13.33
Abgeordneter Kai Jan Krainer (SPÖ): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt eine kurze Umbaupause auf der Regierungsbank, und wir wollen natürlich dem Finanzminister schon die Möglichkeit geben, dieser Dringlichen Anfrage an ihn auch zuzuhören, weil er sie ja auch beantworten muss. Ich bin mir sicher, dass der Bundeskanzler gleich Platz macht, damit er sich hinsetzen kann. (Zwischenrufe bei Abgeordneten der SPÖ.)
Wir erinnern uns alle daran, als vor etwas mehr als zwei Jahren an einem Freitag im Mai 6 Minuten aus dem sogenannten Ibizavideo veröffentlicht wurden. Jeder weiß noch ziemlich genau, wo er damals war und wann er das gesehen hat.
Es gab zwei unfreiwillige Hauptdarsteller, nämlich einen gewissen Vizekanzler Strache und einen Klubobmann Gudenus, die gezeigt haben, dass sie zumindest in der Theorie Spenden am Rechnungshof vorbei sammeln, dass sie bereit sind, öffentliche Aufträge zu einem Überpreis zu vergeben, und sie haben gezeigt, dass sie auch bereit sind, Medien zu manipulieren. Das waren die drei Hauptvorwürfe aufgrund dieses Ibizavideos, wobei man sagen muss, das war alles Theorie. Das war ja Monate vor der Nationalratswahl 2017. Sie waren beide Oppositionspolitiker, aber sie haben theoretisiert, was sie machen könnten, wenn sie in der Regierung wären.
Was ist damals passiert? Gab es das Thema Unschuldsvermutung? – Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand das Wort Unschuldsvermutung in den Mund genommen hat. Ich will jetzt gar nicht sagen, was die damalige Opposition gesagt hat, sondern was der damalige Koalitionspartner, die damalige Regierungspartei ÖVP mit dem damaligen Bundeskanzler Kurz, gesagt hat. Die haben gesagt: Es muss sofort Rücktritte geben! Sie haben nicht gesagt: Es gilt die Unschuldsvermutung, lassen wir die Justiz arbeiten! Nein, sie haben gesagt: Das moralische Bild, das die zwei gezeigt haben, gebietet nur eines, nämlich Rücktritt. Sie haben gesagt: Der – damalige – Innenminister, Kickl, muss zurücktreten, weil Ermittlungen gegen die beiden geführt werden, und es kann ja nicht der Parteifreund Innenminister sein, während seine Polizisten gegen seine ehemaligen oder damals noch Parteifreunde Strache und Gudenus ermitteln! Das hat die ÖVP gesagt – das waren ihre moralischen Grundsätze –, und sie hat gesagt: Das Allerwichtigste ist, dass diese Ermittlungen stattfinden, dass die Justiz und die Polizei unbeeinflusst arbeiten können! Deswegen muss zum Beispiel der – damalige – Innenminister, Kickl, zurücktreten! Das waren die drei Sachen: Rücktritte, Kickl muss gehen, und Justiz und Polizei müssen unbeeinflusst arbeiten können.
Was haben wir als Sozialdemokraten gemeinsam mit den NEOS gemacht? – Wir haben zum ehestmöglichen Zeitpunkt, nämlich unmittelbar nach der Wahl, gesagt, wir setzen einen Untersuchungsausschuss ein, weil wir wissen wollen: War das nur Theorie, was da auf Ibiza gesprochen wurde, oder war das die Praxis? Wurde das tatsächlich umgesetzt?
Jetzt, nicht einmal zwei Jahre später, kann man fragen: Was wissen wir? Inwiefern hat sich die Welt verändert? – Heute wissen wir: Es war nicht Theorie, sondern es war Praxis. Es war auch Praxis von Strache und Gudenus – aber gar nicht so sehr –, vor allem aber von Kurz, Blümel und mehr oder weniger der gesamten türkisen Riege auf der Regierungsbank, von der türkisen Truppe. Das war die Praxis, nämlich Spenden am Rechnungshof vorbei zu beziehen, indem sie verschoben, gestückelt und verschleiert wurden.
