10.35

Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA: Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeord­nete! Werte Zuseherinnen und Zuseher im Raum und auch zu Hause vor den Bild­schirmen! Sehr geehrte Frau Klubobfrau, ich schätze immer Ihre engagierten Beiträge und auch Ihr Engagement in der Diskussion, und wir teilen auch ein Anliegen, nämlich das Anliegen des Strebens nach Freiheit, des Strebens nach Unabhängigkeit, und dass wir das nur mit der Unabhängigkeit von russischem Erdgas erreichen werden.

Eines zeigt uns dieser Angriffskrieg, dieser abscheuliche Angriff Russlands auf die Ukraine, in den letzten Wochen deutlich: wie abhängig wir in Österreich von russischem Gas sind, wie erpressbar wir damit sind. Österreich hat sich über Jahrzehnte Schritt für Schritt in Fesseln begeben und billiges Gas aus Russland gekauft, immer mehr davon, und jetzt müssen wir schmerzlich erkennen, dass wir diese Fesseln nicht von heute auf morgen loswerden können, dass wir uns aus diesen Fesseln nicht von heute auf morgen befreien können, so tief sind wir darin verstrickt.

Auch wenn viele sich den sofortigen Verzicht wünschen – aus moralischen Gründen, aus den Gründen, die Sie genannt haben –, müssen wir uns auch eingestehen, dass wir diesem Wunsch nicht nachgeben, dieser Forderung nicht stattgeben können. Die Kon­sequenzen für unser Leben, die Konsequenzen für unsere Wirtschaft wären zu groß. Wir sind auf dem Boden der bitteren Realität angelangt, wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Österreich kann nicht von heute auf morgen auf russisches Erdgas verzichten.

Diese Abhängigkeit ist Realität, und diese Realität ist wie ich weiß für viele in diesem Raum schwer zu ertragen, sie ist aber gerade deswegen schwer zu ertragen, weil es nicht so hätte kommen müssen. Die Politik der vergangenen 20 Jahre hat uns – und zwar sehenden Auges! – da in eine Abhängigkeit manövriert, hat ganz bewusste Ent­scheidungen getroffen, unsere Abhängigkeit damit immer größer gemacht. Österreich hat erst vor wenigen Jahren – 2018 – die Lieferverträge mit Gazprom verlängert, im Beisein und zur großen Freude der damaligen Bundesregierung. 2016, zwei Jahre davor, hat ein anderer Bundeskanzler – diesmal ein SPÖ-Bundeskanzler – Druck auf die OMV gemacht, ein norwegisches Gasfeld gegen ein russisches Gasfeld zu tauschen. Österreich war das erste Land der Europäischen Union, das nach der Annexion der Krim durch Wladimir Putin diesen in Österreich, in der EU wieder willkommen geheißen hat.

Ich halte es für unerlässlich, diese Fehler zu benennen, ich halte es auch für unerlässlich, dass wir sie sehen, weil wir nur dann daraus lernen können und weil wir nur dann diese Fehler auch nie mehr wiederholen können – und auch das sehe ich als meine Verant­wortung. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Diese Verantwortung und wie wichtig sie ist, hat uns dieser Krieg unmissverständlich auf­gezeigt. Wir müssen uns aus der Abhängigkeit befreien, wir müssen die Abhängigkeit von russischem Erdgas beenden, das steht außer Frage, und diese Abhängigkeit zu beenden ist auch die einzige Antwort auf diesen Krieg, die in ihrer Konsequenz angemessen ist. Das heißt, wir müssen über das Wie sprechen.

Sie haben genau diese Frage heute auch zum Thema dieser Aktuellen Europastunde gemacht – der Titel der heutigen Aktuellen Europastunde bezieht sich ja auf den Aus­stiegs­plan aus russischem Erdgas. Die Österreichische Energieagentur hat in den letzten Wochen gemeinsam mit uns intensiv genau daran gearbeitet. Wir müssen raus aus der Abhängigkeit, raus aus russischem Erdgas, wir müssen es aber geplant tun, wir müssen es vernünftig tun und gleichzeitig so schnell wie möglich tun, ohne dabei uns selbst mehr zu schaden als Russland.

Unser Konzept sagt, wir können diesen Kraftakt – ich unterstreiche das: diesen Kraft­akt – bis 2027 schaffen, wenn wir sofort damit beginnen und wenn alle in unserem Land die Verantwortung ernst nehmen. Dafür braucht es drei Säulen: Wir brauchen eine Re­duktion des Gasverbrauchs, wir müssen die eigene Produktion erhöhen und die Gas­lieferländer diversifizieren, und auf diese drei Säulen möchte ich jetzt noch weiter ein­gehen.

