9.08

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Bundesminis­ter! Die bisherigen Redebeiträge zeigen ja zumindest teilweise schon, wo der Kern des Problems ist. Kollege Schwarz hat – sicher nicht absichtlich, aber doch – gerade gesagt: Na ja, da gibt es Probleme, der Herr Bundespräsident hat sich zu dem entsprechenden Gesetzesbeschluss schon geäußert, aber es sei ihm ja unbenommen, ihn auch zu unter­schreiben.

So ist es schlichtweg einmal nicht. Es ist dem Bundespräsidenten nicht unbenommen. Der Bundespräsident ist nach unserer Verfassung dafür zuständig, dass er das verfas­sungsgemäße Zustandekommen von Gesetzen beurkundet. Es ist ihm nicht unbenom­men. Das ist ein wesentlicher Punkt. Er ist dazu verpflichtet, das verfassungsgemäße Zustandekommen von Gesetzen zu beurkunden.

Nun hat er sich geäußert, weil er offensichtlich – genauso wie ich – der Meinung ist, dass dieses Gesetz nicht verfassungskonform zustande gekommen ist, weil es einen Abände­rungsantrag gab, den zu wenige Abgeordnete unterschrieben haben. Deshalb konnte wahrscheinlich auch der gesamte Finanzrahmen nicht beschlossen werden, weil er ja hier in der Fassung des Abänderungsantrages zur Abstimmung gelangt ist.

Wir haben vorhin von Kollegen Hanger und auch von Kollegen Schwarz schon von Feh­lerkultur gehört. Das ist richtig: Fehler können passieren, und ich glaube, wir alle wissen, dass auch uns immer wieder Fehler passieren können. Der Herr Präsident hat ja auch gesagt, es ist ihm passiert, dass er es nicht gesehen hat. Da sind mehrere Punkte ein­fach übersehen worden.

Die Frage ist, wie man mit Fehlern umgeht. Der erste Schritt ist meiner Meinung nach immer, dass man den Fehler erkennt und zugibt, sich dafür entschuldigt und sagt: Das ist passiert. – Der zweite Schritt, den ich für relevanter halte, ist, dass man aus seinem Fehler lernt und versucht, ihn nicht noch einmal zu machen. Und genau da habe ich ja das Problem mit der ÖVP und den Grünen.

Ich empfinde es schlichtweg nicht so, dass insbesondere die ÖVP, aber auch die Grünen in letzter Zeit großes Interesse daran haben, aus ihren Fehlern zu lernen. Dieser schlud­rige Umgang mit Gesetzen, mit unserer Verfassung, mit dem Parlament hier ist nichts, was Ihnen zum ersten Mal passiert. Also man kann nicht sagen: Das ist einmal passiert, Schwamm drüber, die Sache ist vorbei.

Erinnern Sie sich an die offensichtlich gesetzwidrige Coronaverordnung von Herrn Bun­desminister Anschober: Richtig – er hat sich auch dafür entschuldigt; aber das bringt all jenen, die danach gestraft wurden, genau gar nichts, die Entschuldigung können sie sich aufmalen, denn die Strafen wurden trotzdem ausgesprochen. (Zwischenruf des Abg. Jakob Schwarz.)

Wir erinnern an die fehlenden Nullen im Budget, auch das ist passiert, oder eben die fehlende Unterschrift von letzter Woche. Jetzt kann man sagen, das ist Überforderung, Sie können es nicht besser. Man kann auch sagen, dass das systemimmanent ist, weil das politische Geschäft so schnelllebig ist. Man kann aber auch glauben, dass Ihnen die Einhaltung der entsprechenden Gesetze nicht so wichtig ist, und das ist das, was ich vermute.

Das kennen wir von der ÖVP zur Genüge. Ich brauche gar nicht daran zu erinnern, Sie alle wissen, wie viele Gesetze, die die ÖVP federführend verhandelt hat, vom Verfas­sungsgerichtshof aufgehoben wurden: die Vorratsdatenspeicherung, der Bundestroja­ner, die Kennzeichenerfassung, die Sozialversicherungsreform. Die Liste lässt sich ewig weiterführen. Jetzt kann man glauben, dass der ÖVP die Verfassung vielleicht auch nicht so wichtig ist, der Herr Bundeskanzler hat ja auch seinen Bezug und seine Beziehung zur Verfassung sehr klar kundgetan. Er hat gesagt, es sind allenfalls juristische Spitzfin­digkeiten, um die es geht, es ist ja egal, wenn die Dinge aufgehoben werden, sie werden eh erst dann aufgehoben, wenn es schon wieder vorbei ist.

Das kann man so sehen, das sieht die ÖVP so, das ist für mich nichts Neues. Was aber schon erschreckend ist, ist, dass das jetzt offensichtlich auf den Koalitionspartner über­geschwappt ist, die Frau Kollegin - - (Zwischenruf des Abg. Jakob Schwarz.) – Nein, Herr Kollege Schwarz, es geht nicht darum, dass man eine Unterschrift vergessen hat, es geht darum, was man dazu sagt, welche Haltung man dazu hat und wie man damit umgeht. Ich erinnere – man kann es auf Twitter noch immer nachlesen –: Die Frau Klub­obfrau der Grünen hat, als das herausgekommen ist, geschrieben: „Für alle Geschäfts­ordnungsnerds eine spannende Geschichte, ansonsten aber völlig unaufregend.“ (Zwi­schenruf der Abg. Greiner.)

