9.12

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zusehe­rinnen und Zuseher! „Ein starkes Österreich muss die EU aktiv unterstützen, den Frieden in Europa zu erhalten.“ Wir reden heute von Frieden, aber meine Damen und Herren, in Europa wird seit acht Jahren Krieg geführt. In der Ukraine wird Krieg geführt, und dort sind in diesen acht Jahren rund 14 000 Menschen gestorben. Die Ukraine ist ein Nach­bar, ist ein Partner. Die Menschen sind uns persönlich verbunden, sind uns auch his­torisch verbunden, wie wir wissen, und die Grenze, die Westgrenze der Ukraine ist von Wien aus näher als der Arlberg. (Zwischenruf des Abg. Hörl.)

Wenn ich immer wieder höre: Was geht das uns an? Kümmert euch um Österreich!, dann muss ich sagen: Ja, ein Krieg in Europa betrifft uns natürlich! Er hat zum Beispiel 298 Menschen getroffen, die beim Abschuss einer Maschine der Malaysia Airlines gestorben sind. 80 Kinder waren darunter. Die Untersuchung hat klar ergeben, dieses Zivilflugzeug wurde von einer russischen Buk-Rakete abgeschossen, offenbar von prorussischen Rebellen.

Aber mehr noch, wir in Österreich sind Teil eines Friedensbündnisses, dieses Friedens­bündnisses Europa.

Noch etwas: In diesem Europa gibt es nur – und da zitiere ich Paul-Henri Spaak – zwei Arten von Staaten, nämlich kleine Staaten und kleine Staaten, die noch nicht wissen, dass sie kleine Staaten sind – denn selbst Frankreich oder Deutschland, große Mächte, Frankreich als Atommacht, sind in der globalen Dimension auch nur klein. Die Briten erleben gerade, wie schlecht es ihnen geht und wie klein sie außerhalb Europas gewor­den sind.

Wir haben dieses gemeinsame Europa nach dem schlimmsten aller Kriege, nach dem Holocaust aufgebaut. Das ist die größte Leistung, die je in diesem Kontinent vollbracht wurde. Herr Bundesminister Schallenberg, ich zähle Sie, obwohl Sie jünger sind, dazu: Wir sind die glücklichste Generation, die je hier leben durfte. Wir sind die glücklichste Generation, weil wir zwar die Erfahrung noch gemacht haben und gehört haben, wie schrecklich dieser Krieg war, aber wir sind im Wohlstand, im Frieden aufgewachsen.

Noch etwas kommt dazu: Wir durften erleben – Sie als Student und ich als Korres­pondent –, wie die Mauer aufgegangen ist, wie also auch der östliche Teil Europas, der von der Sowjetunion kontrolliert war, auf einmal befreit wurde und wie die Menschen sich dort befreit haben. Das war eine große, große Leistung, und wir können ihnen heute noch dazu gratulieren und dankbar sein, dass wir das alles so erleben durften. (Beifall bei den NEOS.)

Es geht also um Frieden in Europa, und dazu muss man Folgendes sagen: Der Militärexperte Stefan Gady sagt, seit einigen Wochen marschieren noch mehr Truppen in Richtung Ukraine auf – die größte russische Bodenoffensive seit dem Zweiten Welt­krieg. Sie, Herr Bundesminister, haben gesagt, das ist wahnsinnig besorgniserregend. Ich glaube, das ist noch zu wenig.

Die Frage ist: Was will Putin eigentlich? Putin hat klare Forderungen gestellt: keine Nato-Erweiterung, keine Manöver in einem Streifen in der Nähe Russlands und auch keine US-Atomwaffen in Europa – aber keinerlei Restriktionen für Russland. Dazu hat der Experte Gerhard Mangott ganz klar gesagt: Putin hat gewusst, dass diese Forderungen unerreichbar sind. – Warum stellt er Forderungen, die nicht erreichbar sind? Will er eigentlich Krieg? Und warum greift er auf die Ukraine zu?

