18.02

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Frau Präsidentin! Frau Justizminis­terin! Wir haben es schon gehört, bei dieser Anpassung des Übereinkommens geht es im Wesentlichen darum, dass im Zusammenhang mit der automatischen Verarbeitung von personenbezogenen Daten sichergestellt wird, dass in Zukunft auch außerhalb der Europäischen Union, in Nicht-EU-Staaten die gleichen Datenschutzstandards wie inner­halb der Europäischen Union gelten. Durch die DSGVO und die damit notwendigen Ver­änderungen braucht es auch eine Anpassung des Übereinkommens.

Ich glaube, dass es essenziell ist, dass wir auch außerhalb der Europäischen Union unsere hohen Datenschutzstandards exportieren, so gut das geht, weil wir in einer um­fassend digitalisierten Welt unsere Freiheits- und Bürgerrechte, wie den Schutz der Pri­vatsphäre, umfassend verteidigen müssen und uns gegen die immer wiederkehrenden massiv überbordenden Überwachungsfantasien von unterschiedlichen Stellen wehren sowie diesen eine ganz klare Absage erteilen müssen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Umso erstaunter lässt es mich zurück, wenn man sich den letzte Woche präsentierten und schon lange diskutierten, sehr umstrittenen Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission anschaut. Die Europäische Kommission schlägt vor, dass es in Zukunft zu einer komplett automatisierten Durchforstung von privater Kommunikation, von jeglicher internetbasierter privater Kommunikation kommen soll, und das durch Messenger- und E-Mail-Anbieter.

Das ist nichts anderes als die umfassende Massenüberwachung von jeglicher Kommuni­kation, von allen Bürgerinnen und Bürgern innerhalb der Europäischen Union, und das ohne irgendeinen konkreten Verdacht. Es sollen alle Bürgerinnen und Bürger vorsorglich unter Generalverdacht gestellt werden, die gesamte private Kommunikation soll präven­tiv durchsucht werden.

Damit noch nicht genug soll das nicht einmal von Strafverfolgungsbehörden oder Er­mittlungsbehörden, sondern von privaten Messenger- und E-Mail-Anbietern, nämlich ge­nau denjenigen, über die Sie dann kommunizieren, gemacht werden. Es soll zwar ein EU-Zentrum geben, das mithilft und diese privaten Unternehmen unterstützt, aber Fakt ist, dass die Strafverfolgung damit privatisiert werden soll.

Jetzt bin ich als Liberaler an und für sich ein großer Freund von Privatisierungen, aber was ich absurd finde – das ist eine Tendenz, die wir leider Gottes auch in Österreich sehen –, ist, dass wir im Zusammenhang mit Strafverfolgung privatisieren. Strafverfol­gung ist eine der ureigensten Aufgaben eines Staates, und dort darf es auf gar keinen Fall zu einer Auslagerung zu privaten Unternehmen kommen. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.)

Die Europäische Kommission setzt – entgegen der Notwendigkeit von hohen Daten­schutzstandards und entgegen der Notwendigkeit des Schutzes von privater Kommuni­kation und von Privatsphäre von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern – offensicht­lich auf anlasslose Massenüberwachung durch eine vollautomatisierte Echtzeitchatkon­trolle und damit auch auf die Abschaffung des digitalen Briefgeheimnisses.

Diese Idee ist so haarsträubend verrückt, dass ich mich eigentlich frage, wem so etwas einfällt. Selbstverständlich sind sowohl die Europäische Union als auch die Mitgliedstaa­ten dazu verpflichtet, gegen Straftaten im Internet vorzugehen, insbesondere dann, wenn es sich um sexualisierte Gewalt, und insbesondere, wenn es sich um Kinderporno­grafie handelt, aber was wir dazu brauchen, sind zielgerichtete Maßnahmen gegen die­jenigen, die solche widerlichen Verbrechen begehen, ist eine bessere Ausstattung von Ermittlungsbehörden – und keine anlasslose Massenüberwachung von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern.

