RN/5
Erklärungen des Bundeskanzlers, des Vizekanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten gemäß § 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Nationalrates anlässlich des Amoklaufes an einer Grazer Schule
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Wir gelangen zum 1. Punkt der Tagesordnung.
RN/5.1
Im Anschluss an diese Erklärungen wird im Sinne des § 81 der Geschäftsordnung entsprechend dem vorliegenden ausreichend unterstützten Verlangen eine Debatte stattfinden.
Ich erteile nun dem Herrn Bundeskanzler zur Abgabe der Erklärung das Wort.
RN/6
9.14
Bundeskanzler Dr. Christian Stocker: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Frau Außenministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Bundesregierung! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle Menschen, die hier leben! Ich stehe hier heute schweren Herzens vor Ihnen. Die letzten Tage waren Tage der Trauer für uns und das ganze Land. Es gibt keine Worte, die dem Schmerz, der Fassungslosigkeit und der Trauer gerecht werden könnten, die wir alle, die ganz Österreich empfinden.
Der Amoklauf am Grazer Borg Dreierschützengasse ist eine nationale Tragödie von einer Dimension, die uns bis dato glücklicherweise unbekannt war, und stellt eine Zäsur dar. Neun junge Menschen und eine Lehrerin wurden auf brutalste Art und Weise viel zu früh aus dem Leben gerissen. Pläne, die geschmiedet wurden für den Tag, für den Sommer, für das Leben werden sich nicht mehr erfüllen können. Die Opfer wurden um ihre Zukunft und ihre Familien und Angehörigen um ihre Liebsten gebracht. Meine Anteilnahme und mein tief empfundenes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen: den Eltern, die ein Kind verloren haben; den Geschwistern, die nun ohne ihren Bruder oder ihre Schwester weiterleben müssen; den Familien, in deren Mitte nun ein Platz leer bleibt; den Angehörigen, den Freundinnen und Freunden, den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen und Lehrern und dem Schulpersonal, die das Unfassbare miterleben mussten und deren Leben dadurch von einem Moment auf den anderen für immer verändert wurde. Wir denken auch an jene, die schwer verletzt wurden – an Körper und an Seele.
Eine Gesellschaft, die darauf baut, dass Schulen sichere Orte sind, wird durch solche Taten und durch solch eine Tat mitten ins Herz getroffen. Schulen sind ein Raum der Sicherheit und wurden durch diesen Amoklauf in der Dreierschützengasse durch sinnlose Gewalt erschüttert. Das alles lässt uns fassungslos zurück, weil man das Geschehene einfach nicht fassen kann. Gerade in solchen Situationen müssen wir zusammenstehen: als Gemeinschaft, die Halt gibt, als Gesellschaft, die Mitgefühl zeigt, und auch als Staat.
Mein Dank gilt besonders jenen, die in den Stunden höchster Gefahr und größter Not mit Mut und Entschlossenheit gehandelt haben: den Einsatzkräften der Polizei, den Rettungsdiensten und den unzähligen Helferinnen und Helfern. Sie waren schnell vor Ort, haben Leben gerettet, Sicherheit gegeben und noch Schlimmeres verhindert.
Mein Dank gilt all jenen, die nun die Hintergründe der Tat aufklären werden, und jenen, die den Überlebenden und den Angehörigen beistehen – psychologisch, medizinisch, seelsorgerisch und vor allem menschlich.
Ich bitte Sie alle: Reichen wir in dieser Zeit einander die Hand! Zeigen wir, was Österreich ausmacht: eine Gesellschaft der Verantwortung, des Respekts und der Menschlichkeit! Denn in diesen schweren Stunden ist Menschlichkeit unsere stärkste Kraft.
Als Bundesregierung haben wir unmittelbar nach diesem furchtbaren Ereignis eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Als sichtbares Zeichen wurden die österreichischen Fahnen auf allen öffentlichen Gebäuden auf halbmast gesetzt und am vergangenen Mittwoch hat ganz Österreich in einer gemeinsamen Minute des stillen Gedenkens innegehalten – ein Zeichen der Verbundenheit mit den Opfern, ihren Familien, ihren Freunden.
