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10.27

Abgeordnete Mag. Meri Disoski (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Hohes Haus! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Ich hätte es sehr schön gefunden, wenn die ÖVP die Aktuelle Stunde dafür genutzt hätte, ein Signal zu setzen, ein Signal für Zusammenhalt, für ein solidarisches Miteinander und auch für ein Europa in sehr herausfordernden Zeiten. Leider lässt die ÖVP diese Chance heute aber verstreichen und stellt stattdessen eine Aktuelle Stunde in den Mittelpunkt, deren Titel ein altbekannter Satz ist, den sie, ich glaube, von der FPÖ abgekupfert hat. (Abg. Wurm [FPÖ]: Genau!) – Ja, genau. (Abg. Lausch [FPÖ]: Wie alles!) Kollege Wurm bestätigt das. Dieser Satz lautet: „Wer bei uns bleiben will, muss Teil unserer Gesellschaft werden:“ (Abg. Wurm [FPÖ]: Assimilierung!) „Fokus auf Deutscherwerb, Arbeit und den konsequenten Schutz unserer Werte“. – Das ist der Titel dieser Aktuellen Stunde, den die ÖVP gewählt hat. (Zwischenruf bei der FPÖ. – Abg. Belakowitsch [FPÖ] – erheitert –: Sollen wir eine tatsächliche Berichtigung machen?)

Das weckt natürlich mein sprachwissenschaftliches Interesse, denn ich frage mich schon, wenn ich höre: „Wer bei uns bleiben will, muss Teil unserer Gesellschaft werden“: Wer ist denn eigentlich mit diesem „uns“ gemeint? Wer ist denn „uns“, wenn gesagt wird: „Wer bei uns bleiben will“? Wer gehört denn da dazu? Ab wann gehört man denn zu „uns“? Ab wann gehört man zu „uns“? Was braucht es, um zu „uns“ zu gehören, um Teil dieses exklusiven rot-weiß-roten Klubs zu sein? Was braucht es dazu? (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Das nennt man Staatsbürgerschaft!) Muss man dafür, so wie es die heutige Ministerin einmal in den vergangenen Jahren gesagt hat, bis zum 30. Lebensjahr ein Kind gezeugt, ein Haus gebaut und einen Baum gepflanzt haben? (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Das ist relativ einfach: Staatsbürgerschaft! Da brauchst du nicht Sprachwissenschaft ...!) – Nichts davon würde zum Beispiel auf mich zutreffen. Gehöre ich jetzt nicht zu „uns“, Frau Ministerin?

Österreich ist ein Land, in dem Frauen um 20 Prozent weniger verdienen als Männer. (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Die werden vergewaltigt!) Jede fünfte hier lebende Person ist nicht wahlberechtigt. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung besitzen mehr als die restlichen 90 Prozent. – Sind das unsere Werte, die wir konsequent schützen wollen? – Das sind lauter spannende Fragen, finde ich, aber schauen wir uns einmal die Fakten an.

Die Fakten, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP, liegen ja sehr klar auf dem Tisch: Ihre Partei ist fast seit 40 Jahren durchgehend in Regierungsverantwortung, und ich glaube, seit 14 Jahren verantwortet Ihre Partei die Integrationspolitik. 

In der Vergangenheit haben Sie im Gleichschritt mit der FPÖ bei Deutschkursen gekürzt und sich gleichzeitig über mangelnde Deutschkenntnisse beschwert. Während die Wirtschaft händeringend nach Fachkräften gesucht hat, haben Sie Lehrlinge abgeschoben, die bestens integriert waren, die in Mangelberufen ihre Ausbildung gemacht haben, weil Sie ihre Herkunft mehr interessiert hat als ihre Zukunft. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der NEOS.)

Sie haben Asylverfahren in die Länge gezogen, Menschen jahrelang in rechtliches Niemandsland gedrängt, ohne Arbeitserlaubnis, ohne Zugang zu Bildung, und gleichzeitig haben Sie Debatten über Arbeitspflicht für Asylwerber und Asylwerberinnen befeuert. – Das war die Politik der ÖVP in den vergangenen 14 Jahren, seit sie Integration verantwortet.

