9.18

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Ge­schätzte Abgeordnete! Ich fange vielleicht damit an, dass es erstens einmal darauf ankommt, ob wir Menschen mit Behinderungen auch auf Augen­höhe begegnen und nicht nur über sie reden, sondern mit ihnen. Das ist jeden­falls das Motto bei uns im Ministerium, sie immer auch zu beteiligen und miteinzubeziehen.

Ich möchte fortsetzen mit einer Grundlage, die wir haben, das ist die UN-Behin­dertenrechtskonvention. Bei diesen Konventionen ist sehr oft eine öster­reichische Haltung: Na ja, das sind halt Staatsabkommen oder Staatsverträge, das ist nicht so genau, ob man die einhält oder nicht! Nein, das ist ein Vertrag, der eingehalten werden muss! Dazu hat es auch eine Staatenprüfung gegeben  ich werde darauf zurückkommen , die aufgezeigt hat, wo wir noch Nachholbedarf haben. Ich finde, das muss auch gesagt und adressiert werden.

Wir haben uns im Zuge der Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen Gleichberechtigung in allen Lebenslagen, ihnen Barrierefreiheit zu garantieren, zukommen zu lassen. Wir haben zur Um­setzung dieser Konvention den Nationalen Aktionsplan Behinderung als zentrale Strategie vorliegen, und dieser Aktionsplan deckt alle Lebensbereiche in acht Kapiteln und 55 Unterkapiteln ab. Dieser wurde, und das ist wichtig, unter Einbindung logischerweise der Bundesländer, aller Bundesministerien und vor allem auch unter Einbindung der Menschen mit Behinderung und de­ren Vertretungen erarbeitet. Für mich ist das kein abgeschlossenes Dokument, das sage ich auch dazu, sondern ein laufender Prozess, in den wir laufend neue Verbesserungen einarbeiten müssen.

Im letzten Jahr hat eine Staatenprüfung Österreichs stattgefunden: Wir haben, das sage ich dazu, in den letzten Jahren in Österreich viele Fortschritte für Menschen mit Behinderungen erzielt. Die Staatenprüfung vom August hat gezeigt, dass es, und das ist festgehalten worden, Verbesserungsbedarf in einigen Bereichen gibt, insbesondere im Bereich der inklusiven Bildung und auch wenn es darum geht, die Deinstitutionalisierung voranzutreiben.

Es braucht, finde ich, einen Perspektivenwechsel – ich vertrete das immer wieder bei Veranstaltungen –: Es geht darum, Menschen mit Behinderungen in erster Linie daran zu messen, was sie können, und nicht daran, was sie nicht können. Menschen mit Behinderungen sind in der Lage, in viel höherem Ausmaß am Arbeitsmarkt oder an der Gesellschaft teilzunehmen, als es ihnen allgemein zugetraut wird. Das heißt, die Devise ist: Wir schauen darauf, welche Potenziale, Chancen und Talente da sind, und rücken diese in den Fokus. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag an alle. Da ist die berufliche Teil­habe besonders wichtig, denn Menschen, die im Berufsleben stehen, haben die Möglichkeit, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Sie werden dadurch auch im Alltag sichtbar. Wir haben mehr Budget, um die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu stärken. Wir haben für dieses Jahr insgesamt 380 Millionen Euro vorgesehen, das sind 40 Millio­nen Euro mehr als im vergangenen Jahr, und diese Mittel fließen in viele wich­tige Projekte.

Wir haben mit dem Netzwerk Berufliche Assistenz des Sozialministeriums ein wirklich gutes Instrument, um den Übergang von der Schule ins Berufsleben für Jugendliche besser zu gestalten. Über das Neba erhalten sie beispiels­weise Jugendcoaching oder eine Assistenz bei der Berufsausbildung oder beim Arbeiten, um in den Arbeitsmarkt einsteigen zu können. Ein guter Start ins Berufsleben ist eben die Voraussetzung für eine selbstbestimmte Zukunft.

Die persönliche Assistenz ist schon erwähnt worden. Das ist tatsächlich ein Meilenstein, weil die persönliche Assistenz für Tausende Menschen mit Behinderung schlicht und einfach essenziell ist. Das ist deshalb so wichtig, weil wir bislang in den Bundesländern komplett unterschiedliche Systeme hat­ten. Wir haben jetzt den Schritt gesetzt, die persönliche Assistenz zu vereinheit­lichen, und stellen dafür 100 Millionen Euro zur Verfügung. Ziel ist es schlicht, persönliche Assistenz in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Drei Bundesländer haben sich bereits dazu committet, an einem Pilotprojekt teilzunehmen, zwei weitere stehen kurz davor. Ich appelliere an die restlichen Bundesländer, sich daran zu beteiligen. (Beifall bei den Grünen.)

Ein wichtiger Schritt, wenn es um Inklusion am Arbeitsmarkt geht, ist es auch, die Arbeitsunfähigkeitsprüfung nach hinten zu verlegen und erst mit 25 Jahren vorzunehmen. Warum ist das so wichtig? – Wenn Menschen mit einer Behinderung, einer Beeinträchtigung aufgrund dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits sehr früh von arbeitspolitischen Maßnahmen, die vom Arbeitsmarktservice angeboten werden, ausgeschlossen werden, dann werden damit Menschen, die durchaus Entwicklungspotenzial haben, Chancen verbaut.

Wir haben diese Prüfung mit Jänner 2024 nach hinten verlegt, diese kann seit­dem erst ab einem Alter von 25 Jahren passieren. Dadurch können Men­schen mit Behinderung leichter in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Sie erhalten genügend Zeit und Raum, ihre Fähigkeiten und Talente vollstän­dig zu entwickeln. Das bedeutet auch, eine Chance auf faires Entgelt und auf ein selbstbestimmtes Leben zu bekommen. Ich halte das für einen dringend notwendigen Schritt, der auch funktionieren wird. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Langfristiges Ziel: Wir wissen – ich habe das bereits angesprochen –, dass viele Menschen mit Behinderungen noch in sogenannten Werkstätten tätig sind, wo sie nicht in einem normalen Beschäftigungsverhältnis stehen und nicht sozu­sagen ordentlich beziehungsweise normal entlohnt werden, sondern nur ein Taschengeld bekommen. Das ist insofern eine nicht hinnehmbare Situation – ich habe das oft gesehen –, als Menschen mit Behinderungen in diesen Werkstätten oft Tätigkeiten verrichten, für die sie andernorts, etwa in sozialöko­nomischen Betrieben oder Arbeitsprojekten, entlohnt werden würden und versichert wären. Wir haben über die WU Wien eine Studie dazu erstellen lassen, die uns Ansatzpunkte aufgezeigt hat. Wir sind jetzt dabei, mit den Ländern Pilotprojekte aufzustellen, um Lohn statt Taschengeld zu verankern.

Ich persönlich bin der Überzeugung, das geht. Das geht deshalb, weil es nur darauf ankommt, die beiden Systemwelten des Sozialministeriumservice und des Arbeitsmarktservice, die Maßnahmen auf Bundesländerebene und auf Bundesebene zu verknüpfen. Wir müssen nichts neu erfinden, die Strukturen sind da. Es geht nur darum, den Willen zu zeigen, da, durchaus mit Unter­stützung des Bundes und mit Bundesmitteln, ins Tun zu kommen. Die Arbeiten dazu sind weit fortgeschritten, wir werden das noch vor dem Sommer hinbekommen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

9.25

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abge­ordnete Grünberg. – Bitte sehr.