RN/93

15.29

Abgeordnete Leonore Gewessler, BA (Grüne): Herr Präsident! Bevor ich die heutige Dringliche Anfrage begründe, möchte ich schon noch etwas sagen: Dass wir, wenn in diesem Haus ein eindeutig nationalsozialistisch konnotierter Begriff verwendet wird, 5 Stunden – 5 Stunden! – brauchen, um uns auf eine angemessene Reaktion zu einigen, ist wirklich, wirklich ein Tiefpunkt dieser Amtsführung. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS. – Abg. Steiner [FPÖ]: Also bitte! Das war kurz vor Ende der Vorsitzführung und dann waren zwei andere Präsidenten da oben! Hast geschlafen die letzte Zeit? – Abg. Disoski [Grüne]: Hör mal zu! – Abg. Krainer [SPÖ]: Um Gottes willen! – Zwischenrufe bei ÖVP, SPÖ, NEOS und Grünen. – Abg. Steiner [FPÖ]: Also so was Blödes! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Ich belasse es jetzt dabei. Für alle Zuseherinnen und Zuseher: Was die FPÖ hier gerade versucht, zu verteidigen, ist die Nutzung eines Begriffs, der systematisch dazu verwendet wurde, die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik der Nazis zu rechtfertigen. Darum geht es hier. (Abg. Deimek [FPÖ]: 20 Minuten für die Dringliche, 5 Minuten ...!) Dieser Begriff hat in diesem Hohen Haus keinen Platz, und darüber sollte man keine 10 Sekunden diskutieren müssen. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.) Wir sind im Gedenkjahr! (Neuerlicher Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS. – Abg. Deimek [FPÖ]: Wenn Sie sonst nichts wissen zum Thema Straßenbau, ist halt schade!)

Ich möchte jetzt trotzdem, weil sie ja aufgerufen ist, auch zur Dringlichen Anfrage, die wir an den Herrn Finanzminister gerichtet haben, kommen. Es wird ja in weiterer Folge offensichtlich noch Gelegenheit geben, dieses Thema wieder aufzugreifen.

Herr Präsident! Lieber Herr Finanzminister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Der Titel der heutigen Dringlichen Anfrage ist „Konsolidieren statt Betonieren“, und das ist nicht nur der Titel, sondern wirklich ein Gebot der Stunde, und zwar in doppelter Hinsicht, einerseits mit Blick auf die aktuelle budgetäre Lage – der Herr Finanzminister ist ja gerade mitten im Abschluss der Budgetverhandlungen, also auch da gibt es eine Dringlichkeit, das Thema zu behandeln –, andererseits mit Blick auf die Umwelt, damit auch unsere Kinder, unsere Enkelkinder noch eine schöne Natur erleben können. Von dieser bleibt nämlich immer weniger über, wenn wir das tun, was in der Überschrift steht, nämlich betonieren, betonieren, betonieren. 

Nur, damit alle, auch alle hier im Raum, einen Begriff haben, worüber wir sprechen: Österreich liegt beim Straßenbau 50 Prozent über dem EU-Schnitt, ganze 55 Prozent über Deutschland. Ich weiß nicht, wann Sie zuletzt in Deutschland waren – als ich zuletzt in Deutschland war, kam mir nicht vor, dass einem dort die Straßen ausgehen (Zwischenruf des Abg. Ottenschläger [ÖVP]), und wir liegen da noch 55 Prozent darüber. (Zwischenruf des Abg. Hanger [ÖVP].) Wenn man das österreichische Straßennetz zusammenzählt: Wir haben 128 000 Kilometer Straßennetz – 128 000 Kilometer in Österreich! Damit man sich das vorstellen kann: Das ist dreimal rund um den Erdball und dann noch einmal von Wien nach Chicago. 

Wie man, wenn man sich das überlegt, noch zum Schluss kommen kann, dass wir noch mehr Straßenkilometer, noch mehr Megaautobahnprojekte brauchen, entzieht sich meiner Erkenntnis. Die Antwort lautet aber offensichtlich, die neue Bundesregierung ist der Meinung, wir brauchen noch mehr Autobahnkilometer, noch mehr verbuddelte Milliarden, weil offensichtlich veraltete, bereits abgesagte Milliardenprojekte wie eben der Lobautunnel wieder aus der Mottenkiste geholt werden sollen, anstatt sie ein für alle Mal zu begraben und auf vernünftigere Alternativen zu setzen. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf des Abg. Zarits [ÖVP].)

Unsere Dringliche Anfrage an Verkehrsminister Hanke hat es zuletzt leider bestätigt: Klare Antworten oder überzeugende Argumente ist uns Minister Hanke – bei allem Respekt für Peter Hanke – leider schuldig geblieben. Da gab es ein starres Festklammern an einem Betonprojekt und am Betondenken. 

Der Lobautunnel, den wir letztes Mal hier diskutiert haben, ist aber bei Weitem nicht das einzige milliardenschwere Projekt, über das wir reden. In den Bundesländern – wenn man quer durch Österreich schaut, sieht man das – wimmelt es nur von Straßenbauprojekten. Wie sich herausgestellt hat – und auch das wissen Sie natürlich, Herr Finanzminister –, machen die Bundesländer und ihre Ausgaben ja einen beträchtlichen Brocken im gesamtstaatlichen Budget und Budgetdefizit aus. (Abg. Kogler [Grüne]: Vor allem im Defizit, genau!) 

Deswegen wenden wir uns heute an Sie, lieber Herr Finanzminister (Zwischenruf des Abg. Ofenauer [ÖVP]), denn gerade im Straßenbau liegt enormes Potenzial für Einsparungen. Das ist in der aktuellen Budgetdebatte leider völlig unterbelichtet (Abg. Erasim [SPÖ]: Ist halt nicht budgetwirksam! Muss man halt auch wissen!), in den aktuellen Sparplänen der Bundesregierung scheinbar völlig übersehen, aber Österreich kann es sich nicht leisten, diesen grauen Betonelefanten des Straßenbaus in dieser Budgetdebatte zu ignorieren. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenruf des Abg. Darmann [FPÖ].)

Im türkis-rot-pinken Regierungsprogramm heißt es sehr schön, „es wird eine umfangreiche Verkehrs- und Infrastrukturstrategie erarbeitet, die zehn Jahre in die Zukunft denkt und vorausschauend“ agiert und plant. Jetzt muss man sagen: Wenn man es sich aber anschaut – in den Diskussionen und in der Realität –, sieht man, dass wir bei vielen Straßenbauprojekten nicht in die Zukunft schauen – schon gar keine zehn Jahre –, sondern maximal Jahrzehnte in die Vergangenheit, denn die Straßenbauprojekte, um die es gerade geht, ignorieren aktuelle Studien, die zum Schluss kommen, dass diese Vorhaben nicht mehr zukunftsfähig sind. Die Planung der Lobauautobahn reicht bis in die 1970er-Jahre zurück – ja, beinahe ein halbes Jahrhundert alt sind diese Planungen. In dieser Zeit haben sich nicht nur die Bedürfnisse von Mobilität verändert, auch die besseren Alternativen für die Umwelt und auch für das Budget liegen längst auf dem Tisch. 

Wir können auch an das andere Ende unseres Landes schauen, nach Vorarlberg. Bei der S 18 sehen wir das gleiche Bild: auch da eine Schnellstraße mitten durch ein Naturschutzgebiet, die ersten Vorbereitungen laufen sage und schreibe im Jahr 1964 an. (Abg. Spalt [FPÖ]: ... nennt sich so was!) Ich habe nachgeschaut, lieber Markus Marterbauer: 1964, da waren wir beide noch nicht auf der Welt. 

Auch da wiederholt sich dasselbe Muster: ewig alte Ausbaupläne; negative Gutachten, die Genehmigung ist schon einmal gescheitert; breite, breite, breite Ablehnung in der Bevölkerung, 77 Prozent der Menschen in der betroffenen Gemeinde haben sich in einer Volksbefragung 2023 deutlich gegen die S 18 ausgesprochen, einer türkis-blauen Landesregierung ist das aber scheinbar herzlich egal. Obwohl es bessere Alternativen gibt, obwohl es bessere Anschlussstellen gibt, obwohl es wesentlich billigere Lösungen gibt, hält Türkis-Blau stur an der S 18 fest – koste es, was es wolle, ist man versucht zu sagen –, aber die Kosten explodieren immer weiter. (Abg. Shetty [NEOS]: „Koste es, was es wolle“ war euer Motto!) 1,8 Milliarden Euro für 8,5 Kilometer Straße – die Zahlen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –, realistisch betrachtet eher 2 Milliarden Euro oder mehr, Tendenz steigend.

Jetzt eine der Fragen an Sie, lieber Herr Minister Marterbauer: Wo erkennt man da eine Strategie, die auch nur annähernd zehn Jahre in die Zukunft denkt oder vorausschauend plant? Sind Sie und Ihr Ministerium in die Ausarbeitung einer solchen Strategie überhaupt eingebunden? Bei den extrem gestiegenen Kosten dieser Milliardengräber wäre es doch wirklich fahrlässig, wenn das Finanzministerium nicht die Notbremse ziehen könnte, bevor die Kosten weiter durch die Decke gehen. (Beifall bei den Grünen.)