Doch unsere Verantwortung endet nicht mit der Staatstrauer oder mit einer Schweigeminute. Unsere Verantwortung ist es, die richtigen Lehren aus dieser Tat zu ziehen und alles zu tun, um ähnliche Vorfälle in Zukunft bestmöglich zu verhindern. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir unsere Schulen noch sicherer machen können.
Wir müssen uns fragen, wie wir junge Menschen, die mit psychischen Problemen kämpfen, früher erreichen können, und zwar bevor Verzweiflung oder Wut in Gewalt umschlagen. Wir müssen uns fragen, wie wir sicherstellen können, dass Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Mitschüler Warnsignale erkennen und die Betroffenen auch Unterstützung bekommen. Und natürlich müssen wir uns auch die Frage stellen, was wir gesetzlich ändern müssen, nachschärfen müssen, um die Menschen in unserem Land besser schützen zu können.
Diese Fragen zu beantworten, ist unsere Verantwortung, und ich kann Ihnen versichern, dass sich die Bundesregierung dieser Verantwortung bewusst ist und ihr auch nachkommt. Deshalb werden wir bereits diese Woche ein umfassendes Maßnahmenpaket im Ministerrat beschließen. Dieses Paket umfasst einerseits unmittelbare Unterstützungen für die Betroffenen, andererseits auch grundlegende Anpassungen und Verbesserungen im Bereich der Sicherheit, der Prävention, der Jugendhilfe. Konkret werden wir einen Entschädigungsfonds einrichten, der den betroffenen Familien rasch und unbürokratisch helfen soll. Dabei geht es um Begräbniskosten, psychologische Betreuung oder andere dringend notwendige Unterstützungsleistungen. Auch gezielte Maßnahmen an der betroffenen Schule selbst werden aus diesem Fonds finanziert werden, um diesen Ort des Lernens für unsere jungen Menschen und für die Gemeinschaft wieder zu einem sicheren Raum zu machen.
Zudem wird es für die Schülerinnen und Schüler dieser Schule größtmögliche Flexibilität bei der Abwicklung der diesjährigen Matura geben. Wer sich entscheidet, auf die mündliche Prüfung zu verzichten, soll dennoch einen regulären Abschluss erlangen können – ein Zeichen des Verständnisses für die außergewöhnlichen Belastungen, unter denen diese jungen Menschen stehen.
Darüber hinaus werden wir in enger Abstimmung mit den Bildungsdirektionen die Polizeipräsenz vor Schulen erhöhen, zumindest bis zum Ende dieses Schuljahres. Damit soll nicht nur die objektive Sicherheit gewährleistet sein, sondern auch dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte und der Eltern Rechnung getragen werden.
Ein Schwerpunkt dieses Pakets ist die massive Aufstockung der schulpsychologischen Betreuung im gesamten Bundesgebiet. Schulpsychologie muss künftig nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein, und sie muss jene erreichen, die sie am dringendsten brauchen. Künftig werden daher auch Beratungsgespräche mit Schulabbrechern durchgeführt werden, um gefährdete Jugendliche rechtzeitig zu erkennen und aufzufangen.
Wir werden zudem die Sicherheits- und Präventionskonzepte an den Schulen deutlich stärken und weiterentwickeln. Jede Schule soll in Zukunft ein praxistaugliches und erprobtes Sicherheitskonzept haben, das regelmäßig evaluiert und angepasst wird.
Ein weiterer ganz wesentlicher Schritt ist die Verschärfung des Waffengesetzes. Der Zugang zu Waffen muss in Österreich noch verantwortungsvoller geregelt werden. Dazu zählen strengere Eignungsvoraussetzungen für den Waffenbesitz sowie Einschränkungen für bestimmte Risikogruppen. Ergänzend wird der Datenaustausch zwischen den zuständigen Behörden verbessert – überall dort, wo eine individuelle Gefährdungslage gegeben ist, müssen künftig automatisch waffenrechtliche Konsequenzen gezogen werden. Gerade bei Jugendlichen mit erkennbarem Risikoprofil wollen wir dieses Monitoring intensivieren und verpflichtende Unterstützungsmaßnahmen verankern. Prävention darf nicht an den Grenzen von Zuständigkeiten oder an fehlenden Informationen scheitern.
