10.44
Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Herr Präsident! Hohes Haus! Ich nütze die Gelegenheit, auch ein paar Dinge klarzustellen. Ein Volksbegehren ist ein zutiefst demokratisches Instrument. Es ist gut, dass das im Parlament behandelt wird, und es ist auch mit dem entsprechenden Respekt vor dieser Meinungsäußerung damit umzugehen.
Zweite Vorbemerkung: Der Dank, den ich hier abstatten möchte, gilt erstens der Bevölkerung, die in den letzten beiden Jahren der Pandemie über weite Strecken die Maßnahmen auch sehr intensiv mitgetragen und mit dazu beigetragen hat, die Pandemie gut zu bewältigen. Dieser Dank gilt im Übrigen auch diesem Hohen Haus, in dem die Entscheidungen in sehr weitreichenden Bereichen fast von allen Fraktionen auf breiter Front mitgetragen worden sind. Das ist nicht selbstverständlich. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)
Mir ist klar – das hat jemand anderer formuliert, nicht ich –, dass eine Pandemie auch eine demokratiepolitische Zumutung ist, gerade einem Parlament gegenüber. Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen sind in einem unglaublich hohen Tempo und nicht immer unter Bedachtnahme auf die sonst üblichen parlamentarischen Vorgänge erlassen beziehungsweise beschlossen worden, und das ist eine demokratiepolitische Zumutung. (Abg. Belakowitsch: Sie sollten sich dafür entschuldigen, nicht bedanken!) Ich weiß das, und auch dafür möchte ich mich im Namen der Regierung bedanken, auch das ist nicht selbstverständlich. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Belakowitsch: Sie sollten sich dafür entschuldigen!)
Frau Kollegin, ich wüsste nicht, wofür ich mich jetzt entschuldigen sollte. (Abg. Belakowitsch: Das sagt aber eh schon alles!) Frau Kollegin, das wüsste ich nicht. (Abg. Belakowitsch: Für das Aushebeln der Demokratie zum Beispiel! – Ruf bei der ÖVP: Beruhigen Sie sich! – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.) Ich versuche, seriös mit den Argumenten umzugehen und die Debatte in aller Ruhe zu bestreiten. Die bisherigen Debattenbeiträge haben das getan: in wohltuender Art und Weise, sehr konstruktiv, sehr differenziert die Sache zu betrachten. Darüber bin ich sehr froh und dafür bin ich sehr dankbar. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)
Ich möchte die Gelegenheit nützen, darüber zu reden, wie wir weiter tun, was angesagt ist. Ich kann Ihnen nur versichern, entgegen allen Hoffnungen – und ich verstehe das – ist die Pandemie einfach nicht vorbei, das ist so. Das würden sich alle wünschen, aber es ist einfach nicht der Fall. Wir haben aktuell in Portugal eine Ausbreitung der Varianten BA.4, BA.5, die inzwischen 50 Prozent der Varianten dort ausmachen, und auch steigende Zahlen im Infektionsgeschehen.
Man kann sich das alles anders wünschen, aber es findet eben nicht statt. Es ist einfach notwendig, mit einem gewissen Ausmaß an Vorsicht mit der Situation umzugehen. Bei allen Wünschen nach Normalität, bei allen Wünschen nach Beendigung der Pandemie ist es erforderlich, sich seriös auf die Herbst- und Wintersaison vorzubereiten. Wir tun das, indem wir mit 80 Expertinnen und Experten einen Maßnahmenplan erarbeiten, der vier Szenarien abbildet. Natürlich gibt es da auch ein Szenario – das ist das wünschenswerteste –, in dem wir eine Virusvariante haben, die wenig ansteckend ist, sich wenig dynamisch entwickelt und weitgehende Normalität zulässt. Das ist das bestmögliche Szenario, aber es ist nicht das einzig denkbare – und wenn es nicht das einzig denkbare ist, ist es angezeigt und verantwortungsbewusst, sich auch auf andere Szenarien vorzubereiten.
Wir hatten – nach dem ersten Pandemiesommer und nach dem zweiten Pandemiesommer – zweimal die Situation, mehr oder weniger überrascht feststellen zu müssen: Es ist im Herbst deutlich anders, als alle gehofft haben. Wir hatten dann auch mit massiven Verwerfungen im Gesundheitssystem zu kämpfen.
