16.52

Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Herr Präsident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrter Herr Kickl, Sie halten ja viele Reden, die nicht besonders gut sind, aber diese war besonders fad – wahrscheinlich weil Sie selbst wissen, wie schwach das ist, was Sie hier aufführen. Sie haben einen 16-seitigen Antrag eingebracht, in dem Sie alles Mögliche auflisten – nicht weil es politisch hier relevant wäre, sondern weil Sie ihn 5 Minuten nach der Sit­zung in diverse Chatgruppen schicken werden, um dort Verschwörungstheoreti­ker mit Material zu versorgen. (Abg. Kickl: Achtung, das könnte eine Ver­schwörungstheorie sein, Herr Reimon! Vorsicht!) Damit veräppeln Sie Ihre eigene Wähler:innenschaft. (Beifall bei Grünen und SPÖ. – Abg. Holzleitner: Der ganze Antrag ist gespickt mit Verschwörungstheorien!)

Sie wissen selbst, dass das, was Sie da aufführen, ein Schmäh ist. Warum? – Sie erzählen den Leuten: Weil Österreich Verträge abgeschlossen hat, ist es nicht mehr souverän! – Ja, stimmt eh, das ist so, wenn man einen Vertrag ab­schließt. Jeder Einzelne Ihrer Wähler und Wählerinnen, der einen Miet­vertrag hat, soll froh sein, dass der Vermieter nicht mehr souverän ist und ihn nicht innerhalb von 2 Minuten vor die Tür setzen kann. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Jeder Einzelne Ihrer Wähler und Wählerinnen, der einen Arbeitsvertrag hat, soll froh sein, dass der Arbeitgeber nicht mehr souverän ist, dass er einen Gehaltsanspruch hat, Urlaubsanspruch hat, in Krankenstand gehen kann. Des­wegen unterschreibt die Republik Österreich Verträge und bindet Mäch­tigere, bindet Pharmakonzerne. Wenn Sie gegen einen Gesundheitsvertrag sind (Abg. Kickl: Ah? Ja, ja, machen Sie es nur! Sie werden Ihr blaues Wunder erle­ben!), dann machen Sie nur die Pharmakonzerne frei. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Niemand weiß das besser als Sie. Niemand weiß besser als Sie, wie Sie mit Ihren eigenen Wähler:innen umgehen und wie Sie die am Schmäh halten. (Abg. Kassegger: Wer hat denn um 35 Milliarden per SMS etwas ...?)

Die Nato-Geschichte ist überhaupt der beste Schmäh. Hier sind vier Parteien, die für die Neutralität eintreten – Sie jetzt plötzlich, wie wir gehört haben. Niemand hier fordert einen Nato-Beitritt, und Sie malen das als Problem an die Wand. Wir haben ein anderes Problem: Die Nato würde uns nicht einmal nehmen, wenn wir wollten. Das ist das Problem. (Abg. Kickl: Das ist das Problem!) Wir bringen nicht einmal einen Transportflieger in die Luft. (Abg. Kickl: Das ist Ihr Problem!) – Ah? Ich habe auf diesen Zwischenruf gewartet – dass das von den Grünen kommen würde –, aber die Grünen haben diesen Transport­flieger nicht verkommen lassen. Dieser Minister hat Kunasek geheißen, und mit dem sind Sie zu dieser Zeit in der Regierung gesessen. (Beifall bei Abge­ordneten von Grünen, ÖVP und SPÖ. – Heiterkeit und Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Sie sind in dieser Regierung gesessen, die die österreichische Verteidi­gungsfähigkeit nicht mehr hat aufrechterhalten können. (Rufe: Oje, oje, oje!) Wenn Sie das auf die Grünen schieben wollen: Nachher kommt Kol­lege Stögmüller zu Wort, er wird Ihnen erklären, wie vernünftige grüne Ver­teidigungspolitik ausschauen sollte. (Lebhafte Heiterkeit bei Abgeord­neten der FPÖ. – Abg. Kickl: Wenn es nach Ihnen ginge, gäbe es kein Bundesheer mehr!) Wir haben einen roten, einen schwarzen und blaue Verteidigungsminister gehabt; vielleicht wird es einmal Zeit für einen grünen. (Abg. Kickl: Dann gäbe es nur mehr Revolutionäre!) Kollege Stögmüller wird Ihnen erklären, wie das geht.

Was wir machen müssen, ist, aktive Außen- und Verteidigungspolitik, aktive Politik zu betreiben, denn wir können nicht weiter als Trittbrettfahrer durch diese Weltpolitik fahren. Wir brauchen aktive Außenpolitik. Wenn wir die nächsten 20 Jahre (Unruhe im Saal – Präsident Sobotka gibt das Glocken­zeichen) die Mitgliedstaaten der Union und andere Länder im Stich lassen, wer­den wir irgendwann im Stich gelassen, wenn wir es brauchen. Auf das be­reiten Sie Österreich vor, auf sonst nichts.

Das stärkste Werkzeug aber, das Österreich hat, ist logischerweise nicht die Nato oder das Bundesheer, sondern das stärkste Werkzeug ist die Europäische Union – und das wollen Sie Österreich aus der Hand schlagen.

Wenn wir souverän sein wollen, unabhängig sein wollen, dann ist das Allererste, was wir machen müssen, uns von Diktaturen und Autokratien unabhängig zu machen, zum Beispiel indem wir aus Gas und Öl aussteigen, denn dort schie­ben wir Regimen das Geld nur so rein; die Milliarden buttern wir dort rein. (Abg. Kickl: Genau! Deswegen sind Sie nach Katar gefahren, nicht?) Sie wollen, dass wir bei diesen Energieformen bleiben und das weiterhin so machen.

Die beste Souveränitätspolitik, die wir machen können, ist (Abg. Hafenecker: Sind die Grünen!), die Unabhängigkeit von Öl und Gas zu forcieren. Das ist es. (Bei­fall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Kickl: Und deswegen sind Sie nach Katar gefahren, nicht?) – Nein, um die Abhängigkeit zu beenden, die Sie eingeführt haben! Deswegen haben wir das gemacht.

Es gibt zwei Gruppen von Autokratien, von denen wir uns besonders unabhängig machen müssen. Das ist Russland, das wir mit dem Kauf von Gas finanzieren, und es sind die Golfstaaten inklusive Iran (Ruf bei der FPÖ: Ah! – Abg. Kickl: Ach so!), von denen wir uns ölmäßig unabhängig machen. Das ist es. (Beifall bei Abge­ordneten der Grünen. – Rufe bei der FPÖ: Katar! Katar!)

Was Russland angeht, so bestreiten Sie so gerne, dass Sie mit Russland einen Freundschaftsvertrag hatten. – Stimmt, Sie haben mit der Partei Putins einen Arbeitsvertrag gehabt. Zu Verträgen habe ich Ihnen schon etwas erklärt. Ich habe Ihnen diesen Vertrag in diesem Buch gezeigt. (Der Redner hält das Buch „Putins rechte Freunde. Wie Europas Populisten ihre Nationen verkaufen“ von Michel Reimon und Eva Zelechowski in die Höhe. – Abg. Kickl: Wissen Sie, was ein Vertrag ist?) Ich weiß, was da drinsteht. (Abg. Kickl: Wissen Sie, was ein Vertrag ist?) Da steht drin, Sie verpflichten sich gemeinsam mit der Partei Putins zur „Stärkung der Freundschaft und der Erziehung der jungen Generation im Geiste“ (Abg. Stögmüller: Das ist ein Sicherheitsrisiko!), „von Patriotismus und Arbeitsfreude“. (Abg. Kickl: Lesen Sie einmal den Punkt zehn vor!) – Wer sind Sie eigentlich, dass Sie mein Kind zur Arbeitsfreude und zum Patriotismus erziehen wollen? (Beifall bei den Grünen. – Abg. Kickl: Lesen Sie den Punkt zehn vor!)

Was haben Sie Österreichs Jugend zu erzählen, wie diese zu erziehen ist, gemeinsam mit Putin?! Wie kommen Sie dazu?! Und Sie reden von Souveränität und Unabhängigkeit?! (Beifall bei Abgeordneten der Grünen.) Wenn wir souverän sein wollen, dann bitte ohne Putin und ohne diese Autokratie! (Beifall bei den Grünen.)

Damit kommen wir zu dem Geld, das wir an den Golf schicken, an die Ölstaaten, wo wir den islamischen Fundamentalismus finanzieren. (Abg. Hafenecker: Ja, Sie waren in Katar und in Aserbaidschan ...! – Abg. Belakowitsch: Mit dem Pri­vatjet! – Abg. Hafenecker: Mit dem Privatjet fliegen Sie in die Golfstaaten!) Den islamischen Fundamentalismus, den Sie angeblich so lang kritisieren, finan­zieren wir genau mit den Energieformen, an denen Sie noch Jahrzehnte festhalten wollen. Sie sind die, die uns daran binden. Aber Sie haben ja nichts gegen den islamischen Fundamentalismus, das Einzige, das Sie stört, ist, wenn die da sind. Das sind beides Stammesgesellschaften; unsere Rechtsextremen und Sie (Abg. Kickl: Jessas na!) wollen alle untereinander bleiben – wenn das räumlich getrennt ist, ist Ihnen alles wurscht.

Inhaltlich haben Sie überhaupt kein Problem. Deswegen fliegen ja Ihre Partei­freunde nach Afghanistan. Sie haben dasselbe Frauenbild – in der Rück­ständigkeit (Zwischenrufe bei der FPÖ) –, dasselbe Familienbild. (Abg. Kickl: Geht’s Ihnen eigentlich noch ganz gut? Bei Ihnen muss man jetzt wirklich schön lang­sam aufpassen!) Sie haben denselben Umgang mit Homosexuellen, besonders dieselbe Angst vor Männern. Das ist komplett gleich. Es gibt im gesam­ten Gesellschaftsbild überhaupt keinen Unterschied. Erkennen tut man den Unterschied zwischen den Islamisten und den Freiheitlichen nur an der Wange: Die einen haben einen Vollbart und die anderen einen Schmiss – sonst gibt es da gar nichts. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Und – das ist das Ärgste –: Sie haben doch seit Jahrzehnten denselben Zugang (Abg. Kassegger: Da sind wir jetzt im Bereich der Satire!) zum Antisemitismus. (Abg. Hafenecker: Haben Sie überhaupt ...?) Antisemitische Parteien und Organisa­tionen, rechtsextreme genauso wie islamistische: Das ist doch das eigentli­che Problem, über das wir jetzt ganz besonders reden. (Abg. Wurm: Sie brauchen einen Arzt!)

Wenn Sie über die Sicherheit Österreichs reden wollen, sage ich Ihnen etwas: Die Sicherheit Österreichs ist nur so groß, wie die Sicherheit der gefähr­detsten Gruppe in Österreich ist, wie die Sicherheit der Minderheiten in Öster­reich ist. (Abg. Wurm – in Richtung Grüne –: Und den schickt ihr nach Brüssel, oder was?) Wenn Juden und Jüdinnen in Österreich wieder gefährdet sind, dann ist die Sicherheit Österreichs derzeit am Boden. So schaut’s aus. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Kickl: Kann man dem Herrn Reimon noch ein paar Minuten Redezeit geben?)

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, hat vor drei Monaten im Rahmen des Antisemitismusplanes für Österreich gefordert, dass die Freiheitlichen sich niemals an einer Regierung beteiligen dürfen oder niemals daran beteiligt werden sollen. (Abg. Amesbauer: Das wird nicht er entscheiden! – Abg. Kickl: Wenn der Herr Deutsch das sagt!) Das schlägt ein oberster Vertreter der Juden und Jüdinnen in Österreich vor. Das ist gelebter Antisemitismus in Österreich. Ich hoffe, dass Sie niemals an einer Regierung beteiligt werden.

Nie wieder ist jetzt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Ruf bei der FPÖ: Unglaublich! Das ist unglaublich! Unglaublich! – Weitere Zwi­schenrufe bei der FPÖ.)

16.59

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Meinl-Reisinger. – Bitte sehr.