Erstens: Reduktion des Gasverbrauchs. Unabhängigkeit von Russland, das heißt, weni­ger Gas zu verbrauchen. Jeder Kubikmeter, den wir weniger verbrauchen, ist ein Beitrag dazu. Das bedeutet, den Gasverbrauch bis 2030, das zeigt uns diese Analyse, um 29 Terawattstunden zu reduzieren, dann gelingt uns auch die Unabhängigkeit von russischem Gas bis 2027. Das ist enorm ambitioniert, das ist richtig viel, dafür braucht es einen Kraftakt, aber es geht, das wissen wir, davon bin ich überzeugt.

Wir werden Gasheizungen in den Wohnungen tauschen, durch bessere, modernere Alternativen ersetzen – Alternativen, für die wir die Gazprom nicht brauchen. Wir werden Gas durch gedämmte, mit effizienter Energie betriebene Häuser sparen. Wir bauen die Stromerzeugung aus Sonne, aus Wind, aus Wasser aus, damit wir Schritt für Schritt den Gasverbrauch reduzieren.

Letztes Jahr wurde in diesem Haus unser Osterpaket beschlossen. Letztes Jahr haben wir in diesem Haus bereits das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz beschlossen. Sie haben in diesem Haus bereits ein Paket, ein großes Finanzpaket mit mehr Mitteln für den Heizungstausch, als es je zuvor in diesem Land gegeben hat, beschlossen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.) Ich bin zuversichtlich, dass wir in diesem Haus bald auch über das Erneuerbare-Wärme-Gesetz diskutieren und abstimmen wer­den, damit über das Aus von Gasheizungen im Neubau auch an dieser Stelle diskutiert wird.

Die zweite Säule in diesem Plan ist die eigene Produktion. Unabhängigkeit bedeutet auch: Wir werden in Österreich Gas produzieren und auch weiter produzieren, bis 2030 die Herstellung von Biogas, Biomethan und grünem Wasserstoff massiv ausbauen. Wir müssen auch – Sie wissen, wir produzieren in Österreich auch Erdgas – die eigene För­derung von Erdgas weitertreiben.

Österreich hat großes Potenzial. Es gibt engagierte Unternehmen, es gibt engagierte Menschen in unserem Land. Wenn wir Biogas in die Gaspipelines einspeisen, ersetzen wir damit russisches Erdgas. Wir brauchen auch für unsere Industrie grünen Wasser­stoff. Auch das sei ganz offen gesagt: Wir werden in Zukunft gasförmige Energieträger brauchen, wir werden auch 2030 noch fossiles Erdgas brauchen. Jeder Beitrag, den wir in Österreich durch die Erhöhung der eigenen Produktion dazu leisten können, ist also wichtig und wird gebraucht, damit wir das Ziel der Europäischen Kommission – nämlich bis 2027 die Abhängigkeit von Russland zu beenden – auch mit unserem Beitrag er­reichen können.

Die dritte Säule ist Diversifizieren. Freiheit heißt auch, nicht von einem einzelnen Partner abhängig zu sein. Diese Freiheit fehlt uns derzeit, das spüren wir, das schmerzt uns. Genau aus diesem Grund arbeiten wir daran, mehr Vielfalt zu schaffen. Schon jetzt bezieht Österreich einen Teil seiner Gaslieferungen aus Norwegen. Diesen Beitrag werden wir deutlich erhöhen müssen. Wir brauchen auch Lieferungen über andere Pipelines, etwa aus Nordafrika; dazu laufen natürlich Gespräche. Wir werden auf den Import von Flüssiggas setzen. Natürlich ist gerade dieser Punkt – so ehrlich muss man sein – insbesondere für Österreich ungleich schwieriger als für andere Länder, denn Österreich hat keine Seehäfen. Wir brauchen also Partner für den Transport dieses Gases von den Häfen zu uns (Abg. Kickl: ... eine Landkarte werden Sie wohl im Büro haben!), und deswegen beteiligen wir uns im größtmöglichen Ausmaß am gemein­samen Gasankauf der Europäischen Union.

Wir haben bereits gemeldet, dass Österreich gemeinsam Gas kaufen wird. Ich sage das auch ganz klar: Wir werden am erfolgreichsten sein, wenn es eine gemeinsame euro­päische Vorgehensweise gibt und wir zusammenhalten, weil wir uns dann nicht gegen­seitig im Preis überbieten, weil wir uns dann nicht gegenseitig Pipelinekapazitäten ab­schneiden. Wir werden also am erfolgreichsten sein, wenn wir einsehen, dass uns dieser Krieg als geeintes Europa trifft und dass wir auf diesen Krieg als Europa geeint die beste Antwort geben können.

