15.35

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Unsere Aufga­be ist, über die Zukunft der Menschen in Österreich und in Europa zu reden. Deswegen hat mir das sehr gut gefallen, was Beate Meinl-Reisinger ge­sagt hat: Wir „leben in der Welt unserer Kinder“! – Wir haben, glaube ich, eine doppelte Verantwortung: Wir haben die Verantwortung, die Welt für unsere Kinder so zu gestalten, dass sie mindestens so gut darin leben können wie wir. Wir haben aber auch die Verantwortung, die Vergangenheit zu erklären – zu erklären, wie es dazu gekommen ist, wo wir heute stehen.

Es ist keine Frage, dass diese Zweite Republik eine wirkliche Erfolgsgeschichte ist. Und wie so oft, wenn es um Erfolg geht, hat so ein Erfolg viele Mütter und viele Väter. Das sind natürlich die Menschen, die dieses Land nach dem Krieg aufgebaut haben. Aber – und das wird manchmal auch vergessen – dieser Aufbau war ja nur möglich, weil wir den Marshallplan bekommen haben. Ein wesentlicher Punkt dabei – das wissen heute auch viele Leute nicht mehr –: Im Winter 1946/47 war die Ernte in den USA gar nicht so hervorragend, aber Präsident Truman hat gesagt: Wir müssen für unsere Partner in Europa etwas machen!, und hat uns Getreide geschickt, das in seinem Land zum Teil gefehlt hat. Das war ein Stück Hilfe beim Wiederaufbau.

Ich sage das deswegen, weil ich manchmal so ganz dumme antiamerikanische Bemerkungen höre. Ich sage das aber auch deshalb, weil ich betonen möchte, dass wir auch eine Verantwortung haben, wenn heute ein Land über­fallen wird, dass wir dort helfen. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordne­ten der SPÖ.)

Auch das ist etwas Historisches, was viele nicht mehr wissen: Wir wissen ja, dass die Sowjetunion zusammengebrochen ist, weil Kommunismus einfach irgendwann zu Ende geht, wenn alle so tun, als würden sie arbeiten, und der Staat so tut, als würde er bezahlen. Der Kommunismus ist also auch in der Sowjetunion zu Ende gegangen. Und als Gorbatschow in seiner letzten Phase war, war es Helmut Kohl, der dafür gesorgt hat, dass genug Getreide in die Sowjetunion geht, dass die Menschen dort überleben.

Da sieht man also: Mit Kriege-Führen kommen wir nicht weiter, aber mit Einander-Helfen kommen wir weiter. Ich glaube, das müssen wir auch den jungen Leuten sagen, dass wir in Europa nur gemeinsam dieses Europa und damit auch unser Österreich weiterentwickeln können. (Beifall bei den NEOS.)

Ein weiterer wichtiger Punkt – und da schaue ich bewusst die beiden Parteien an, die nach dem Krieg zum Teil allein, überwiegend aber gemeinsam regiert haben –: Selbstverständlich gab es sehr viele hervorragende wichtige Projekte, die gerade auch in diesem Haus beschlossen wurden, die von Regierungen umgesetzt wurden. Diese Zusammenarbeit und Kooperation war wichtig. Österreich hat sich auch deshalb weiterentwickelt, weil es die gemeinsamen Projekte gab, weil es dann auch Reformen gegeben hat und dann, Mitte der 1990er-Jahre, eben den Beitritt zur Europäischen Gemein­schaft, zur Europäischen Union. Dort stehen wir jetzt – und das ist der wesent­liche Unterschied zur Zweiten Republik bis dahin.

Heute, ja gerade jetzt brauchen wir Projekte – es ist schon über einige gesprochen worden –, europäische Projekte, um Österreich weiterzuentwickeln und um die Gemeinschaft in Europa weiterzuentwickeln. Da komme ich zu einem Zitat von Paul-Henri Spaak, einem der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft, das manche vielleicht kennen: Es gibt in Europa kleine Länder und kleine Länder, die noch nicht wissen, dass sie kleine Länder sind. (Heiterkeit der Abg. Meinl-Reisinger.)

