12.00

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Mi­nister! Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie umfassend das außenpolitische Engagement Österreichs ist, zeigt der Außen- und Europapolitische Bericht 2019. Auf 260 Seiten wird ein detaillierter Überblick darüber gegeben, was Ös­terreich innerhalb der Europäischen Union leistet, welche Rolle Österreich spielt. (Präsi­dentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Als zweiter großer Bereich werden die Initiativen angesprochen, die wir multilateral set­zen, vor allem innerhalb der Vereinten Nationen, und ein dritter großer Punkt dieses Berichtes ist das entwicklungspolitische Engagement Österreichs.

Ich möchte mich vor allem auf zwei Punkte konzentrieren, die uns immer wichtig waren beziehungsweise die uns sehr betreffen. Das eine ist, dass Österreich eine Tradition hat, wenn es um die EU-Erweiterung geht, vor allem, was Südosteuropa betrifft, was den Westbalkan betrifft. Slowenien und Kroatien aus dem ehemaligen Jugoslawien sind mitt­lerweile starke Partner in der Europäischen Union, aber andere sind erst auf dem Weg in die Europäische Union. Um die Stabilität in Südosteuropa sicherzustellen, ist es uns ganz wichtig, dass für diese sechs Beitrittswerber am Westbalkan auch eine glaubwür­dige Beitrittsperspektive aufrechtbleibt.

Im Bericht 2019 waren wir noch in einer Position, in der wir uns dafür stark gemacht haben, die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien aufzunehmen. Mitt­lerweile sind wir da einen Schritt weiter, das ist auch ganz, ganz wichtig.

Anders sieht aber die Entwicklung aus, was einen anderen Beitrittskandidaten betrifft, nämlich die Türkei. Da hat sich die Situation zunehmend verschlechtert, und die Position, die Österreich mittlerweile schon relativ lange einnimmt, stellt sich immer mehr als die richtige heraus. Die Türkei hat sich von der Europäischen Union entfernt und ist daher auch weit davon entfernt, dieser Europäischen Union beitreten zu können.

Ankara betreibt zunehmend eine Politik, die Krisen in der Region verschärft, eine Politik, die eigentlich auf Krisen angelegt ist. Das hat 2016 mit der Invasion in Syrien begonnen, hat auch im Vorgehen der Türkei gegen die große kurdische Minderheit eine Fortsetzung gefunden. 2018 ist die Türkei dann in Afrin – das hat ja auch unser Haus beschäftigt – einmarschiert, 160 000 Kurden sind zur Flucht gezwungen worden.

Es wird heute hier auch einen gemeinsamen Entschließungsantrag geben, den bei ei­nem weiteren Tagesordnungspunkt die Grünen einbringen werden, in dem wir uns, mei­nes Erachtens richtigerweise, mit dieser Situation beschäftigen und an die Bundesregie­rung herantreten, entsprechende Initiativen, vor allem auf europäischer Ebene, zu set­zen. (Beifall bei der ÖVP.)

Nach Syrien schickte die Türkei dann im Jänner 2020 Milizen nach Libyen, und jetzt, in den letzten zwei Wochen, hat die Türkei ganz massiv aufseiten von Aserbaidschan in den Konflikt um Bergkarabach eingegriffen. Innerhalb von 14 Tagen wurden dort schon offiziell mehr als 600 Todesopfer gemeldet.

Daneben spricht die Türkei auch ganz unverhohlen massive Drohungen gegen die bei­den EU-Mitgliedstaaten Zypern und Griechenland aus. Sie spricht aber nicht nur Dro­hungen aus, sondern sie schickt auch Schiffe völkerrechtswidrig in diese Region.

Daher sage ich: Wer so handelt, hat keinen Platz in der Europäischen Union – heute nicht und auch morgen nicht. Ich glaube, das sollten wir auch seitens des österreichi­schen Parlaments ganz klar sagen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grü­nen.)