Schließlich werden wir uns auch für strengere Regelungen im Umgang von Kindern und Jugendlichen mit sozialen Medien einsetzen, denn wir sehen: Digitale Plattformen sind längst nicht mehr nur Orte der Information oder der Unterhaltung, sie können auch Orte der Radikalisierung und der Verrohung sein. Da braucht es klare Regeln und klare Verantwortung auch seitens der Plattformbetreiber.
Dieses Maßnahmenpaket ist ein erster, entschlossener Schritt. Und klar ist: Nichts, was wir jetzt tun werden, wird die zehn Menschen, die wir letzten Dienstag verloren haben, zurückbringen. Nichts wird das unerträgliche Leid der Familien ungeschehen machen können. Das ist uns schmerzlich bewusst. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Österreich hat auch gezeigt, dass es in der Stunde der Not zusammensteht. Die große Welle des Mitgefühls, die Solidarität in den sozialen Medien, die stille Anteilnahme auf den Straßen, all das gibt Hoffnung in dieser dunklen Zeit, gibt Hoffnung darauf, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten, wenn es darauf ankommt, dass wir es gemeinsam schaffen werden, die notwendigen Konsequenzen aus dieser Tragödie zu ziehen, und dass wir unsere Schulen als Orte des Friedens und der Zukunft schützen.
Denn eines muss heute und in Zukunft gelten: Unsere Schulen müssen sichere Orte bleiben, an denen unsere Kinder unbeschwert lernen, wachsen und Freundschaften schließen können, Orte, an denen Neugier und Freude gedeihen und nicht Angst und Gewalt. Wir werden die Aufarbeitung dieser schrecklichen Tat mit aller Sorgfalt und Gründlichkeit durchführen. Und ich kann Ihnen eines versprechen: Wir werden aus dieser Tragödie lernen. Wir werden handeln und wir werden als Gesellschaft zeigen, was unser Land stark macht – Mitmenschlichkeit, Verantwortung und Zusammenhalt.
Meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den Opfern, bei den Hinterbliebenen, bei der Schulgemeinschaft in Graz. Möge die Solidarität unserer gesamten Republik ihnen in diesen dunklen Stunden und in dieser schweren Zeit ein wenig Trost spenden. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, NEOS und Grünen sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)
9.27
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für seine Ausführungen und darf nun dem Herrn Vizekanzler das Wort erteilen.
RN/7
9.27
Bundesminister für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport Vizekanzler Andreas Babler, MSc: Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Aber vor allem sehr geehrte Eltern, Angehörige, Freundinnen und Freunde der Opfer! Ich bin mir im Klaren darüber, dass kein Wort, das heute gesprochen wird, keine Umarmung und auch kein Mitgefühl dieser Welt die Lücke füllen können, die in Ihrem Herzen klafft. Man kann sich auch keine Vorstellung davon machen, welch unermesslichen Schmerz Sie seit diesem schrecklichen 10. Juni fühlen müssen. Ich weiß, dass Sie diesen Verlust, die Wut, den Schmerz Ihr Leben lang mit sich tragen müssen, und das tut mir unendlich leid.
Ich rede nicht deshalb, um Ihnen Ihren Schmerz zu nehmen – das kann niemand –, sondern ich spreche in der Hoffnung, dass es Ihnen hilft, zu wissen, dass Sie mit Ihrer Trauer nicht allein sind. Ich spreche, weil Sie hören sollen, dass das ganze Land, alle Menschen in diesem Land mit Ihnen trauern. Ich spreche, weil Sie wissen sollen, dass sich die Politik verantwortlich fühlt.
Meine Brust ist eng, mein Hals schnürt sich zusammen und mein Herz ist gebrochen, und ich kann Ihnen versichern, es geht uns allen so. So fühlt sich Entsetzen an, so fühlt sich Trauer an, so fühlt sich aber auch Mitgefühl an. Dieses Mitgefühl beweist, wie stark das Menschliche in uns ist, dass Empathie der natürliche, der menschliche Zustand ist. Wir sollten uns gerade in diesen dunklen Zeiten vergegenwärtigen: Trotz allem, der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist stark.
