10.16
Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport Vizekanzler Mag. Werner Kogler: Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen auf der Regierungsbank! Geschätzte Abgeordnete! Ja, wir haben die Hände ausgestreckt, wir haben schon am Samstagabend Kontakt aufgenommen. Der damals designierte Bundeskanzler Schallenberg und ich haben ein paar knappe Telefonate geführt, wir haben uns am Sonntag getroffen und wir stimmen darin überein, dass die Republik Österreich in dieser Situation Stabilität, Verlässlichkeit und Orientierung braucht.
Lassen Sie mich trotzdem ganz knapp die letzten Tage rekapitulieren! (Ein Bediensteter des Hauses entfernt das Tischrednerpult vom Platz des Bundeskanzlers Schallenberg und geht damit an Vizekanzler Kogler vorbei. – Allgemeine Heiterkeit.) – Also die Zusammenarbeit mit dem Parlament werden wir noch verbessern. (Der Bedienstete stellt das Pult auf dem Platz von Vizekanzler Kogler ab.) – Danke schön. (Abg. Kickl: Ich glaube, das war ein Zeichen! – Weiterer Ruf bei der FPÖ: Die Rache des Anstandes!)
Wir stimmen darin überein – noch einmal –, dass wir nicht nur viel vor uns haben, sondern dass wir jetzt sehr, sehr viel gemeinsam auf den Weg bringen müssen, und zwar durchaus im Sinne des Bundespräsidenten, dass wir das rasch tun, dass wir das verlässlich tun und dass wir vor allem das Richtige tun. Und das Richtige ist unserer Meinung nach all das, was im Regierungsprogramm festgehalten ist. Einiges ist schon gemeinsam angegangen worden, abgearbeitet worden, vieles liegt eben noch vor uns. Dieses Regierungsprogramm hat nicht umsonst den Titel „Aus Verantwortung für Österreich“.
Wenn wir uns erinnern: Es haben sich damals – und das hat sich auch nicht geändert – zwei sehr unterschiedliche Parteien zusammengefunden, getroffen, die Regierungsverhandlungen aufgenommen und dieses Regierungsübereinkommen abgeschlossen – bei aller Unterschiedlichkeit! –, und ich darf Sie wirklich daran erinnern: Das waren und sind die beiden Wahlsieger! (Ruf bei der SPÖ: Ehemalige!) Das muss man, wie das auch der Bundeskanzler gesagt hat, auch anerkennen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.) Ja, es sind Nationalratswahlen, nach denen Sie Ihr Mandat erhalten, aber, realverfassungsmäßig, es sind auch immer wieder und immer stärker Persönlichkeitswahlen. Das wollen wir nicht ausblenden.
Wir haben uns diesen Auftrag gegeben und diesen wollen wir jetzt weiter fortsetzen, und das vor dem Hintergrund, dass wir in den letzten Tagen – zugegeben – einige Bewährungsproben hinter uns gebracht haben.
Es gibt in dieser Zeit mehrere Bewährungsproben, einerseits für die Bundesregierung, andererseits aber auch hier im Parlament für Sie, insbesondere für die Klubobleute, und die Bewährungsproben für die Institutionen dieser Republik, die aus der Verfassung hervorgehen. Lassen Sie mich auf diese paar Punkte eingehen!
Zunächst einmal: Dank und Anerkennung auch oder gerade auch an die Österreichische Volkspartei. Es war sicher nicht leicht, diese Entscheidungen zu treffen, und sie sind dann sehr, sehr rasch getroffen worden, im Interesse der Republik Österreich. – Sie haben sich in Ihren Parteigremien getroffen, Sie haben mit den Landeshauptleuten gesprochen, jedenfalls wurde rasch eine Entscheidung getroffen.
Ausdrücklich möchte ich festhalten, dass ich den Schritt von Sebastian Kurz anerkenne und dass er auch den notwendigen Respekt verdient (Zwischenruf des Abg. Deimek) – das ist sicher auch nicht einfach. Aber auch da gilt das Gleiche wie vorher: Gut, dass es rasch gelungen ist, hier einen neuen Weg zu beschreiten. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf des Abg. Hafenecker.)
