12.40

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Es gibt Tage, die den Lauf der Geschichte und somit das Leben von uns allen nachhaltig verändern: der 9. November 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer, der 11. September 2001 mit dem Terroranschlag auf das World Trade Center (Abg. Hafenecker: Den Unfall vom Niki Lauda merk ich mir auch immer!); und jetzt ist auch der 24. Februar 2022 mit der Invasion Russlands in die Ukraine ein solcher Tag. Das sind Tage, die dann zu Recht als Tage der Zeitenwende umschrieben werden.

Es ist für mich unvorstellbar, wie sich Russland verändert hat. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, als Russland noch Mitglied im Europarat und somit der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet war. Jetzt setzt Putin Zehntausende Schwerverbrecher im Krieg direkt gegen die Zivilbevöl­kerung der Ukraine ein, und jetzt wird nicht nur in der Ukraine das Men­schenrecht, das Recht auf Leben missachtet, sondern auch in Russland sind in Wirklichkeit alle Menschenrechte außer Kraft gesetzt. Was macht die Kickl-FPÖ? – Sie applaudiert Putin – schändlich. (Rufe bei der FPÖ: Wo? Wann denn?) – Sie applaudieren Putin: ständig, am Aschermittwoch, und Sie werden auch heute der Rede von Kickl wieder applaudieren. (Beifall bei ÖVP und Grünen. – Abg. Belakowitsch: Das ist eine Lüge! – Rufe bei der FPÖ: Lügner! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Sie sind der verlängerte Arm dieses Kriegsver­brechers. (Abg. Kickl: Ein schäbiger Lügner sind Sie! – Abg. Hafenecker: Dafür müssen Sie am Sonntag in den Beichtstuhl, das war gelogen!)

Die Ukraine hat sich mutig und entschieden und entschlossen diesem Aggressor entgegengestellt. Das hat dazu geführt, dass mehr als sieben Millionen Ukrainer:innen, vor allem Kinder und Frauen, das Land verlassen mussten. Acht Millionen Menschen sind innerhalb der Ukraine gezwungen wor­den, ihre Häuser zu verlassen – unvorstellbar! Wir freuen uns in Österreich, dass wir gerade mehr als neun Millionen Menschen sind. Dort sind 15 Millio­nen Menschen auf der Flucht. 300 000 haben mit ihrem Leben bezahlt, Infra­struktur mit Wert in Milliardenhöhe ist zerstört worden. Die UNO be­klagt zu Recht die weltweite Ernährungskrise, und wir – wie in ganz Europa – leiden unter der hohen Inflation.

Ja, dieser Krieg verursacht auch Wohlstandsverlust, aber was hätte der Westen anderes machen sollen, als sich diesem Aggressor entgegenzustellen? Mei­ne Damen und Herren, die Ukraine führt einen Abwehrkrieg. Das ist ausschließ­lich ein Abwehrkrieg, und es gibt nur einen Aggressor: Das ist Russland, Kol­lege Kickl, und sonst niemand. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Hafenecker: Aber Ihr Mentor, der Herr Schüssel, sieht das anders!)

Der Westen steht vor einem schwierigen Unterfangen, einerseits Unterstützung in diesem Abwehrkampf zu leisten, andererseits alles zu tun, um nicht selbst Kriegspartei zu werden. So verstehe ich auch das Vorgehen der Nato und der Europäischen Union: helfen ja, aber nicht bedingungslos und mit allen Waffen.

Wo stehen wir nach einem Jahr? (Abg. Kickl: Wo steht die Raiffeisen International? Wo steht die? – Abg. Meinl-Reisinger: Guter Punkt!) Ja, wo stehen wir? – Putin und Russland: Kein einziges der Kriegsziele ist erreicht worden. Auf der anderen Seite: Die Nato ist stark, weil sie geeint ist, und die Nato ist auch durch den geplanten Beitritt von Schweden und Finnland gestärkt – und natürlich deshalb, weil der Westen erkannt hat, dass mehr an Geld für die Verteidigungsbud­gets notwendig ist. Auch die Europäische Union ist stärker zusammen­geschweißt als vor dem Krieg. – Es ist so!

Was wir schon vergessen haben, was wir brauchen: die transatlantische Achse, die funktioniert. (Abg. Meinl-Reisinger: Dank Biden, muss man sagen, dank Biden! Das ist nicht in Stein gemeißelt!) Das haben wir gerade vorhin in der Hof­burg bei der OSZE-PV-Wintertagung gemerkt, als US-Senatoren und Mit­glieder des Repräsentantenhauses das Wort ergriffen haben. Da ist das wieder sehr, sehr klar zum Ausdruck gekommen. Wir als militärisch neutrales Land haben uns politisch absolut richtig verhalten, weil wir innerhalb der Europäi­schen Union ohne Wenn und Aber solidarisch waren. Das ist hier im Parlament der große Unterschied zwischen vier Fraktionen und der Freiheitlichen Partei, meine Damen und Herren (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen): Wir sind solidarisch, wir handeln europäisch und sind nicht der verlängerte Arm – wie Kollege Kickl – von Putin. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Meine Damen und Herren, gleichzeitig müssen wir uns natürlich gerade als neutraler Staat für Deeskalation einsetzen. Ich bin von der Parlamentarischen Versammlung der OSZE beauftragt worden, solche Gespräche zu führen. Ich habe im letzten Jahr mehr als 30 solcher Verhandlungen mit ukrainischen Abgeordneten – die sitzen ja heute auch hier –, aber auch mit russischen Abgeordneten und vor allem auch mit Abgeordneten der Türkei geführt. (Abg. Belakowitsch: Schön, dass Sie das gemacht haben! – Abg. Kickl: Da müssten Sie einen Jesuiten ...!)