Und wie stark dieser Zusammenhalt ist, hat Graz in den Stunden des Anschlags und danach eindrucksvoll bewiesen. Die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte, das Schulpersonal, sie alle haben aufeinander aufgepasst. Die Einsatzkräfte, sie haben ihr Leben riskiert, um Leben zu retten. Das medizinische Personal, es hat Übermenschliches geleistet, um Menschenleben zu erhalten. Die Grazer Bevölkerung, sie kam noch am selben Tag zu einem Lichtermeer zusammen, so wie auch gestern, um der Toten zu gedenken. Die Steirerinnen und Steirer, sie spendeten allein am Tag dieses schrecklichen Attentats 600 Blutkonserven. Bis heute rücken die Menschen zusammen und spenden Trost.
Normalerweise sollte ich mich nicht nur bedanken, sondern den Dank noch mit dem Zusatz veredeln, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Das werde ich heute nicht tun, denn genau das war es für die Beteiligten: selbstverständlich. Niemand musste sich dazu zwingen, das Richtige zu tun: Die Lehrerinnen und Lehrer haben nicht überlegt, sondern sie haben ihre Schüler:innen geschützt. Die Einsatzkräfte haben nicht gezögert, sondern sie haben ihr Leben riskiert. Sie haben bewiesen, wie viel Gutes in diesem Land steckt. Sie taten, was für sie natürlich war: zu helfen. Das ist die menschliche Reaktion auf dieses Grauen – und das ist es, was uns allen Kraft gibt.
Sie haben bewiesen, dass dieser Zusammenhalt selbstverständlich für sie ist. Darum möchte ich mich jetzt doch bedanken: Danke für diese Selbstverständlichkeit, mit der Sie alle geholfen, gespendet und getrauert haben. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, in so einem Land leben zu dürfen. Ihre Taten machen mich nicht nur stolz, sie geben Hoffnung – Hoffnung nach diesem furchtbaren Mordanschlag.
Der Attentäter von Graz hat neun Kindern die Zukunft genommen. Vor den ermordeten Schülerinnen und Schülern lag ihr ganzes Leben. Sie hatten Träume, hätten die Schule fertig gemacht, sich verliebt, einen Beruf ergriffen, vielleicht auch geheiratet, möglicherweise selbst Kinder bekommen. Auch eine Lehrerin, die ihre Schülerinnen und Schüler ein Stück auf deren Weg begleitet hat, die selbst Träume und Wünsche hatte, wurde ermordet. Vor den Opfern lagen traurige und schöne, lustige und tragische, langweilige und ereignisreiche Tage ihres Lebens. Keinen einzigen davon werden sie je erleben – und das ist unverzeihlich.
Ich spreche heute aber nicht nur als Mitbürger zu Ihnen, sondern auch als Vizekanzler, als Vertreter dieses Staates, dessen Pflicht es ist, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Und in dieser Rolle habe ich eine klare Botschaft: Jedes Kind in Österreich muss in Sicherheit aufwachsen und leben können. Unser Staat hat die Pflicht, unsere Kinder zu schützen. Wir müssen alles dafür tun, dass Schulen Orte des Lernens, der Geborgenheit und der Sicherheit sind und auch bleiben.
Wir müssen uns deshalb als Politik eine sehr unangenehme Frage stellen: Tun wir genug, um unsere Kinder zu schützen? – Und die schmerzhafte Antwort ist: Es war nicht genug, wir müssen mehr tun! Die Bundesregierung wird in den kommenden Tagen eine deutliche Verschärfung des Waffengesetzes in die Wege leiten. Wir werden den Zugang zu Waffen für bestimmte Personengruppen deutlich einschränken und den Erwerb von Waffen erschweren. Es gibt keinen, wirklich keinen Grund, warum man sich mit 18 Jahren ohne strenge Prüfung eine Schrotflinte sollte kaufen können.
