17.36
Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Regierungsmitglieder! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen, liebe Zuseher! Bevor wieder jemand schreit, plädiere ich vielleicht für ein bisschen Nachdenklichkeit. Während wir hier miteinander diskutieren können, müssen sich Kinder in der Ukraine irgendwo in einem Keller verstecken (Abg. Kickl: Ach!), damit sie nicht von einer Bombe, die aus Moskau dirigiert wird, getroffen werden, getötet werden. (Abg. Kickl: Ich glaube, das gibt es auch noch in anderen Gegenden dieser Welt!) – Ja. Na bitte! Auch das gibt es. (Abg. Kickl: Auch dort gibt es das, da höre ich nur nichts von Ihnen!) – Auch das gibt es. (Abg. Kickl: Ach so? Wenn die Türkei ihre Nachbarländer bombardiert, wenn Armenien mit Aserbaidschan im Konflikt ist ... ! – Abg. Stögmüller: ... haben wir eine Resolution gemacht! Na, seid ihr plötzlich pro Armenien?) Da Sie mich nicht ausreden lassen: Ich hätte auch von anderen Gegenden gesprochen, aber mit der Schreierei kommen Sie nicht weiter.
Das ist typisch für Herrn Kickl. Ich habe um etwas Nachdenklichkeit ersucht, und er kann nur schreien. Wir sind hier nicht in irgendeinem Bierzelt. – Danke schön. (Beifall bei NEOS, ÖVP und Grünen. – Abg. Kickl: Ja, ja! Bei amerikanischen Bomben habe ich nichts von Ihnen gehört!)
Ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Das, was Herr Kickl hier schreibt, nämlich „Souveränität und Neutralität sichern Österreichs Freiheit“, ist eine Unwahrheit. „Souveränität und Neutralität sichern Österreichs Freiheit“, das stimmt nicht.
Reden wir über Souveränität! Was heißt Souveränität? – Im Sinne des Völkerrechts sind wir souverän, ja, aber es ist doch völlig klar, dass wir andere Länder für Kooperationen, für Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen brauchen. Niemand ist Souverän! Die Chinesen arbeiten daran, im Jahr 2049 die stärkste Nation der Welt zu sein und dann möglicherweise souverän zu sein, aber sonst ist niemand souverän.
Wir brauchen die Kooperation, sie ist wichtig, und im Moment umso mehr, weil wir ja diese Auseinandersetzung spüren zwischen auf der einen Seite den Diktaturen – Putin, der eine neue Weltordnung mit Gewalt, mit Bomben machen will – und auf der anderen Seite den liberalen Demokratien, die zusammenhalten wollen und das auch tun (Abg. Kickl: Die überall ihre Flugzeugträger haben, am ganzen Globus) – und das sehr erfolgreich tun –, und da ist wohl klar, auf welcher Seite wir stehen und die Mehrheit des Hauses steht.
Sie aber stehen auf der Seite des Kriegsverbrechers, und jetzt werde ich Ihnen eine unangenehme Nachricht überbringen: Sie haben einen Vertrag mit Herrn Putin. Ich sage Ihnen nur eines: Herr Putin ist nicht vertragstreu. Was macht er denn? – Herr Putin hat etwa das Budapester Memorandum gebrochen, in dem Russland die sicheren Grenzen der Ukraine versprochen hat, wenn die Ukraine ihre Atomwaffen hergibt. Also Putin hat sich nicht daran gehalten.
Russland beschließt gerade wieder, dass man auch wieder Atomversuche machen wird, man hält sich auch da nicht an Verträge. – Sie (in Richtung FPÖ) halten sich an den Vertrag mit Moskau, ist in Ordnung.
Ich muss Ihnen aber noch etwas sagen: Sie haben in einem anderen Punkt schon wieder unrecht gehabt. Sie haben gesagt, Putin wäre von einem Wirtschaftskrieg, der vom Westen ausgeht, betroffen. – Wenn Sie nachdenken, müssten Sie eigentlich wissen: Seit 2005 droht Putin, droht auch Russland mit der Erhöhung des Gaspreises. Man droht, dass man weniger Gas liefert (Abg. Meinl-Reisinger: Tun sie auch!), man setzt den Westen permanent unter Druck (Zwischenruf des Abg. Kassegger), und es war ein ganz schwerer Fehler der ÖVP und der Leute, die Sie bei der OMV eingesetzt haben, dass man uns von Russland und von Gazprom noch abhängiger gemacht hat – ein ganz schwerer Fehler. Gott sei Dank bewegt sich das gerade in eine andere Richtung! (Beifall bei NEOS und Grünen.)
