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Abgeordneter Mag. Yannick Shetty (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Am Schluss dieser Debatte muss man sagen, dass diese Debatte in zweifacher Hinsicht extrem bedrückend ist. In erster Linie ist natürlich für uns alle hier, für alle Österreicherinnen und Österreicher bedrückend, zu sehen, zu hören, zu lesen, welche Taten an Kindern in diesem Fall, aber auch in vielen anderen Fällen verübt worden sind. Es ist verständlich, es ist nach­vollziehbar, dass es das starke Bedürfnis gibt, dass die Täter die volle Schärfe des Gesetzes zu spüren bekommen. Wir sind uns auch alle einig, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Wo wir uns, glaube ich, nicht so einig sind, ist, wie wir dort hinkommen und wie das genau ausschauen soll.

Ich möchte nämlich vorweg schon betonen – ich glaube, da gibt es einen Unterschied zwischen einigen Fraktionen hier im Haus –, dass ich stolz darauf bin, in einem Land des zivilisatorischen Fortschritts zu leben, in dem nicht die Öffentlichkeit, in dem auch nicht ein schriller Parteiführer oder eine tobende Menge über Schuld und über Unschuld sowie über die Höhe der Strafe entscheidet, sondern ordentliche Gerichte. (Abg. Amesbauer: Ja, aber das muss schon nachvollziehbar sein, oder?)

Ja, ich habe auch, als ich die Titelseite gelesen habe, als das Urteil bekannt gegeben worden ist, gedacht, das kommt mir irgendwie sehr milde vor. So ist es, glaube ich, auch sehr vielen Österreicherinnen und Österreichern gegangen, die sich gedacht haben: Wie kann das eigentlich sein?

Ich halte aber den Schluss einer bestimmten Partei hier im Haus für fatal, nämlich zu sagen, wir stellen die Richter, wir stellen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, wir stellen die Justiz an den Pranger für dieses aus der Sicht vieler Menschen zu milde Urteil. Der Wiener FPÖ-Chef hat sogar gesagt, er rechnet damit, dass die Selbstjustiz jetzt zunehmen wird. Das halte ich schon für mehr als bedenklich. Die Richterinnen und Richter – das wurde heute schon mehrfach gesagt – machen die Gesetze nicht, sie befolgen sie, sie setzen sie um. Deswegen halte ich es wirklich auch für unwürdig, das auf dem Rücken der Opfer, der Kinder, der Minderjährigen, die zu Opfern grausamer Taten gemacht wurden, auszutragen, dass die jetzt missbraucht werden, um politisches Kapital zu schlagen. (Abg. Amesbauer: Missbrauchen tut wer anderer!)

Der zweite Aspekt, der neben den Taten, die tatsächlich passiert sind, bedrückt macht, ist, dass hier die Vermutung naheliegt, dass es nicht um die Kinder geht, dass es nicht darum geht, Kinder zu schützen, denn wenn Sie das wollten, dann würden Sie nicht einzelne Urteile beklagen, sondern kon­krete Gesetzesvorschläge machen. (Abg. Amesbauer: Das machen wir seit Jahren! Sagen Sie, haben Sie nicht zugehört? – Abg. Martin Graf: Seit Jahren gibt es die Anträge!) Kein einziger Vorschlag liegt auf dem Tisch, sondern unver­bindliche Entschließungsanträge mit Headlines; und auf jene, die die FPÖ vorgelegt hat, würde ich auch gerne eingehen.

Sie fordern zum Beispiel ein lebenslanges Tätigkeitsverbot für Sexualstraftäter. Darüber kann man diskutieren, darüber soll man diskutieren. Irritierend ist aber, dass das Sexualstrafrecht 2019 reformiert wurde und es da Lücken gab – Lücken, über die wir auch jetzt wieder diskutieren. Wissen Sie, wer 2019 den Justizminister gestellt hat? (Abg. Belakowitsch: Als es beschlossen wurde!) Wissen Sie, wer damals auf diese Lücken aufmerksam gemacht hat? Sie haben sie nicht geschlossen. „Die Presse“ titelt heute sogar: „Ist das Teichtmeister-Urteil Folge von Türkis-Blau?“ – Das titelt „Die Presse“, das sage nicht ich.

Sie fordern Kostenersatz bei psychologischer Hilfe für die Opfer. Das ist natürlich begrüßenswert, irritierend ist aber, dass unter Türkis-Blau in der Justiz massiv eingespart wurde, auch in diesem Bereich. Sie fordern auch drastische Strafverschärfungen. Darüber kann man diskutieren, ob die eine Strafe zu niedrig und im Vergleich mit der anderen verhältnismäßig ist. Dafür sind wir auch offen. Pauschale, wie Sie sagen, massive Strafverschärfungen: Sie finden keinen einzigen Strafrechtsexperten, egal welcher Couleur, deswegen haben Sie heute auch keinen zitiert, der sagt: Durch eine massive Strafverschärfung wird auch nur ein einziges Kind geschützt. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

Deswegen erwecken Sie hier leider den Eindruck, dass es Ihnen gar nicht so sehr um den Kinderschutz geht, sondern eben darum, politisches Kapital aus extrem tragischen, aus schrecklichen Einzelfällen zu schlagen, die wir natürlich verhindern müssen. (Abg. Kassegger: Das ist eine Projektion, Herr Kollege, würde der Psychologe sagen! Sie projizieren jetzt!)

Wenn Sie daran interessiert wären, dass sich tatsächlich etwas tut, dann müssen wir uns anschauen, wo es Best-Practice-Beispiele gibt. Wir haben beispielsweise in Wien schon im Jänner, also lange bevor das hier diskutiert wurde, ver­pflichtende Kinderschutzkonzepte in allen Kindergärten vorge­schrieben. Wir haben eine Kompetenzstelle für Kinderschutz eingerichtet – ja, auch weil es in Wien tragische Vorfälle in den Kindergärten gegeben hat. Geplant sind außerdem eine Ausweitung dieser Kinderschutzregeln auf Fahrten­dienste – ich glaube, das ist auch ein Thema, über das wir dringend reden sollten – und strengere Vorschriften für alle Pflichtschulen. (Abg. Meinl-Reisinger: Ja, präventiv!)

Es gibt den Satz, der lautet, dass die Aufgabe von guter Politik ist, nicht das Populäre, sondern das Richtige zu machen – das, was aus objektiver Perspektive richtig ist – und danach dafür zu sorgen, dass es populär wird – nicht umgekehrt. Es ist bedauerlich, dass Teile dieses Hauses leider einen gänzlich anderen Weg in dieser Frage eingeschlagen haben. (Beifall bei den NEOS.)

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