Wir werden aber nicht nur das Waffengesetz verschärfen, wir werden auch unser Möglichstes tun, um für die Betroffenen da zu sein. In dem Wissen, dass Geld den Verlust niemals aufwiegen kann, werden wir einen Entschädigungsfonds für die betroffenen Personen einrichten, mit dem unter anderem die Begräbniskosten, psychologische Betreuung und vieles andere, das so dringend notwendig ist, finanziert werden wird. Darüber hinaus sollen konkrete Maßnahmen in der betroffenen Schule gesetzt werden. Außerdem wird es eine massive Aufstockung der Schulpsychologie und des schulpsychologischen Personals geben müssen.
Wir können damit das Geschehene nicht rückgängig machen, wir können den Schmerz nicht lindern, den Sie alle empfinden, wir können Ihnen die Trauer nicht abnehmen, aber wir müssen Verantwortung übernehmen – und das werden wir tun.
Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Angehörige! Meine Brust ist eng, mein Hals schnürt sich zusammen, mein Herz ist gebrochen, aber ich spüre auch die Wärme, die der Zusammenhalt in unserem Land ausstrahlt. Ich hoffe inständig, dass diese Wärme Trost spenden kann. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP, NEOS und Grünen.)
9.34
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Ich danke dem Herrn Vizekanzler für seine Ausführungen und darf jetzt der Frau Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten das Wort erteilen. – Frau Bundesministerin.
RN/8
9.34
Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung! Werte Abgeordnete! Liebe Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Und ja, auch: Liebe Angehörige – vor allem – der Opfer dieses schrecklichen Amoklaufs am Dienstag letzter Woche in Graz. Der Juni ist eine sehr geschäftige Zeit an den Schulen für Schülerinnen und Schüler, für Eltern, für Lehrerinnen und Lehrer: Es stehen die letzten Prüfungen an, es fallen die letzten Entscheidungen zwischen Noten und es ist eine Vorfreude da, eine Vorfreude auf den Sommer, auf eine verdiente Pause von einem intensiven Schuljahr. Nur noch wenige Wochen an Unterricht stehen an, Projekte werden finalisiert, Schulfeste stehen an und wirklich viele träumen schon davon, einfach nur in der Sonne zu liegen und die Seele baumeln zu lassen.
Dieser Stimmung wurde am Vormittag des 10. Juni 2025 jäh ein Ende gesetzt. Ein 21-Jähriger verschaffte sich Zutritt zum Borg Dreierschützengasse in Graz. Er ermordete neun Schülerinnen und Schüler und eine Lehrerin, verletzte viele weitere schwer und richtete sich danach selbst. Zurück bleiben Eltern, Geschwister, Großväter, Großmütter, Lehrerinnen und Lehrer, Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde – und keine Mutter, kein Vater kann und will es sich vorstellen, was es bedeutet, dass das eigene Kind nicht mehr von der Schule nach Hause kommt. Zurück bleiben wir alle fassungslos in einer Situation, in der wir versuchen, um Fassung zu ringen, und es nicht fassen können, was da passiert ist, mit dem Versuch, Worte für eine Tat zu finden, für die sich keine Worte finden lassen. Es ist ein tiefes Mitgefühl, das uns alle die letzten Tage bewegt hat, und eine tiefe Trauer, die unser ganzes Land erfüllt hat. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Eine Frage schwebt im Raum, für die es wahrscheinlich nie eine Antwort geben wird, nämlich die Frage nach dem Warum.
Wir stehen hier heute geeint als Bundesregierung mit allen Vertreterinnen und Vertretern des Hohen Hauses, um klar zum Ausdruck zu bringen: Wir werden diesen 10. Juni nicht vergessen! Wir werden die Opfer dieses 10. Juni nicht vergessen! – Und es ist unsere Aufgabe als Bundesregierung, diese Tat, ihre Hintergründe vollständig aufzuklären, aber vor allem auch Konsequenzen daraus zu ziehen.
