9.44

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Herr Präsident! Hohes Haus! Budgetdebatte beinhaltet ja das Wort Debatte, und ich werde versuchen, schon bei dem einen oder anderen Punkt auch auf Debattenbeiträge einzugehen, aber erlauben Sie mir eine Vorbe­merkung: In der Generaldebatte hat ja einer der längst gedienten Abgeord­neten in diesem Haus, der Budgetsprecher der SPÖ-Fraktion Jan Krainer, gesagt, „es ist nicht alles schlecht an diesem Budget [...], es sind manche Sachen sogar sehr gut“. – Ich würde für mich in Anspruch nehmen, dass auch Teile, die in meinen Budgets beheimatet sind, durchaus sehr gut sind. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Mir und uns allen ist klar, da besteht ja Einigkeit, dass wir diese Budgetdebatte unter besonderen Voraussetzungen, unter besonderen Rahmenbedingungen führen. Die multiplen Krisenlagen sind schon aufgezählt worden, und es hat sich wohl niemand vorstellen können, dass wir heuer, jetzt, im Herbst dieses Jahres vor so einer Situation stehen. Die Teuerung, der Krieg in der Ukraine, Fragen wie: Wie gestalten wir die Energieversorgung? Wie schaffen wir es, dass die Menschen in unserem Land sich nicht entscheiden müssen, ob sie den Einkauf, die Miete oder die Stromrechnung bezahlen?, all das ist nicht ein österreichi­sches Phänomen, sondern ein europäisches. Es ist eine Gesamtsituation, die wir haben, in der alle europäischen Staaten, so auch Österreich, enorm viel Mittel aus den Bundeshaushalten aufgewendet haben, um die Einschläge dieser multi­plen Krisen auch nur einigermaßen abzufedern.

Die österreichische Bundesregierung hat in dieser Frage enorm viel Geld in die Hand genommen, und ich möchte das einfach nicht kleingeredet haben, sondern auch als solches darstellen – als das, was es ist: Ja, es ist eine Sofort­hilfe, und ja, es wird weitere Maßnahmen brauchen. Wir sind aber auch in die Struktur hineingegangen: Die Valorisierung aller Familien- und Sozial­leistungen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist über Jahrzehnte verlangt und verhandelt worden. Sie ist ab 1. Jänner Wirklichkeit. Das hilft ganz konkret ganz vielen Familien und Einzelpersonen in diesem Land. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir haben mit den Maßnahmen, die wir gesetzt haben – Teuerungs-Entlastungs­paket I, II und III –, schon heuer im Frühjahr begonnen. Mit der doppelten Familienbeihilfe, die ausbezahlt worden ist, den Schulstartpaketen, die ausbe­zahlt worden sind, bis zur Strompreisbremse mit 500 Euro jetzt dann im Dezember haben wir ganz konkrete Maßnahmen gesetzt, die budgetär in den Haushalten wirksam werden. Ich verwehre mich neuerlich dagegen, dass das kleingeredet wird. Das ist für die Menschen mit geringen Einkommen wirklich viel Geld. Eine durchschnittliche Pensionistin, ein durchschnittlicher Pensionist bekommt 1 400 Euro, eine Alleinerzieher:in mit zwei Kindern 2 400 Euro – das ist für diese Menschen viel Geld, das sie dringend brauchen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es ist mir wichtig, an dieser Stelle auch eines zu betonen: Es wurde ja oft und von mancher Seite der österreichische Sozialstaat immer wieder kritisiert und gesagt, es ist ein System der Hängematte, in dem man sich breitmachen kann und in dem die Anreize fehlen, arbeiten zu gehen. – Der österreichische Sozial­staat in seiner Ausgestaltung und Grundkonzeption ist eine Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte, und die hat uns geholfen und hilft uns in der jetzigen Situation, gut durch diese Krise zu kommen. (Beifall des Abg. Stöger.) Jetzt kann man schon sagen, man muss an der einen oder anderen Schraube drehen und es gibt Verbesserungsmöglichkeiten, aber die Errungenschaft dieses österreichi­schen Sozialstaatmodells ist eine Errungenschaft der Sozialpartnerschaft der vergangenen Jahrzehnte und baut auf einem Grundkonsens in dieser Republik auf, nämlich: niemandem, der unverschuldet in Not geraten ist, hängen zu lassen. Diesen Grundsatz beizubehalten und ihn krisenfest zu machen, das ist jedenfalls meine Absicht. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Das Sozialbudget wächst insgesamt deutlich. Jetzt komme ich zu Kollegen Loacker, der schon in gewisser Weise recht hat, wenn er sagt: Na ja, wir reden da über 20 Millionen Euro, dort über 100, da über 200 Millionen Euro, und die großen Milliardenbeträge, die gehen so en passant hinein! – Weil mich das schon beschäftigt: Das ist natürlich nicht der Fall; und Sie waren in Ihren Ausführungen zur Pensionserhöhung schon differenzierter. Sie haben bei der Pensionserhöhungsdebatte gesagt, es hätte ja auch viel schlimmer kommen können. Ich habe mich sehr bemüht, eine Ausgewogenheit bei der Pensions­erhöhung zustande zu bekommen, nämlich genau das: auf die aktuelle Situation Rücksicht zu nehmen. Ja, die ist besonders, die Inflation ist hoch, und das ist ja auch der Grund, warum wir diesen Durchrechnungsprozentsatz von 5,8 Prozent bei bestimmten Gruppen angehoben, abgefedert haben und mit einer Einmal­zahlung im nächsten März genau diese Gruppen entlasten; das ist in gewisser Weise ein Vorziehen der Inflationsabgeltung.