Und was diejenigen betrifft, mit denen Sie zusammenarbeiten – ich rede da etwa von Leuten wie Medwedew, einem der Genossen von Putin, oder Ihrem Freund Dugin, der ja auch auf Ihre Einladung hin in Wien gesprochen hat –: Dugin hat gesagt, es soll in Mitteleuropa keine freien Länder mehr geben, die sollen ein Puffer zwischen Ost und West sein. – Das ist die eine These. Die andere These ist jene von Medwedew, der sagt: Wir marschieren gleich bis Lissabon! – Das ist die Gewaltfantasie, die im Moment vom Kreml ausgeht, und in dieser Gewaltfantasie wollen Sie neutral sein? (Abg. Kickl: Genau, so viel zum Thema Anpatzen!) Da wollen Sie neutral sein und sagen: Es betrifft uns nicht!? – Es betrifft uns! Wenn Putin – und das werden Sie hoffentlich verstanden haben (Abg. Reifenberger: Sie wollen nicht neutral sein!) – die Ukraine einnehmen könnte, dann stünde er 500 Kilometer vor Österreich. (Abg. Kickl: Na was jetzt? Kann er es nicht oder marschiert er bis Portugal, oder was jetzt?) Und Medwedew ist einer von denen, die auch gedroht haben, dass sie Westen, auf westliche Städte schießen, Raketen auf uns schießen – das sind auf den Ihre Freunde! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)
Ich komme zum nächsten Punkt, nämlich zur Frage der Neutralität – 1955 beschlossen –: Ich habe, auch für die Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, diese Erinnerungen von Bruno Kreisky mitgebracht (das Buch „Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten.“ in die Höhe haltend) – ich hatte das Privileg, auch mit ihm selber noch darüber zu reden. Es ist faszinierend, nachzulesen, in welch schwieriger Situation diese Delegation damals in Moskau war, nämlich mit Bundeskanzler Raab, Außenminister Figl, Staatssekretär Kreisky und Vizekanzler Schärf. Jener, der der Neutralität am kritischsten gegenübergestanden ist – das ist hier nachzulesen – war natürlich Vizekanzler Schärf. Er hat sogar vorher schon, 1949, an seinen Parteifreund Blum in Frankreich geschrieben: Wir sollten eigentlich auch der Nato beitreten, weil es darum geht, dass wir unsere Sicherheit wahren sollen, aber das sage ich nicht öffentlich, weil wir sonst keinen Staatsvertrag bekommen! – Das war klug gedacht. Schärf war – ich habe vor Kurzem mit Dr. Androsch darüber gesprochen – auch wichtig, was die Usia-Betriebe, die russisch besetzten Betriebe, betrifft: Er hat sehr darauf geachtet, dass wir diese nicht hergeben mussten, dass die Sowjets damals nicht alles weggenommen haben. – Das sind also auch ganz wichtige Punkte.
Wir müssen sehen, dass das damals so war: Die Neutralität ist ja nicht in den Köpfen der österreichischen Delegation entstanden, sondern die ist schon vorher zwischen Russen und Amerikanern diskutiert worden. Die Amerikaner haben nur deswegen zugestimmt, weil sie gesagt haben, es wird eine Neutralität nach Schweizer Vorbild und auch eine bewaffnete Neutralität. Schweizer Vorbild hat für die Amerikaner eindeutig geheißen – und das wussten auch Kreisky und Schärf –: westlich orientiert, so wie die Schweizer, und eben nicht nach Osten lehnend; und bewaffnete Neutralität hat geheißen, dass wir uns wie die Schweizer bewaffnen.
Gerade in der ÖVP, in der FPÖ und in der SPÖ sollte man wissen, dass man dem in den letzten Jahrzehnten nicht nachgekommen ist. Die Schweiz hat ein deutlich höheres BIP. Sie geben viel, viel mehr Geld aus als wir, haben viel mehr Berufssoldaten (Abg. Reifenberger: Milizsoldaten, nicht Berufssoldaten!) und nehmen ihre Neutralität auch ernst, die bewaffnete nämlich, die bei uns nicht ernst genommen wurde – und Kunasek hat sie auch nicht ernst genommen. Das ist halt auch Realität, das muss man also dazusagen, und auch das ist ein Stück österreichischer Geschichte. (Beifall bei den NEOS. – Zwischenruf des Abg. Kassegger.)
Die nächste Frage ist aber – und diese hängt mit der Neutralität ganz wesentlich zusammen –: Wer garantiert unsere Neutralität? Im Staatsvertrag kommt die Neutralität nicht vor. Unser Verfassungsgesetz garantiert auch niemand, und wir wissen auch aus der Geschichte – fragen Sie die Belgier, die Dänen und andere; die Ukraine, ein bündnisfreies Land –: Neutrale Staaten sind immer überfallen worden, weil sie sich nicht wehren konnten. Daraus gibt es ja nur eine logische Konsequenz, nämlich die logische Konsequenz, dass wir uns Bündnispartner suchen.