Ich möchte an allererster Stelle den Einsatzkräften vor Ort, den Polizistinnen und Polizisten, den engagierten Ersthelferinnen und Ersthelfern, dem psychosozialen Dienst, dem Pflegepersonal, den Ärztinnen und Ärzten in den Spitälern und all jenen, die am 10. Juni sofort zur Hilfe eilten, meinen aufrichtigen Dank ausdrücken. Ich danke auch den Ermittlungsbehörden, die in den vergangenen Tagen sehr intensive Ermittlungsarbeit geleistet haben und auch weiterhin leisten. Mein Dank gilt auch dem Bildungsministerium, der Bildungsdirektion, der Direktorin vor Ort, den Lehrerinnen und Lehrern, die in einer angespannten Situation hoch professionell, wohlüberlegt und sehr zügig gehandelt haben. Ich danke vor allem auch allen Lehrerinnen und Lehrern. Ich weiß, dass diese in den Tagen danach versucht haben, in den Klassen, für die sie zuständig sind, mit den Schülerinnen und Schülern das Unbegreifliche begreifbar zu machen, das Unerträgliche ein bisschen mehr erträglich zu machen.
Schule muss immer ein sicherer Ort sein. Das war vor dem 10. Juni klar und das wird es auch weiterhin bleiben. So verfolgt das Bildungsministerium eine umfassende Gewalt- und Mobbingpräventionsstrategie unter dem Leitmotiv: Null Toleranz gegen Gewalt! Im Regierungsprogramm haben wir uns schon dazu verpflichtet, eine massive Aufstockung der psychosozialen Unterstützung umzusetzen, die auch Teil dieses Doppelbudgets 2025/2026, das ja auch noch heute, morgen und am Mittwoch hier im Hohen Haus diskutiert werden wird, ist. Für den Vollausbau stehen da mehr als 20 Millionen Euro zur Verfügung.
Die Anteilnahme an der Tragödie von Graz drückt sich nicht zuletzt in der Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit aus, mit der wir auch als Bundesregierung nach dieser grausamen Tat handeln. Als Koalition haben wir uns rasch darauf verständigt – sehr entschlossen darauf verständigt –, schon diesen Mittwoch ein Paket an konkreten Konsequenzen und Maßnahmen im Ministerrat zu beschließen. Dabei sollen sowohl die Erkenntnisse aus diesem furchtbaren Fall in Graz berücksichtigt als natürlich auch dem Gedanken Rechnung getragen werden, solche Taten zukünftig möglichst zu verhindern.
Daher setzen wir neben Schritten unbürokratischer Unterstützung für die akut Betroffenen, dringend verschärfter Gesetze und eines besseren Datenaustausches auch und vor allem solche für ein verstärktes Präventionsnetz. Unsere Sicherheit beginnt mit guter psychischer Gesundheit. Neben einer Reihe von Maßnahmen, auf die auch Bundeskanzler Stocker und Herr Vizekanzler Babler schon eingegangen sind, möchte ich insbesondere auf die Maßnahmen im Bildungs- und Schulbereich eingehen.
Im Nationalrat wird noch diese Woche ein Gesetz auf den Weg gebracht, um allen Maturantinnen und Maturanten am Borg Dreierschützengasse größtmögliche Flexibilität für ihre mündliche Matura zu ermöglichen. Die Schulpsychologie und das schulpsychologische Personal werden massiv aufgestockt, verpflichtende Gespräche mit Schulabbrechern werden eingeführt. In einer engen Abstimmung mit den Bildungsdirektionen soll bis zum Ende des Schuljahres die Polizeipräsenz – wir haben es gehört – rund um die Schulen verstärkt werden, und bereits vorhandene Sicherheits- und Präventionskonzepte in den Schulen werden allesamt evaluiert und gestärkt.
