gemacht? – Sie hat den Untersu­chungsgegenstand zensuriert und mehr oder weniger gesagt: Ihr dürft nur anschauen, was die FPÖ gemacht hat! Was die ÖVP gemacht hat, dürft ihr nicht anschauen, liebe Opposition! (Abg. Hanger: Wir haben einen Kraut-und-Rüben-Untersuchungsausschuss!) Der Verfassungsgerichtshof hat dann entschieden: Nein, es ist auch das Recht der Op­position, anzusehen, was die ÖVP gemacht hat und was unter der Verantwortung von Bundeskanzler Kurz passiert ist.

Das ist Ihr Umgang: Für jeden Akt, jedes E-Mail, jeden Kalendereintrag müssen wir bis zum Verfassungsgerichtshof gehen, damit dieser uns recht gibt und zum Beispiel Fi­nanzminister Blümel verpflichtet, Akten und Unterlagen zu liefern. Und was macht der Finanzminister? – Er druckt sie aus, stellt sie in den Keller und wartet zwei Monate lang, bis Folgendes passiert – der Bundespräsident hat es gesagt, das gab es in Österreich noch nie –: bis der Bundespräsident quasi als Exekutor mit der Polizei vor der Tür steht. (Abg. Wöginger: Ja, genau! Die waren schon auf dem Weg! Du weißt das auch!) Erst dann liefert er die Akten! So nützen Sie Ihre Macht aus im Umgang mit der Demokratie! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS. – Ruf bei der SPÖ: Schäbig ist das!)

Wie ist Ihr Umgang mit dem Rechtsstaat, mit der Justiz? Bereits im Jänner vor einem Jahr haben Sie begonnen, diese Attacken zu reiten – Sie persönlich in einem Hinter­grundgespräch, indem Sie davon gesprochen haben, dass die Justiz und die Staatsan­waltschaft irgendwelche Netzwerke bilden würden, die aus parteipolitischen Gründen gegen Sie agieren würden. Und noch vor wenigen Wochen haben Sie Kollegen Wö­ginger, Frau Ministerin Edtstadler in Eilpostpressekonferenzen ausgeschickt, um die Justiz einzuschüchtern, um die Justiz zu attackieren, weil Sie wissen, dass sie ermittelt und unabhängig ermittelt. (Abg. Melchior: Um aufzuzeigen, wie die Opposition arbeitet! Das war es!) Das ist Ihr Umgang, das ist die Art und Weise, wie Sie mit Ihrer Macht umgehen. Sie haben sogar ein Papier vorgelegt, dass Sie die Staatsanwaltschaft zer­schlagen und unter Kuratel stellen wollen. (Ruf bei der ÖVP: Geh bitte!) So gehen Sie mit Ihrer Macht hier um. Das ist kein gutes Bild. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeord­neten von FPÖ und NEOS. – Ruf bei der ÖVP: Das ist ja unfassbar!)

Weil Sie heute sagen, die Pandemiebekämpfung steht an erster Stelle und die Opposi­tion hat nichts Besseres zu tun, als hier zu kontrollieren, sage ich Ihnen eines (Abg. Melchior: ... schlechtzumachen, die Politik hinzumachen, die Demokratie hinzumachen, das ist das, was die Opposition macht! – weitere Zwischenrufe bei der ÖVP): Kollegin Krisper und ich haben beim ersten Lockdown vorgeschlagen, den Untersuchungsaus­schuss für drei Monate zu unterbrechen. Da war die ÖVP noch dafür. Kollegin Krisper und ich haben beim zweiten Lockdown im Oktober dasselbe vorgeschlagen. Alle Partei­en waren gesprächsbereit, nur eine Partei nicht, nämlich die ÖVP!

Die ÖVP wollte, dass der Untersuchungsausschuss weitergeht, und nicht, dass wir ihn unterbrechen, wie wir das beim ersten Lockdown gemacht haben. (Ruf bei der ÖVP: ... ha­ben ja die anderen Ausschüsse auch nicht!) Aber ich sage Ihnen, das ist auch kein Pro­blem, denn ein Rechtsstaat ist nie lästig, Kontrolle ist nie lästig, und auch die Wahrheit ist in einer Demokratie nie lästig, nie. (Beifall bei SPÖ, FPÖ und NEOS. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wenn wir uns ansehen, wie Sie mit Macht umgehen, Herr Bundeskanzler, sage ich Ih­nen: Ich sehe bei Ihnen immer zwei Gesichter. (Abg. Wöginger: Ja genau!) Es gibt das eine Gesicht, wenn die Kameras eingeschaltet sind, es gibt das eine Gesicht, wenn die Mikrofone an sind. (Zwischenruf des Abg. Zarits.) Da sind Sie gut frisiert, mit gut aus­gesuchten, vorbereiteten Wörtern, eloquent (Zwischenrufe bei der ÖVP); aber wenn die Kameras ausgeschaltet sind, wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind (Ruf: Das habe ich noch nie erlebt!), dann sehe ich ein ganz anderes Bild. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Das sehen wir aus den Chats, das sehen wir aus den Befragungen. (Abg. Steinacker: ... Bun­deskanzler gehabt haben!) Und dieses Bild ist ein Bild ohne Anstand, ohne Respekt und ohne Moral. (Ruf bei der ÖVP: Du hast keinen Respekt!) Das ist Ihr Charakter, und das ist das Bild, das wir sehen, wenn die Kameras ausgeschaltet sind. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen persönlich: Das ist sicher keine leichte Zeit (Ruf bei der ÖVP: Eine Anmaßung!), wenn man in einem Strafverfahren beschuldigt ist. Ich wün­sche Ihnen persönlich alles Gute (Ruf bei der ÖVP: Unglaublich! – weitere Zwischenrufe bei der ÖVP) – aber ich sage Ihnen auch eines: Ihre Unschuldsbeteuerungen, die Sie jetzt im Fernsehen und in den Interviews machen, die erinnern mich nur an eines, näm­lich an die Unschuldsbeteuerungen von Karl-Heinz Grasser. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS. – Ruf: Na bravo! – Abg. Hafen­ecker: Auch ein großer ÖVPler, dieser Karl-Heinz Grasser!)

13.21

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundeskanzler. Das Wort steht bei ihm. – Bitte.