Ich sage Ihnen Folgendes: Der Krieg ist schrecklicher geworden, aber man muss auch sehen, wenn es solche Verhandlungen nicht gegeben hätte, dann wären nicht einmal diese kleinen, minimalen Fortschritte möglich gewesen, nämlich zu einem Gefangenenaustausch zu kommen, dass die Ukraine Getreide expor­tieren kann, dass Atomkraftwerke, die eine Gefahr für uns alle sind, zumindest noch einen gewissen Sicherheitsstandard haben. (Abg. Kickl: Ich bin neugierig, wann die Raiffeisen International ... geht!)

Meine Damen und Herren, es ist notwendig und Österreich ist immer dafür gestanden – das hat auch der Herr Bundeskanzler angesprochen –, dass wir uns da in den Dienst der guten Sache stellen. Wir brauchen aber weiterhin – das ist ganz, ganz wichtig – das gemeinsame verantwortungsbewusste Vorgehen des Westens gegen Russland, das ja nur von Schurkenstaaten wie dem Iran oder Nordkorea mit Waffen und Munition unterstützt wird. In Österreich munitioniert gleichzeitig Klubobmann Kickl seine Partei, die FPÖ, im Stil des Tschetsche­nenführers Kadyrow auf. (Abg. Belakowitsch: Jetzt reicht es schön langsam! – Wei­tere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Genau so agieren Sie. Sie peitschen Ihre Leu­te ein – verantwortungslos! (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Der Tiefpunkt war ja dieser Aschermittwoch, tiefer geht es nicht mehr. Vielleicht kommen Sie einmal zum Nachdenken. (Abg. Hafenecker: Hast du schlecht geschlafen? – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) – Nein, ich habe nicht schlecht geschlafen (Abg. Belakowitsch: Der schläft nicht schlecht, der hat ja kein Gewissen!), aber vielleicht kommt Klubobmann Kickl einmal zum Nachdenken dahin gehend, wie weit es noch nach unten gehen soll. (Abg. Hafenecker: Ohne Gewissen schläft man besser!) Ich verweise nur auf Mumien und sonstige niveaulose Äußerungen. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordne­ten von SPÖ und NEOS. – Abg. Stögmüller: Sehr gut! – Zwischenruf des Abg. Matz­netter. – Abg. Hafenecker: Ihr könnt euch den Van der Bellen schon behal­ten, den nimmt euch keiner weg! – Abg. Stögmüller – in Richtung Abg. Hafenecker –: Jetzt gib eine Ruh! Schämen Sie sich!)

Kollege Kickl, es geht hier um den Umgangston, Kollege Hafenecker, es geht hier darum, wie wir miteinander umgehen (Zwischenrufe bei der FPÖ), und es geht hier um einen Minimalkonsens von Anstand und Ordnung. (Beifall bei Abgeordne­ten von ÖVP, SPÖ und Grünen. – Abg. Hafenecker: Ihr spaltet die Gesellschaft! Spalter!) Mehr verlange ich von Ihnen nicht: Ein Minimum an Respekt gegenüber dem gewählten Staatsoberhaupt verlange ich. (Neuerliche Zwischenrufe bei der FPÖ. – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.) Darum geht es. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Die ukrainische Delegation hat mich gebeten, eine Botschaft von ihr hier zu verlesen. (Abg. Hafenecker: Es gibt eh OTS auch!) Ich bitte gerade die Freiheitliche Partei, die das Wort Frei­heit in ihrem Namen führt, mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

„Anlässlich des ersten Jahrestages des aggressiven russischen Krieges gegen die Ukraine wenden wir uns an das österreichische Parlament, um unser unerschütterliches Bekenntnis zu Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Wir sind gekommen, um Alarm zu schlagen und zum entschlossenen Handeln angesichts eines präzedenzlosen Akts der Aggression und Verletzung des Völkerrechts aufzurufen.

Vor einem Jahr hat die Russische Föderation einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine entfesselt, einen Krieg, der zum Tod Tausender unschuldiger Zivilisten, zur Vertreibung von Millionen Menschen und zur Zerstörung lebens­wichtiger Infrastruktur und historischer Wahrzeichen geführt hat. [...]

Wir fordern Sie auf, uns solidarisch zur Seite zu stehen. Wir fordern ein sofortiges Ende der russischen Aggression und rufen zur Gerechtigkeit für die Opfer dieses Krieges auf.

Wir fordern auch die internationale Gemeinschaft auf, konkrete und wirksame Schritte zu unternehmen, um die Ukraine zu unterstützen und Russland für seine [...] Missachtung des Völkerrechts zur Rechenschaft zu ziehen. [...]

Vergessen wir nicht die Schrecken, die den Menschen in der Ukraine zugefügt wurden und mögen wir zusammenarbeiten, damit sich solche Gräueltaten niemals wiederholen.

Wir rufen alle Abgeordneten des österreichischen und aller europäischen Parlamente auf, sich solidarisch zu vereinen und entschlossen zu handeln, um diesen Krieg zu beenden und Frieden, Stabilität und Wohlstand in der Region wiederherzustellen.“

Gerne habe ich diese Botschaft vor dem österreichischen Parlament verlesen. Arbeiten wir gemeinsam für Frieden und Freiheit in der Ukraine! (Anhal­tender Beifall bei ÖVP und Grünen sowie Beifall bei SPÖ und NEOS. – Abg. Bela­kowitsch steht am Mikrofon in den Bankreihen und hebt die Hand.)

12.50

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zur Geschäftsbehandlung, Kollegin Belakowitsch. – Bitte.

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