Da bin ich wieder bei der Schweiz: In der Schweiz gibt es eine ganz klare Diskussion über die kooperative Neutralität. Ein Schweizer Militär hat vor Kurzem in Wien bei einer Veranstaltung gesagt: Wenn die erste Bombe auf die Schweiz gefallen ist, sind wir natürlich nicht mehr neutral, sondern wir wissen ganz genau, wer unsere Partner sind, die uns helfen, dass wir uns verteidigen. –Das ist ganz wichtig, und genau dort sind wir jetzt. Deswegen ist Sky Shield so wichtig: weil wir wissen, wir haben Partner, unsere europäischen Partner, mit denen wir uns gemeinsam verteidigen können. Wer das nicht sieht, der will, dass Putin das nächste Land überfällt, dass er auch uns bombardiert und dass er uns möglicherweise auch als Geiseln nimmt. – Das werden wir aber nicht zulassen!
Noch einmal: Das Bundesheer ist totgespart worden. Der erste Verteidigungsminister, der das ehrlich gesagt hat, war Generalmajor Starlinger, und er hat noch etwas Wichtiges gesagt – ich habe lange mit ihm gesprochen –: Er hat schon 2020 von diesen unfassbaren hybriden Kriegen gesprochen, die Russland auch gegen Österreich und gegen die Europäische Union führt. Ich meine, die senden ja auch ihre Spione, wie wir wissen, als Diplomaten verkleidet nach Europa – ist Ihnen alles recht, das weiß ich schon. Diese hybriden Kriege sind aber auch gefährliche Dinge, und da reden wir auch von den Informationskriegen, die geführt werden.
Es stimmt mich ja auch bedenklich – und auch das zeigt, dass Sie nicht neutral sind, Herr Kickl –, wenn ich verfolge, was FPÖ-Medien schreiben: Es ist nämlich im Wesentlichen dasselbe, auch von der Wortwahl her, was die russischen Propagandisten schreiben. Das heißt, Sie übernehmen sogar die Wortwahl und die Formulierungen der Russen – und erzählen Sie mir bitte nichts von Neutralität! (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Kassegger.)
Ich komme zum Schluss und möchte noch etwas Wichtiges sagen: Kreisky zu lesen ist interessant, aber ich habe auch Erwin Ringel wieder nachgelesen – ich kann nur jedem empfehlen, über die österreichische Seele zu lesen. Er hat vor genau 40 Jahren eine Rede über Österreich gehalten, sozusagen in Anlehnung an Anton Wildgans, der ja zum Teil recht begeistert über Österreich schreibt. Ringel ist da deutlich skeptischer, er bringt vor allem einen Punkt – jeder, der sich mit ihm beschäftigt hat, weiß das natürlich –, nämlich das Thema der Verdrängung.
Wir Österreicher sind also schon ganz gut im Verdrängen und haben eben in den letzten Jahren auch verdrängt, dass es Gefahren für unser Land gibt. Ich hoffe, dass wir jetzt verstanden haben, dass wir gegen diese Gefahren gemeinsam vorgehen müssen.
Noch etwas: Ringel hat auch gesagt, bei den Österreichern kann man leicht mit Angst spielen, den Österreichern kann man leicht Angst machen. – Ich kann das jetzt nicht weiter ausführen, es kann jeder nachlesen, wie er das begründet, aber das ist das, was Sie tun. (Abg. Kickl: Das hat aber jetzt eher von Ihnen so geklungen!)
Da kann ich nur sagen: Meine Damen und Herren, liebe Österreicherinnen und Österreicher, glaubt an dieses Österreich, glaubt an dieses Europa und glaubt nicht das, womit die euch Angst machen wollen! (Abg. Kickl: Sie haben doch gerade Angst gemacht: Der Einmarsch steht bevor!) – Nein, denn wenn wir zusammenhalten, wenn wir zusammenarbeiten, werden wir in Europa das, was nach 1945 gelungen ist – und es ist großartig, was gelungen ist, ja, es ist großartig! –, gemeinsam erhalten.
Mit den Angstmachern werden wir nicht weiterkommen (Abg. Kickl: Sie haben doch gerade Angst gemacht! 50 Prozent Ihrer Rede war nichts anderes!), aber um es gemeinsam zu erhalten, müssen wir eben zusammenhalten gegen die Invasoren, gegen diejenigen, die Kinder bombardieren, Kinder ermorden und Kriegsverbrecher sind. Putin ist ein Kriegsverbrecher, Sie (in Richtung FPÖ) wollen es noch immer nicht akzeptieren, aber es ist so. Das ist der, mit dem Sie einen Vertrag haben. Wir haben einen Vertrag mit der Europäischen Union und wir werden dort auch weiterhin für Wohlstand und Sicherheit sorgen. – Danke schön. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)
17.47
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Steger. – Bitte sehr, Frau Abgeordnete.