Dazu möchte ich einen kleinen historischen Abriss machen, was wir seit dem Jahr 1989 erlebt haben. Also im November 1989 geht die Mauer auf, im November 1990, nur ein Jahr später, Charta von Paris. Ich durfte dort dabei sein, KSZE-Schlussakte, und endlich hat es geheißen – wortwörtlich –: „Demokratie, Frieden und Einheit in Europa“, auch die Freiheit, Allianzen einzugehen. Ja, es stimmt, der damalige Außenminister Baker hat einmal zu Gorbatschow gesagt, die Nato wird sich nicht ausweiten. (Zwischenruf des Abg. Kassegger.) Das war ein Gespräch zwischen den beiden.

Aber dann – und das müssen wir uns auch anschauen! – hat es sehr, sehr viele Ver­hand­lungen gegeben. Dazu kann ich Ihnen nur dieses Buch empfehlen, Kollege Kassegger, lesen Sie das Buch von Herrn Ischinger (das Buch „Welt in Gefahr. Deutschland und Europa in unsicheren Zeiten“ von Wolfgang Ischinger in die Höhe haltend)! Er hat nämlich ganz genau aufgegliedert, wie diese Verhandlungen stattgefunden haben und was bei diesen Verhandlungen drinnen war, nämlich: Die Ukraine hat 1991 ein Refe­rendum für die Unabhängigkeit auch im Osten abgehalten; dann 1994: Partnerschaft für den Frieden, auch mit Russland; 1994 das Budapester Memorandum, die Ukraine und andere Staaten haben auf Atomwaffen verzichtet, für die Sicherheit ihrer Grenzen – ganz eindeutig, Budapester Memorandum 1994 –; 1997 die Nato-Russland-Grundakte: Russ­land und die Nato haben beschlossen, künftig gemeinsam vorzugehen. Russland ist dann sogar im Hauptquartier der Nato in Brüssel gewesen. 1999: Partnerschaft für den Frieden Nato-Ukraine.

So, und dann ist Putin 2001 im Bundestag in Bonn gewesen und hat gesagt: Die Ideen der Freiheit haben die totalitär-stalinistische Ideologie ersetzt und auch Russland ist ein freundliches europäisches Land. 2007 hat er auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine sehr aggressive Rede gehalten und gesagt: Die USA streben nach Weltherrschaft, dagegen müssen wir uns wehren.

Was ist in der Zwischenzeit passiert? – In der Zwischenzeit ist Folgendes passiert: Man hat gesehen, so wie in Westeuropa nach dem Krieg haben sich in vielen osteuropä­ischen Ländern freie Gesellschaften entwickelt, Gesellschaften, in denen der Wohlstand gewachsen ist. Russland konnte lange vom hohen Ölpreis profitieren, aber als der nicht mehr so gut war, ist die russische Wirtschaft zurückgegangen.

Eine Zahl, die mich selber überrascht hat: Wie hoch ist das BIP Russlands? – Es ist gerade einmal doppelt so hoch wie das der Schweiz, 140 Millionen Russen, 9 Millionen Schweizer. Das heißt, Putin ist es nicht gelungen, Wohlstand in seinem Land zu erzeu­gen, in den anderen europäischen Staaten, in jenen, die bei der Europäischen Union sind, gibt es diesen Wohlstand. Die Ukraine möchte diesen Wohlstand auch haben, und Putin will das verhindern. Das ist der wesentliche Grund, denn da muss er seinen Leuten endlich einmal erklären, warum es ihnen schlecht geht und warum es denen in Europa gut geht. Das ist ein Grund, und dagegen müssen wir uns wehren. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wir müssen auf Augenhöhe verhandeln, Herr Bundesminister Schallenberg, und auf Augenhöhe heißt, Putin nimmt uns nur ernst, wenn er ganz klar weiß, dass sein Handeln Konsequenzen hat. Ich habe es Bundeskanzler Nehammer im EU-Hauptausschuss gesagt: Nord Stream 2 muss natürlich Verhandlungsmasse sein. Wenn wir sagen: Wir eröffnen das auf jeden Fall, egal, ob ihr die Ukraine angreift oder nicht!, ja dann wird er die Ukraine natürlich angreifen. Ich ersuche Sie wirklich, Herr Bundesminister, sagen Sie das genauso deutlich, wie es inzwischen die deutsche Bundesregierung sagt: Es wird Nord Stream 2 nicht geben, Herr Putin, wenn Sie die Ukraine angreifen! Es muss ein ganz klarer Satz sein: Wir werden mit Ihnen nicht Handel treiben, wenn Sie die Ukraine angreifen! Wir müssen die Ukraine beschützen, auch mit Nord Stream 2!

