10.27

Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA: Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Damen und Herren hier im Saal und zu Hause! Die Klimakrise ist unbestritten die größte Herausforderung unserer Zeit. Sie wirkt in all unseren Lebensbereichen, sie verändert unser Land, und es ist klar: Wenn wir nicht handeln, dann wird sie zu einer existenziellen Bedrohung.

Wenn wir zurückblicken – die Frau Klubobfrau hat es schon angesprochen –, dann müssen wir ehrlich sagen: Das wurde in den letzten Jahrzehnten nicht ernst genug genommen, und zwar weder von der Politik noch von der Wirtschaft und auch von vielen Teilen der Gesellschaft nicht. Die vergan­gene lange Zeit bringt uns heute unter Druck. Einerseits ist klar: Je weiter die Klimakrise voranschreitet, umso schwieriger wird es uns allen fallen, die Folgen gemeinsam zu bewältigen. Andererseits hat das auch eine sehr starke wirtschaftliche Dimension, und vor dieser wirtschaftlichen Dimension dürfen wir die Augen nicht verschließen.

Wir sind mittlerweile mitten in einem globalen Wettkampf, nämlich einem Wettkampf, einem Wettlauf um die grünsten Produktionsweisen und um die klimafreundlichsten Technologien, denn die Weltmarktführerschaft, die wirtschaftliche Stärke in den kommenden Jahren wird sich nicht mehr nur an den billigsten Produktionsprozessen oder den ausgefeiltesten Produkten festmachen, sie wird daran gemessen werden, wer seine Produkte mit möglichst geringem CO2-Ausstoß auf den Markt bringt.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass wir heute über diese Dimension des Klimaschutzes diskutieren, auch im europäischen Kontext diskutieren, denn wir dürfen die Augen nicht davor verschließen: In diesem Wettkampf, in diesem Wettlauf haben uns die USA und China in den vergangenen Monaten, in den vergangenen Jahren große Brocken vorgelegt, und darauf müssen wir reagieren, die müssen wir ernst nehmen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wenn wir heute sagen: Wirtschaft und Klimaschutz gehen Hand in Hand, dann ist das völlig richtig, aber wir dürfen das auch nicht leichtfertig sagen, denn das ist eine Aussage, die etwas bewirkt, die eine Tragweite hat. Ja, Klimaschutz ist ein absoluter Wirtschafts- und Jobmotor, eine Chance, eine große Chance für den europäischen Industriestandort. Allein durch den Ausbau der erneuerbaren Energien werden in Österreich 100 000 Arbeitsplätze gesi­chert und neue entstehen.

Klimaschutz ist aber nicht nur für unser menschliches Überleben eine sprichwörtliche Überlebensfrage, Klimaschutz ist auch eine entscheidende Überlebensfrage für die europäische Industrieproduktion und für die europäische Technologieführerschaft. Wenn wir diese Aufgabe nicht bewältigen, wenn wir da nicht investieren, wenn wir da nicht in unsere Stärken investie­ren, dann verlieren wir diesen Wettkampf, und das gilt es zu vermeiden, weil das eine Gefahr für die wirtschaftliche Zukunft dieses Kontinents ist. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wo stehen wir gerade? – Sie wissen, wir haben im Klimaschutz ambitionierte Ziele: in Österreich Klimaneutralität bis 2040, Europa wird 2050 der erste klimaneutrale Kontinent, bis 2030 werden wir in Europa unsere Emissionen um 55 Prozent senken. Wir sehen, wir haben es noch in der Hand, mit Klima­schutz den nächsten Generationen einen intakten Planeten zu hinterlassen. Bei dieser Frage geht es aber auch darum, ob wir in unserer Union, ob wir in Europa Wohlstand, wirtschaftliche Zukunft und gut bezahlte Arbeitsplätze ha­ben. Da geht es nämlich auch um Zukunft, und diese Entwicklung hin zum Klimaschutz in der Industrie verlangt große Veränderungen – auch von der hei­mischen Wirtschaft, von der heimischen Industrie.

