12.31

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Zuseherinnen und Zuseher hier und zu Hause! Liebe Botschafterin­nen und Botschafter! Liebe Kolleg:innen aus dem ukrainischen Parlament! Liebe Ukrainer:innen, die Sie jetzt bei uns in Österreich leben! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Bundesregierung! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich habe Ihren Stellungnahmen betreffend den Krieg der Russen gegen die Ukraine öfter zugestimmt, heute aber war ich wirklich enttäuscht von Ihnen. Ich habe auf die Uhr geschaut: Es hat 10 Minuten gedauert, bis Sie überhaupt dazu gekommen sind, über den Aggressionskrieg der Russen zu reden. (Beifall bei den NEOS.)

Es hat 10 Minuten gedauert, bis Sie überhaupt erst klargemacht haben, warum wir heute zusammengekommen sind: weil am 24. Februar 2022 dieser Verbrecher, dieser Kriegsverbrecher Putin nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa in Flammen gesetzt hat, unser Leben gestört hat, das Leben der Menschen in Europa gestört hat.

Sie reden über irgendetwas, über Neutralität hier oder da, und dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es war ÖVP-Abgeordneter Ofenauer, der im März des Vorjahres wörtlich gesagt hat: Wir müssen über die Neutralität und über die Ausgestaltung dieser Neutralität reden! (Abg. Ofenauer: ... eine Seite der Medaille! ... ganze Zitat!)

Sie haben ihn zurückgepfiffen, weil Sie nicht darüber reden wollen, weil Sie wieder ängstlich auf irgendeine Umfrage geschaut haben. Reden wir endlich ernst mit den Österreicherinnen und Österreichern, sagen wir ihnen, wie wir ihre Sicherheit garantieren! (Abg. Schwarz: Na sagt ihr es halt!) Sie haben jetzt auch davon gesprochen, dass es mehr Geld für das Bundesheer geben soll. Das weiß ich auch aus dem Ausschuss: Eine Idee, wie wir mit mehr Geld unsere Sicherheit schützen, ist nicht da.

Unsere Neutralität ist nach dem Schweizer Vorbild ausgestaltet. Schauen wir, was in der Schweiz los ist! Dort findet eine ernsthafte Debatte über eine kooperative Neutralität statt. Wenn wir uns nicht mehr selbst verteidigen kön­nen, wer hilft uns dann? Die Schweizer sind gescheiter als wir, vor allem aber achten sie auf die Sicherheit ihrer Bevölkerung. Das tun Sie nicht und das ist wirklich ein Skandal! (Beifall bei den NEOS.)

Ich komme jetzt zum 24. Februar 2022: Genau vor einem Jahr bin ich auch im Parlament gestanden und habe Ihnen eine Audiobotschaft meiner Kollegin Inna Sovsun vorgespielt. Sie hat gesagt: Seit 4.30 Uhr schlagen alle 10 Minuten Raketen ein! – Das war genau vor einem Jahr. Später haben wir Botschaf­ter Chymynez als Gast der Freundschaftsgruppe Österreich-Ukraine dagehabt. Er hat gesagt: Wenn wir die ersten drei, vier Tage überstehen, dann wer­den wir diesen Krieg gewinnen! Ich habe damals noch nicht verstanden, was er gemeint hat, aber wir haben es dann gesehen.

Ich habe mich an einen Besuch im Jänner 2022 in Kiew erinnert. Dort haben mir alle Abgeordneten, Politiker:innen, Wirtschaftstreibenden und ein General gesagt: Wir sind vorbereitet, wir hoffen, dass er nicht angreift, aber wenn er an­greift, werden wir uns verteidigen! Das alles hat man hier nicht verstanden, aber wir haben das – Martin Engelberg war mit – von dort mitgenommen. Das war ein ganz wesentlicher Punkt; wie auch jener, dass Putin kein einziges Kriegsziel erreicht hat. Er wollte die Ukraine einnehmen, das ist ihm aber nicht gelungen.

Der nächste Punkt: Wir sind draufgekommen, wie schwach seine Armee ist. Er ist ja völlig unfähig, er kann mit seiner korrupten Armee genau gar nichts, außer Menschen umzubringen, und zwar fremde, aber auch die eigenen. Er hat Hunderttausende Soldaten verloren und Hunderttausende sind ins Ausland gegangen, sie sind davongelaufen. Das hat auch jedem die Augen geöffnet. Heu­te weiß man: Er ist ein Lügner und ein Verbrecher, mit ihm Verträge abzu­schließen ist völlig sinnlos, weil er sie nicht einhalten wird. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Stögmüller.)

Noch etwas haben wir in diesem Jahr gelernt: Europa ist stärker, als manche hier zur Kenntnis nehmen wollten. Ja, wir sind stark! Wenn wir miteinander etwas unternehmen, dann können wir etwas erreichen. Europa ist ein großarti­ger Kontinent, es ist unser Kontinent.

Danke, Herr Präsident, dass wir als Freundschaftsgruppe schon zwei Reisen in die Ukraine machen durften; danke auch für die Genehmigung, eine dritte machen zu dürfen, die wir bald antreten werden. Im Juni war ich mit Beate Meinl-Reisinger in der Ukraine und wir haben die Kriegsverbrechen in Butscha, Irpin und anderen Städten gesehen. Der Übersetzer hat zu weinen begonnen, als er uns erzählt hat, was dort genau passiert ist – du (in Richtung Abg. Meinl-Reisinger) erinnerst dich.