Auch nur ein Mindestmaß an Korrektheit erfordert es, anzumerken, dass wir in den letzten mehr als eineinhalb Jahren ganz, ganz viele Entscheidungen gemeinsam getroffen haben, oft unter schwierigsten Bedingungen – bei aller Unterschiedlichkeit. Trotzdem ist aus meiner Sicht – das ist natürlich meine Bewertung – sehr, sehr viel gelungen. Und es wäre völlig falsch, das in dieser Minute nicht zu erwähnen. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, das auszusprechen; damit es da keine Missverständnisse gibt.
Die Bewährungsproben haben aber auch andere erreicht, und sie haben sie bestanden. Ich danke den Klubobleuten ausdrücklich für die Gespräche, die wir am Freitag geführt haben, weil auch da erkennbar war, dass wir eines gemeinsam wollen: dass in einer Situation, in der Instabilität droht, für Stabilität gesorgt werden sollte – auch hier, erst recht hier, bei aller Unterschiedlichkeit der Zugänge.
Aber wenn wahr ist, dass – in diesem Fall ehrliche Meinungsumfragen – Neuwahlen nicht so beliebt sind, dann muss einen das grundsätzlich nicht schrecken, schon gar nicht in einer Demokratie. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Wahlen, ob vorgezogen oder regulär, sind das Wichtigste in der repräsentativen Demokratie, daran gibt es überhaupt nichts zu rütteln!
Aber wir müssen natürlich darauf achten, dass das Vertrauen in die Institutionen, erstens eben der repräsentativen Demokratie, aber auch in das Institut dieser Wahlen, dieser Nationalratswahlen, woher Sie eben Ihr Mandat haben, nicht erodiert. Das wäre das Schlimmste, was passieren kann. Deshalb ist es schon so, dass, da Sie gewählt wurden und den Auftrag hatten, sich die Klubobleute zu Recht getroffen und versucht haben, auszuloten, was passieren kann, wenn eine andere Situation eintritt und diese Koalition – sagen wir es einmal so – nur noch unter besonderen Schwierigkeiten weitermachen könnte. Man darf das ja offen aussprechen. Und dafür gilt auch Respekt und Dank, weil hier erkennbar war, dass das Anliegen nicht war, sofort in Neuwahlen zu gehen, sondern auszutarieren, was wenigstens in den nächsten Monaten gemeinsam geschafft werden könnte. Wir werden ja in den nächsten Tagen noch darauf zu sprechen kommen, da geht es ja um ganz viel.
Es ist doch richtig und wichtig, dass wir die Verantwortung übernehmen, dass Sie in diesem Haus ein Budget beschließen können. Morgen wird es eingebracht, so Sie dem Finanzminister nicht das Misstrauen aussprechen – dann werden wir es einbringen. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Und dann haben wir die Situation erreicht, dass wir nicht schon ab 1. Jänner des nächsten Jahres auf ein Budgetprovisorium zurückgeworfen sind. – Ja, auch dafür enthält die Verfassung eine Vorkehrung, aber jeder, der sich in der Finanzverfassung auskennt, weiß, dass wir ab März, April, Mai das Problem hätten, in einzelnen Ausgabenbereichen shutdownartige Zustände zu haben. Wer will das? – Wir nicht. Und deshalb auch dieser Schritt und deshalb Anerkennung dafür. (Beifall bei den Grünen.)
In den letzten Tagen haben wir sehr viel von diversen Systemen gehört (Zwischenruf bei der FPÖ) – ich will das nicht weiter kommentieren, ich konzentriere mich auf die Systeme, die relevant sind, die aus der Verfassung hervorgehen. Die ganze Verfassung ist ein Stabilitätssystem, ja, und sie greift und sie funktioniert, ich bin da ganz der Meinung des Bundespräsidenten.
Apropos die Institution des Bundespräsidenten: Das System, das um ihn gebaut wurde, aus rechtlichen Konstruktionen heraus, aber auch die Art, wie der amtierende Bundespräsident das Amt anlegt, sind Garantien für Stabilität, für Verlässlichkeit und für Orientierung. Vielen Dank dem Bundespräsidenten für die Gespräche, die er geführt hat, auch mit Ihnen und mit mir. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der NEOS.)
Ich sage Ihnen, ich komme meistens, also fast immer gescheiter heraus, als ich hineingehe, weil er nämlich genau das vor Augen hat, worum es geht: um Verlässlichkeit für die Republik Österreich. Das hat er schon mehrmals bewiesen.