Wir müssen in dieser Frage einen Anspruch haben. Wir sind in Europa gefordert, diese Entwicklung nicht einfach mitzumachen oder ihr hinterherzuhoppeln. Wir müssen in Europa einen Anspruch haben: Unsere Unternehmen sollen diese Entwicklung gestalten, vorantreiben, unsere Unternehmen sollen festlegen, wie eine klimafitte, eine grüne Wirtschaft aussieht. Sie müssen die Standards der klimafreundlichen Produktion definieren und dafür sorgen, dass andere Staa­ten sich an uns orientieren und nicht umgekehrt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir müssen und wir können den Klimaschutz zu unserem Wettbewerbsvorteil machen. Noch können wir das Rennen gegen China und die USA gewinnen. Beide Staaten investieren gerade sehr viel Zeit, sehr viel Geld, und die Zeit, die wir haben, ist knapp. Die USA fordern uns mit dem größten Klimainvesti­tionspaket, das dieses Land je gesehen hat, heraus, schaffen damit eine enorme Sogwirkung auf Unternehmen, auf europäische Expertise. China hat sich in manchen für uns strategisch wichtigen Wertschöpfungsketten eine dominie­rende Rolle erarbeitet. Wir erleben gerade sehr schmerzlich, was einseitige strategische Abhängigkeit bedeutet, aber wir haben es in der Hand, dem etwas entgegenzusetzen, und wir werden das in der Europäischen Union zu einem zentralen Thema in diesem Jahr machen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit ihrem Green-Deal-Industrial-Plan einen Schritt in diese Richtung gesetzt. Das ist eine notwendige und eine wichtige Antwort auf den Inflation-Reduction-Act in den USA. Wir haben gesehen, dass wir gerade im Wettbewerbsrecht unsere Möglichkeiten erweitern müssen, um Klimaschutztechnologien entschieden voranzutreiben und auch strategisch wichtige Produkte wieder im großen Stil in Europa zu etablieren.

Eine erste Antwort, die wir darauf gegeben haben, waren die Ipcei, die Important Projects of Common European Interest, die es uns ermöglichen, in strate­gisch wichtigen Bereichen, wie beim Thema Wasserstoff, beim Thema Batterien, bei Halbleitern, beihilferechtlich großzügiger zu agieren und damit viel in Be­wegung zu bringen.

Schauen wir uns nur das Thema Batterien an: 42 Unternehmen mit 46 Projekten aus zwölf Mitgliedstaaten arbeiten an diesem Ipcei-Projekt mit; 9 Milliarden Euro Investitionen von privater Seite, 2,9 Milliarden Euro aus staatlichen Beihil­fen, auch Österreich fördert da. Da geht es um Fragen betreffend den Ab­bau von Rohstoffen, der nachhaltig passieren muss, über die Batteriezellproduk­tion bis zur Integration und zum Recycling.

Ja, es geht um die ganze Wertschöpfungskette, und ja, wir haben Optimierungs­bedarf in den Projekten, auch da braucht es schnellere Verfahren, aber ja, wir sehen, wir können viel bewegen, wenn wir zusammenarbeiten und uns in Be­zug auf strategisch wichtige Wertschöpfungsketten, wie die Batterieproduk­tion eine ist, zusammenreißen und gemeinsam diese PS und wirtschaftliche Stär­ke auch auf Schiene bringen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Dazu brauchen wir auf europäischer Ebene, und auch das wird ein Thema sein, Veränderungen im Beihilfenrecht. Die Kommission hat Veränderungen auf der europäischen Ebene angekündigt, sodass wir eben Möglichkeiten haben, beim Bau von Wechselrichtern, von PV-Produktionsanlagen oder wo immer es notwendig ist, zu unterstützen. Ich bin da auch sehr offen, sage ich in diesem Rahmen, Erleichterungen im Beihilfenrecht zu schaffen, aber mit einer Bedingung: dass wir das Beihilfenrecht dann auch europäisch ein­heitlich wieder streng einhalten und nicht einen Subventionswettlauf unter den Ländern, den wir schon überwunden geglaubt haben, neu eröffnen. Es ist wichtig, dass die gleichen Regeln für alle gelten und dass sie dann auch wieder genau überprüft werden.

Neben den Ipcei brauchen wir Mittel für die industrielle Transformation. Die schaffen wir in Österreich. Mit dem Aufbau- und Resilienzplan haben wir 100 Millionen Euro für die produzierende Wirtschaft zur Verfügung gestellt, da hat am Dienstag der zweite Call gestartet. Das Geld kommt nicht ohne Auf­lagen: Die Industrie muss auch nachweisen, dass im Projekt Emissionen einge­spart werden. – Das ist einer der Bausteine, die wir dafür brauchen.

