11.29
Mitglied des Europäischen Parlaments Sarah Wiener (Grüne): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Standort hat viele Aspekte. Man kann natürlich über Wirtschaft, über Steuern, über bestimmte Zweige reden, aber man kann es auch viel prinzipieller und existenzieller machen und über das reden, was Standort letztlich ist, nämlich der Boden unter unseren Füßen. Wir entscheiden jeden Tag, wir machen selber jeden Tag Standort dadurch, wie wir essen, was wir essen, woher das Essen kommt, und da ist fruchtbarer Boden die wichtigste Ressource, die unsere Identität und unsere Kultur prägt, aber natürlich auch unsere Gesundheit und die Gesundheit unserer Mitwelt.
Wir wissen, dass wir das Problem Klimakrise, ein Problem im Zusammenhang mit der Biodiversität haben. Wir haben ein Insektenproblem, wir haben ein Gülleproblem, wir haben ein Wasserproblem. Wir haben ein MRE-, Multiresistente-Keime-Problem, ein Antibiotikaproblem in der Massentierhaltung, das möchte ich nur anmerken. Wir haben gerade eine wilde Diskussion über Vollspaltenböden für Tiere, für Schweine, die tausendmal mehr Riechzellen haben als wir. Die Schweine können tausendmal besser riechen als wir und sind durch ihre Physiognomie gezwungen, dort unten am Boden direkt zu rüsseln, weil das ihr wesensgemäßes Verhalten ist, und wir zwingen sie dazu, Ammoniak einzuatmen, und zwar Tag und Nacht, und ihre natürlichen Bedürfnisse nicht ausleben zu dürfen, und streiten uns noch an einem der besten Lebensmittelproduktionsstandorte in Europa, worauf wir uns so viel einbilden.
Die Europäische Kommission hat 2019 den Green Deal – ein ambitioniertes Projekt – mit einer Reduktion von mindestens 55 Prozent der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 vorgestellt. Alle 27 Mitgliedstaaten haben sich dazu bekannt, dass sie sich diesem Ziel verpflichten. Und das Wichtigste, das Herzstück des Green Deal ist die Farm-to-Fork-, das ist die Landwirtschaftspolitik. (Beifall bei den Grünen.)
Jetzt wundere ich mich, dass ausgerechnet unser Landwirtschaftsministerium – wo wir alle doch so patriotische ÖsterreicherInnen sind und stolz sind, dass wir einen solch hohen Lebensmittelstandard haben, dass wir 23 Prozent Ökolandbau haben, wo wir weltweit damit hausieren gehen, wie gut es auf unserer kulinarischen Insel der Seligkeit ist – für eine europäische GAP stimmt, wo wiederum noch mehr Flächensubventionen, landwirtschaftliche Flächensubventionen, auf der Tagesordnung stehen, dass also wieder jenen, die viel haben, mehr gegeben wird, gerade in Österreich, wodurch eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber Kleinbauern und kleineren Betrieben zementiert wird. (Beifall bei den Grünen.)
Es ist unglaublich, dass es die konservativen Parteien in der EU-GAP nicht einmal geschafft haben, eine minimale Fruchtfolge einzuführen.
Wir wissen schon seit Tausenden Jahren durch praktische landwirtschaftliche Tätigkeit, das wissen Sie, dass wir so unsere Böden ruinieren – und das machen wir auch. (Zwischenruf des Abg. Loacker.) Und das österreichische Landwirtschaftsministerium ist leider und erstaunlicherweise offensichtlich nicht wirklich Freund der vielfältigen Kleinbauern und Bauern in Österreich (Abg. Michael Hammer: Hallo! Hallo!), was umso absurder ist, weil ja gerade meiner Fraktion unterstellt und gesagt wird, wir seien diejenigen, die gegen eine vielfältige bäuerliche Struktur wären.
Die Grünen, die als Paten die Ökologie und die Biodiversität auf den Schultern sitzen haben, müssen sich jetzt gegenüber einer Agrobusinessindustrie rechtfertigen, die global organisiert ist und gleichzeitig auch noch die Pharmakologie und die Petrochemie auf den Schultern sitzen hat. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)
Was wir gerade jetzt brauchen, ist zuerst Transparenz bei den GAP-Verhandlungen in Österreich. Jede NGO sagt das und jeder Steuerzahler, jede Steuerzahlerin draußen möchte wissen, was mit seinem/ihrem Geld passiert. Das Mindeste an Anstand ist, dass wir diese GAP-Verhandlungen transparent machen. Das ist das Mindeste an Anstand, das wir haben müssen. (Beifall bei den Grünen.)
Wenn wir über ein modulares System reden, dann muss der Ökoanbau natürlich ein eigenständiges, gut finanziertes Modell haben (Zwischenruf des Abg. Hafenecker), sonst werden wir nicht mehr an der Spitze sein, sondern werden mit den billigsten Qualitätslebensmitteln konkurrieren müssen. (Beifall bei Abgeordneten der Grünen.)
Da möchte ich noch etwas sagen: In der Farm to Fork, die ich mitverhandelt habe – das haben wir jetzt verhandelt –, gibt es eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung aller Lebensmittel, eine Erhöhung des Bioanteils und eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung (Präsidentin Bures gibt das Glockenzeichen) – da brauchen wir aber auch den Verarbeitungsgrad – und spannenderweise die Förderung von traditioneller Handwerkskunst in ...
Präsidentin Doris Bures: Frau Abgeordnete, Sie müssen jetzt den Schlusssatz formulieren!
Mitglied des Europäischen Parlaments Sarah Wiener (fortsetzend): Das ist mein Schlusssatz: mit speziellen Förder- und Forschungsprogrammen, damit nämlich auch zum Beispiel die Jäger in Attnang-Puchheim wieder mit Wildfleisch aus der Warmschlachtung gute Würstel produzieren können. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen.)
11.34
Präsidentin Doris Bures: Nun gelangt Frau Abgeordnete zum Europaparlament Claudia Gamon zu Wort. – Bitte, Frau Abgeordnete.