Was stimmt? – Es ist ein kluges System. Das System der Durchrechnung der Inflation übers Jahr ist klug, und es ist im Gesetz nicht umsonst so verankert. In der Tendenz sollten wir dahin kommen, uns daran zu halten. Das ist richtig. Das geht sich halt in besonderen ökonomischen Situationen nicht in dieser – wie soll ich sagen? – Durchgängigkeit aus. Wir bemühen uns aber, sozusagen alles im Auge zu behalten: die Absicherung der Menschen im Alter, insbesondere jener, die geringe Einkommen, geringe Versicherungszeiten haben – ja! –, Versiche­rungsprinzip durchhalten – ja! – und dann halt auch die Bedachtnahme auf beson­dere ökonomische Situationen – ja!

Ich glaube, dass wir alle gemeinsam gefordert sein werden, daran auch zu arbeiten und – Sie haben recht – beispielsweise die Übergänge vom Erwerbsleben in die Pension anders und besser zu gestalten. Wir sind da nicht gut in Österreich. Es gibt eine Methodik, sehr abrupt in den Ruhestand einzutreten. Damit geht Wissen verloren, damit gehen Arbeitskräfte verloren, die wir jetzt dringend brauchen. Da kann es neue Modelle geben, finde ich, Wissensmanagement und Übergänge besser zu gestalten. Es wird eine gemeinsame Aufgabe sein, daran zu arbeiten. Dafür bin ich jedenfalls offen und zu haben. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Pflegereform: Kollege Abgeordneter Kucher hat eine ziemliche General­ab­rechnung bezüglich dieser Pflegereform vorgenommen. Jetzt kann man sagen, das ist ungerecht, aber das ist keine politische Kategorie. Es ist aber falsch, denn in einem ersten Schritt 1 Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen und ins System hineinzugeben, war deshalb bitter notwendig, weil alle seit Jahren darauf gewartet haben. Dieses Signal ist auch angekommen. Es wird die erste Auszah­lung heuer im Dezember geben, und die Bundesländer haben sich darauf verständigt – eh in einem Kraftakt –, weitgehend – weitgehend! – denselben Betrag zum selben Zeitpunkt an dieselben Berufsgruppen auszubezahlen. Das halte ich für wichtig. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Das ist ja auch der Komplexität des Systems geschuldet: Es sind die Länder in der Zuständigkeit, es gibt eine Reihe von Trägern mit unterschiedlichsten kollektivvertraglichen Ausgestaltungen in diesem Bereich. Es wird also darum gehen, das im nächsten Jahr in die Kollektivverträge überzuführen, denn selbstverständlich soll es nicht bei einer Einmalzahlung bleiben und selbstver­ständlich sollen das monatliche Auszahlungen werden. Das wird gemein­sam mit den Bundesländern besprochen und verhandelt. Die sind da auch sehr konstruktiv und bemüht, da sie ja auch in einem gewissen Wettbewerb zueinan­der stehen, wenn es darum geht, Pflegekräfte zu bekommen.