Der Ibiza-Untersuchungsausschuss hat sehr schön dargestellt, wie auf 49 000 Euro gestückelt wurde, damit es der Rechnungshof nicht sofort erfährt, wie die Spenden auf einen Zeitpunkt nach der Wahl verschoben wurden, damit man nicht sieht, dass der Raiffeisenkonzern, nämlich die Premiqamed, also die Privatklinikbetreiber von Raiffeisen, sich mutmaßlich – das wird ein Gericht feststellen – ein Gesetz kaufen. Das wurde extra auf einen Zeitpunkt nach der Wahl verschoben und gestückelt, damit die Öffentlichkeit das nicht erfährt.
In der Zwischenzeit wissen wir, dass nicht nur darüber fabuliert wurde, öffentliche Aufträge mit Überpreis zu vergeben, sondern wir können zusehen, wie Studien, die vollkommen irrelevant sind, die keiner kennt, die nie veröffentlicht wurden, verwendet wurden, und dann gibt es die Chats, in denen steht: Verrechne mir doch diese getürkten Umfragen in diese Studie hinein! Das heißt, wir sehen: Das, was Strache und Gudenus in der Theorie besprochen haben, wurde von Kurz, von Blümel, von Schmid und wie sie alle heißen in die Praxis umgesetzt.
Was wir auch sehen, ist ein Umgang mit Medien, nicht theoretisch, sondern praktisch: wie mit Steuergeld Umfragen finanziert wurden, frisiert wurden, manipuliert wurden und dann veröffentlicht wurden, und das für den rein persönlichen Vorteil von ebendiesen genannten Personen: Kurz, Blümel und Schmid. Das ist das, was wir heute sehen, und das ist das, was wir alle wissen. (Beifall bei der SPÖ.)
Was ist jetzt die Reaktion der ÖVP? – Wir erinnern uns an die Reaktion beim Ibizavideo: Rücktritte wurden damals verlangt, nicht nur der handelnden Personen, sondern aller, die in der Regierung irgendetwas mit den Ermittlungen zu tun haben, und die Justiz müsse unabhängig arbeiten können. Das war damals, bei Ibiza, die Reaktion.
Wie ist heute die Reaktion? – Heute ist die Reaktion: Unschuldsvermutung! Die Unschuldsvermutung gilt für Herrn Grasser auch noch. Vielleicht sind Sie der Meinung, Herr Grasser könnte auch noch auf der Regierungsbank sitzen, denn das ist ja Ihr moralischer Maßstab für die Eigenen. (Ruf bei der ÖVP: Was war beim Faymann?!) Dieser moralische Maßstab, den Sie anderen gegenüber – nachweislich, in Bild und Ton für alle sichtbar – angelegt haben, müssen Sie bei sich selber auch anlegen – und ich sage Ihnen, dann sind die Konsequenzen ganz andere. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Hauser und Krisper.)
Haben wir eine Entschuldigung gehört von Kurz? Haben wir eine Entschuldigung gehört von Blümel? Haben wir eine Entschuldigung gehört von Schmid? – Nein, haben wir nicht gehört. Wehleidigkeit haben wir gehört.
Haben wir einen Rücktritt gesehen von Kurz? Haben wir einen Rücktritt gesehen von Blümel? – Nein, haben wir nicht gesehen. Da gibt es keine Rücktritte, sondern da gibt es plötzlich die Unschuldsvermutung.
Haben wir Rücktritte gesehen von Nehammer, von Blümel, von denjenigen, die jetzt die Ermittlungen leiten sollen, jenen Ministern, die jetzt zuständig sind, aufzuklären, was passiert ist? Sind die alle im Amt oder mussten sie zurücktreten? – Sie sind alle im Amt und sollen auch im Amt bleiben, wenn es nach der ÖVP geht, denn über die Latten, die Sie in Bezug auf Moral anderen gegenüber anlegen, kommen Sie in 100 Jahren nicht drüber. Wenn es um die Eigenen geht, wenn es um die eigene Korruption geht – nicht um die theoretische, sondern um die praktische –, machen Sie alle hier einstimmig die Mauer. Einstimmig machen Sie jenen die Mauer, obwohl jeder in Österreich weiß, dass die moralisch, politisch in jeder öffentlichen Funktion untragbar sind. Sie machen denen hier einstimmig die Mauer. Eigentlich sollten sich nicht nur Kurz und Blümel schämen und zurücktreten, sondern die gesamte ÖVP-Fraktion, weil sie ihnen hier derartig die Mauer macht. Es ist wirklich zum Schämen; Ihr Umgang mit diesem Skandal ist zum Schämen! (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der NEOS sowie des Abg. Hafenecker. – Zwischenruf bei der ÖVP.)