Es haben aber auch andere wichtige Institutionen in der Demokratie die Bewährungsprobe bestanden: die Medien. Die allermeisten Medien – die allermeisten – berichten unabhängig. Und das war in dieser Situation, denke ich, auch ganz wichtig, und das sollte bei allen Turbulenzen, die wir in vielen europäischen Ländern schon sehen, nicht unerwähnt bleiben.
Last, but not least – ein schwieriges Thema, ich weiß es –: die Institutionen der Justiz und die Einrichtung der unabhängigen Justiz überhaupt. Ich kann nur sagen: Lassen wir die Justiz arbeiten! (Abg. Belakowitsch: Sagen Sie das bitte dem ...!) Lassen wir sie unabhängig ermitteln! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.) – Sie tut es ja und sie lässt sich offensichtlich auch nicht besonders beeinflussen, und das ist gut so.
Jetzt geht es, glaube ich, doch um Folgendes: Es ist nicht so, dass einzelne Handlungen, einzelne Schritte, einzelne Institutionen der Justiz, etwa der Staatsanwaltschaften, nicht auch kritisiert werden dürften – das wäre ein völliges Missverständnis. Ja, das haben fast alle Fraktionen hier schon einmal gemacht; ich habe zurückgeblättert. Das muss in einer Demokratie zulässig sein, wo die Checks und Balances zusammenstimmen. Das ist aber nicht der Punkt.
Es geht darum, dass wir uns zurückhalten oder es unterlassen, generelle Zurufe gerade von den politischen Parteien an die Justiz zu machen, die sie wiederum generell in Frage stellen. (Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) Das ist doch das Problem und das muss man einfach benennen.
Ich verstehe es schon, wenn sich Personen, wenn sich Organisationen ungerecht behandelt fühlen – das ist völlig verständlich –, aber da muss man im Rechtsstaat das richtige Mittel suchen. Und es gibt eigentlich, so ausbalanciert ist das System, für alles ein Mittel.
Ich spreche es unmittelbar an, damit wir es einmal durch haben: Wenn die Anordnung zu einer Hausdurchsuchung von einem unabhängigen Richter oder einer unabhängigen Richterin genehmigt wurde, dann ist das ja schon einmal nicht nichts. Es ist nicht hilfreich, wenn man diesen Vorgang als Show bezeichnet – wir haben uns diesbezüglich klar deklariert. Aber es gibt auch da die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu ergreifen, was die weitere Verwertung betrifft. Es ist also nicht so, dass es im Rechtsstaat keine Möglichkeiten gäbe. Und deshalb appelliere ich, sich an den unabhängigen Rechtsstaat zu wenden und ihn nicht zu attackieren. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie bei Abgeordneten der NEOS.)
Selbstverständlich gilt das auch in die andere Richtung: Bei strafrechtlichen Vorwürfen gilt die Unschuldsvermutung. So ist das. Das ist doch ganz logisch. Und es wäre auch vernünftig, wenn wir öfter auch diesen Boden nicht verlassen würden. Ich weiß, dass das heikel ist, ich war ja lange genug Parlamentarier, aber das traue ich mich auch zu sagen: nicht nur, was die Rechte von Beschuldigten im Strafverfahren, sondern auch die Rechte von Auskunftspersonen in parlamentarischen Untersuchungsgremien betrifft.
Es haben alle Rechte und Pflichten – das ist doch unser System, und ich halte es für ausbalanciert und tragfähig, und auf dieser Basis können wir weiterarbeiten. (Beifall bei den Grünen.)
Jetzt gibt es genug zu tun, ich habe es erwähnt, die Vorhaben im Budget – das ist ja nicht nichts, was wir da riskiert hätten. In diesem Bundesbudget – es wird morgen eingebracht – finden wir Finanzierungsvorsorgen großer Art, etwa für die Kindergärten, für die Kinderbetreuung, für die Digitalisierung in den Schulen (Zwischenruf bei der SPÖ), für die ersten großen Reformansätze in der Pflege. Sie wissen, das ist höchst notwendig, und es hilft ja nichts, wenn wir das einander dauernd ausrichten, aber wenn es dann endlich losgeht, halten wir die Republik auf – nein, wir gehen das an! (Beifall bei den Grünen.)
Die Ausbildung in der Pflege wird angegangen und mit massiven Mitteln unterstützt, erstmals in dieser Dimension. Dasselbe gilt für ganz viele Ressorts – eigentlich ist für jedes Ressort ein Schwerpunkt enthalten, wir werden es morgen hören, und das sollte uns als Bundesregierung stolz machen.