Es zeigt ja auch die Geschichte: Es war letztlich, und das wissen Sie auch, der Nato-Doppelbeschluss, der die Sowjetunion dazu gebracht hat, abzurüsten. Es ist bei diesen Verhandlungen einfach nicht möglich, zu sagen: Ja, wir hätten ganz gerne, dass ihr das nicht macht, aber wenn, dann können wir auch keine Konsequenzen ziehen! Ich glaube, wir müssen wirklich sehr deutlich sagen: Lieber Herr Putin, Hände weg von der Ukraine!

In diesem Zusammenhang nur noch einen Satz zum Balkan. Auch dort erleben wir, wenn Sie in die Republika Srpska schauen, eine ganz gefährliche Entwicklung: die Zerstörung eines ohnehin komplizierten Staates Bosnien-Herzegowina, und auch das mit Russlands Unterstützung.

Da komme ich auf das zurück, was ich zuerst gesagt habe: Kümmert euch um Öster­reich! Ja, wir kümmern uns um Österreich, indem wir uns darum kümmern, dass auch am Balkan Frieden herrscht, denn wenn am Balkan wieder Krieg ist, dann werden auch wir davon betroffen sein. Also müssen wir uns auch darum kümmern und müssen sehr deutlich sagen: Herr Putin, Finger weg auch von Bosnien-Herzegowina! (Beifall bei NEOS und Grünen.) – Danke schön.

Umgekehrt muss es auch ein klares Angebot geben. Ich komme noch einmal zurück zu Herrn Putin. Was hat er gesagt? – Er hat einmal gesagt, er wünscht sich eine Frei­han­dels­zone von Lissabon bis Wladiwostok. – Ja, machen wir! Machen wir, aber zuerst müssen wir die Grenzen akzeptieren (Zwischenruf des Abg. Kassegger), müssen wir einander akzeptieren – und dann machen wir Handel und hoffen, dass es den Russinnen und Russen auch besser geht.

Zum Schluss noch einen wesentlichen Punkt: Ich habe mit Olexander Scherba, als er noch Botschafter in Wien war, viele Gespräche geführt. Er hat auch ein interessantes Buch geschrieben, auf Englisch, das kann ich auch empfehlen: „Ukraine vs. Darkness“. (Der Redner hält das genannte Buch in die Höhe.) Warum Darkness? – Der Putin-Be­rater Surkow sagt: Im Westen, bei den Liberalen, dort ist die Darkness, und das, was Russland hat, ist das Großartige, dorthin müssen wir streben! – Wir alle wissen aus unserem Leben, dass das natürlich überhaupt nicht stimmt. Dieser Surkow sagt auch, die Ukraine existiere gar nicht.

Wenn Sie das nachlesen, von einem Ukrainer, der beschreibt, was seine Heimat aus­macht, was sein Land ausmacht, dann ist klar: Wir müssen dazu stehen, dass wir dieses Land verteidigen, mit klaren Worten, Herr Bundesminister, denn es wird zu wenig sein, zu sagen, dass wir besorgt sind. Ja, wir sind besorgt. Wir sind sogar sehr besorgt. Vor allem aber wollen wir deutlich ausrichten, dass man mit uns so nicht umgehen kann. Wir alle gemeinsam sind Europa. Wir müssen gemeinsam aufstehen, wir müssen gemein­sam stark sein, nur dann haben wir eine Chance. Ich ersuche Sie dringend, das auch international, vor allem im Rahmen der Europäischen Union, umzusetzen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Maurer.)

9.21

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf noch Herrn Bundesminister Schallenberg recht herzlich begrüßen, ich habe ihn zuerst nicht gesehen, und ihm sogleich das Wort erteilen. – Bitte, Herr Bundesminister, Sie haben das Wort.