10.04

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Werte Zusehende! Abseits des parteipolitischen Geplänkels möchte ich etwas Grundsätzliches in dieser wichtigen Debatte feststellen: Gleichstellung ist kein Privileg. Gleichstellung ist eine Frage dessen, wie wir als gesamte Gesellschaft miteinander leben wollen, und zwar ungeachtet von Geschlecht, Orientierung und Iden­tität. Es geht dabei nie um eine Politik für Minderheiten, wie so oft kolportiert wird, son­dern um Gleichstellungspolitik, um Gesellschaftspolitik für alle. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Gerade durch die Pandemie wurde sichtbar, auch in Österreich, wie brüchig diese ge­sellschaftspolitischen Errungenschaften sind. Frauen sind die Ersten, die politische Ent­scheidungen zu spüren bekommen. Sie sind Pflegerinnen, Ärztinnen, Mütter, Chefinnen, sie sind – auch das wurde hier öfter gesagt, und ich kann das nur bekräftigen – die wah­ren Systemerhalterinnen. Frauenpolitik, Gleichstellung, LGBTIQ-Rechte sind deshalb nicht umsonst ein Gradmesser dafür, wie ein Staat verfasst ist, in welcher Verfassung unsere gesamte Demokratie ist.

Wenn sich in Österreich Jugendliche umbringen, weil sie beim Hadern mit ihrer Sexua­lität und Orientierung keine Unterstützung bekommen, wenn eine bestimmte Gruppe ohne Notwendigkeiten vom Blutspenden ausgeschlossen ist, wenn ein gleichgeschlecht­liches Paar keine Wohnung oder kein Hotelzimmer bekommt, wenn jede fünfte Frau in Österreich Opfer von Gewalt wird, dann ist das alles nicht ein Problem der Betroffenen, sondern es ist unsere Verantwortung, die Verantwortung der Politik, Antidiskriminierung, Schutz vor Gewalt, Zugang zu gleichen Rechten zu garantieren.

Wieso ist das Selbstverständliche keine Selbstverständlichkeit? Wie ist es möglich, dass in Europa, zum Beispiel in Ungarn, Aufklärung an Schulen, Diversität in Filmen, andere Familienformen per Gesetz verboten werden? Wie ist es möglich, dass Frauen in Polen an Schwangerschaften sterben, weil die autoritäre Politik über ihre Körper bestimmen möchte? – Die Antwort ist immer die gleiche: Es ist das Besitzdenken. Es ist die Unter­ordnung von Frauen und Minderheiten unter Gewaltanwendung. Es ist der Zugriff auf ihre Rechte, bis hin zum nächsten Femizid. Es sind das Verdrängen vom Arbeitsmarkt, das Abwälzen jeglicher karitativen Tätigkeit auf sie, das Beschneiden von Bildungschan­cen für Mädchen oder aber auch der Schönheitswahn, der die Frauen schon sehr oft in jungen Jahren auf dem Operationstisch landen lässt.

All das, meine Damen und Herren, passiert nicht zufällig, all das – man kann es nicht oft genug wiederholen – sind Auswüchse einer patriarchalen Denkweise im Europa des 21. Jahrhunderts, auch in Österreich 2021. Dass wir noch heute um gleiche Rechte und Selbstbestimmung, um mehr Ressourcen kämpfen müssen, das ist, ehrlich gesagt, eine Zumutung. Gleichstellung der Geschlechter, ich wiederhole, ist kein Privileg, es ist ein verbrieftes Recht, aber leider immer noch keine gelebte Praxis. (Beifall bei Abgeordneten der Grünen.)

Wieso ist das so? Die Frage ist auch da immer die gleiche: Cui bono? Wer profitiert? Wer profitiert davon, dass nur einige wenige über diese Privilegien verfügen? Wer profi­tiert davon, dass diese patriarchalen Strukturen aufrechterhalten werden? – Es sind im­mer die Gleichen; ich denke, ich muss sie hier nicht extra aufzählen.

Worum es mir geht, ist, festzuhalten, dass wir dieses Privileg diesen einigen wenigen in Österreich nicht überlassen werden, dass uns Gleichstellung etwas wert ist und deshalb jede einzelne Erhöhung, die heute genannt wurde, wichtig ist, um eben der Gleichstel­lung zumindest ein paar Schritte näherzukommen.

In diesem Sinne, Frau Ministerin, danke für Ihre weiteren Bemühungen. Ich hoffe, Sie nehmen das tatsächlich ernst, wenn Sie sagen, dass die Beseitigung des Patriarchats nach wie vor und auch noch im 21. Jahrhundert die größte Herausforderung für die Gleichstellungspolitik ist. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

10.09

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Lindner. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter.