11.10

Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Frau Präsidentin! Frau Bundesmi­nisterin! Frau Staatssekretärin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich ja sehr über diese Aktuelle Europastunde gefreut: Vereinigte Staaten von Europa – großartiges Thema, es muss ein Ziel von uns sein, gemeinsam an so etwas zu ziehen.

Ich bin jetzt aber leider bei einer so proeuropäischen Partei wie den NEOS schon enttäuscht; denn entweder war das eine sehr kurzsichtige innenpolitische Perspektive, die ihr da in der Aktuellen Europastunde gerade einnehmt, oder nicht so ganz ehrlich.

Wenn ihr jetzt nämlich über die Vereinigten Staaten von Europa redet, von einer europäischen Verteidigungspolitik, dann kann man das nicht nur aus einer österreichischen Perspektive mit: Wir machen eine europäische Armee und hal­ten uns da zurück!, machen. Dann muss man sich doch anschauen, was die Perspektive anderer europäischer Länder ist, die da mitmachen!

Da sitzen georgische Abgeordnete – keine EU-Mitglieder, aber Georgien ist schon 1993, vor 30 Jahren, von russischen Truppen besetzt worden, und das hat in weiten Teilen Osteuropas Angst ausgelöst. Redet doch mit Abgeordneten, mit Politiker:innen der baltischen Staaten! (Abg. Meinl-Reisinger: Hab’ ich ja gesagt!) Sie haben Angst, sie würden – jetzt kommt der Punkt – niemals in eine europäische Armee eintreten, einwilligen oder sonst was, wenn es nicht die Nato ist. Redet – zum jetzigen Zeitpunkt – mit polnischen, redet mit slowaki­schen Abgeordneten! Die würden das zum jetzigen Zeitpunkt, so wie ihr es vorschlagt, niemals machen.

Redet mit den Schweden und mit den Finnen, die jetzt erst ihre Neutralität auf­gegeben haben! Was haben die gemacht? – Nicht über euren Vorschlag gesprochen, sondern sie sind innerhalb kürzester Zeit zur Nato gegangen. Und Sie schaffen es, hier eine Rede zu halten, ohne die Nato auch nur zu er­wähnen und zu sagen, welchen Vorschlag Sie hätten! (Abg. Meinl-Reisinger: Das ist doch nicht wahr! Ich hab’ ... in der „ZIB 2“, Sie wissen ...!)

Das ist doch nicht ehrlich. Das ist nicht ehrlich, so wie ihr das anlegt, nein! (Beifall bei den Grünen.) Das ist eine komplett kurzsichtige innenpolitische Debatte, wie wenn ihr keinen Meter über die Grenze schauen würdet und mit keinen anderen europäischen Politiker:innen sprechen würdet. Das ist es. Eine Rede dazu zu halten, ohne die vier Buchstaben Nato auch nur zu erwäh­nen, das geht nicht. (Abg. Meinl-Reisinger: Ist das jetzt ein Bemühen der Abgrenzung?)

Tatsache ist: Putin bedroht Europa mit 6 000 Atomsprengköpfen, das muss man einmal festhalten, und solange das so ist, werden sich die osteuropäischen Länder nicht aus der Nato rausbewegen. (Abg. Meinl-Reisinger: Es soll sich auch niemand aus der Nato rausbewegen! Was ist das für eine skurrile Diskussion, Herr Kollege?) Und wenn wir eine europäische Politik und eine europäische Ver­teidigungspolitik haben wollen, wenn wir das haben wollen (Abg. Meinl-Reisinger: Verfolgen Sie eigentlich, was ich sage?), dann müssen wir uns zuerst, lan­ge davor, dieser Bedrohung stellen und müssen einmal darüber reden, wie wir das loswerden.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Wir legen uns auch 6 000 Atomsprengköpfe zu, um uns zu schützen, oder wir reden darüber, wie wir das russische Regime entfernen und die 6 000 Atomsprengköpfe entfernen. Das ist österreichische Verteidigungspolitik, wenn man es wirklich ernst nimmt. Dazu kein Wort zu sagen ist wirklich extrem kurzsichtig – wirklich extrem kurzsichtig. (Beifall bei den Grünen.)

