11.36

Abgeordneter Hermann Gahr (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesminis­ter! Geschätzte Besucherinnen und Besucher auf der Galerie und vor den Fernsehschir­men! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! „Zum Frieden in Europa“: Ja, wir begehen heute eine Europastunde zur friedlichen „Konfliktlösung am Beispiel Südtirols – 30 Jahre Streitbeilegung, 50 Jahre Zweites Autonomiestatut“. Südtirol ist in diesem Par­lament mit dem Südtirolunterausschuss verankert, in dem wir auf Basis des Autonomie­berichtes Südtirolthemen diskutieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, gerade in dieser Zeit ist Frieden nicht selbstverständ­lich. Wir erleben das ja derzeit auch auf europäischem Boden, und die Bilder, die wir täglich sehen, machen uns sprachlos und betroffen.

In der Europäischen Union leben aktuell 447 Millionen Menschen und davon leben 10 Pro­zent, also in etwa 45 Millionen, als Minderheit in einem anderen Land. Minderheiten in Europa: Europa ist ein Kontinent mit Minderheiten, und darauf zielen auch die Werte, die in der Europäischen Union verankert sind und die die Europäische Union uns vorgibt, ganz klar ab. Das sind Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte – einschließlich der Rechte für Personen, die Minderheiten angehören.

Am Beispiel Südtirols – und es sei mir ein Blick in die Geschichte erlaubt, er soll der Zukunft dienen – soll man aufzeigen, wie es mit Minderheiten in Europa zu gestalten ist. Am 10.9.1919 wurde Südtirol abgetrennt, im Friedensvertrag von Saint-Germain wurde Tirol geteilt und am Brenner wurde eine Unrechtsgrenze eingezogen. (Beifall des Abg. Wurm.) Südtirol war 500 Jahre bei Österreich und ist nunmehr 100 Jahre abgetrennt, und es gibt natürlich Herausforderungen für das Land Südtirol.

Im Jahre 1922 wurde Mussolini in Südtirol aktiv, er wollte aus Südtirolern gewaltsam Italiener machen, und das hat natürlich zu Konflikten geführt. Es wurde der Name Tirol abgeschafft, deutsche Schulen wurden verboten, Familiennamen und Ortsnamen ange­passt. Die Südtiroler wurden zu einer Minderheit in Italien. Es gab natürlich laufend Kon­flikte, und im Jahre 1939 gab es die sogenannte Option, bei der sich die Südtiroler ent­scheiden konnten, dazubleiben oder wegzuziehen, was mit dem Zweiten Weltkrieg wei­teres Leid für Südtirol brachte. Südtirol blieb trotz Bemühungen auch nach dem Zweiten Weltkrieg bei Italien.

Im Jahre 1946 wurde das sogenannte Gruber-De-Gasperi-Abkommen abgeschlossen. Es war als Grundlage für eine Schutzfunktion gedacht, jedoch wurden die viel gepriese­ne Autonomie und die Minderheitenrechte nicht ernst genommen. So ging es mit dem Krisenherd Südtirol weiter, im Jahre 1957 fand eine Großkundgebung – „Los von Tri­ent“ – statt. Im Jahre 1960 war es Bruno Kreisky, der das Südtirolthema vor die UNO brachte und somit in ein internationales Schaufenster stellte. Jedoch wuchs der Unmut, und dieser gipfelte im Jahre 1961 in der sogenannten Feuernacht mit Bombenanschlä­gen in ganz Südtirol, um die Weltöffentlichkeit auf die Unterdrückung aufmerksam zu machen.

Es gab dann Prozesse. Im Jahre 1972 trat das Zweite Autonomiestatut – welches ja An­lass für diese heutige Aktuelle Europastunde ist – in Kraft. Gewisse Privilegien für die italienische Sprachgruppe fielen, es gab eine Selbstverwaltung für Südtirol, und diese musste weiter ausgebaut werden, um die Minderheitenkonflikte in den Griff zu bekom­men.

Der endgültige Durchbruch gelang jedoch erst im Jahre 1992: Heuer sind es 30 Jahre Streitbeilegung zwischen Österreich und Italien vor der UNO. Dem damaligen Außenmi­nister ist es mit tatkräftiger Unterstützung des Parlaments gelungen, diesen Streit beizu­legen. 1995 folgte der EU-Beitritt Österreichs, und mit 1.4.1998 sind die Grenzbalken gefallen.