Wenn es bei diesen Straßenbauprojekten nämlich kein Umdenken gibt, dann ist ein weiteres Ziel aus dem aktuellen Regierungsprogramm in weiter Ferne. Darin heißt es nämlich: „Die Bundesregierung bekennt sich zum bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Boden, Flächeninanspruchnahme und Versiegelung sowie zu regional differenzierten Zielen“, um „die Reduktion des Flächenverbrauchs konsequent“ voranzutreiben. Ich erinnere wieder an die Lobau: Alleine die Straßen, die man da rundherum bauen würde – ich rede jetzt gar nicht vom Tunnel, sondern von den Straßenplänen rundherum –, würden eine Fläche in der Größe des ganzen 15. Wiener Gemeindebezirks unter Beton begraben. Es ist also keine Reduktion, das ist eine Explosion von Bodenverbrauch. (Beifall bei den Grünen.)

Auch da die Frage an Sie, Herr Finanzminister: Wäre es nicht auch aus Ihrer Sicht sinnvoll, diese überflüssigen Straßenbauprojekte einzusparen, damit das Budget zu entlasten und auch verantwortungsvoll mit unseren wertvollen Böden umzugehen, wozu sich die Bundesregierung schließlich bekannt hat? Oder anders: Wie will die Bundesregierung ihre eigenen Ziele erreichen, wenn sie weiter Milliarden in die Zerstörung der Natur steckt?

Das bringt uns zum nächsten Punkt, in dem die aktuellen Pläne der Bundesregierung jeder ökonomischen und ökologischen Vernunft widersprechen: Noch während der kläglich gescheiterten blau-schwarzen Regierungsverhandlungen wurde ja überall blindwütig gekürzt, wo Klima draufsteht – auf Kosten der Menschen, auf Kosten der Wirtschaft. Türkis-Rot-Pink führt dieses Programm ebenso scheinbar blind weiter. (Abg. Herr [SPÖ]: Oje!) 

Eine vierköpfige Familie am Land wird aufgrund der ersatzlosen Streichung des Klimabonus bis 1 000 Euro weniger im Börserl haben, Haushalte mit niedrigem Einkommen wird es im Übrigen besonders treffen; Förderungen für den Heizungstausch liegen auf Eis; wir haben gerade diskutiert, die Fotovoltaikförderung wird auf ein absolutes Minimum reduziert; Tausende Arbeitsplätze in wichtigen Branchen sind in Gefahr; wichtige Impulse für die Konjunktur fallen weg; saubere E-Autos werden mit neuen Steuern plötzlich um 1 000 Euro teurer; der fossile Laster, fossile Pick-up-Trucks werden durch ein wirklich unerklärliches Steuergeschenk plötzlich bis zu 26 000 Euro billiger – also mehr Dreck in der Luft, weniger Geld im Börserl und – da schaue ich wieder zu Ihnen, Herr Minister – weniger Geld im Staatshaushalt. 

Durch klimaschädliche Subventionen wie das Dieselprivileg und die Liste – Sie kennen sie – verbrennt die Regierung Milliarden für die Zerstörung der Umwelt, die im Budget fehlen. Was – unter Anführungszeichen – „bringt“ so etwas wie ein Dieselprivileg für die italienischen Frächter? – Dasselbe wie eine neue Autobahn: mehr Transit, mehr Dreck in der Luft, mehr laute und dreckige Lkw, worunter die Menschen in den betroffenen Regionen leiden. Da müssen wir nicht nur nach Tirol schauen. (Beifall bei den Grünen.)

Deswegen meine, unsere Fragen an Sie: Wie viele Milliarden steckt die Bundesregierung in klimaschädliche Subventionen? Welche Einnahmen entgehen dem Staat dadurch auf der anderen Seite? Welche Maßnahmen setzen Sie als Finanzminister gegen diese ökonomisch und ökologisch vollkommen fehlgeleiteten Förderungen? Sie wissen so gut wie ich: Wenn Österreich die Klimaziele erreichen will, dann wird die Bundesregierung bei diesem Hebel ansetzen müssen. Umgekehrt drohen sonst nämlich noch wesentlich höhere Kosten, und zwar höhere Kosten infolge von Strafzahlungen und Zertifikatsankäufen. Und auch da die Fragen: Mit welchen budgetären Kosten würden Sie denn in diesem Fall rechnen? Wie viele Milliarden würde Österreich denn auf diese Weise verbrennen müssen, die wir aber an so vielen anderen Stellen dringend brauchen? 