Zu all dem, was wir in all diesen Vorgängen sehen, habe ich vor ein paar Monaten während der Behandlung einer Dringlichen Anfrage gesagt, dass diese Chats, diese Kirchenchats, ohne Anstand, ohne Moral und ohne Respekt sind. Die ÖVP hat sich wahnsinnig darüber aufgeregt, dass ich so etwas sagen kann. (Zwischenruf des Abg. Haubner.) In der Zwischenzeit sagen die eigenen Landeshauptleute, dass es der Spitze der ÖVP an Anstand, an Moral und an Respekt mangelt.
Der heutige Bundeskanzler hat gezeigt, dass er von Respekt auch keine Ahnung hat, denn sein Auftritt hier im Nationalrat war respektlos. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich traut, bei einer Antrittsrede als Bundeskanzler vor dem Parlament derart respektlos aufzutreten und hier am ersten Tag seine Respektlosigkeit zu zeigen.
Das besonders Verwerfliche, was wir hier sehen, ist: Es geht und ging Kurz, Blümel und den anderen niemals um Inhalte – niemals. Es gab zwischen Kern und Mitterlehner – das ist ja alles dokumentiert, das kann jeder nachlesen – eine Einigung, die Kinderbetreuung in Österreich massiv auszubauen und jedem Elternteil, jedem Kind einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz zu geben. Es würde vielen, vor allem Frauen, aber auch Männern, das Leben wahnsinnig erleichtern, wenn sie diesen Rechtsanspruch hätten – und es gab diese Einigung.
Was aber macht Herr Kurz? – Herr Kurz sagt: Das müssen wir verhindern! Kann ich irgendein Bundesland aufhetzen, kann ich jemanden dagegen aufhetzen, hinter den Kulissen aufhetzen, damit es nicht zu dieser Verbesserung kommt? – Ist das etwas, wozu Sie einstimmig sagen: Super gemacht!? Ist das etwas, wozu Sie einstimmig sagen: Das ist in dieser Art und Weise in Ordnung!, nur weil Sie dann danach vielleicht eine Wahl gewinnen? Reicht das? Darf man so in der Politik agieren, nur um eine Wahl zu gewinnen? Ist Ihr Maßstab für Moral und Anstand in der Politik, dass der persönliche Vorteil mehr als die Bedürfnisse der Menschen in unserem Land zählt? Sie sollten sich für das, was Sie hier machen, schämen! (Beifall bei der SPÖ.)
Was sagt Kurz, wenn es darum geht, die kalte Progression – also eine schleichende Steuererhöhung, die nur Menschen zahlen, die arbeiten gehen, für ihr Land – abzuschaffen? – Er will keine Lösung, er will keinen Kompromiss, und wenn Schelling da mitmacht und diesen Kompromiss nicht verhindert, ist er draußen. Da hat er wenigstens Wort gehalten: Schelling war draußen, Schelling war nicht mehr Teil des Teams, weil ihm Fortschritte für die Österreicherinnen und Österreicher anscheinend wichtiger als persönliche Machtinteressen von Kurz und Blümel waren. Er musste raus aus dem Team und raus aus der Politik, weil er nämlich Österreich vor die persönlichen Machtinteressen von Kurz und Blümel gestellt hat. Und Sie sagen heute: Schelling hat das falsch gemacht, weil die persönlichen Machtinteressen von Kurz und Blümel wichtiger als die Interessen der Österreicherinnen und Österreicher sind! – Auch dafür sollten Sie sich schämen. (Beifall bei der SPÖ.)
Das Kalkül dahinter war relativ einfach: Es gab ja einen Plan, persönlich die Macht zu übernehmen, und für diesen Plan war es ganz entscheidend, dass es in Österreich einen Stillstand gibt. Diesen Stillstand geplant, orchestriert und durchgesetzt haben Kurz und Blümel mit der Hilfe von Sobotka und manchen anderen. Die haben für den Stillstand gesorgt, für dessen Beseitigung sie sich nachher feiern lassen wollten. Ganz ehrlich, wenn Sie da einstimmig sagen: Das unterstützen wir, das ist in Ordnung, so darf Politik agieren!, dann erweisen Sie der Politik keinen guten Dienst. Sie sollten sich auch dafür schämen, dass Sie eine derartige Vorgangsweise hier legitimieren und ihr die Mauer machen. (Beifall bei der SPÖ.)
