11.28

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Bundesministerinnen und liebe Zuseherinnen und Zuseher, die nach wie vor, auch nach drei solchen Wortmeldungen, wie wir sie vorhin von der FPÖ gehört haben, auf Sendung sind! Ja, manchmal muss man sich Eigenartiges anhören. Wir kommen aber jetzt wieder, so hoffe ich, zu einer sachlichen Debatte zurück, denn die Zukunft der Europäischen Union ist unsere gemeinsame Zukunft.

So hat es auch die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Antrittsrede gesehen. Sie wollte diese Konferenz zur Zukunft Europas sofort am Beginn ihrer Amts­zeit mit der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt rücken, aber wie bei so vielem ist auch da Corona dazwischengekommen. In Wirklichkeit ist die Zu­kunftskonferenz auch ein Opfer der Coronapandemie und natürlich jetzt – vor allem, was die Aufmerksamkeit für die Zukunftskonferenz betrifft – der Invasion von Putin in der Ukraine.

800 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger – einige sind hier und werden auch am 24. Juni hier im Haus sein, um gemeinsam mit Europaabgeordneten, mit Regie­rungsvertretern und mit uns, den Parlamentariern, nochmals den Blick zurück zu ma­chen, was die Zukunftskonferenz betrifft, aber auch nach vorne zu sehen, wie wir diese Ergebnisse auch nationalstaatlich weiterbehandeln können.

Die Konferenz hat dann letztendlich ein Jahr später begonnen, vieles war online. Unser Parlament hat sich intensiv eingebracht. Dafür möchte ich zu Beginn ein Danke an alle Fraktionen sagen. Alle Fraktionen waren mit Unterstützung durch die Demokratiewerk­statt bereit, mit denen, die von der Zukunft Europas am meisten betroffen sind – das sind die jungen Österreicherinnen und Österreicher –, zu arbeiten und mitzudenken.

Es sind aber nicht nur junge Österreicherinnen und Österreicher, wir wollen in Zukunft auch unsere Nachbarn des Westbalkans in der EU sehen. Ich habe mich sehr gefreut, dass Frankreich – konkret unsere Kolleginnen und Kollegen vom Assemblée nationale – bereit waren, einerseits hier in Wien, andererseits aber auch in Paris mit Jugendlichen aus allen Westbalkanstaaten entsprechende Konferenzen zu machen.

Was ist bei dieser Zukunftskonferenz herausgekommen? – Eigentlich viel! Es gibt 49 Vor­schläge, es gibt 200 Maßnahmen – das würde sich eine ernsthafte Weiterarbeit verdie­nen. Die Zukunftskonferenz schlägt nämlich unter anderem vor, das Prinzip der Einstim­migkeit in vielen Politikfeldern abzuschaffen. Das ist ein wesentlicher Schritt, wenn man eine stärkere Europäische Union will, denn wir erleben gerade in der Außenpolitik oft mit, dass ein Staat alles verhindern kann. (Zwischenruf der Abg. Steger.) Zuletzt war es immer wieder Ungarn, es könnte aber auch Malta sein, wer auch immer. Es ist schade, wenn nur ein Staat eine Weiterentwicklung, ein rasches Handeln bremsen oder blockie­ren kann.

Man will von diesem Einstimmigkeitsprinzip abgehen, man will dieses Prinzip nur in we­nigen Bereichen – wie bei der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten oder bei Änderungen der Grundprinzipien der Europäischen Union – beibehalten. (Zwischenruf der Abg. Steger.) Es gibt auch Punkte, bei denen ich skeptisch bin, wie bei der Schuldenaufnahme. In der Ausnahmesituation bei Corona habe ich das eingesehen, aber ich bin sehr skeptisch, dass es in Zukunft leichter möglich sein soll, Schulden zu machen.

