22.12

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen und alle Menschen, die uns noch zusehen und zuhören! Ich möchte wie Kollegin El-Nagashi mit dem gestrigen Auftritt von Ruslan Stefantschuk beginnen und ihn auch zitieren – denn aus irgendeinem Grund waren Kolleginnen und Kollegen von der FPÖ nicht da: damit Sie auch wissen, was er gesagt hat. Er hat nämlich etwas ganz Wesentliches gesagt. Er hat gesagt: „Das Böse, das in die Ukraine gekommen ist, muss bestraft werden“, und zwar mit den Mitteln des Rechtsstaats. Er hat dazugesagt, dass auch ganz wichtig ist, dass sich das eine UNO-Untersuchungskommission und natürlich auch der Internationale Strafgerichtshof ansehen. Er hat noch einen sehr eindrucksvollen Satz gesagt – sollten Sie auch wis­sen –, er hat gesagt: „Gerechtigkeit ist genauso wichtig wie der Sieg“.

Wenn das der Parlamentspräsident eines demokratischen Staates sagt und dieser Staat gerade von einem Kriegsdiktator angegriffen wird, dann müssen wir schon wissen, auf welcher Seite wir stehen, und dann müssen wir schon wissen, wo die Kriegsverbrechen gerade stattfinden. 15 000 Fälle sind bereits gemeldet. Die Ukraine hat auch bereits Strafverfahren eröffnet. Es wurden bereits zwei Russen verurteilt, und zwar nicht standgerichtlich, sondern in einem ordentlichen Gerichtsverfahren, während umgekehrt, wie wir wissen, die Russen ja Kämpfer festgenommen und gesagt haben: Die erschießen wir jetzt! – Auch da sehen wir zwei völlig unterschiedliche Systeme.

Damit wir das auch historisch ein bisschen einordnen: Putin sieht sich ja in der Tradition Peters des Großen und hat Peter den Großen offenbar nur als Kriegsherrn verstanden, der halt in der Ostsee gewusst hat, wie er sein Reich ausweitet. Er folgt aber offenbar einer ganz anderen Tradition, nämlich der Tradition Stalins. Wir wissen ja, Peter der Große war Kriegsherr, aber er hat auch Reformen gemacht. Wir wissen aber auch, wie viele Menschen Stalin umgebracht hat.

Ich kann Ihnen nur sagen: Lesen Sie dieses Buch! (das Buch „Bloodlands – Europa zwischen Hitler und Stalin“ von Timothy Snyder in die Höhe haltend), und ich sage dazu: Lesen Sie es langsam und immer wieder nur kleine Kapitel!, weil es nämlich zu Tränen rührt und so unfassbar ist. Es hat etwas damit zu tun, und zwar mit Verbrechen jenseits von Kriegen. Das, was Timothy Snyder in „Bloodlands“ beschreibt, ist der Zeitraum 1932 bis 1945, und zwar ungefähr im Gebiet von Polen, Belarus, Ukraine bis nach Russland. Da gab es eben zwei Diktaturen, die die Menschen beherrscht haben.

Viele in Österreich haben Gott sei Dank inzwischen auch vom Holocaust gehört und ungefähr begriffen, worum es da gegangen ist: eben um den Versuch, industriell alle Jüdinnen und Juden weltweit zu ermorden. Das war jedenfalls das Vorhaben Hitlers. Das Vorhaben Stalins war es aber gleichzeitig, die Menschen in der Ukraine umzu­bringen, indem er einfach die Bauern vertrieben hat. Er hat damit ja nicht nur die Menschen umgebracht, weit über vier Millionen Menschen, sondern er hat auch die Landwirtschaft dort zerstört. Dadurch ist es zu diesem Holodomor, dieser Hungersnot und diesem Mord durch Hunger, gekommen.

Kollegin Kugler hat völlig richtig von den Generationen gesprochen, davon, wie diese Verbrechen weitergegeben werden. Das ist ja dieses Trauma. Präsident Stefantschuk hat es auch angesprochen: das Trauma dieses Landes, das schon wieder ausgelöscht werden soll, so wie es damals hätte ausgelöscht werden sollen, und zwar nicht nur das Land, sondern eben auch die Menschen – auch darum geht es.

Hören Sie den Freunden des Putin zu! Da gibt es einen gewissen Dmitri Rogosin – er ist interessanterweise Chef der russischen Raumfahrt, vorher war er im Privatberuf Nazi –, der jetzt in einem Interview gesagt hat, und zwar ganz deutlich: Wir müssen die Ukraine vernichten. Wir können das nicht so machen wie unsere Großväter, die es leider nicht getan haben, sondern jetzt müssen wir sie vernichten. – Das sagen die Freunde Putins.

Und der hat das alles vorbereitet. Auch dessen müssen wir uns immer wieder gewärtig sein: Es ist ja jetzt am 24. Februar nicht plötzlich ein Krieg ausgebrochen. Seit den 2010er-Jahren werden ganz bewusst Bücher über Stalin hergestellt und verbreitet, zum Teil auch mit schrecklicher Aufmachung, und da wird dieser historische Verbrecher in den Himmel gehoben und es wird beschrieben, wie großartig er nicht war. Daran schließt Putin an.

Das ist, glaube ich, das Wesentliche, was wir hier verstehen müssen, und der Grund, warum der Internationale Strafgerichtshof so wichtig ist, warum es so wichtig ist, dass auch österreichische Behörden mit den Vertriebenen, die hier bei uns ankommen, Gespräche führen, damit sie erfahren, was es an Kriegsverbrechen gegeben hat, was es an Kriegsverbrechen gibt, und warum wir selbstverständlich mithelfen, diese zu verfolgen. Da werden 100 000 Euro nicht reichen, da werden wir sehr viel mehr machen müssen. Es ist, glaube ich, sehr entscheidend, dass das die Menschen verstehen.

Ich muss Ihnen das wirklich auch zu dieser späten Stunde sagen, weil es mich so bewegt. Ich habe mir immer gedacht: Irgendwann lernen die Menschen vielleicht. Wenn man aber hier lebt und liest, wie Menschen konsequent umgebracht wurden und das auf einmal im Jahr 2022 wieder passiert, und nicht nur in der Ukraine, wie wir wissen, sondern das gibt es ja auch – Henni ist Spezialistin für Afrika – in anderen Teilen der Welt, und das immer wieder passiert und immer wieder auftaucht, dann muss man sagen, das ist einfach entsetzlich. Es ist unsere Aufgabe, dagegen aufzutreten!

Ein letzter Satz: Wenn wir wollen, dass sich die Menschenrechte, von denen wir hier so viel sprechen, gerade in der Ukraine durchsetzen, wenn wir wollen, dass sich der Rechtsstaat durchsetzt, dann wird es nur eine Möglichkeit dafür geben, nämlich dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Wenn sie das nämlich nicht tut, wird sich das alles nicht durchsetzen, dann wird es auch keine Verfahren geben. Dann wird es einen Kriegsherrn und Kriegsdiktator geben, der uns noch näher rücken wird, als er es bereits getan hat; also bitte da auch keine Illusionen! – Danke schön. Schönen Abend! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

22.18

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Schallenberg. – Bitte sehr.