Und wenn wir heute über Integration sprechen, reden wir bitte auch über Ökonomie, reden wir über Mitbestimmung, über Partizipation: Wenn man Menschen in Mangelberufen abschiebt, wenn man jahrelange Asylverfahren zu verantworten hat und gleichzeitig tatsächlich auch über Arbeitspflicht für Asylwerbende diskutiert, dann ist das nicht wertegeleitet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP, sondern dann ist das nationalistisch verkleidete Doppelmoral. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Belakowitsch [FPÖ]: „nationalistisch verkleidete Doppelmoral“ ...!) – Ja, nationalistisch verkleidete Doppelmoral, denn: Wenn es um billige Arbeit geht, wenn es um 12-Stunden-Schichten beim Spargelstechen geht, wenn es um Reinigungskräfte oder um Pflegekräfte geht, dann sind Deutschkenntnisse plötzlich nicht mehr wichtig, dann sind Deutschkenntnisse Nebensache. Da zählt Verfügbarkeit, da zählt die billige Arbeitskraft, da zählt der Preis pro Arbeitsstunde, aber unsere Werte sind dann nicht mehr mit im Spiel. – Das finde ich sehr bezeichnend.

Der Kollege von der SPÖ hat es vorhin schon gesagt: Viele Menschen, die unser Land mittragen und mit ihren Steuern mitfinanzieren, sind von der politischen Mitbestimmung einfach ausgeschlossen – einfach ausgeschlossen! –, weil Österreich eines der restriktivsten Staatsbürgerschaftsgesetze weltweit hat. Ich habe heute von Ihnen, Frau Ministerin, als Demokratin nichts darüber gehört, wie Sie dem dadurch entstehenden Demokratiedefizit entgegenwirken möchten – nichts gehört, leider. (Beifall bei den Grünen.)

Kommen wir aber zurück zu den Werten, und da adressiere ich Sie als Europaministerin: Unsere Werte, Frau Ministerin, die stehen ja in der europäischen Grundrechtecharta, sind fest verbrieft. Menschenwürde, Rechtsstaat, Gleichberechtigung: Das sind Werte, die in Europa hart erkämpft wurden und die gerade jetzt auch wieder von unterschiedlichen Mächten, von unterschiedlichen Menschen – fast möchte ich sagen: von unterschiedlichen Männern – bedroht werden.

Schauen wir nach Georgien, wo die Bevölkerung gegen Autokraten auf die Straße geht, für ihre Zukunft in Europa! Schauen wir nach Serbien, wo Ihr Parteifreund Vučić tatsächlich versucht, rechtsstaatliche Strukturen auszuhöhlen, versucht, die Proteste für Demokratie, für eine proeuropäische Bewegung niederzuknüppeln, oder schauen wir nach Ungarn, wo Viktor Orbán tatsächlich aus Ungarn eine illiberale Demokratie gemacht hat!

Ich finde, gerade in Zeiten, in denen autoritäre Kräfte in Europa erstarken, braucht es eine klare Haltung, eine Politik, die unsere Grundwerte schützt, nicht nur nach außen, sondern nach innen, und das gilt auch hier in diesem Hohen Haus und insbesondere auch für den vorsitzführenden Nationalratspräsidenten. – Herr Präsident, in jeder Sitzung liefern Sie einen Beleg nach dem anderen, dass Sie entweder nicht fähig oder nicht willens sind, die Würde dieses Hauses zu achten, dass Sie nicht fähig sind oder nicht willens sind, unabhängig den Vorsitz zu führen. Sie sind auf dem blauen Ohr taub, und wir werden das sicher nicht nur weiterhin verfolgen, sondern von Ihnen eine objektive Vorsitzführung einmahnen, die auch der Würde des Hohen Hauses entspricht. Das werden wir als gewählte Volksvertreterinnen und Volksvertreter von Ihnen einfordern! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Von welchem Volk eigentlich? Frau Kollegin, Volk ist schon ein arger Begriff für Sie als Grüne! – Abg. Belakowitsch [FPÖ]: Volk ist ein nationalistischer Ausdruck!)

10.33