Der entscheidende Punkt ist: Was machen wir mit den Ergebnissen der Zukunftskon­ferenz? Wir wissen, dass wir bei den großen Fragen eine stärkere Europäische Union brauchen: Klimawandel, Friedenssicherung, Sicherung der Welternährung – erst ges­tern hat UN-Generalsekretär Guterres sagen müssen, die Zahl der Menschen, die hun­gern, die furchtbar hungern, ist von 130 Millionen auf 270 Millionen angestiegen –, die Migrationskrise und – um zum Schluss auch ein positives Thema zu erwähnen – die Digitalisierung. All das kann nationalstaatlich nicht erledigt werden. Ja, wir brauchen da zweifelsohne eine Weiterentwicklung der Europäischen Union. Um unseren Wohlstand zu sichern, brauchen wir gemeinsame Investitionen in Forschung, in Entwicklung. Zwei­felsohne brauchen wir ein gemeinsames Vorgehen, wollen wir unsere Außengrenzen sichern, wollen wir den Frieden in Europa halten, wollen wir eine an Werten orientierte gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik. Ja, da gibt es vieles, bei dem es einen Mehrwert der EU gibt.

Auf der anderen Seite sage ich auch, die Europäische Union muss sich auf die großen Aufgaben konzentrieren. Ich halte wenig davon, wenn sich die Europäische Union in anderen Bereichen in innerstaatliche Angelegenheiten einmengt. Wovon rede ich? – In der Sozialpolitik (Zwischenruf der Abg. Steger), der Familienpolitik, der Arbeitsmarktpoli­tik sehe ich erhebliche Spaltungspotenziale und die Probleme als größer als den gemein­samen Mehrwert an.

Ich glaube, die Europäische Union funktioniert dann, wenn sie sich auf ihre Grundprin­zipien besinnt. Ein Grundprinzip ist die Subsidiarität und die Eigenverantwortung der Na­tionalstaaten. Das ist kein Widerspruch! In den großen Sachen brauchen wir mehr Euro­pa, in anderen Angelegenheiten spielen nach wie vor wir als nationalstaatliche Parla­mente (Zwischenruf der Abg. Steger), unsere Regierungen eine ganz wesentliche Rolle. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf daher folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Eva-Maria Holzleitner, BSc, Michel Reimon, MBA, Dr. Nikolaus Scherak, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Follow-up zur Konfe­renz zur Zukunft Europas“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, sich im Rahmen des Folgeprozesses zur Zukunfts­konferenz dafür einzusetzen, dass die EU-Institutionen den Vorschlägen der Bürgerin­nen und Bürger rasch durch konkrete Reform- und Gesetzinitiativen nachkommen.

Des Weiteren wird die Bundesregierung ersucht, für den Fall, dass der Folgeprozess zu den Ergebnissen der Zukunftskonferenz in die Einberufung eines europäischen Kon­vents zur Reform der EU münden sollte, eine aktive Rolle in ebendiesem einzunehmen sowie sich im Rahmen etwaiger Verhandlungen zur Ausgestaltung eines Konvents dafür einzusetzen, dass eine Teilnahme aller Fraktionen des österreichischen Parlaments er­möglicht wird“.

*****

So sind wir, echte Demokraten: Alle Fraktionen, auch Freiheitliche, bei all ihrer Kritik, sollen dabei sein. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

11.35

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Eva-Maria Holzleitner, BSc, Michel Reimon, MBA, Dr. Nikolaus Scherak, MA

Kolleginnen und Kollegen

betreffend Follow-up zur Konferenz zur Zukunft Europas

eingebracht im Zuge der Debatte zu Tagesordnungspunkt 2 Bericht des Ständigen Un­terausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union über das Vorhaben im Rah­men der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG betreffend 14996/21 – Conference on the Future of Europe – National best pratices on communication (85342/EU XXVII.GP) (1426 d.B.)