Ich nehme jetzt ein Kapitel heraus, den Gewaltschutz für Frauen: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, auch da werden so viele Mittel investiert wie nie zuvor. Dass das platzt, wollten wir natürlich aus gutem Grund nicht riskieren.
Ähnliches gilt natürlich für die zahlreichen Vorhaben, was das längst notwendige ökologische Umsteuern durch all die Klimaschutzprojekte betrifft. Es hat voriges Jahr begonnen und geht nun mit der Finanzvorschau für die nächsten Jahre weiter: Noch nie sind auch nur annähernd so viele Mittel, nämlich Milliarden – nicht Millionen, Milliarden! – für die Zukunftstechnologien, für Umwelttechnologien, für die Digitalisierung, mithin für die gesamte ökologische Infrastruktur vorgesehen und investiert worden. Das natürlich für Stadt und Land, das ist auch ganz wichtig – egal, ob es das Bussystem oder das Schienensystem betrifft oder aber andere Einrichtungen, die gebraucht werden, etwa für die Elektromobilität beim Individualverkehr.
Ich erspare es Ihnen, das aufzuzählen, denn Sie kennen das grüne Programm – und ich habe da sicher eine grüne Brille auf, klar, aber da geht sehr, sehr viel weiter! Ich habe deshalb vorhin ganz bewusst andere Projekte angesprochen, bei denen wir doch alle gleichermaßen dahinter sein sollten – erst recht in der Pandemiebekämpfung! In diesem Budget sind auch die Mittel für die Anschaffung weiterer Coronaimpfdosen festgelegt, das ist richtig und wichtig, und deshalb haben wir so gehandelt, wie wir gehandelt haben, und machen wir auch so weiter.
Es geht doch jetzt insgesamt darum – der Herr Bundeskanzler hat es angesprochen –, dass Österreich ganz, ganz viele Chancen hat. (Abg. Kickl: Stimmt!) Es ist jetzt viel schneller gegangen als erwartet, dass wir aus dieser Krise herauskommen – dazu haben sicherlich alle einen Beitrag geleistet. (Abg. Kickl: Stimmt nicht!)
Was aber noch viel wichtiger ist, was in der ganzen Zeit seit dem vorigen Jahr mit den Vorhaben der Bundesregierung angegangen wurde, ist doch, dass wir aus dieser Krise sogar besser herauskommen, als wir hineingegangen sind! Das betrifft ganz viele Bereiche, gerade wenn es um die Modernisierung der Wirtschaft geht, und auch, was in so schwierigen Zeiten die Absicherung für die Einrichtungen und Transfers des Sozialstaates betrifft. Beides ist gelungen und beides wird fortgesetzt. (Beifall bei den Grünen.)
Darauf können sich die Leute jetzt eben verlassen: Stabilität, Verlässlichkeit, Orientierung, genau darum geht es! In diesem Zusammenhang bin ich wirklich dafür, dass wir mit dem Sudern aufhören und wieder ein bisschen mehr das Ruder in die Hand nehmen, und das haben wir jetzt vor. (Abg. Hafenecker: ... Regierungserklärung!)
Es geht um genau jenen großen Umbau, der gerade in vielen Ländern in Europa angegangen wird. Der Herr Bundeskanzler hat es ja angesprochen, dass die europäische Dimension in all diesen Bereichen sehr wichtig ist, und wir sind sehr froh über diese proeuropäische Deklaration. Auch da finden wir wahrscheinlich viele Partner hier im Nationalrat – auf jeden Fall aber mit dem Regierungspartner.
Wenn wir all das angehen, können wir uns dem zuwenden, was in dieser Zeit so wichtig ist: Transformation statt Depression! (Zwischenrufe der Abgeordneten Hafenecker und Rauch.)
Österreich hat alle Chancen, und die sollten wir nutzen – es heißt nicht umsonst in unserer Bundeshymne: „zukunftsreich“! Tatsächlich: „zukunftsreich“, und deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie uns das Richtige tun, lassen Sie es uns verlässlich tun und lassen Sie es uns rasch tun – aus Verantwortung für Österreich! (Beifall bei den Grünen.)
10.34
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner. – Bitte. Bei ihr steht das Wort.