Um zusammenzufassen: Was brauchen wir? – Wir müssen in den Klimaschutz investieren, das tun wir mit der Transformationsoffensive in der Industrie mit fast 3 Milliarden Euro; wir müssen das auch EU-weit entsprechend tun. Wir müssen grüne Innovation fördern – das bedeutet bei uns: 210 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung für eine klimaneutrale Industrie. Wir müs­sen unsere Finanzströme grün gestalten – das heißt: raus aus den fossilen Altlasten, rein in Investitionen in umwelt- und klimafreundliche Anlagen. Dabei hilft eine glaubwürdige Taxonomie, dafür kämpfen wir auch auf europäi­scher Ebene. Ausbeutung von Mensch und Natur darf sich nicht lohnen, ganz im Gegenteil: Wenn wir Lieferketten zurück nach Europa holen, brauchen wir einheitliche Sozial- und Umweltstandards. Wir müssen die Energiewende weiter vorantreiben: rein in die Erneuerbaren, raus aus dreckigem Öl und Gas und damit auch wieder rein in günstige Energiepreise. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Bei all dem – und damit möchte ich auch zum Schluss kommen – dürfen wir aber vor allem eines nicht sein: Wir dürfen nicht naiv sein. Die Zeit vermeintlich billigen russischen Gases ist vorbei, wir haben uns viel zu lange darauf ausgeruht. Unsere Stärke in Europa müssen smarte und effiziente Produkte und Produktionsweisen sein, unsere Stärke müssen die Erneuerbaren und die Zusam­menarbeit mit einer Vielfalt von Importpartnern für Energie statt einseitigen Abhängigkeiten sein. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Schnabel.)

Unsere Stärke in Europa müssen wir schützen. Wir müssen uns dort, wo wir an­greifbar sind, besser schützen. Das heißt natürlich auch, dass wir im Strommarktdesign dafür sorgen müssen, dass wir nicht mehr so leicht durch politische Manipulationen eines Autokraten in Russland erpressbar sind, sondern – im Gegenteil – dass die Vorteile der Erneuerbaren in Gestalt von günstigeren Preisen bei den Menschen, bei den Unternehmen ankommen. Das war das zentrale Thema der letzten beiden Tage beim Rat der Energieminis­terinnen und -minister.

Wir müssen einseitige Abhängigkeiten in der Produktion abbauen. Der Chips Act auf europäischer Ebene war ein Schritt. Vielleicht brauchen wir auch einen Heat-Pump-Act oder einen PV Act für die Fotovoltaik, um dem etwas entgegen­zusetzen. Wir müssen Infrastruktur bauen und sie auf unsere neuen Bedürf­nisse ausrichten. Und ja, bei all dem brauchen die Unternehmen Plan­barkeit, aber ich kann allen sagen: Das mit dem Klimaschutz, das geht nicht mehr weg, das bleibt – das bleibt in Österreich, das bleibt in Europa, das bleibt global. Entweder wir stellen unsere Wirtschaft darauf ein und entspre­chend um oder wir werden abgehängt, und das gilt es zu verhindern. Es gilt alle Weichen dafür zu stellen, dass es uns gelingt, uns da auch an die Spitze zu stellen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Eines muss uns klar sein: Wir werden nicht mehr viele Chancen dafür bekom­men. Die billigsten Produkte kommen schon lange nicht mehr aus Europa, die billigsten Produkte kommen aus Asien. Die Produktion von Mikrochips pas­siert vor allem in den USA und in Taiwan. Ja, auch beim Auto hat man mitt­lerweile schon das Gefühl, dass uns chinesische Technologiekonzerne und US-Startups bei der Entwicklung von modernen und effizienten E-Autos davonlaufen. Aber: Umwelttechnologien, grüne Produktionsweisen, klima­freundliche Produkte, das ist eine europäische Domäne. Da sind wir stark, da sind wir vorne, und das dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Das wirtschaftliche Rennen um Net-Zero Industry hat begonnen. Stehenbleiben und Zögern sind keine Option. Jetzt ist die Zeit, Entscheidungen zu treffen, und zwar in den Unternehmen und in der Politik. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass es die österreichischen Unternehmen sind, in denen der klimafreundlichste Stahl produziert wird, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit der Wechselrichterproduktion erhalten, die­se Technologie in die Welt exportieren, dass die Autozulieferindustrie fit für den technologischen Wandel ist, dass wir klimaneutralen Zement produzieren, Häuser aus klimaneutralen Ziegeln bauen und bei all diesen Veränderungen si­cherstellen, dass wir die Menschen, die in den Betrieben arbeiten, dabei ha­ben, indem wir sie ausbilden, indem wir sie umschulen, indem wir sie wei­terbilden, ihnen gute Arbeitsverhältnisse und eine Perspektive bieten.

Damit uns das gelingt, sehr geehrte Damen und Herren, braucht es Mut, braucht es Entschlossenheit, und die sollte uns in Europa gerade jetzt nicht fehlen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

10.40

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Danke schön.

Ich darf als nächsten Redner Herrn Abgeordneten Schnabel ans Rednerpult bit­ten. 5 Minuten stehen ab jetzt zur Verfügung. – Bitte sehr.