Im Dezember waren wir in Charkiw, und dort haben wir was gesehen? – Die Zerstörung von Bildungseinrichtungen. Es sind in der Ukraine 2 000 Bil­dungseinrichtungen zerstört worden. Das, was Putin nämlich auch plant, ist, eine ganze Generation von jungen Menschen umzubringen, oder er plant, soweit er sie nicht persönlich töten kann, ihnen zumindest die Ausbildung zu verwehren. 2 000 zerstörte Bildungseinrichtungen, Spitäler, Wohn­häuser – jeden Tag passieren Kriegsverbrechen. Es werden außerdem Kinder entführt, die dann – Goebbels hätte seine Freude daran – im Fernsehen auftreten und erzählen müssen, wie gut es ihnen geht. Mit dem haben Sie einen Vertrag geschlossen! Schrecklich! (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

Die Friedensnobelpreisträgerin 2022 Oleksandra Matwijtschuk hat gesagt: Wir kämpfen nicht um Gebiete, wir kämpfen für die Menschen, die in diesen Gebieten wohnen. Natalija Pipa – (in Richtung Galerie) herzlich willkommen! – aus dem ukrainischen Parlament hat gestern, als wir uns getroffen haben, gesagt: Wir müssen kämpfen, weil wir nicht Sklaven Putins werden wollen! Ich sage das deswegen so deutlich, damit man hier auch versteht, worum es geht: Es geht nicht um ein paar Quadratkilometer, es geht nicht um eine Stadt da oder dort, es geht darum, dass Menschen in Freiheit leben wollen, ihre Kinder aufziehen wollen. Ihr alle (in Richtung Galerie) erzählt uns immer, wie es den Kindern geht, dass sie nicht in die Schule gehen können, weil es keine Bombenkeller gibt, dass es kein Homeschooling gibt, weil das Internet nicht funktioniert. Das alles findet statt! Das nehmen sie aber auf sich, weil sie sagen: Wir wollen nicht in der Diktatur dieses Kriegsverbrechers leben! Deswegen müssen wir diese Men­schen unterstützen, Herr Bundeskanzler – mehr und deutlicher, als wir das bis jetzt gemacht haben. (Beifall bei den NEOS.)

Eine Frage noch: Warum hat Putin das gemacht? – Da muss ich Ihnen das Buch „Revanche – Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat“ von Michael Thumann, er hat als Korrespondent für „Die Zeit“ lange in Russland gelebt, dringend empfehlen. (Der Redner hält das genannte Buch in die Höhe.) Eine Revanche wofür? – Für den Zerfall der Sowjetunion – das hat Putin ja oft genug beschrieben; da geht es gar nicht so sehr um Russland –, für den Zerfall einer Diktatur. Er will nichts anderes als wieder eine Diktatur – an Stalin anschließend – aufbauen. Das macht er, indem er zunächst das eine Land überfällt. Wir schauen, was in der Republik Moldau los ist. Wir haben auch mit Frau Zichanouskaja gesprochen, natürlich will er auch Belarus anschließen.

Das Buch erklärt auch sehr genau, dass Russland oder Putin sich mit diesem Überfall selbst geschadet hat. Er hat Leute vertrieben, er hat ein Stück russische Kultur zerstört. Ich finde es falsch, ich höre weiter gerne „Boris Godunow“, aber viele Menschen in der Ukraine sagen, sie wollen nichts mehr mit russischer Kultur zu tun haben, weil das die Kultur eines Kriegsverbrechers ist. (Zwi­schenruf des Abg. Hafenecker.)

Ich komme zum Schluss und möchte noch etwas deutlich sagen: Ja, es hat Hilfe gegeben, Sie haben es gesagt, Herr Bundeskanzler, das stimmt. Wir müs­sen aber noch mehr tun und wir können auch noch mehr tun. Ich besuche regel­mäßig diverse Hilfseinrichtungen und höre, dass die Grundversorgung oft nicht funktioniert. Ich höre aber auch, dass sehr viele Österreicherinnen und Österreicher geholfen haben und viele Ukrainerinnen inzwischen hier arbeiten und Steuern zahlen. Das gehört auch zur Wahrheit, das muss man auch dazusagen.

Wir haben schon viel geholfen, auch mit Medikamenten und Ausrüstung – Sie haben es erwähnt, Herr Bundeskanzler. Wir sollten keine Kriegswaffen lie­fern – einverstanden, ich bin auch dieser Meinung. Minensuchgeräte aber kön­nen wir schon liefern. Danke, Herr Botschafter (in Richtung Galerie), dass Sie nicken, jetzt haben wir eine klare Antwort: Es sollen Minensuchgeräte geliefert werden. Da geht es um zivile Persönlichkeiten, die bedroht sind, und wir wollen ihnen helfen. (Beifall bei den NEOS.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler kann sich öf­ter zu Wort melden, ich habe ihm noch eine Ukrainefahne mitgebracht. – Ich glaube, es würde uns allen guttun, wenn Sie diesen Kriegsverbrecher Putin und seine Kriegsverbrechen hier noch sehr deutlich verurteilen würden und das auch noch einmal deutlich sagen würden. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Der Redner überreicht Bundeskanzler Nehammer eine kleine Schleife in den Nationalfarben der Ukraine.) Das schenke ich Ihnen gerne. – Danke schön. (Beifall bei den NEOS. – Zwischenrufe der Abgeordneten Schmuckenschlager und Belakowitsch.)

12.40

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Lopatka. – Bitte.