Deswegen bringe ich abschließend noch einen Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Nein zur Massenüberwachung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Justiz und der Bundes­minister für Inneres, wird aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für das Zustande­kommen einer grundrechtskonformen Lösung für die geplante EU-Verordnung zur Chat­kontrolle unter Achtung des Rechtes auf Privat- und Familienleben sowie der Wahrung des Rechtes auf Datenschutzes einzusetzen.“

*****

Ich erachte es als essenziell, dass wir diesen überbordenden Überwachungsfantasien einen Riegel vorschieben und ganz klar sagen, dass wir den Straftätern bei konkretem Verdacht natürlich nachgehen müssen, aber auf gar keinen Fall alle Bürgerinnen und Bürger innerhalb der Europäischen Union unter Generalverdacht stellen dürfen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

18.07

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Nein zur Massenüberwachung

eingebracht im Zuge der Debatte in der 158. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (1427 d.B.): Protokoll zur Änderung des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten (1427 d.B.) – TOP 13

Überwachungsmaßnahmen jeder Art, die in die Privatsphäre der Bürger_innen ein­greifen, sind auf Grund ihrer Eingriffsintensität mit großem Bedacht anzuordnen. Ge­nerell dürfen Eingriffe in die private Kommunikation von Personen nur auf der Grundlage eines individuellen Verdachts vorgenommen werden. Nichtsdestotrotz präsentierte die EU-Kommission am 11. Mai 2022 eine sehr umstrittene Maßnahme: Die flächende­ckende, automatisierte, präventive Analyse jeglicher privater Kommunikation und ebnet damit der Totalüberwachung den Weg. Ein spezifischer Verdacht ist laut diesem Entwurf für die Durchforstung privater Konversationen im digitalen Raum nicht mehr notwendig. Stattdessen stehen alle Nutzer_innen zukünftig unter Generalverdacht (DerStandard, 11.05.2022).

Ab sofort sollen Messenger- und Email-Anbieter dazu verpflichtet werden, suspekte In­halte, die über ihre Dienste verbreitet werden, zu erkennen, zu melden und zu entfernen (Europäische Kommission, 11.05.2022). Um dies umzusetzen ist eine anlasslose Mas­senüberwachung durch eine vollautomatisierte Echtzeit-Chatkontrolle und damit die Ab­schaffung des digitalen Briefgeheimnisses notwendig, was sowohl der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als auch den Grundrechten aller EU-Bürger_innen auf Achtung der Privatsphäre, auf Datenschutz und auf freie Meinungsäußerung wider­spricht (Prof. Dr. Ninon Colneric, 2021). Unterstützt sollen private Dienstleistungsanbie­ter in der Umsetzung dieser neuen Verpflichtungen zukünftig von einem eigens dafür geschaffenen, unabhängigen EU-Zentrum werden. Dieses EU-Zentrum soll als Binde­glied zwischen privaten Online-Diensten und staatlichen Behörden fungieren, fehlerhafte Berichte der privaten Online-Dienste identifizieren und verhindern, dass diese die Straf­verfolgungsbehörden erreichen, und relevante Berichte rasch an Strafverfolgungsbehör­den weiterleiten (Europäische Kommission, 11.05.2022).

Die Erstverantwortung Straftäter im digitalen Raum zu identifizieren, wird damit auf pri­vate Anbieter übertragen. Die Zweitverantwortung soll bei einem EU-Zentrum liegen und erst in einem dritten Schritt kommt der Staat ins Spiel. Dabei gehört die Ermittlung von Straftaten in einem Rechtsstaat aber in die Hände unabhängiger Beamt_innen und unter gerichtliche Aufsicht. Damit wird die Verantwortung des Staates auf private Konzerne, die überhaupt nicht darauf ausgelegt sind Straftaten aufzuklären, abgewälzt.

Natürlich ist der Staat dringend aufgefordert gegen Straftaten im Internet, insbesondere sexualisierte Gewalt und Kinderpornographie, vorzugehen. Dazu braucht es jedoch ziel­gerichtete Maßnahmen gegen Straftäter.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Justiz und der Bundesmi­nister für Inneres, wird aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für das Zustandekom­men einer grundrechtskonformen Lösung für die geplante EU-Verordnung zur Chat­kontrolle unter Achtung des Rechtes auf Privat- und Familienleben sowie der Wahrung des Rechtes auf Datenschutzes einzusetzen."

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, ord­nungsgemäß eingebracht, steht daher auch mit in Verhandlung.

Zu Wort ist jetzt dazu niemand mehr gemeldet. Damit ist diese Debatte geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Die Abstimmung verlege ich an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Justizausschusses.