13.52

Abgeordnete Julia Elisabeth Herr (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrtes Hohes Haus! Die Zukunftskonferenz der EU – ein Prozess, um die Europäische Union zu reformieren. Ich will dazu zwei Punkte einbringen.

Zuerst: Die Zukunft der EU, das ist nichts Externes. Wir schreiben sie alle gemeinsam tagtäglich, gestern und auch heute, und deshalb zählen nicht vordergründig die schönen Reden der Regierungsvertreterinnen, die wir heute gehört haben, sondern die Taten der letzten eineinhalb Jahre auf europäischer Ebene.

Da komme ich zum ersten Punkt, den auch Kollegin Jeitler-Cincelli angesprochen hat: Wir sollen auf unseren Sozialstaat stolz sein – ich sehe das genauso! Wir sollen auf unsere sozialpolitischen Errungenschaften stolz sein, darauf, dass wir im Vergleich mit anderen EU-Ländern der Arbeit einen größeren Wert geben, dass wir 98 Prozent aller Jobs in diesem Land durch Kollektivverträge abdecken und arbeitsrechtliche Mindest­standards festschreiben, was zum Beispiel den bezahlten Urlaub betrifft, oder aber auch einen Mindestlohn, denn Arbeit muss sich lohnen. Ja, ich sehe es wie Sie, darauf sollten wir stolz sein! (Beifall bei der SPÖ.)

Genau dazu liegt jetzt aber ein Vorschlag auf dem Tisch, um in ganz Europa, in der gesamten EU nachzuziehen, nämlich Kollektivverträge zu unterstützen und endlich auch einen EU-weiten Mindestlohn umzusetzen. Wer aber blockiert das? – Sie! Die Bundes­regierung, die österreichische Bundesregierung, stellt sich da in Person des ÖVP-Arbeitsministers im Kampf für faire Löhne in der ganzen EU quer. Selbst dann, wenn es Österreich gar nicht direkt treffen würde, weil unsere Bestimmungen ohnehin schon weitergehend sind, sind Sie dagegen. Da bringt es überhaupt nichts, wenn Sie hier heute schöne Worte aussprechen und sagen, der Sozialstaat sei so wichtig, wenn Sie dann gleichzeitig diejenigen sind, die faire Löhne in ganz Europa verhindern. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen auch nicht zu glauben, dass es uns nicht indirekt trifft, wenn in einem Land wie Polen beispielsweise die Menschen Vollzeit arbeiten und dann zum Beispiel mit unvorstellbaren 500 Euro nach Hause gehen. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn österreichische Traditionsbetriebe wie ATB Spielberg nach Polen abgesiedelt wer­den, weil dort eben billiger produziert werden kann – auf Kosten der dort vor Ort arbei­tenden Menschen. Dann brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn es Diskus­sionen gibt, ob MAN Steyr nach Polen abwandert, weil man dort eben billiger produ­zieren kann, weil die Arbeitskräfte dort ganz einfach nichts verdienen. Ein Drittel von dem, was wir in Österreich durchschnittlich verdienen, wird in Polen ausbezahlt!

Diese Politik, wenn hier Arbeitsplätze abwandern, trifft uns in Österreich mitten ins Herz. Das ist eine Lose-lose-Politik, die Sie da betreiben! Das ist ein Lose für die österreichi­schen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, weil er abgesiedelt wird, und das ist auch ein Lose für die ArbeitnehmerInnen in unseren Nachbarländern, die um ihren fairen Lohn betrogen werden – Lose-lose.

Die Einzigen allerdings, die davon profitieren, sind jene, die dieses Lohngefälle aus­nutzen, die ihre Produktionsstandorte in einem Wettlauf nach unten immer genau dorthin verlegen, wo es gerade am billigsten ist, um eben billiger zu produzieren und mehr Profit zu erwirtschaften. Davon hat die Allgemeinheit allerdings nichts, und genau dieses Prinzip – da komme ich auch schon zum zweiten Punkt – finden wir in Diskussionen ganz oft vor, wenn es um die EU geht, auch wenn es um die Besteuerung von großen Konzernen geht. Da unterbieten sich seit Jahren die Nationalstaaten in der EU, wer den Konzernen denn noch mehr Profite ermöglicht, wer noch weniger Steuern von ihnen verlangt.

In unserem Nachbarland, der Slowakei, sind es 19 Prozent. In Zypern sind es 12,5 Pro­zent, in Malta effektiv überhaupt nur mehr circa 10 Prozent. Dann ist Orbán gekommen und hat gesagt: Nein, ich bin noch billiger, bei mir sind es nur 9 Prozent! – In Irland wollen die überhaupt keine Steuern mehr, die sagen: Nein, nein, behaltet euch das Geld!

Wir, die Nationalstaaten, lassen uns gegeneinander ausspielen – wer geht noch weiter runter? –, und was am Ende passiert, ist, dass große Milliardengewinne nicht mehr versteuert werden, während jeder normale, arbeitende Mensch bei jeder Wurstsemmel, die er kauft, Steuern zahlen muss. (Beifall bei der SPÖ.) Das ist dieser Wettlauf nach unten, und den müssen wir beenden!

Daran wird die Zukunft der EU zu messen sein: ob wir es schaffen, den Gewinn, den wir alle gemeinsam erwirtschaften, den Wohlstand, den wir alle gemeinsam erwirtschaften, fair zu verteilen, sodass auch die arbeitenden Menschen etwas davon haben, nicht nur die Aktionäre und Aktionärinnen. Deshalb brauchen wir erstens einen europäischen Mindestlohn, und zweitens brauchen wir in dieser Europäischen Union eine Mindest­gewinnbesteuerung, denn alle müssen ihren Beitrag leisten. – Das sind die zentralen Fragen.

An beide Ministerinnen: Ich habe Ihnen bei Ihren Statements sehr gut zugehört. (Prä­sident Hofer gibt das Glockenzeichen.) Diese sozialpolitischen Punkte haben Sie nicht einmal angesprochen. Das ist einfach nicht zeitgemäß! Die Europäische Union im Jahr 2021 muss klarstellen: Arbeit muss sich lohnen, und sie ist uns auch etwas wert. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

13.58

Präsident Ing. Norbert Hofer: Herr Abgeordneter Mag. Dr. Georg Mayer ist jetzt zu Wort gemeldet. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.