Das hat sich inzwischen aber auch in Frankreich, Deutschland und bei den anderen herumgesprochen. Unser Bundespräsident hat gesagt: Um das Kleine zu schützen, müssen wir das Große stärken! – Das ist auch ein gutes Zitat, und es beweist, dass gerade wir, ein eher kleineres Land, natürlich auch diese Gemeinschaft brauchen. (Beifall bei den NEOS.)

Jetzt komme ich zum nächsten Punkt. Bei Diskussionen mit der FPÖ wird manchmal gesagt: Nein, das stimmt alles nicht!, und ich sage dann: Man muss ja nicht Prof. Kocher glauben, weil er jetzt Politiker ist, aber Prof. Felbermayr, dem Wifo-Chef, kann man glauben. Und wenn er sagt, dass jede und jeder von uns per capita, wie es so schön heißt, deswegen 4 000 Euro im Jahr mehr haben (Ruf bei der ÖVP: Warum sollen Sie dem Kocher nicht glauben? Warum sollen wir Ihnen irgendwas glauben?), weil wir in der Europäischen Union sind - - (Abg. Lopatka: Entschuldigung, warum glauben Sie dem ...?) – Ich glaube ihm ja eh, aber die (in Richtung FPÖ) glauben ihm ja nicht. Ich glaube Prof. Kocher auch (Abg. Lopatka: Das wollten wir hören! Weiterreden!), aber noch mehr betone ich, was Prof. Felbermayr sagt, denn er ist der Wifo-Chef; und wenn er von diesen 4 000 Euro spricht, dann wäre es schön, wenn es ihm alle glauben würden. Da kommen dann aber gerade Nichtökonomen oder Sonstige, die nichts studiert und nichts gelernt haben, und sagen: Das stimmt alles nicht!

Nein, wir alle profitieren von dieser Europäischen Union, und bitte, seien wir endlich dankbar! Wir müssen aber diese Projekte machen. Eines dieser Projekte ist Forschung, und – es ist angesprochen worden – wir sind nach hinten gefallen, und unsere Chance ist jetzt natürlich, unsere Universitäten zu verbes­sern. Unsere Universitäten aber – für die, die das nicht wissen – leben alle im Austausch mit den anderen Universitäten in Europa und überall auf der Welt, und das müssen wir noch stärker und besser machen.

Ich habe schon gestern gesagt: Wenn die Amerikaner bei Patenten ganz, ganz weit vor uns sind und die Chinesen bei Patenten ganz, ganz weit vor uns sind, dann müssen wir uns halt mehr anstrengen und dann müssen wir alles dafür tun, dass dies in diesem gemeinsamen Europa auch funktioniert. (Beifall bei den NEOS.)

Da müssen wir auch etwas dafür tun, dass die Menschen mehr über die Vorteile in Europa hören, und dabei können wir uns wieder auf die Jungen verlassen. Es gibt eine Ö3-Jugendstudie, die sagt: 89 Prozent sagen, die EU ist wirtschaftlich wichtig für uns; 87 Prozent sagen, die EU-Länder sollen enger zusammenarbeiten. – Das heißt, die jungen Leute haben es begriffen. Die nicht mehr ganz so Jungen: Bitte, schaut euch das bei den jungen Leuten an!

Jetzt komme ich aber noch zu einem anderen Punkt: Hört auf mit diesem „Ja, aber“-Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP! Kann man sich vorstellen, wenn im Herbst Nationalratswahl ist, dass der Herr Bundes­kanzler plakatiert: „Ja, aber“-Österreich!? – Nein, er wird plakatieren: Österreich!, Für Österreich!, na, selbstverständlich. Also plakatiert bitte: Für Europa!, denn das ist unser gemeinsames Europa, und wir brauchen es! (Beifall bei den NEOS.)

Ja, und was den Öxit betrifft: Das ist so ein Blödsinn, dass ich gar nichts dazu sagen möchte.

Ich möchte noch über ein Buch reden und sage als Disclaimer gleich dazu: Ich war ein Beteiligter daran (das Buch „Erlebtes Europa“ in die Höhe haltend), aber alle 14 Autorinnen und Autoren (Abg. Michael Hammer: Ein Compliance­thema!) bekommen keinen Groschen, sondern alle haben gesagt: Wir machen das gerne, weil wir von unseren Erfahrungen erzählen wollen.

