19.24

Abgeordnete Pia Philippa Strache (ohne Klubzugehörigkeit): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Regierungsmitglieder! Sehr ge­ehrter Herr Bildungsminister! So erfreulich es ist, dass Bildung endlich wieder im Mittel­punkt der Debatte steht, so muss leider festgestellt werden, dass den Schulen und vor allem den Lehrkräften zunehmend Übermenschliches abverlangt wird: Inklusion, Inte­gration, Bildung und Betreuung.

Ein paar der wahrscheinlich größten Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht, sollen nun von den Schulen quasi im Alleingang geschultert werden. Ich denke, ich bin nicht alleine, wenn ich mich frage, wie das funktionieren soll.

Die von meinen Kolleginnen und Kollegen eingebrachten Anträge stellen alle einen Schritt in die richtige Richtung dar, aber ich befürchte, wir befinden uns immer noch in einer Situation, in der wir versuchen, einem strukturellen Problem mit Minischritten und einem Flickwerk beizukommen, ohne Struktur reinzubringen.

Geld ist ohne Zweifel notwendig, um die Coronakrise, die viele Facetten hat, nicht zu einer Bildungskrise zu machen. Neben den finanziellen Mitteln benötigen wir auch so etwas wie einen Generalplan Bildung, welcher von der wichtigen Elementarpädagogik bis hin zu den Universitäten eine ideologiefreie Analyse der Kapazitäten unseres Bil­dungssystems liefert, Prioritäten setzt und Mittel dort investiert, wo sie dringend benötigt werden.

Regeln und Strukturen sind wichtig, das ist schon klar. Warum aber kann man im Bil­dungsbereich nicht einmal einen unorthodoxen, einen unkonventionellen Weg gehen, der so individuell ist, wie unsere Kinder auch? Eines muss und darf einmal ganz rational gefragt werden: Ist unser derzeitiges Bildungssystem überhaupt noch zukunftsfit?

Schulische Ferienbetreuung und Summerschools, wie sie heute gefordert werden, sind möglicherweise nur ein erster Schritt in ein wirklich zukunftsfittes Bildungssystem. In ei­ner zunehmend postindustriellen Gesellschaft ist Bildung einer der wichtigsten Wege, um unseren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen. Jedes vierte Kind in Österreich ist von Armut betroffen. Es ist unsere Verantwortung, dass Bildung nicht Teil der Armuts­falle wird.

In einer Sitzung letzte Woche wurde die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer be­schlossen, das war schön und gut, aber es ist höchste Zeit, auch die Einkommen der Österreicherinnen und Österreicher endlich nachhaltig zu entlasten. Im OECD-Schnitt liegt Österreich immer noch unter den top fünf, was die Belastung von Einzelverdienern und Familien betrifft. Wohnen, Erziehung und eben Bildung werden von Jahr zu Jahr teurer; alles, was die Grundlagen einer erfolgreichen Volkswirtschaft ausmacht, wird teurer.

Ich glaube nicht – und ich denke, da sind wir uns ausnahmsweise einmal alle einig –, dass unsere Kinder nicht weniger Talente oder Begabungen haben als die Kinder in anderen Ländern, aber ein unübersichtliches und chronisch unterfinanziertes Bildungs­system ist eine Erklärung dafür, warum wir mittlerweile – wie allgemein bekannt – bei der Pisa-Studie nicht mehr über das Mittelfeld hinauskommen.

Viele der angedachten Initiativen, wie das Zurverfügungstellen von Laptops und Tablets, sind besonders durch die noch immer nicht ausgestandene Coronakrise notwendig und im Homeschooling unvermeidbar, aber auch diesbezüglich befürchte ich, dass neue He­rausforderungen entstehen, die übersehen werden.

Es geht nämlich nicht nur um die Bereitstellung technischer Infrastruktur, sondern auch um die damit verbundene verantwortungsvolle Benutzung. Neue Technologien sind kein Allheilmittel, sondern bergen neue Risiken. Bereits jetzt verbringen unsere Kinder den Großteil ihrer Zeit mit sozialen Medien. Hierzu gibt es zahlreiche Studien, die bestätigen können, wie schädlich diese Entwicklung gerade für Teenager ist. Ein prominentes Bei­spiel: Kein Geringerer als Steve Jobs hat seinen eigenen Kindern ein striktes I-Pad-Ver­bot auferlegt, weil er sich der Risiken bewusst war. Daher sollten wir auch darauf achten, dass wir nicht nur die technische Infrastruktur zur strukturellen Nutzung schaffen, son­dern auch wirklich dafür sorgen, dass unsere Kinder nicht Gefahr laufen, dadurch neuen Gefahren ausgesetzt zu werden.

Gleiches gilt für die wirklich schöne Idee der Inklusion, welche grundsätzlich absolut be­grüßenswert ist, weil sie vor allem der Seele der betroffenen Kinder, aber auch den Fa­milien gut tut. Es gilt aber ebenfalls sicherzustellen, dass alle Beteiligten die notwendigen sensiblen Strukturen vorfinden, die es braucht, um eine optimale Inklusion gewährleisten zu können. Man stellt die Eltern, aber auch die Kinder vor eine gewaltige Herausforde­rung, und klappt es dann nicht, werden sie eiskalt im Stich gelassen.

Ein Junge, der eine Inklusionsklasse in Deutschland verlassen musste, hatte nur einen Wunsch, sollte er noch einmal die Chance bekommen, so eine Klasse besuchen zu dür­fen, nämlich dass man sich beim zweiten Versuch mehr auf seine Stärken als auf seine Schwächen konzentriert – ein schöner Ansatz, den wir vielleicht mitbedenken können.

Die Ausbildung und Anerkennung von Sonderpädagoginnen und -pädagogen wurde in Österreich über die Jahre hinweg sträflich vernachlässigt. Auch diesbezüglich gibt es Aufholbedarf. Inklusion leben, heißt nicht, eine gute Idee am Ende durch Einsparungen am falschen Platz nicht praxistauglich umsetzen zu können. Es würde mich sehr freuen, wenn wir gemeinsam einen Weg ohne ideologische Barrieren finden könnten, um si­cherzustellen, dass eine Bildungsmilliarde am besten zum Wohl unserer Kinder und der zukünftigen Generationen eingesetzt wird.

Kinder brauchen Zeit, Geduld und Verständnis auf ihrem schulischen Weg. Das alles sind Dinge, die ihnen ein ausgelaugtes und müdes System nicht mehr mit auf den Weg geben kann. – Danke. (Beifall bei Abgeordneten der SPÖ.)

19.29

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wie vereinbart verlege ich die Abstimmungen an den Schluss der Verhandlungen über die Vorlagen des Unterrichtsausschusses und fahre in der Erledigung der Tagesordnung fort.