14.57

Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Ich war ein bisschen überrascht, dass sie schon vor den anderen Abgeordne­ten gesprochen haben. Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte Ihnen heu­te die Geschichte von Sidonie Adlersburg in Erinnerung rufen. Sidonie wuchs als Pflegekind bei den Pflegeeltern Johann und Josefa Breirather in Let­ten, in der Gemeinde Sierning nahe Steyr, gemeinsam mit dem leiblichen Sohn der Breirathers, mit Manfred, auf.

Schon vor 1938 hat Sidonie Rassismus erfahren und erlebt, weil ihre Eltern, ihre leiblichen Eltern Roma und Romnja gewesen sind. Das führte auch dazu, dass sie später von den NS-Schergen verfolgt worden ist. Sie wurde 1943 gegen den massiven Widerstand ihrer Pflegefamilie zu ihrer leiblichen Mutter ge­bracht und später nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie noch 1943 ver­storben ist. Sidonie Adlersburg wurde nur zehn Jahre alt.

Erich Hackl hat ihre Geschichte aufgearbeitet, recherchiert, und ich kann dieses Buch wirklich nur sehr empfehlen. Es wurde auch verfilmt. Auch dazu eine Empfehlung, sich diese Geschichte näher anzusehen.

Sidonie war eine von circa 11 000 Roma, Romnja, Sinti und Sintizze, die während des Nationalsozialismus in Österreich verfolgt und letztlich auch ermordet worden sind. Insgesamt ist der NS-Rassenideologie in Europa etwa eine halbe Million Menschen dieser Bevölkerungsgruppe zum Opfer gefallen. Dennoch hat es sehr, sehr lange gedauert, bis man in der Erinnerungskul­tur auch diese Opfergruppe entsprechend berücksichtigt hat. Sie haben da lange keine Rolle gespielt, wurden nicht berücksichtigt. Überlebende haben nach der Befreiung teilweise keine Möglichkeit gehabt, als Opfer des Nationalsozialis­mus anerkannt zu werden, haben oft nur geringe oder gar keine Entschädi­gungszahlungen für ihren Besitz erhalten.

Ja, und der Rassismus gegen diese Gruppe hat sich auch nach 1945 verfestigt und fortgesetzt. Es hat für diese Gruppe lange nicht die Möglichkeit ge­geben, Besitz zu erwerben. Kindern wurde der Zugang zur Bildung verwehrt. 70 Jahre hat es gedauert, bis das Europäische Parlament einen Beschluss gefasst hat, der die Verfolgung und Ermordung der Roma, Romnja, Sinti und Sintizze tatsächlich anerkannt hat. Entsprechend ist jetzt der 2. August ein Gedenktag für diese Gruppe, an den Genozid an den Roma, Romnja und Sinti und Sintizze.

Jetzt sind wir am Zug. Jetzt beschließen wir gemeinsam in einem Mehrpar­teienantrag – und da möchte ich noch einmal Danke für das Entgegenkommen sagen – auch einen nationalen Gedenktag für die Opfer der Roma, der Romnja, der Sinti und Sintizze in Österreich während des Nationalsozialismus. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Sehr geehrte Damen und Herren, entschuldigen wir uns bitte aufrichtig dafür, dass das so lange gedauert hat. Das ist unsere Verantwortung. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von Grünen und NEOS.)

Das Nie-wieder, unsere historische Verantwortung, erfordert aber auch zivilcouragiertes Handeln in unserem täglichen Tun: aufzustehen und dagegen aufzutreten, wenn Roma, Romnja, Sinti, Sintizze mit Rassismus konfrontiert sind und Gewalt gegen Roma und Romnja, Sinti und Sintizze als rassistische Ge­walt zu benennen und dagegen vorzugehen. (Beifall bei der SPÖ und bei Ab­geordneten der Grünen.)

Gedenken und Erinnern sind wichtig, wir müssen aber auch die Schlüsse für die Gegenwart, für unser alltägliches Tun daraus zu ziehen. Füllen wir das Nie-wieder mit Leben! – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

15.01

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka (den Vorsitz übernehmend): Danke schön, das war eine Punktlandung.

Ich darf nunmehr die Verhandlungen über die Punkte 7 und 8 der Tagesordnung unterbrechen, damit die verlangte Behandlung der Dringlichen Anfrage ge­mäß der Geschäftsordnung um 15 Uhr stattfinden kann.