Ich sage noch immer: Wir alle kennen die Bilder von Kurz und Blümel, wenn die Kameras eingeschaltet sind. Die Frisur sitzt, es sind wohlvorbereitete Worte, die Stimme funktioniert, schöne Sätze werden gesagt. Wenn die Kameras und die Mikrofone aber ausgeschaltet sind, sehen wir ein ganz anderes Bild: Da sehen wir nämlich das wahre Bild von Kurz, Blümel und Schmid, und dieses Bild ist ein Bild ohne Moral, ohne Anstand und ohne Respekt, eines, bei dem es ausschließlich um die eigene, persönliche Macht geht. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)
Ja, es gibt keine Rücktritte, es gibt einen Seitentritt – das ist ja auch interessant, wenn man zur Seite tritt –, Blümel und Nehammer bleiben also im Amt, sollen jetzt die Ermittlungen leiten und politisch für die Ermittlungen gegen Kurz und gegen sich selbst verantwortlich sein. Wir erleben seit eineinhalb Jahren wüste Attacken – wüste Attacken! – der ÖVP auf die Justiz, auf Staatsanwälte, auf Richter, auf die unabhängige Justiz. Diese wüsten Attacken sind etwas, was es in diesem Land noch nicht gegeben hat. Auch der neue Bundeskanzler tritt an und – es ist das Erste, was er macht – richtet der Justiz aus, wer in diesem Land schuldig und wer unschuldig ist. Er macht also dort weiter, wo Hanger vor wenigen Tagen aufgehört hat.
Es ist keinerlei Besserung in Sicht, sondern – das ist der Eindruck, den wir haben – das System dieser korrupten ÖVP soll fortgesetzt werden, und jene Personen, gegen die ermittelt wird, die Nutznießer dieses Systems waren, sind diejenigen, die jetzt die Ermittlungen leiten und für Aufklärung sorgen sollen. Ich habe wenig Vertrauen, dahin gehend, dass sie es machen.
Finanzminister Blümel ist ja bisher eher dadurch aufgefallen, dass er Sachen vergisst, dass er Sachen verschleiert und dass er Sachen versteckt – auch dass die ÖVP ein erotisches Verhältnis zum Schreddern hat, ist mittlerweile in ganz Österreich bekannt –; er ist derjenige, der Akten vor dem Untersuchungsausschuss quasi versteckt, versucht, nicht zu liefern. Selbst dann, wenn der Bundespräsident bereits mit der Exekution droht, hat er die Akten noch immer nicht rechtskonform herausgerückt, noch immer Sachen im Keller oder irgendwo versteckt und bis zum Schluss nicht mit dem Untersuchungsausschuss kooperiert. Er soll jetzt die Ermittlungen innerhalb des Finanzministeriums leiten, politisch verantwortlich sein, um aufzuklären, wie viel Geld die ÖVP tatsächlich veruntreut hat, indem sie das Steuergeld genommen und für die parteipolitischen Interessen von Kurz und Blümel ausgegeben hat.
Ich würde sagen: Machen wir heute einen Anfang! Wir haben eine Dringliche Anfrage an Sie gerichtet, in der wir zig Fragen gestellt haben. Jetzt können Sie beweisen, ob Sie auf der Seite der Aufklärung stehen oder ob Sie weiterhin vergessen, verschleiern und schreddern wollen. Ich habe ehrlich gesagt wenig Vertrauen, dass Sie den bisherigen Weg verlassen und jetzt plötzlich an Aufklärung interessiert sind, ich lasse mich aber gerne überraschen.
Ich sage aber auch gleich: Wenn Sie diesen Weg, den Sie in letzter Zeit gegangen sind, nämlich den der Nichtaufklärung, weitergehen, wird Ihnen das nichts nützen, denn dann werden die Oppositionsparteien in diesem Haus den nächsten Untersuchungsausschuss einsetzen (Abg. Michael Hammer: So eine Überraschung!), um genau diese Punkte – genau diese Punkte! – öffentlich zu machen und aufzuklären, damit ganz Österreich sieht, was für ein korruptes System die ÖVP in Österreich etabliert hat. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ und NEOS.)
13.51
Präsidentin Doris Bures: Zur Beantwortung der Dringlichen Anfrage erteile ich nun Herrn Finanzminister Gernot Blümel das Wort. – Herr Minister, Ihre Redezeit soll 20 Minuten nicht überschreiten. Bitte.