Die von der EU im Mai 2021 initiierte „Konferenz zur Zukunft Europas“, der größte Bür­gerdialog zur Weiterentwicklung der Europäischen Union, fand am 9. Mai 2022 in Straß­burg ihren Abschluss. Die Konferenz bot den Bürgerinnen und Bürgern in der EU in dia­logorientierten Foren die Möglichkeit, ihre Empfehlungen hinsichtlich brennender Zu­kunftsfragen und der Bewältigung interner und externer Herausforderungen der Union zu formulieren und gemeinsam mit den EU-Institutionen, den nationalen Parlamenten sowie Sozialpartnern Ideen zur Weiterentwicklung der EU zu erarbeiten. Im Verlauf der Konferenz fanden zahlreiche Diskussionsveranstaltungen und Austauschformate in al­len 27 EU Mitgliedstaaten, darunter auch in Österreich, statt. Auf der mehrsprachigen digitalen Plattform der Zukunftskonferenz wurden mehr als 16.000 Ideen eingebracht.

Auch den nationalen Parlamenten bot die Konferenz die Möglichkeit, an diesem europa­politischen Reflexionsprozess mitzuwirken. Das österreichische Parlament war mit vier Vertreterinnen und Vertretern in vier von insgesamt neun Arbeitsgruppen der Plenarver­sammlung der Konferenz zu den Themen Klimawandel und Umwelt, Gesundheit, stärke­re Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit und Arbeitsplätze, EU in der Welt, Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit, Digitaler Wandel, Europäische Demokratie, Migration so­wie Bildung, Kultur, Jugend und Sport vertreten. Die 49 konkreten Vorschläge der neun Arbeitsgruppen, erarbeitet auf Grundlage der Anregungen aus den Bürgerforen und der digitalen Plattform, wurden am 30. April 2022 in der Plenarversammlung der Konferenz angenommen und der Endbericht1 am 9. Mai 2022 feierlich den Präsidentinnen und dem Präsidenten der drei EU-Institutionen übergeben.

Im österreichischen Parlament fand ein permanenter Austausch unter allen fünf Parla­mentsfraktionen zum Fortgang der Zukunftskonferenz statt. Alle Fraktionen haben sich u.a. unter Einbindung von und im Austausch mit Schülerinnen und Schülern sowie Lehr­lingen in die Debatte der Zukunftskonferenz eingebracht. So wurden zwischen Okto­ber 2021 und Februar 2022 fünf Veranstaltungen mit Jugendlichen in Kooperation mit der Demokratiewerkstatt des Parlaments zu je einem der neun Themenkreise der Ar­beitsgruppen der Plenarversammlung abgehalten. Jugendliche aus Westbalkanstaaten erhielten in zwei Diskussionsveranstaltungen im österreichischen Nationalrat und in der französischen Assemblée Nationale die Möglichkeit, sich mit österreichischen und fran­zösischen Jugendlichen sowie mit Mitgliedern der jeweiligen EU-Ausschüsse über die Zukunft Europas auszutauschen und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen.

Es ist nun wichtig, dass den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die EU und den von ihnen erarbeiteten Vorschlägen in der Zukunftskonferenz im Rahmen deren Umsetzbarkeit Rechnung getragen wird. Dies bedarf ambitionierter Reformen und kon­kreter Gesetzesinitiativen in wichtigen Politikbereichen der EU. Die Umsetzung der Vor­schläge im Rahmen ihrer Machbarkeit ist nicht nur für die Glaubwürdigkeit der Europäi­schen Union als Ganzes, sondern auch für ihre zukünftige Handlungsfähigkeit vor dem Hintergrund der bestehenden und künftigen länderübergreifenden Herausforderungen ausschlaggebend.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, sich im Rahmen des Folgeprozesses zur Zukunfts­konferenz dafür einzusetzen, dass die EU-Institutionen den Vorschlägen der Bürgerin­nen und Bürger rasch durch konkrete Reform- und Gesetzinitiativen nachkommen.

Des Weiteren wird die Bundesregierung ersucht, für den Fall, dass der Folgeprozess zu den Ergebnissen der Zukunftskonferenz in die Einberufung eines europäischen Kon­vents zur Reform der EU münden sollte, eine aktive Rolle in ebendiesem einzunehmen sowie sich im Rahmen etwaiger Verhandlungen zur Ausgestaltung eines Konvents dafür einzusetzen, dass eine Teilnahme aller Fraktionen des österreichischen Parlaments ermöglicht wird“.

1 https://futureu.europa.eu/pages/reporting

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Eva-Maria Holzleitner. – Bitte.