Wenn wir auf den vagen Plan der Bundesregierung schauen – wir haben ja auch letztes Mal schon intensiv diskutiert, dass die Asfinag mit der Ausschüttung von Gewinnen an den Bund zur Budgetsanierung beitragen soll –, dann müssen wir feststellen: Auch da beißt sich die Katze in den Schwanz. (Abg. Ottenschläger [ÖVP]: Das ist ja nicht richtig!) Die Asfinag soll plötzlich hohe Überschüsse ans Budget abliefern. Da wird mir auch Kollege Ottenschläger nicht widersprechen, dass der Plan ist, dass die Asfinag höhere Überschüsse ans Budget abliefern soll. (Abg. Ottenschläger [ÖVP]: Doch ...! Nein, es ist nicht seriös, die ...!) – Ja, über die Dividende reden wir gerne; ich rede über die Dividende, Herr Kollege. Wie soll sich das ausgehen: eine steigende Dividende, eine steigende Dividende, eine steigende Dividende, die zum Staatshaushalt beitragen soll, wenn wir gleichzeitig ständig Milliarden in neue Straßen betonieren sollen? Da bitte ich um Zahlen, wie dieses Rechenkunststück gelingen soll; mir entzieht sich das. (Beifall bei den Grünen.)

Und eines dürfen wir nicht vergessen – der letzte Punkt –: Die Straßenbaupläne von heute sind die zusätzlichen Instandhaltungskosten von morgen, denn noch höher als die jetzigen Baukosten sind die laufenden Folgekosten, die sich über Jahrzehnte, Jahrzehnte und Jahrzehnte in den Budgets der Länder und der Gemeinden niederschlagen. Ich weiß, hier in diesem Raum sitzen viele Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, die wissen, wie der Straßenbau die Gemeindebudgets belastet, und zwar auf lange, lange, lange Frist. (Abg. Erasim [SPÖ]: Wir können auch wieder mit der Pferdekutsche fahren! – Abg. Kogler [Grüne]: Wir haben eh nur Straßen!)

Es gibt Autobahnen und Schnellstraßen, bei denen sich die Kosten für die Sanierung von 2010 bis 2023 verdoppelt haben. Derzeit reden wir wohl von rund 2 Milliarden Euro in den Budgets der Bundesländer für die Instandhaltung. Das Problem ist aber: So genau weiß das niemand, weil es keine transparente Übersicht über die Ausgaben gibt. Am Ende führt das dann zu dem bösen Erwachen, das wir erst vor wenigen Wochen haben erleben müssen, denn das tatsächliche Defizit der Bundesländer – und damit das gesamtstaatliche Defizit – steht erst im März des Folgejahres fest. 

Diesen Zustand halte ich für nicht länger haltbar. Sie wissen das als Finanzminister. Sie stehen der EU gegenüber für das gesamtstaatliche Defizit gerade, verantworten es vor der EU, und das heißt, Sie müssen natürlich auch laufend und besser über die Ausgaben – auch auf Landesebene – informiert sein. Wenn wir das Budget nachhaltig sanieren wollen, dann braucht es da Transparenz, und ganz besonders auch beim so gerne übersehenen grauen Betonelefanten Straßenbau. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Schnabel [ÖVP]: Dass die ... sich verdoppelt hat, war auch sehr transparent!) 

„Ein Budget saniert man anhand von Fakten, Daten, wissenschaftlichen Analysen und einer Politik der ruhigen Hand, die sich an klaren Zielen orientiert.“ – Das sind nicht meine Worte, Sie (in Richtung Bundesminister Marterbauer) lächeln schon, ich zitiere Sie direkt. Diesen Ansatz unterstützen wir auch zu 100 Prozent, den unterstützen wir Grüne zu 100 Prozent. Die notwendigen Daten liegen vor, die notwendigen Fakten liegen vor, die notwendigen Analysen liegen vor, deswegen: Setzen wir gemeinsam die richtigen Schritte für ein nachhaltiges Budget, das auch auf unsere Umwelt, auf unsere Zukunft, auf unsere Kinder schaut! Setzen wir daher auf vernünftiges Konsolidieren statt auf maßloses Betonieren! – Herzlichen Dank. (Beifall bei den Grünen.)

15.45

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zur Beantwortung der Anfrage hat sich Herr Bundesminister für Finanzen Dr. Marterbauer zu Wort gemeldet. Die Redezeit soll 20 Minuten nicht übersteigen. – Bitte, Herr Bundesminister.