Ich möchte nur wenige herausnehmen: Hannes Androsch zum Beispiel erzählt, dass er am 15. Mai 1955, damals 17 Jahre alt, nicht beim Belvedere war, sondern am Stephansplatz, wo die Pummerin geschlagen hat.

Christa Chorherr, auch aus dieser Generation, die noch den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, war aber beim Belvedere. Sie erzählt, wie sie schon Mitte der Fünfzigerjahre in Frankreich studieren durfte beziehungsweise konnte. Das war eine Ausnahme. Heute haben wir Erasmus, wir haben für die jungen Leute diese Chance.

Deswegen ist mir das Buch auch so wichtig: weil es drei Generationen sind – jene, die schrecklicherweise noch den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, aber auch die Jungen, die sich nur ein gemeinsames Europa vorstellen können.

Da ist auch ein junger Mann dabei – und wir haben diese Flüchtlingsge­schichten ja schon beim Zerfall Jugoslawiens gehabt –, der im Bauch seiner Mutter, einer bosnischen Flüchtlingsfrau, nach Österreich gekommen ist. Diese Familie hat sich integriert, sie ist Teil von Österreich. Daran sieht man: Auch das ist eine Geschichte, die zu uns dazugehört.

Es ist auch eine junge Frau aus der Ukraine, die da schreibt und ihr Europa be­schreibt. Auch Othmar Karas schreibt darin – das möchte ich auch noch sagen –, und er beschreibt, wie Alois Mock am 17. Juli 1989 beim französischen Außenminister Roland Dumas war und dort das Beitrittsansuchen für die Europäische Gemeinschaft übergeben hat – also schon vor dem Fall der Berliner Mauer. Und weil die Franzosen auch sehr geschichtsbewusst sind, haben sie draufgeschrieben: 14. Juli.

Das sind Geschichten, die mich persönlich rühren, weil wir anhand dieser Ge­schichten auch immer sehen, wie dieses Europa sich unterschiedlich ent­wickelt hat, zerstritten war, wie in Europa Kriege geführt wurden; aber heute ist in diesem Europa, in dieser Europäischen Union, Krieg unmöglich geworden.

Wir werden es nicht mehr machen. Wir werden uns verteidigen und wir müssen uns verteidigen – auch das ist wichtig, und das müssen wir heute auch den jungen Leuten sagen –, aber in Europa ist Krieg nicht mehr möglich. Wir haben alle Chancen für dieses gemeinsame Europa.

Ich bin allen dankbar, die für dieses gemeinsame Europa arbeiten wollen, mitmachen wollen. An jene aber, die es nicht wollen, habe ich eine Bitte: Hört bitte mit diesen verbalen Entgleisungen auf! Das tut wirklich weh. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.) Es tut mir wirklich weh. Das Europäische Parlament ist ein Arbeitsparlament, in dem hervorragende Leute arbeiten. Wenn man sagt, das ist ein „Irrenhaus“, dann ist das wirklich jenseits jeder politischen Debatte!

Abgesehen davon: Ja, es gibt kranke Menschen, und sie müssen betreut werden. Aber Politikerinnen und Politiker, die zusammensitzen und für Europa arbeiten, als „Irrenhaus“ zu bezeichnen, das geht nicht! (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es geht auch nicht, dass man, wenn ein Kontinent gerade bedroht wird und einem anderen Land hilft, von Kriegstreibern spricht. Das ist jetzt wirklich ein Appell! Und ich bitte inständig: Hören wir damit auf!

Wenn irgendjemand sagt: Ihr habt aber auch irgendetwas Gemeines gesagt!, dann bitte sagt uns das und dann sollen auch wir damit aufhören. Arbeiten wir bitte gemeinsam! (Abg. Steger: Nazi, Rechtsextremist, Schwurbler, das ist jetzt alles entschuldigt!) Arbeiten wir miteinander! Arbeiten wir zusam­men für die nächsten Generationen! Sie haben es verdient, weil wir es so wun­derbar gehabt haben. – Danke. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen.)

15.45

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeord­neter Lopatka. – Bitte.