16.34

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Bundeskanz­ler! Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Minister! Frau Staatssekretärin! Ich weiß nicht, wer von Ihnen das Buch von Christopher Clark über den Ersten Weltkrieg kennt. (Zwischenruf des Abg. Hörl.) Es heißt „Die Schlafwandler“, und er beschreibt darin, wie durch Ignoranz, mangelnde Aufmerksamkeit, durch das Missachten einer androhenden Situation – und das alles durch die politischen Eliten Europas verursacht – der gesamte Kontinent in den Ersten Weltkrieg getaumelt oder, wie Clark es beschreibt, geschlafwan­delt ist.

Die Parallelen zu den Handlungen der Bundesregierung beziehungsweise eher zu dem Nichthandeln im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung im Sommer lassen mich eigentlich nur zu dem einen Schluss kommen, das muss ich Ihnen attestieren: Sie sind im Sommer durch die Pandemie geschlafwandelt. Sie hätten die Chance gehabt, Dinge zu tun. Sie haben es nicht gemacht, sie haben es verschlafen – und das ist der Scher­benhaufen, vor dem wir jetzt stehen. Dafür sind einzig und alleine Sie verantwortlich.

Es ist deswegen ein bisschen billig – weil Frau Kollegin Ribo vor mir das jetzt gerade getan hat –, wieder der FPÖ die Schuld zuzuschieben. Ich lehne das, was die FPÖ im Zusammenhang mit ihrer Coronapolitik macht, auch ab, und auch die Mythen, die hier verbreitet werden, aber Fakt ist schon, dass die österreichische Bundesregierung aus ÖVP und Grünen dafür verantwortlich ist, wo wir jetzt stehen. Es ist einigermaßen ein­fach und Sie machen es sich einigermaßen einfach, wenn Sie der FPÖ die Schuld dafür zuschieben, dass Sie nicht in der Lage waren, die Impfquote entsprechend hinaufzutrei­ben, dass Sie nicht in der Lage waren, die entsprechenden Testkapazitäten auszubauen, und es ist Ihre Bundesregierung, die dafür verantwortlich ist, und nicht die FPÖ. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Deimek.)

Es haben nicht nur wir, sondern unzählige Expertinnen und Experten immer darauf hin­gewiesen: Wenn wir im Sommer nichts machen, wenn die Impfquote nicht in die Höhe geht, werden wir eine vierte Welle bekommen. Wie kann man so eine Impfquote in die Höhe treiben? – Wir haben x Vorschläge gemacht. Manche Landeshauptleute haben es selbst in die Hand genommen. Man kann ordentliche Impfkampagnen machen. Man kann über die Sozialversicherung Impftermine an Ungeimpfte verschicken. Man kann viel mehr niederschwellige Impfangebote im Sommer bei irgendwelchen Festivals, bei Kirtagen machen. Man hätte jungen Menschen dort auch gerne ein Bier dafür zahlen können, dass sie sich impfen lassen. Ich glaube, wir hätten viele Dinge tun können. Ge­tan wurde von der Bundesregierung fast gar nichts.

Sie schaffen es jetzt noch nicht einmal, dass Sie für die Boosterimpfungen für die Risiko­gruppen einen fixen Impftermin verschicken. Sie schaffen es jetzt nicht, entsprechende PCR-Testkapazitäten auszubauen. Ich habe es mir vorhin angeschaut: In meinem Hei­matbundesland Niederösterreich gibt es 25 Stellen, wo man sich den PCR-Test für Alles gurgelt abholen kann – 25 Stellen für 1,7 Millionen Menschen. Fragen Sie einmal nach, wie es im 5. Wiener Gemeindebezirk, in Margareten, ist! Dort leben 54 000 Menschen, dort gibt es auch 25 Stellen, um solche PCR-Tests abzuholen. Sich jetzt hinzustellen und zu sagen, man habe alles richtig gemacht, ist einigermaßen irritierend, wenn Sie nicht einmal das zustande bringen.

Sie sind im Sommer in Anbetracht des oberösterreichischen Landtagswahlkampfes irgendwie ganz ängstlich wie das Kaninchen vor der Schlage gesessen, haben sich ge­dacht: Unpopuläre Maßnahmen sind doch nicht angebracht!, und haben dementspre­chend nichts gemacht. Herr Gesundheitsminister, Sie haben sogar die Impfkampagne eingestellt und uns vor, glaube ich, eineinhalb Monaten gesagt, Sie werden jetzt anfan­gen, eine ordentliche Impfkampagne zu machen. Ich sage Ihnen etwas: Das war einiger­maßen zu spät.

Jetzt sind wir in der Situation, dass wir einen Lockdown für Ungeimpfte haben. Herr Ge­sundheitsminister, nicht nur dass Sie am Sonntag im Hauptausschuss auf das mehrma­lige Nachfragen keine Antwort gegeben haben, Sie haben auch 2 Stunden später in der „ZIB 2“ gesagt, dass Sie jetzt bald auch Ausgangssperren für Geimpfte haben wollen. Sie eifern Ihrem Vorgänger in der Missachtung unserer Grund- und Freiheitsrechte und in dem verfassungsrechtlichen Dilettantismus ganz gewaltig nach.

Ich halte es für unverantwortlich, dass diejenigen Menschen, die sich zweimal oder auch schon dreimal haben impfen lassen, die sich trotzdem regelmäßig testen, jetzt die Dum­men sein sollen. Herr Bundeskanzler, ich nehme Sie beim Wort. Ich verlasse mich in dieser Situation auf Sie, dass diese Menschen nicht zu Hause eingesperrt werden, nur weil Ihr Koalitionspartner plötzlich der Meinung ist, dass das ein sinnvolles Mittel wäre. (Beifall bei den NEOS.)

Das ist so irritierend, Sie hätten sich ja umschauen können! Schauen Sie nach Portugal, wie die das gemacht haben! Die haben das generalstabsmäßig organisiert, da hat jeder einen Impftermin zugeschickt bekommen, dann hat man den Leuten nachtelefoniert. Man hat versucht, das auch entsprechend zu machen. Ich verstehe das nicht, Sie sind ja im Kabinett des Herrn Bundeskanzlers von Leuten umgeben, die bei McKinsey gear­beitet haben, die bei PCG gearbeitet haben, die so etwas können: Große Beratungsun­ternehmen mit Managementqualität schaffen es, solche großen Prozesse aufzusetzen, damit möglichst viele Menschen geimpft werden.

Wenn Sie es selbst nicht können, dann lassen Sie es bleiben, suchen Sie sich einen erfahrenen Pandemiemanager oder überhaupt irgendjemanden mit Managementqua­lität! Schaffen wir es gemeinsam, dass die Impfquote in die Höhe getrieben wird! Ich bitte alle Menschen in Österreich: Gehen Sie impfen, zum ersten, zum zweiten oder auch zum dritten Mal! Es schützt Sie, und es schützt die anderen! (Beifall bei den NEOS.)

16.39

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Mück­stein. – Bitte sehr. (Abg. Belakowitsch: Wie schaut’s jetzt aus? Der Herr Bundeskanzler beobachtet Sie genau!)