Ich sage Ihnen eines: Mittlerweile betrifft meine größte Sorge, wenn es um die Überlastung des Gesundheitssystems geht, nicht die Anzahl der belegten Intensivbetten, nicht die Anzahl der belegten Normalbetten. Am meisten Sorgen macht mir das Personal. Nach zwei Jahren Pandemie – und zuletzt wieder im März, mit deutlich steigenden Fallzahlen und Ausfällen beim Personal – entstehen Situationen in den Spitälern, in den Alten- und Pflegeheimen, in den Behinderteneinrichtungen, die einfach nicht mehr zu bewältigen sind. Die Überlastung des Gesundheitssystems im Umgang mit der Pandemie muss sich in Zukunft auch daran bemessen, wie es dem Personal in diesen Häusern geht und ob die Arbeit dort noch zu bewältigen ist. Das halte ich für absolut notwendig. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)
Zur Impfung vielleicht Folgendes: Natürlich gibt es da unterschiedliche Empfehlungen. Aktuell lautet die Empfehlung zur Impfung: Die über 80-Jährigen mögen sich jetzt auffrischen lassen und nicht bis zum Herbst warten.
Für die über 65-Jährigen gibt es die Empfehlung, sich mit ihrer Hausärztin oder ihrem Hausarzt darüber zu beraten, ob das jetzt oder im Herbst angezeigt ist, aber jedenfalls gibt es auch die Empfehlung der Impfpflichtkommission, der Expertinnen und Experten, eine Auffrischung im Herbst jedenfalls vorzubereiten und den Menschen das auch so zu sagen, weil klar ist: Wir haben jetzt eine gute Immunisierungslage in der Bevölkerung, weil wir im März eine intensive Welle der Ansteckung hatten. Dadurch sind viele Menschen genesen.
Auch die Durchimpfungsrate ist jetzt halbwegs gut, aber sie nimmt bis zum Herbst deutlich ab. Das heißt, die Immunisierungslage nimmt genau zu dem Zeitpunkt Ende August, Anfang September ab, wenn wir damit rechnen müssen, dass eine neue Variante in welcher Form auch immer kommt.
Klar ist: Nein, eine Impfung schützt nicht vor Ansteckung. Nein, eine Impfung schützt nicht davor, vollkommen unbeschadet durch die Pandemie zu kommen, aber sie schützt nachweisbar davor, auf der Intensivstation zu landen, an Long Covid zu erkranken oder schwer zu erkranken. Das ist so. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Wurm: Wer sagt das? – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Das ist inzwischen der Wissensstand der Wissenschaft weltweit. (Abg. Belakowitsch: Es gibt Studien ...!)
Es gibt keine andere Impfung, die in diesem Ausmaß milliardenfach durchgeführt worden ist und deren Wirkung in der Weise, wie ich es jetzt dargelegt habe, erwiesen ist. Das ist Wissenschaft. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.) Diese Wissenschaftserkenntnis muss man bitte einfach einmal zur Kenntnis nehmen. (Abg. Belakowitsch: Sehr unwissenschaftlicher ...!) – Wissen Sie, mit der Wissenschaftlichkeit ist es so, dass inzwischen 98 Prozent der Wissenschafterinnen und Wissenschafter diese von mir hier vertretene Meinung teilen. Die sagen das so, 2 Prozent tun das nicht. (Abg. Belakowitsch: Glauben Sie das wirklich? Das ist, wenn man nur ...! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)
Das erinnert mich in gewisser Weise an die Debatte um den Klimawandel, die Klimaveränderung, da war es genau gleich. (Abg. Fürst: Geh bitte! – Abg. Belakowitsch: Das mit dem Klimawandel ...!) Inzwischen ist es Common Sense: Das ist so, die Auswirkungen sind spürbar. Jetzt treten in der Wissenschaft diejenigen den Rückzug an, die gesagt haben, der Klimawandel findet nicht statt, weil inzwischen milliardenfach in den Kosten dargelegt ist, was das ausmacht. Es ist bei der Pandemie genau dasselbe. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)
Ich würde einfach ersuchen – das ist die Bitte: Ich weiß, es gibt Teile der Bevölkerung, die das komplett ablehnen, aber der überwiegende Teil trägt das mit. Auch der überwiegende Teil des Nationalrates, des Parlaments trägt diese Haltung mit (Abg. Belakowitsch: Aber nicht der Bevölkerung!) – auch der größte Teil der Bevölkerung. Dafür bin ich dankbar. Das ist der Weg, wie wir die Pandemie weiter bewältigen werden. Ich bin sehr dankbar für die weitgehend sachliche und korrekte Diskussion in dieser Frage. – Ich bedanke mich. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)
10.52
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Fürst. – Bitte.