Es gibt nur noch vier neutrale Länder in der Europäischen Union: Zypern, Malta, Irland und Österreich. Diese vier Länder sind neutral (Abg. Meinl-Reisinger: Entschuldigung, wer führt denn die Diskussion, Herr Kollege?), und wenn Sie sich hierherstellen und jetzt, zum jetzigen Zeitpunkt, die Neutralität aufgeben wollen, bedeutet das schlicht und einfach Nato-Verteidigungspolitik. (Ruf bei den NEOS: Das ist eine eigenartige Rede!) Das muss man dann aber auch aussprechen. Das kann man eh wollen, aber dann muss man es aussprechen. (Abg. Meinl-Reisinger: Aber was wollen denn Sie jetzt eigentlich?)

Sie stellen sich hierher - - (Abg. Meinl-Reisinger: Sie bemühen sich, hier irgendwie einen Konflikt zu inszenieren!) – Nein! Sie stellen sich hierher und fordern jetzt die Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips – in der Sicherheitspolitik, nicht in der Außenpolitik, dafür sind wir auch, Außenpolitik muss man mit Mehr­heitsprinzip machen. Sie fordern es in der Sicherheitspolitik und zählen zehn Länder auf, die das auch wollen. (Abg. Meinl-Reisinger: Das hab’ ich - -!) – Eh! Sie sagen nur nicht dazu, dass das zehn Nato-Länder sind.

Wenn Sie jetzt das Einstimmigkeitsprinzip aufheben, jetzt, wie Sie es fordern (weitere Zwischenrufe bei den NEOS), bedeutet das: Eine absolute Mehr­heit der Nato macht die österreichische Verteidigungspolitik! Das müssen Sie dazusagen! (Abg. Meinl-Reisinger: Das macht sie ja sowieso!) Sie zählen die Länder auf und sagen kein Wort dazu. Das geht so nicht. (Abg. Meinl-Reisinger: ... ja sowieso!) – Nein, Sie sind nicht ehrlich und sagen nicht, was das Resultat davon ist. (Beifall bei den Grünen sowie der Abgeordneten Engel­berg und Sieber. – Abg. Meinl-Reisinger: Was wollen denn dann Sie? Was wollen Sie denn? Weil Sie reiben sich da jetzt ...!)

Die NEOS sind die Ersten, die immer sagen, die österreichische Neutralität sei wie die Lipizzaner und die Mozartkugeln. Warum sagen sie das? – Weil sie nichts damit anzufangen wissen, weil sie sie nicht als Werkzeug verstehen. Wir haben vier neutrale Länder in der Europäischen Union, und diese vier neutralen Länder müssen auf eine eigenständige europäische Verteidigungspolitik hinarbeiten. Wenn wir Neutralen das nicht machen, bleibt es Nato-Politik. (Abg. Meinl-Reisinger: Das hab’ ich gesagt, Herr Kollege! Genau das!)

Neutralitätspolitik – jetzt wird es dunkel – muss ganz aktiv sein, aktiv auch in der Solidarität gegenüber der Ukraine (Abg. Meinl-Reisinger: Bitte, das ist jetzt Blabla, Entschuldigung!), da muss man jetzt in die Unterstützung der Ukraine ge­hen. (Abg. Meinl-Reisinger: Wasch mich, aber mach mich nicht nass!) Die FPÖ als Putin-Partei wird das nicht machen, deswegen müssen wir das machen und uns dafür einsetzen. Darum wird es gehen müssen. Neutralitätspolitik darf nicht feig sein, sondern muss aktiv sein. Aktive Neutralitätspolitik brauchen wir in solchen Fragen, und dazu kommt von Ihnen kein Wort! (Beifall bei den Grünen.)

Letztes Wort zur SPÖ: Bei euch wäre es auch ganz gut, wenn ihr die Neutralität verteidigt, wenn das auf eine aktive Weise wäre. Dass die Hälfte von euch nicht kommt, wenn man Solidarität mit der Ukraine zeigen muss und dann am 1. Mai: Hoch die internationale Solidarität!, schreit, geht sich auch nicht aus. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.15

Präsidentin Doris Bures: Nun gelangt die Europaparlamentarierin Claudia Ga­mon zu Wort. – Bitte.