18.25

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist fast 38 Jahre her: Im Frühjahr 1984 – ich war Korrespondent in Bonn – gab es die Geschichte Hackethal. Professor Hackethal hat einer 69-jährigen Frau einen Giftbecher zur Verfügung gestellt, die diesen getrunken hat und dann ge­storben ist. Selbstverständlich gab es riesige Aufregung in den deutschen Medien, und ich muss sagen: Als ich das zunächst gelesen hatte, war auch ich schockiert. Die Mi­schung aus einer christlichen Erziehung einerseits und dem Bewusstsein, was in Deutschland und Österreich in der Nazizeit passiert ist, andererseits hat auch mich et­was aufgebracht, denn das, was man Euthanasie genannt hat, war ja das organisierte Umbringen von Menschen unter dem Titel des sogenannten unwürdigen Lebens, das nicht mehr lebenswert sei. Euthanasie – übersetzt: schöner Tod – war eben das Gegen­teil davon.

Im Bewusstsein dieser Geschichte bin ich zu Herrn Hackethal an den Chiemsee gefah­ren und habe ihn mir angehört. Er hat mir die Geschichte dieser 69-jährigen Frau erzählt und mir dann auch die Fotos und einen kurzen Film gezeigt. Alles da (auf die untere Gesichtshälfte deutend), nicht nur Mund und Wangen, hatte der Krebs weggefressen. Der Rest ist durch Operationen zerstört worden. Es war kein Kiefer mehr da, es war gar nichts da. Diese Frau hatte unendliche Schmerzen und auch unendliche Schwierigkei­ten, dann auch noch diesen Becher allein auszutrinken.

Das hat mich wirklich beeindruckt, und ich habe ich weiß nicht wie viele Hundert Repor­tagen gemacht. Ich habe noch immer das Bild und die Geschichte vor mir und habe später immer wieder darüber gelesen. Nicht zuletzt, Frau Kollegin Kugler, habe ich auch gelesen, was Kirchen dazu sagen, aber auch, was Hans Küng darüber geschrieben hat.

Ich weiß, Hans Küng, der Schweizer Theologe, hatte seine Schwierigkeiten mit seiner Kirche und die Kirche mit ihm, aber er hat sehr ernsthaft zu dem Thema geschrieben und auch darüber, dass Christen anderen Menschen helfen müssen, egal in welcher Situation sie sind. Hans Küng hat sich wiederum intensiv mit Walter Jens auseinander­gesetzt, dem großen Tübinger Wissenschaftler und Rhetor der Schule der Rhetorik in Tübingen, der selbst immer gesagt hat, dass der Mensch auch ein Recht auf ein selbst­bestimmtes Sterben hat, und später dement wurde.

Danach hat dessen Sohn ein Buch über ihn und die Demenz geschrieben. Das ist ein sehr heikler Punkt, denn der Sohn hat beschrieben, dass der Vater, der immer gesagt hat, er möchte selbst entscheiden, wann er stirbt, und der gemeint hat, wenn er dement wird, will er sicher sterben, dann – soweit er das als dementer Mensch noch beurteilen konnte – nicht mehr sterben wollte. Dann wollte er so lange wie möglich leben.

Es ist – das kann ich wirklich sagen – sehr ergreifend, dieses Buch, das sein Sohn Til­man Jens geschrieben hat, zu lesen: „Die Freiheit zu leben und zu sterben“. (Der Redner hält das genannte Buch in die Höhe.) Dann kam das nächste tragische Schicksal, denn dieser Tilman Jens, der in dem Buch die vielen Fehler, die er in seinem Leben gemacht hat, aber auch die Intensität, die er erlebt hat, beschreibt, ist zuckerkrank geworden. Er hat aber so weitergelebt, wie man mit Diabetes nicht leben darf, nicht leben soll, ist sehr, sehr krank geworden und hat schließlich in einer Phase, in der er das, schwerkrank, eben noch konnte, selbst den Freitod gewählt.

Er schreibt aber auch über die Gespräche mit seinem Vater. Also das alles anzusehen ist, glaube ich, für uns so wichtig. Jedes Schicksal ist ein einzelnes. Es ist eben kein Zufall, dass im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Artikel 1 steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es steht aber auch noch etwas dabei: dass der Staat darauf zu achten hat, dass diese Würde unantastbar ist. Diese Würde des Men­schen gibt es im Leben, und es muss sie auch im Sterben geben.

Wir alle sind uns, glaube ich, bewusst, dass mit diesem Gesetz natürlich auch Miss­brauch nicht ausgeschlossen werden kann, und umso wichtiger ist diese Palliativhilfe.

Das möchte ich schon zum Schluss auch noch sagen. Ich weiß, dass die Religions­gemeinschaften eingebunden waren. Wie gesagt: Wenn ich Hans Küng und andere lese, dann muss ich im Christentum nicht unbedingt einen Widerspruch sehen, weil es ja auch heißen kann zu helfen. Ich würde mich freuen, wenn dieser Dialog, dieses Gespräch weitergeht und man sehr wohl auch mit den Religionsgemeinschaften darüber spricht, weil natürlich auch sie, wie ich weiß, viele Organisationen haben, in denen sie Menschen in dieser schwierigsten Situation helfen.

Mir wäre wichtig, dass wir diesen Dialog auch noch weiterbringen, weil ich glaube, dass es für unser Land und unsere Gesellschaft so wichtig ist, dass wir diesen Satz nie ver­gessen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – im Leben und eben auch im Ster­ben. – Danke schön. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

18.29

Präsidentin Doris Bures: Nun gelangt Herr Abgeordneter Wolfgang Gerstl zu Wort. – Bitte.