11.16

Abgeordnete Henrike Brandstötter (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolle­ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren zu Hause vor den Bildschirmen! Ich möchte vorweg kurz auf Herrn Haider eingehen: Gewalt – ja, die hat schon ein Mascherl, ein männliches Mascherl, aber sie hat keinen Pass. Ich kann Ihnen versichern, ich bin am Land aufgewachsen, zu einer Zeit, als es dort eigentlich niemanden mit Migrationshintergrund gab, und sowohl ich als auch meine Freundinnen können ein Lied davon singen, was denn im Umfeld von Feuerwehrfesten und Discos hinter den Haus­mauern im Dorf so abgeht. (Zwischenruf des Abg. Amesbauer.) Also hier wieder eine bestimmte Menschengruppe herauszupicken und dieser das in die Schuhe zu schieben ist ein wirklich billiges Ablenkungsmanöver, und ich zeige Ihnen gleich noch einmal, warum Gewalt keinen Pass hat. (Beifall bei NEOS und Grünen.)

Sie können sich jetzt mit mir auf eine kleine Reise durch Europa begeben. Vielleicht packen Sie auch etwas zum Schreiben ein, einen Notizblock, was man halt so braucht. Der erste Stopp führt uns nicht weit, er führt uns zu unserem Nachbarn Deutschland. Es ist die größte Volkswirtschaft Europas, hat eine Frau an der Spitze, man ist dort sehr korrekt. Pro Jahr werden dort 300 Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet.

Wir nehmen dann unsere Regenschirme und fliegen wie Mary Poppins nach Groß­britan­nien. In London trinkt man ständig Tee, isst dazu kleine Sandwiches und Shortbread. Es gibt eine Königin und 150 Femizide jedes Jahr.

Wir reisen weiter, wir überqueren den Ärmelkanal und landen in Frankreich, dem Land der Romantiker, wo alle Schriftsteller werden wollen und Liberté, also Freiheit, eines der höchsten Güter ist. Man isst Croissants, trinkt Rotwein und tötet durchschnittlich 150 Frauen und Mädchen jedes Jahr.

Es geht weiter nach Italien – eine wahre Schatzkiste für alle Kunstliebhaber, auch bekannt für die gute Küche und die exzellent gekleideten Fußballer. Dort werden pro Jahr um die 100 Femizide begangen.

Wir steigen dann in einen Nachtzug, dank ÖBB, fahren wieder nach Hause, und hier ist es ja auch sehr schön, wie wir wissen. Es gibt die Sisi, es gibt den Fritzl, wir haben das Schnitzel erfunden. Pro Jahr werden hier um die 40 Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet. (Abg. Amesbauer: Sie haben Schweden vergessen! Da ist die größte Migrantengewalt an Frauen!)

Zusammenfassend: In Europa werden jeden Tag durchschnittlich zehn Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet, und wir wissen, meist ist der Täter der Partner, Ex-Partner oder ein enger Angehöriger. Das Zuhause ist statistisch gesehen der gefährlichste Ort für Frauen.

Wir haben heute auch schon gehört, dass jede zweite Frau in Europa seit ihrem 15. Le­bensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt oder erlebt hat, aber nur jedes dritte Opfer meldet sich auch bei der Polizei oder einer entsprechenden Organisation. Und dann taucht zu allem Überfluss auch noch eine weltweite Pandemie auf. Corona ist für alle schrecklich und eine Zumutung, aber besonders betroffen sind wieder einmal die Frauen, und zwar gleich auf zwei Ebenen: zum einen durch häusliche Gewalt und zum anderen am Arbeitsmarkt.

Zum Ersteren, zu Corona und dem Zuhause: Wo ist man während einer Pandemie? Man ist zu Hause, und das bedeutet leider auch, dass die häusliche Gewalt zunimmt. Es ist auch die Zahl an Betretungsverboten in Österreich seit März um 13 Prozent gestiegen. In Italien übrigens war die Anzahl der Anrufe bei Antigewaltschutzzentren im März um 75 Prozent höher als zu Nichtpandemiezeiten. Corona multipliziert also häusliche Gewalt, das ist eine Tatsache. Auch eine Tatsache ist, dass unser Frauenbudget genau 0,015 Prozent des gesamten Budgets ausmacht, das wird bei der Umsetzung der Istanbulkonvention zum Schutz von Frauenrechten nicht besonders helfen.

Die zweite Folge der Pandemie ist für Frauen die hohe Gefahr von Jobverlust, von Arbeitslosigkeit. Wir alle wissen, Corona bedeutet Wirtschaftskrise, Corona bedeutet leider auch Arbeitslosigkeit. Wenn es knapp wird, dann sind die Frauen die Ersten, die draufzahlen: Sie werden zum Beispiel gekündigt, weil sie eh bald in Karenz gehen oder weil sie, wie das auch demnächst gewünscht ist, zwangsweise, wenn sie schwanger sind, ab der 14. Schwangerschaftswoche zu Hause bleiben sollen, wenn sie Kunden­kontakt haben, oder sie stecken eben zurück und kümmern sich um Homeschooling und Co, weil es nicht anders geht, nicht anders zu schaffen ist und weil ja eh er mehr verdient.

Wenn es so weitergeht, dann sind wir auch bald im Gleichbehandlungsmittelalter. Wir kennen alle noch die Geschichten unserer Mütter und Großmütter von Frauen, die finanziell völlig von ihrem Mann abhängig waren, die wie ein Schulkind Taschengeld bekommen haben, ein monatliches Haushaltsgeld zugeteilt bekommen haben, die Abrechnungen, Belege dafür vorlegen mussten – und die sich natürlich auch nicht scheiden lassen konnten, denn: Wovon sollten sie leben?

Ich persönlich möchte nicht mehr dorthin. Ich will, dass die Reise für Frauen und Männer weg von Gewalt hin zu Gleichberechtigung und einem gewaltfreien Leben geht, und zwar in ganz Europa, in dem Europa, wo wir uns rühmen, die Menschenrechte erfunden zu haben, und auch sonst ganz gerne die Nase hoch tragen, wenn wir anderen Menschen erklären, wie sie zu leben haben. – Vielen Dank. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Disoski.)

11.21

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Michaela Steinacker. – Bitte.