9.57

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Ich habe Sie schon einmal mutiger erlebt, wobei ich das nicht Ihnen persönlich zu­schreiben würde, sondern eher der Tatsache, dass die außenpolitische Linie Österreichs seit Jahrzehnten eingefroren ist und man sich nicht sonderlich überlegt, sich ein bisschen selbstkritischer damit auseinanderzusetzen, ob denn das immer noch sinnvoll ist.

Kollege Lopatka hat das zumindest probiert. Er hat hinterfragt, wieso wir als Europäische Union nicht diese Druckmittel haben, die wir brauchen würden, um entsprechend auf­zustehen. Wir sind uns, glaube ich, einig, was passiert, wenn Russland weiter militärisch eskaliert, aber die Frage ist ja, wie wir solche Situationen in Zukunft verhindern können und wie wir als Europäische Union es schaffen, in Zukunft eine einheitliche Linie und auch die entsprechenden Druckmittel zu haben, dass die europäische Stimme gehört wird.

Da bringt es halt im Ergebnis nicht viel, wenn man in Sonntagsreden immer wieder sagt: Wir sind für ein entschlossenes Handeln!, und wir uns als Österreich dann am Schluss halt leider sehr oft hinter unserer Geschichte verstecken. Sie wissen, dass wir als NEOS und auch ich höchstpersönlich die Neutralität im 21. Jahrhundert nicht unbedingt als geeignetes Konzept verstehen, um den Herausforderungen, die wir weltweit und auch in Europa haben, etwas entgegenzusetzen. Mit diesem Beharren auf der Neutralität schwächen wir einerseits Österreichs Position und wir schwächen auch die europäische Position nachhaltig, und das halte ich nicht für richtig.

Wir müssen uns weiterentwickeln und überlegen, wie wir solche Situationen in Zukunft verhindern können, nämlich die Aggression, die Russland über die letzten Jahre und auch davor immer wieder entsprechend an den Tag gelegt hat. Wir müssen zu einem Um­denken kommen und klare Antworten darauf haben, wie wir Russland etwas ent­gegensetzen, damit es nicht mehr die Möglichkeit hat, seine Hegemonialstellung, seinen Einflussbereich zu vergrößern. Dazu braucht es ein ordentliches Umdenken in Öster­reich und in der Europäischen Union, denn wenn wir es nicht schaffen, endlich mit einer Stimme zu sprechen, in Zukunft außenpolitisch wirklich geeint aufzutreten, dann brauchen wir uns, ehrlich gesagt, nicht zu wundern, wenn man uns nicht sonderlich ernst nimmt.

Herr Bundesminister, Sie haben gesagt, Sie sind froh, dass die USA da als die Stimme der Freiheit verhandeln und auftreten. – Ja, ich bin auch froh, dass die USA hier auftreten, weil wir als Europäische Union es nicht können oder nicht ausreichend können. Was der französische Präsident Macron gesagt hat, ist schon etwas, dem ich jedenfalls zustimmen würde: Er hält es für absurd – und ich finde auch, dass das vollkommen daneben ist –, dass über die Frage, ob in Europa Krieg herrscht, die USA und Russland verhandeln, während wir nicht selbstbewusst auftreten und klar sagen können: Wir müssen uns da einsetzen und dem etwas entgegensetzen. (Beifall bei den NEOS.)

Wir brauchen uns ja nicht zu wundern, wenn auch die europäische Außenpolitik immer nur der kleinste gemeinsame Nenner von 27 Mitgliedstaaten ist. Jeder Außenminister fährt zuerst selbst in die Ukraine, dann versucht er, in Russland mitzuverhandeln; wir werden von den USA informiert – wie Sie gesagt haben –, wir schauen, was wir denn für entsprechende Informationen bekommen.

Und ja, die Europäische Union ist ein Friedensprojekt, ist das großartigste Friedens­projekt, es muss uns aber doch auch klar sein, dass wir lernen müssen, unsere Stimme entsprechend zu erheben, und zwar nicht nur mit wirtschaftlichen Sanktionen, denn wir merken ja, dass die Reaktion Russlands darauf einigermaßen zurückhaltend ist und der Eindruck kein sehr großer ist. Obwohl Emmanuel Macron meiner Parteienfamilie angehört, bin ich nicht in allen Fragen, sogar in vielen Fragen nicht seiner Meinung. Wo er aber recht hat, ist, wenn er klar betont, dass wir über eine neue europäische Sicher­heitsordnung nachdenken müssen. Die Notwendigkeit eines gemeinsamen europä­ischen Heeres zu negieren und als Österreich immer wieder historisch darauf zurück­zufallen, dass wir die Neutralität haben, und uns nicht zu überlegen, wie wir die europäische Sicherheits- und Außenpolitik weiterentwickeln können, halte ich für ein Kopf-in-den-Sand-Stecken, und das ist eigentlich einer österreichischen Position nicht würdig. (Beifall bei den NEOS.)

Kollege Lopatka hat es angesprochen: Wir brauchen ein Druckmittel, ein militärisches Druckmittel – es ist ja logisch, dass, wenn wir entsprechende Truppen haben und uns hinstellen und sagen können: Schaut, hier geht es auch dahin gehend keinen Schritt weiter und hier ist eine Grenze, die verteidigt wird!, sich Russland eher beeindrucken lassen wird.

Ich bin überzeugt davon: Wenn wir als Europa in der Welt ernst genommen werden wollen – und das will ich –, dann müssen wir ernsthaft darüber nachdenken und uns weiterentwickeln. Das heißt, es braucht eine echte gemeinsame Außen- und Sicher­heits­politik, und davon ist auch ein gemeinsames europäisches Heer ein wesentlicher Bestandteil. (Beifall bei den NEOS.)

10.02

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Jeitler-Cincelli. – Bitte.