Frau Kollegin Maurer, da geht es nicht um Geschäftsordnungsnerds, es geht darum, ob Beschlüsse des Nationalrats ordnungsgemäß zustande kommen. Und das ist nichts für Nerds, sondern das sind die Regeln, die wir uns hier gemeinsam gegeben haben, wie dieses Parlament funktioniert. (Beifall bei NEOS, SPÖ und FPÖ sowie des Abg. En­gelberg. – Zwischenruf der Abg. Maurer.)

Man kann auch sagen, es ist egal, ob vier oder fünf Abgeordnete unterschreiben, wir können sagen, wir unterschreiben in Zukunft gar nicht mehr und legen nur die Anträge vor und stimmen darüber ab. Das können wir ja auch machen. Wenn es nach Kollegin Maurer geht, ist das offensichtlich nur für Geschäftsordnungsnerds und nebensächlich. Ich glaube, dass das nicht nebensächlich ist. Wenn wir uns nicht an diese Regeln halten, dann sind der Willkür Tür und Tor geöffnet, und dann funktioniert dieses Parlament als Ganzes nicht mehr.

Was ich noch schlimmer finde (Zwischenruf des Abg. Jakob Schwarz), ist, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Ich frage Sie: Wie erklären Sie das einem Bürger, einer Bürgerin in Österreich, der oder die aufgrund eines Fehlers gestraft wird? Ich erinnere noch einmal an die Coronaverordnung: Da wurden Abertausende Menschen gestraft, insgesamt ging es um Strafen in der Höhe von fast 6 Millionen Euro, aufgrund einer Verordnung, die gesetzwidrig war. Diese Leute haben diese Strafen bezahlt. Unserer Forderung und auch der Forderung der SPÖ und der FPÖ nach einer Generalamnestie für die Betroffenen kommen Sie bis heute nicht nach. Erst gestern ist das Thema im Verfassungsausschuss wieder vertagt worden. Menschen sind für etwas bestraft wor­den, was noch nicht einmal ein Fehler war, und Ihnen ist das vollkommen egal. So mes­sen Sie mit zweierlei Maß. (Beifall bei NEOS, SPÖ und FPÖ.)

Kollege Bürstmayr hat gestern im Verfassungsausschuss auch noch etwas besonders Spannendes gesagt, er hat nämlich erklärt, wie mittlerweile offensichtlich das Verhältnis der Grünen zur Verfassung ist. Sie, die Sie sich länger mit Politik beschäftigen, kennen das alle: ÖVP und SPÖ haben über Jahrzehnte, als noch eine Verfassungsmehrheit da war, Dinge, die vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden, nachher als Verfas­sungsgesetz beschlossen. Irgendwann einmal hatte man die Verfassungsmehrheit nicht mehr und hat gesagt: Na gut, wir beschließen das Gesetz trotzdem, es gilt ja eh so lange, bis es der Verfassungsgerichtshof aufhebt.

Genau das Gleiche hat uns Kollege Bürstmayr gestern erklärt, er hat gesagt: Na ja, die Verordnung war ja in Geltung, selbstverständlich muss man strafen, sie ist ja das gel­tende Recht gewesen. – Natürlich war sie das geltende Recht, aber es geht darum, wie man mit so etwas umgeht, ob man bewusst offenkundig gesetzwidrige Verordnungen in Kauf nimmt und einfach sagt: Ich mache das!, obwohl einen alle darauf hingewiesen haben; und dann werden Strafen ausgesprochen, die gezahlt werden müssen, obwohl das vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde. Das ist ein ganz neuer Umgang der Grünen mit der österreichischen Bundesverfassung, und den haben sie offensicht­lich sehr gut von der ÖVP gelernt. (Beifall bei NEOS, SPÖ und FPÖ.)

Ich frage weiters: Wie ist das, wenn ein Unternehmer in Österreich einmal eine Regelung der Gewerbeordnung nicht versteht und etwas tut, was er vielleicht gar nicht darf? – Der wird dann bestraft. Nach Frau Kollegin Maurer aber wäre auch das nicht so schlimm, das wäre etwas für Gewerbeordnungsnerds, das ist auch unaufregend, den müssten wir eigentlich gar nicht strafen, der Fehler ist irrelevant. Oder wenn jemand bei der Buch­haltung einen Fehler macht und dann ein Finanzstrafverfahren bekommt – das geht ja in Österreich sehr schnell –, dann ist das nach der Diktion der Grünen wahrscheinlich auch eher unaufregend und vielleicht etwas für Steuerrechtsnerds oder irgendetwas der­gleichen.

Das Problem ist: Sie messen mit zweierlei Maß. Jeder Bürger, jede Bürgerin in Öster­reich wird sofort gestraft, wenn er oder sie einen Fehler begeht, und bei Ihnen ist das allerhöchstens etwas für Geschäftsordnungsnerds. (Beifall bei NEOS, SPÖ und FPÖ.)

9.15

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Wöginger. – Bitte.