Ein Punkt, den ich noch erwähnen möchte, der mir besonders wichtig ist, sind die psychotherapeutischen Hilfen und die psychologischen Hilfen für Kinder und Jugendliche. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder und Jugendliche nicht nur unter der Pandemie, sondern unter diesen Krisenlagen besonders leiden. Das macht etwas mit Kindern und Jugendlichen. Der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise, die sich zuspitzt, die Teuerungen und die Frage der Energiever­sor­gung: Alles das sind natürlich Schwierigkeiten, die evident sind. Das Projekt Gesund aus der Krise, in dem Kinder und Jugendliche über Schulen sehr, sehr rasch, ohne große Wartezeiten sehr niederschwellig psychologische oder psychothera­peutische Hilfe bekommen, ist ein Erfolgsmodell. Dessen Budget stocken wir im nächsten Jahr auf 20 Millionen Euro auf. Damit können weitere 11 000 Kinder und Jugendliche davon profitieren. Ich halte das für wichtig. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Nächster Punkt: Natürlich sind für das Begleichen der Kosten des Alltags für die Menschen in diesem Land im Wesentlichen drei Faktoren ausschlaggebend: Jeder muss wohnen – logisch, das ist ein Grundbedürfnis, ein Grundanrecht –, heizen – man braucht Energie – und muss für die Lebenshaltungskosten, also den täglichen Einkauf, aufkommen. Jetzt wissen wir, dass im Bereich des Wohnens und im Bereich der Energie die Schwierigkeiten besonders groß sind. Deshalb gibt es von meinem Haus den Wohnschirm, den wir um einen Energieschirm ausweiten. Da passieren zwei Dinge: Es werden damit ganz konkret Delogierungen verhindert, also das Rausschmeißen von Men­schen aus der Wohnung, weil sie die Miete nicht bezahlen können, indem der Miet­rückstand übernommen wird und die Wohnung so gesichert wird. Das ist nicht nur sozial, nicht nur menschlich eine wichtige Geschichte, sondern auch ökonomisch. Es macht überhaupt keinen Sinn, Menschen zu delo­gieren und dann über die Sozialhilfesysteme neue Wohnungen akquirieren zu müssen. Dasselbe trifft für die Energieversorgung zu. Es muss einfach gewährleistet sein, dass niemandem in diesem Land aufgrund ökonomischer Notsituationen im Winter der Strom abgestellt wird. Das ist damit sicher­gestellt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Letzter Punkt: Ich bedanke mich durchaus für die konstruktiven Debatten in den Unterausschüssen, wo auch immer wieder eine ganze Reihe von Vorschlägen und Denkanstößen kommen. Ich halte die Kooperation, das gemeinsame Verständnis in diesen sozialen Fragen in diesem Land für durchaus gut und tragfähig. Letztlich wird es darum gehen, nicht nur den heurigen Winter, sondern auch das kommende Jahr und die kommenden Jahre gut zu bewältigen. Die Herausforderungen, die da auf uns zukommen, werden beträchtlich sein.

Es ist mir daher bei allen unterschiedlichen Zugängen, die wir politisch haben, bei allen Differenzen, die in einer Budgetdebatte auch ausgetragen werden, schon auch ein Anliegen, am Ende für etwas zu appellieren, nämlich ein Mindestmaß an Zusammenhalt und Gemeinsinn. Das beziehe ich sowohl auf die europäische Ebene wie auch auf die österreichische Ebene. Ohne dieses Mindestmaß an Konsens, ohne dieses Mindestmaß zu versuchen, werden wir es nicht schaffen, die grundlegenden Fragen der Existenzabsicherung und der Krisenbewältigung zu beantworten. Das meine ich durchaus ernst und politisch appellativ. Ich werde versuchen, meinen Beitrag auch im konkreten und kooperativen Aus­tausch mit Ihnen als Abgeordneten zu leisten. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

9.56

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Grebien. – Bitte sehr.