Ich darf aber zu einer Krise, die jetzt eben auch durch die Türkei verschärft worden ist, einen konkreten Entschließungsantrag einbringen – Sie müssen etwas Geduld haben, das ist ein etwas längerer Entschließungsantrag –:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Pamela Rendi-Wag­ner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „die aktuelle Situation in der Region Bergkara­bach“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internatio­nale Angelegenheiten, wird ersucht, auch weiterhin auf bilateraler und multilateraler Ebe­ne für eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und die Einhaltung des Völker­rechts, vor allem jenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz der Zivilbevölke­rung und ziviler Infrastruktur, durch beide Seiten entschlossen einzutreten. In diesem Zusammenhang wird der Bundesminister für europäische und internationale Angelegen­heiten ersucht, auf europäischer Ebene dafür einzutreten, dass die Europäische Union, humanitäre Hilfe für die betroffene Zivilbevölkerung zur Verfügung stellt und ihren Ein­fluss auf alle beteiligten Akteure im Konflikt um Berg-Karabach, geltend macht, um den Zugang zur humanitären Hilfe für die Versorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen.“

„Der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten wird ersucht, auf europäischer Ebene dafür einzutreten, dass die Europäische Union ihren Einfluss auf alle beteiligten Akteure, insbesondere die Türkei, geltend macht, um die äußere Ein­mischung in den Konflikt wie Waffenlieferungen an die Konfliktparteien zu stoppen und auf eine rasche Deeskalation hinzuwirken, eine nachhaltige Waffenruhe umzusetzen, sich- sofern es die COVID-19 bedingte Situation erlaubt- für eine rasche Rückkehr der OSZE Beobachter einzusetzen, und eine Rückkehr zum Verhandlungstisch zu erzielen. Ebenso wird der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten ersucht, sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union einen inklusiven Friedens­prozess aktiv unterstützt und sich für die nachhaltige Stabilisierung der Region einsetzt.

Zudem wird der zuständige Bundesminister ersucht, sich für eine friedliche Beilegung des Konflikts in Bergkarabach durch substantielle Verhandlungen unter der Schirmherr­schaft der Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE einzusetzen und bei Bedarf di­rekte Gespräche in Wien zwischen Armenien und Aserbaidschan zu ermöglichen.“

*****

Ich bitte Sie, diesem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben. Wien wäre ein ganz wichtiger Ort, wie schon bei anderen Verhandlungen, um zu einer friedlichen Lö­sung zu kommen.

Wenn Sie diesem Antrag zustimmen, wäre das auch seitens unseres Parlaments ein star­kes Signal. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

12.08

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Pamela Rendi-Wag­ner, Kolleginnen und Kollegen

betreffend die aktuelle Situation in der Region Bergkarabach

eingebracht im Zuge der Debatte Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Außen- und Europapolitischen Bericht 2019 der Bundesregierung (III-150/373 d.B.) (TOP 4)

Ende September ist der seit Jahrzehnten schwelende Territorialkonflikt zwischen der Re­publik Armenien und der Republik Aserbaidschan um die Region Bergkarabach erneut aufgeflammt. Am 27. September wurde in Armenien sowie in Aserbaidschan der Kriegs­zustand erklärt und die Mobilmachung von militärischen Einheiten angeordnet. Seither kommt es zu immer schwereren militärischen Kampfhandlungen entlang der gesamten Kontaktlinie und darüber hinaus. Es kommen auf beiden Seiten schwere Artillerie, Kampf­hubschrauber, Flugzeuge und Kampfdrohnen zum Einsatz. Bei diesen Kampfhandlun­gen handelt es sich um die schwersten Gefechte seit Inkrafttreten des Waffenstillstands von 1994. Armenien und Aserbaidschan werfen sich gegenseitig die Schuld für die Eska­lation und Angriffe auf die Zivilbevölkerung vor.

