17.16

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selbstverständlich müssen wir die Türkei verurteilen, wenn Jour­nalistinnen und Journalisten eingesperrt werden oder, wie wir wissen, zum Teil auch flüchten müssen.

Natürlich müssen wir aber auch über die Ukraine reden: Wenn Journalisten oder Jour­nalistinnen in Russland das Wort Krieg aussprechen – das gilt auch für Korresponden­tinnen und Korrespondenten, also auch für die ORF-Leute, die Österreich in Moskau hat –, dann laufen sie Gefahr, für 15 Jahre ins Gefängnis zu kommen – und da sind wir neutral, Frau Rendi-Wagner?

Wenn ich Bilder von Geburtskliniken sehe, auf denen eine Frau ihr neugeborenes Baby hält und stillt, und auf einmal kommt etwas von oben herunter, das Kind ist verletzt und die Frau blutet: Da sind wir neutral? Wenn ich sehe und höre, wie Putins Sprecher, Herr Peskow, sagt: Ja, wir werden vielleicht auch Atomwaffen einsetzen, wenn wir uns bedroht fühlen!, sind wir dann neutral? Wenn im russischen Fernsehen Menschen auftreten und sagen: Natürlich kann es sein, dass wir in Polen einfallen! – das ist ein EU-Partner von uns –, sind wir dann auch neutral?

Wenn inzwischen zehn Millionen Menschen auf der Flucht sind, dann sind wir ganz sicher nicht neutral, weil wir denen, die zu uns kommen, natürlich helfen werden! Manch­mal habe ich das Gefühl, es heißt nicht Neutralität, sondern es heißt Wurstigkeit. (Zwi­schenrufe der Abgeordneten Steger und Hörl.)

Vielleicht ist es auch Angst oder der Blick, den ich eher von dieser Seite (in Richtung ÖVP) erwartet habe, auf Umfragen: Da steht Neutralität, alles super! – Weder sind wir beschützt noch sind andere Menschen beschützt. Die Ukraine gehört keinem Bündnis an und ist überfallen worden, und wie gesagt, Herr Peskow kündigt ja auch an, dass er andere Länder überfällt. (Zwischenruf der Abg. Steger.)

Ein Zitat des Philosophen Sloterdijk lautet: „Verzichtest du auf weitere Fragen, bist du vorläufig in Sicherheit.“ – Aber eben nur vorläufig, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind nicht in Sicherheit, wenn wir auf Fragen verzichten, sondern wir müssen die Frage stellen: Was ist als Nächstes?

Ich tue mir sehr schwer mit historischen Vergleichen, und auch die Vergleiche zwischen Putin und Hitler mag ich nicht, weil es ja völlig andere Voraussetzungen sind. Den Vergleich zwischen Putin und Stalin müssen wir inzwischen aber treffen, denn was hat Josef Stalin gesagt? – Jeder kann sein System ausbreiten, so weit seine Armee reicht. Und genau das hat er ja nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht, er hat die Leute dort nicht nur umbringen und verhungern lassen, sondern auch Journalistinnen und Jour­nalisten und andere Menschen eingesperrt. Das ist genau das, was Putin jetzt zumindest plant.

Es geht jetzt um diese Zeitenwende, um die Frage, welches System sich durchsetzen wird. Wir sind der Illusion nachgehangen, dass es ein gemeinsames Haus Europa gibt: Ich glaube, Gorbatschow wollte das, vielleicht wollte es auch Jelzin, das wissen wir nicht so genau – Putin will es nicht, Putin will uns bekämpfen. Er bekämpft uns, und ich würde gern wissen, was daran neutral ist.

Sie können jetzt diskutieren, wie Sie ihm entgegnen wollen, ich bin froh, dass Herr Selenskyj vielleicht doch noch bei uns sprechen wird. Weil das aber noch etwas dauern wird, habe ich jetzt etwas mitgebracht: kein Buch, sondern Flugzettel (die Flugblätter zei­gend).

Ich war jetzt gemeinsam mit Kollegen Bürstmayr bei einer Veranstaltung am Minoriten­platz, einer kleinen Demonstration, zu der sich Menschen aus der Ukraine zusammen­gefunden haben und uns bitten – ja, sie bitten uns! –: Bitte, können Sie das im Natio­nalrat verteilen, wenn Sie Herrn Selenskyj schon nicht zuhören? – Ich habe gesagt: Ja, das werde ich gerne machen.

Das sind Vorschläge, Ideen, Gedanken, Sorgen der Menschen, die jeden Tag sehen, wie ihre Verwandten umgebracht werden, bedroht werden und natürlich auch, wie die Leute flüchten. Deswegen würde ich schon dringend bitten, dass Sie das in Ruhe lesen, ansehen und dass wir Herrn Selenskyj auch zuhören.

Herr Bundesminister, wir hatten heute aber auch den bosnischen Botschafter hier und natürlich haben wir über die Lage in Bosnien gesprochen. Wir wissen ja auch, dass Putin Europa von mehreren Seiten angreift, nicht nur militärisch. Er greift auch vom Balkan aus an und will alles dafür tun, dass in Bosnien Unruhe herrscht und dass dieser Herr Dodik – er hat übrigens offensichtlich Besitztümer, Eigentum in Österreich; wer schaut sich das denn bitte schön an und wie können wir ihn bitte schön sanktionieren? (Zwischenruf des Abg. Hörl) – im Auftrag von Putin dort für Unruhe sorgt. Das wird eine weitere Rückwirkung auf Österreich und auf die Europäische Union haben und darum müssen wir uns auch kümmern.

Weil der Herr Bundeskanzler in Serbien war: Ich bin ja sehr dafür, dass wir mit Herrn Vučić reden, aber ich glaube, ein bisschen anders, als er es gemacht hat. Mir ist das ein bisschen zu nahe und ein bisschen zu freundlich vorgekommen, wie der Herr Bundeskanzler mit Herrn Vučić gesprochen hat. Was ist als Schlagzeile in einer seiner Zeitungen – es gibt in Serbien keine Medienfreiheit, Serben ist nicht bereit, in die EU aufgenommen zu werden, weil es dort keine Medienfreiheit gibt –, in einer dieser Bou­levardzeitungen, die Herr Vučić finanziert, am ersten Tag gestanden? – Die Ukraine überfällt Russland.

Sie haben das ja wirklich auch noch umgedreht und die Leute auch noch belogen. In dem Zustand ist Serbien – leider, sage ich, leider! – kein Partner und hat keine Mög­lichkeit, in die EU aufgenommen zu werden, während wir alles dafür tun müssen – und darüber werden wir auch morgen im EU-Hauptausschuss sprechen –, dass wir die Ukraine unterstützen, natürlich mit einer Perspektive betreffend die EU, vor allem aber mit einer Art Marshallplan, denn natürlich müssen wir dafür sorgen, dass, wenn sich dieses Land hoffentlich gewehrt und die Truppen vertrieben hat, dieses Land wieder aufgebaut wird und jedenfalls ein Freund, ein Partner der Europäischen Union und auch Österreichs wird. – Herzlichen Dank, und jetzt verteile ich diese Flugblätter an Sie. Danke schön. (Beifall bei den NEOS.)

17.22

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Troch. – Bitte.