Es hat sich also für Südtirol vieles verbessert, sehr geehrte Damen und Herren. Wir sollten aber trotz positiver Entwicklungen nicht nur jubeln, sondern wir müssen auch vo­rausdenken: Wir müssen weiter gemeinsam an der Autonomie Südtirols arbeiten, diese ausbauen und optimieren. Es ist ein laufender Prozess, und wir brauchen dazu auch laufende politische Aktivitäten.

Es ist aktuell wohl so, dass Autonomierechte durch Rechtsprechung, durch Zentralisie­rung, durch europäische Gesetzesvorgaben verloren gegangen sind. Aktuell ist es der Wunsch in Südtirol – und den sollten wir hier im österreichischen Parlament und im Un­terausschuss auch ernst nehmen –, Autonomierechte wieder zurück zu erkämpfen und gewisse Dinge anpassen zu können. Da geht es um die moderne Selbstverwaltung – es hat eine Finanzregelung gegeben –, aber auch um wirtschaftliche Spielräume.

Die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino ist für Südtirol und für uns eine Chance. Mit dem Brennerbasistunnel möchten wir auch im Verkehrsbereich Akzente setzen. Es gibt viele, viele Spezialanliegen zum Thema Südtirol, die natürlich denjenigen unter Ihnen, die Mit­glieder des Südtirolunterausschusses sind, bekannt sind, wie die faschistischen Relikte und die Toponomastik.

Ich möchte aber die heutige Aktuelle Europastunde auch dafür nutzen, dem italienischen Präsidenten Mattarella für die Begnadigung des Freiheitskämpfers Heinrich Oberleitner Danke zu sagen. Mein Wunsch wäre es aber, dass auch die weiteren Freiheitskämpfer begnadigt werden.

Mein Dank gilt auch jenen Menschen, die bereit sind, sich für Südtirol einzusetzen: den Vereinen – Schützenvereinen, Musikvereinen, Kulturvereinen –, den Gemeinden, die Gemeindepartnerschaften mit Südtirol pflegen, und allen Pionieren und Patrioten. Ein besonderer Dank gilt auch allen Südtirolvereinen, die – man möchte das vielleicht gar nicht glauben – in ganz Österreich aktiv sind – in Tirol, in Graz, in Linz, überall –, das Thema Südtirol in den Mittelpunkt stellen und so die Bindung zur Heimat aufrechterhal­ten. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie des Abg. Stefan.)

Die Südtiroler Autonomie ist für uns in diesem Parlament eine Verpflichtung, und wir wollen dieser Verpflichtung nachkommen. Die Südtiroler Autonomie ist auch ein Thema für Europa. Arno Kompatscher hat kürzlich die Aussage getätigt: Südtirol ist „ein kleines Europa in Europa“. – Südtirol ist ein funktionierendes europäisches Modell auf kleiner Ebene, und so, glaube ich, sollten wir, neben allen anderen Aktivitäten, diese Europare­gion gemeinsam aufbauen.

Minderheitenkonflikte zu lösen braucht täglichen Einsatz, braucht Einsicht, Verständnis und Weitblick. Wie der Südtirolkonflikt gelöst wurde, ist keine Selbstverständlichkeit, und vielleicht können wir uns ja gerade in dieser Zeit ein Beispiel an Südtirol nehmen. Wenn wir auf die Kriegsschauplätze, die Krisenherde und die Menschenrechtsverletzungen blicken, die aktuell durch die Kriegswirren ausgelöst werden, so glaube ich, brauchen wir den Blick auf den Frieden.

Frieden wird es nur geben, wenn es gelingt, Konflikte zu lösen. Wir danken vor allem jenen Menschen, die einen Beitrag dazu geleistet haben, diese Streitbeilegung möglich zu machen. Wir danken allen, auch den politischen Repräsentanten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Südtirol geht es gut, Südtirol muss aber auch in Zu­kunft von uns begleitet werden. Österreich wird Südtirol in seiner Funktion als Schutz­macht auch in Zukunft beistehen, Südtirol kann sich auf uns verlassen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie des Abg. Brandstätter.)

11.44

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist nun Frau Bundesminister Edtstadler. – Bitte sehr.