10.40
Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Fangen wir damit an, dass der österreichische Sozialstaat wirkt, und wir können auf diesen Sozialstaat auch wirklich stolz sein, denn ohne soziale Sicherungssysteme wären in Österreich nicht 1,3 Millionen Menschen armutsgefährdet, sondern rund 3,3 Millionen Menschen. (Abg. Wurm: Das ist ein Armutszeugnis! Ein Armutszeugnis! 1,3 Millionen, bitte schön! ... stolz sein!)
Dank dieses Sozialstaates haben wir in den Krisen der letzten Jahre (Abg. Wurm: ... sie zerstört!) allzu große Verwerfungen und auch den sozialen Absturz breiter Bevölkerungsschichten verhindern können. So gut aber unser Sozialstaat auch tatsächlich ist, er hat natürlich seine Lücken, und der Sozialstaat steht – Stichwort Klimakrise – auch vor enormen neuen Herausforderungen. (Abg. Wurm: ... Krise gar nichts ...!)
Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Sozialbericht 2024 (ein Exemplar des Berichtes in die Höhe haltend) und vor allem die Expert:innen aus der Wissenschaft, von den Universitäten und aus der Wirtschaftsforschung versuchen, Antworten auf die entsprechenden sozialen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu geben.
Zuallererst vielleicht einmal ein paar Zahlen, Daten, Fakten: Österreich liegt hinsichtlich der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung deutlich unter dem EU-Schnitt und im besten EU-Drittel. Wir sind, was die Armutsbekämpfung betrifft, besser als beispielsweise vergleichbare Staaten wie Deutschland, Belgien oder auch Schweden. – Das ist einmal die gute Nachricht.
Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht, denn auch wenn unser Sozialstaat die Menschen in Österreich weitgehend schützt und sich die Menschen in Österreich auch auf unseren Sozialstaat verlassen können, hat er auch Schwachstellen. (Abg. Wurm: Die Grünen!)
Eine Schwachstelle ist unter anderem auch die in diesem Sozialbericht erwähnte Sozialhilfe, das letzte soziale Netz. Die Abschaffung der Sozialhilfe, meine sehr geehrten Damen und Herren, und die Einführung der sogenannten Sozialhilfe Neu waren wahrscheinlich einer der größten Sündenfälle der türkis-blauen Koalition. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)
Mit der Einführung dieses Deckels, also eines Höchstbetrags bei der Sozialhilfe, wurde den Ländern nicht nur ein wesentlicher Spielraum bei der Bekämpfung von Armut genommen, sondern die Sozialhilfe ist auch deutlich weniger armutsfest geworden, als es die alte Mindestsicherung noch war.
Auch wenn wir in dieser Regierung der Sozialhilfe einige Giftzähne gezogen und sie auch deutlich verbessert haben – ich denke dabei beispielsweise an den Schulungszuschlag für Menschen in Sozialhilfe, die eine Ausbildung beim AMS machen und dadurch bessere Chancen am Arbeitsmarkt haben, bessere Chancen, aus der Armut herauszukommen –, ist die Sozialhilfe, so wie wir sie derzeit haben, doch nichts anderes als ein Fleckerlteppich, der dringend eine Generalsanierung braucht, und zwar in Richtung einer Vereinheitlichung der Leistungen, in Richtung von Mindestsätzen statt Höchstsätzen, in Richtung von flexibleren Möglichkeiten der Hilfe und eines rascheren, unbürokratischen Zugangs. Wir brauchen eine moderne Grundsicherung, die wirklich auch ein Sprungbrett zurück ins Erwerbsleben, zurück in die finanzielle Eigenständigkeit darstellt, und keine stigmatisierende, armutsverfestigende Sozialhilfe. (Beifall bei den Grünen.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was aus diesem Sozialbericht (ein Exemplar des Berichtes in die Höhe haltend) auch klar hervorgeht, ist: Wer von Armut redet, der darf auch über den Reichtum nicht schweigen, weil die soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft massiv steigt, und die soziale Ungleichheit gefährdet die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft. Die soziale Ungleichheit, die sich immer stärker verbreitet, führt zu einem Verlust von Chancengerechtigkeit, führt zu einem Verlust von Zugang zu Ressourcen, zu einem Verlust von Teilhabemöglichkeiten und zu einem Verlust von Mitgestaltung.
Die Oesterreichische Nationalbank, die Experten, liefern uns auch die entsprechenden Zahlen zu diesem Anstieg der sozialen Ungleichheit, insbesondere wenn es um die Frage der Vermögensverteilung geht: Wenn die Hälfte der Bevölkerung, die ärmste Hälfte der Bevölkerung, gerade einmal knapp 5 Prozent des Vermögens hat und die Reichsten 10 Prozent über die Hälfte des Vermögens haben, ja, dann haben wir in diesem Land ein Problem. Dieses Vermögen ist auch nur selten erarbeitet – es ist in Wirklichkeit ein Produkt von Erbschaft.
Gleichzeitig ist aber Vermögen in Österreich auch sehr niedrig besteuert. Es ist daher auch kein Zufall, dass uns die Expert:innen in diesem Sozialbericht – genauso wie viele Expert:innen aus der EU-Kommission, aus der OECD, aus dem Internationalen Währungsfonds und so weiter und so fort – empfehlen, eine Steuerstrukturreform zu machen, eine Steuerstrukturreform, die sowohl den Umweltbereich als auch eine gerechtere Vermögensbesteuerung umfasst. Darum brauchen wir auch ganz dringend eine Besteuerung von großen Vermögen und von Millionenerbschaften. (Beifall bei den Grünen.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Darüber müssen wir reden, und darüber müssen wir auch öffentlich reden. Darum kommt für uns auch eines überhaupt nicht infrage: dass die Expert:innen, die in diesem Werk der OeNB (ein Exemplar des Berichtes in die Höhe haltend) unter anderem dazu aufrufen, eine gerechtere Besteuerung einzuführen, von der Nationalbank so etwas wie ein Sprechverbot bekommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist inakzeptabel, das gehört schleunigst zurückgenommen.
Dieser Sozialbericht ist ein wichtiger Beitrag zu einer Debatte um eine Weiterentwicklung des Sozialstaates – führen wir diese bitte auch! – Danke. (Beifall bei den Grünen.)
10.46
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Ecker. – Bitte.