21.53

Abgeordnete Pia Philippa Strache (ohne Klubzugehörigkeit): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Regierungsmitglieder! Die Berichte be­züglich der menschenrechtlichen und politischen Situation in Venezuela und des europäischen und globalen Gesamtzustandes erscheinen nur auf den ersten flüchtigen Blick als separate Themen, denn neben der globalen Coronapandemie breitet sich bereits eine zweite Pandemie aus, und für keine der beiden scheint es eine Impfung oder ein Heilmittel zu geben.

Weltweit rutschen immer mehr einst liberale, demokratische Systeme in eine völlig illiberale Richtung ab. Sowohl Identitätspolitik als auch ideologische Feindschaften nehmen zu, die politische Polarisierung steigt und die Stärke demokratischer Institutio­nen nimmt ab. Länder, die noch am Beginn des 21. Jahrhunderts einen so hoffnungs­vollen Weg in Richtung Demokratisierung und Liberalisierung genommen haben, scheinen wahrlich eine 180-Grad-Wendung durchzumachen.

Von der orangen Revolution in der Ukraine über die Rosenrevolution in Georgien bis hin zum Arabischen Frühling wurden fast überall die gewonnenen Freiheiten bereits wieder verloren. Ägypten ist wieder eine Militärdiktatur, Venezuela, eines der rohstoffreichsten Länder dieser Welt, unterdrückt seine eigene Bevölkerung und hält die Menschen in bitterer Armut. Die Freiheit von Hongkong ist mittlerweile mehr ein Relikt der Vergan­genheit. Das ist übrigens auch keine Frage von politisch rechts, links, Mitte, außen, sondern das ist schlicht und ergreifend eine Frage von Freiheit oder Unfreiheit. Auch hier im Hohen Haus gibt es teilweise tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten und unter­schiedliche Weltanschauungen, aber wir respektieren die unantastbare Menschenwürde jedes Einzelnen und das Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit.

Was bei uns selbstverständlich ist, wird in immer mehr Ländern zur Ausnahme. Dieser Trend hat bereits vor Corona begonnen, und es ist zu befürchten, dass er sich auch in den nächsten Jahren weiter verschärfen wird. Wenn sich eine kleine Lehre aus der Geschichte ziehen lässt, dann jene, dass auf jede Weltwirtschaftskrise zeitverzögert auch eine politische Krise folgt. Nach der sich bereits entfaltenden ökonomischen Re­zession, die in Wirklichkeit eigentlich bereits eine globale Depression ist, wird höchst­wahrscheinlich eine demokratische Rezession folgen, wenn wir nicht rechtzeitig gegen­steuern.

Generell bin ich eigentlich kein Freund von überzogenen historischen Vergleichen, weil diese ganz oft nur den Effekt haben, das tatsächlich Geschehene eigentlich zu verharm­losen oder politisch zu instrumentalisieren, aber eines muss man festhalten: dass die größte Krise, welche die Idee des Liberalismus in ihrer Geschichte erfahren musste, auch die Folge einer wirtschaftlichen Krise war.

Alle totalitären Ideologien nützen die Folgen einer Weltwirtschaftskrise. So gibt es auch bereits jetzt erste Polarisierungen und Ideologisierungen, wo wirtschaftliche Sorgen und die daraus entstehende Frustration radikalen Bewegungen stetig Zulauf verschaffen.

Es geht nicht darum, sich gegenseitig eine bestimmte Weltansicht aufzuzwingen, son­dern einander da zu stützen und zu stärken, wo eine demokratische politische Diskus­sion nicht mehr gelebt werden kann. Auch wenn die Ergebnisse nicht immer jedem gefallen: Ich halte die Alternativen für weitaus gefährlicher. – Danke. (Beifall bei SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

21.57

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin Gewessler. – Bitte.