Gerade in diesem dritten Bereich, gerade in der Diversifizierung sind die Fehler der Ver­gangenheit besonders zu spüren. Das müssen wir jetzt besser machen. Trotz dieser Perspektive, dieser Analyse, dieser Handlungsoptionen und all jener Dinge, an denen wir arbeiten und die zum Ausstieg aus russischem Erdgas hinführen, der unausweichlich ist, wissen wir aber auch: Russland führt Krieg, Russland begeht Kriegsverbrechen.

Wir haben auch die Nachrichten über Polen und Bulgarien gesehen – Sie haben die Nachrichten von gestern erwähnt –, man kann sich nicht mehr verlassen. Russland kann die Gaslieferungen nach Europa stoppen. Tritt das ein, müssen wir plötzlich einer dra­matischen Situation ins Auge sehen. Darauf sind wir vorbereitet, dafür haben wir Notfall­pläne entwickelt, aber diese Vorbereitung – auch das sei an dieser Stelle sehr, sehr deutlich und sehr, sehr klar gesagt – schützt nicht vor dramatischen Konsequenzen, und zwar betrifft das alle europäischen Länder, die in einer Situation sind, von Russland derartig abhängig zu sein.

Wenn Russland kein Gas mehr liefert, auch das betrifft alle europäischen Länder – noch einmal gesagt –, werden wir die Versorgung unserer Industrie über die Energielenkung reduzieren müssen, um die Haushalte zu schützen. Wenn Russland kein Gas mehr liefert, bedeutet das auch Produktionsausfälle. Das bedeutet in letzter Konsequenz auch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit.

Ich würde heute wirklich gerne vor Ihnen stehen und Ihnen erzählen, dass diese Tatsache einfach nicht existiert, dass sich diese Tatsache abwenden lässt, aber das wäre unehrlich. Österreich ist abhängig, Österreich ist zu abhängig. Wir speichern ein, wir legen Gasreserven an, wir sorgten heute mit einem Beschluss im Ministerrat dafür, dass die Speicher bis zum Beginn der nächsten Saison zu 80 Prozent gefüllt sein wer­den. Wir haben erst heute im Ministerrat beschlossen, dafür weitere bis zu 5 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Im schlimmsten Fall wird das vielleicht noch immer zu wenig sein, aber wir tragen da gemeinsame Verantwortung.

Auch ich habe eine weitreichende Verantwortung, und zu dieser Verantwortung stehe ich. Je schneller wir den Ausstieg aus russischem Gas vorantreiben, desto geringer wird unsere Abhängigkeit, desto schwieriger kann man uns erpressen. Jeder Kubikmeter Gas, den wir nicht mehr importieren, bedeutet ein bisschen Unabhängigkeit. Und wir brauchen dafür alle. Nur wenn wir in Österreich diesen Kraftakt annehmen und nur wenn wir in Österreich diesen Kraftakt auch gemeinsam stemmen, können wir ihn stemmen.

Liebe Abgeordnete, liebe Zuseherinnen und Zuseher, ich weiß, es wäre einfacher, ange­nehmer, könnten wir von heute auf morgen verzichten. Es wäre angenehmer, es wäre moralisch richtiger. Der Realität entkommt man aber nicht. Die Realität ist: Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Wir haben ein Stück des Weges bereits im letzten Jahr erledigt, es liegt aber noch viel Arbeit vor uns. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Ich werde vor dieser Arbeit nicht zurückschrecken, aber es braucht Sie. Ich bitte daher alle in diesem Saal um Unterstützung, und ich bitte auch Sie, liebe Österreicherinnen und Österreicher und all die Menschen, die in diesem Land leben, um Unterstützung. Überall, wo man auf Gas verzichten kann, überall, wo man eine Gasheizung tauschen kann – ich weiß, ganz viele Menschen in diesem Land machen das gerade, wir sehen das an den Rekordabfragen unserer Förderungen –: Tun Sie es, tauschen Sie die Gasheizung, wenn es Ihnen möglich ist! Tragen Sie mit Energiesparen dazu bei, dass wir einen Unterschied machen!

Es sind viele kleine Dinge, viele kleine Schritte, viele Vorhaben, die gemeinsam zum Erfolg führen. Es sind viele einzelne Menschen, die in ihrer Position, in ihrer Verant­wortung, in ihren Möglichkeiten einen Unterschied machen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

10.48

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Strasser. Zur Erinnerung: Die Redezeit beträgt ab nun 5 Minuten. – Bitte.