Gerade für die Zivilbevölkerung spitzt sich die Situation immer mehr zu. Es gibt beunruhi­gende Berichte über Angriffe auf Dörfer und Städte sowie Zerstörungen der zivilen Infra­struktur wie Schulen und Krankenhäuser durch schwere Artillerie. Tausende Personen mussten aus der Region bereits fliehen. Aufgrund des Fehlens von neutralen Beobach­tern vor Ort gibt es kaum verlässliche Angaben über die Entwicklung des Konflikts und vor allem die zivilen Opferzahlen auf beiden Seiten. Detaillierte und stichhaltige Informa­tionen sind rar, die Überwachung durch die OSZE vor Ort ist nach wie vor aufgrund von COVID-19 ausgesetzt. Auch Journalistinnen und Journalisten geraten offenbar vermehrt unter Feuer.

Seit dem Ausbruch der Kämpfe Ende September haben die Europäische Union, der Ho­he Vertreter der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik, die Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE, VN-Generalsekretär Antonio Guterres und die VN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet beide Seiten zur Einstellung der Kampfhandlun­gen, dem Schutz der Zivilbevölkerung und zur raschen Wiederaufnahme von Verhand­lungen aufgerufen.

Die Türkei, welche Aserbaidschan militärisch und politisch unterstützt, verschärft den Kon­flikt. Besorgniserregend sind zudem Berichte über die Rekrutierung von ausländischen Kämpfern. Diese externe Einmischung heizt den Konflikt weiter an und könnte eine wei­tere, auch regionale Destabilisierung nach sich ziehen.

Am 10. Oktober wurden im Rahmen eines Treffens in Moskau eine humanitäre Waffen­ruhe, der Austausch von Gefangenen und gefallenen Soldaten und die Aufnahme sub­stanzieller, durch die Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE fazilitierten Gesprä­che vereinbart. Trotz der vereinbarten Waffenruhe kam es seitdem 12. Oktober erneut zu Kampfhandlungen.

Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internatio­nale Angelegenheiten, wird ersucht, auch weiterhin auf bilateraler und multilateraler Ebe­ne für eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und die Einhaltung des Völker­rechts, vor allem jenen völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz der Zivilbevölke­rung und ziviler Infrastruktur, durch beide Seiten entschlossen einzutreten. In diesem Zusammenhang wird der Bundesminister für europäische und internationale Angelegen­heiten ersucht, auf europäischer Ebene dafür einzutreten, dass die Europäische Union, humanitäre Hilfe für die betroffene Zivilbevölkerung zur Verfügung stellt und ihren Ein­fluss auf alle beteiligten Akteure im Konflikt um Berg-Karabach, geltend macht, um den Zugang zur humanitären Hilfe für die Versorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung ersucht, auch bilateral humanitäre Hilfe zu leisten.

Der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten wird ersucht, auf europäischer Ebene dafür einzutreten, dass die Europäische Union ihren Einfluss auf alle beteiligten Akteure, insbesondere die Türkei, geltend macht, um die äußere Ein­mischung in den Konflikt wie Waffenlieferungen an die Konfliktparteien zu stoppen und auf eine rasche Deeskalation hinzuwirken, eine nachhaltige Waffenruhe umzusetzen, sich- sofern es die COVID-19 bedingte Situation erlaubt- für eine rasche Rückkehr der OSZE Beobachter einzusetzen, und eine Rückkehr zum Verhandlungstisch zu erzielen. Ebenso wird der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten ersucht, sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union einen inklusiven Friedens­prozess aktiv unterstützt und sich für die nachhaltige Stabilisierung der Region einsetzt.

Zudem wird der zuständige Bundesminister ersucht, sich für eine friedliche Beilegung des Konflikts in Bergkarabach durch substantielle Verhandlungen unter der Schirmherr­schaft der Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE einzusetzen und bei Bedarf direkte Gespräche in Wien zwischen Armenien und Aserbaidschan zu ermöglichen.“

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Nächste Rednerin: Frau Klubvorsitzende Pamela Rendi-Wagner. – Bitte.