Daneben gibt es eine Reihe von anderen Maßnahmen – ich will sie sozusagen jetzt auch nur rasch wiederholen, weil sie schon genannt wurden –: Wir schaffen einen Entschädigungsfonds für die betroffenen Personen, mit dem unter anderem Begräbniskosten, psychologische Betreuung und so weiter finanziert werden. Darüber hinaus sollen ganz konkrete Maßnahmen in der betroffenen Schule finanziert werden – es ist schon ausgeführt worden; diese Schule darf in der Zukunft nicht nur ein Sinnbild dieser unermesslich schrecklichen Tat sein, sondern muss wieder ein Ort des Unterrichts, der Freude und der Bildung werden –: eine deutliche Verschärfung des Waffengesetzes – ich glaube, viele Menschen in Österreich haben über die vergangenen Tage richtigerweise Unverständnis betreffend die Situation des Waffengesetzes geäußert –; durch strengere Eignungsvoraussetzungen zum Waffenbesitz und Einschränkungen zum Zugang zu Waffen bei bestimmten Personengruppen; einen besseren Datenaustausch zwischen den Behörden und Waffeneinschränkungen bei individueller Gefährdungslage; ein stärkeres Monitoring und verpflichtende Maßnahmen bei gefährdeten Jugendlichen und einen Einsatz für strengere Vorschriften beim Umgang mit Social Media für Kinder und Jugendliche.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts macht das wieder gut, aber wir sind in der Verpflichtung, rasch und entschlossen die Lehren daraus zu ziehen und Konsequenzen zu ziehen. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass alle Menschen in Österreich sicher sind, und das gilt natürlich ganz besonders für unsere Kinder. Je früher wir ähnliche Bedrohungen und Geschehnisse wie am Borg Dreierschützengasse erkennen und verhindern können, umso besser.
Erlauben Sie mir auch noch kurz darauf einzugehen, dass uns eine Reihe von Beileidsbekundungen, Kondolenzschreiben und zum Teil wirklich persönliche Sympathie-, Empathie- und Mitleidsbekundungen aus dem Ausland erreicht haben. Die Zeit reicht nicht aus, um sie alle aufzulisten, aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, wenn etwas in diesen schrecklichen Tagen ein wenig guttut, dann ist es das Gefühl, dass wir nicht allein sind, dass hier die internationale Anteilnahme enorm groß ist, und zwar aus der ganzen Welt. Sie ist von überallher gekommen und sie war von einem tiefen, tiefen, Mitgefühl getragen.
Keine Konsequenz kann das wiedergutmachen, die Herzen werden nicht leichter. Keine dieser Maßnahmen wird die verstorbenen Opfer wieder zurückholen können oder den Schmerz bei den Hinterbliebenen lindern, das ist uns klar, aber zusammen wollen wir Sorge dafür tragen, dass sich solch eine schreckliche Tat nicht wiederholt. Diese Verantwortung nehmen wir als Bundesregierung entschlossen wahr. – Vielen Dank. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)
9.44
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Ich danke auch der Frau Bundesministerin für ihre Ausführungen.
Wir gehen in die Debatte über die Erklärungen ein.
Für die Debatte wurden zwei Rednerrunden nach Klubstärke festgelegt.
Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Klubobmann Kickl. Ich erteile es ihm. Eingemeldete Redezeit: 10 Minuten.
RN/9
9.44
Abgeordneter Herbert Kickl (FPÖ): Danke schön, Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Hohes Haus, vor allem aber liebe Österreicherinnen und Österreicher! Ich spreche heute zu Ihnen als Politiker – ja, das ist selbstverständlich hier im Parlament –, aber ich spreche zu Ihnen vor allem auch in meiner Rolle als Familienvater, und das hat damit zu tun, weil das, was in Graz geschehen ist, wohl zum Schlimmsten gehört, was einem Menschen als Papa oder Mama, als Opa oder Oma, als Onkel oder Tante, als Bruder oder Schwester, als Freund oder Freundin passieren kann: einen geliebten Menschen, sein eigenes Kind, seine Tochter, seinen Sohn in der Früh zu verabschieden, in der vertrauten Gewissheit, dass alles so läuft, wie es immer gelaufen ist, und nicht ahnen könnend, dass dieser Abschied ein Abschied für immer ist.
Wie grausam ist das?! – Keine Möglichkeit mehr zu haben, miteinander zu sprechen, sich zu umarmen, sich auszutauschen, etwas gemeinsam zu unternehmen, Pläne zu schmieden, sich miteinander zu freuen, auch sich übereinander zu ärgern, zu lachen, füreinander da zu sein – und statt all dem, mit einem Schlag nur Schmerz und Leere und Verzweiflung. Wie grausam ist das und wie weh muss das tun?
Und ja, meine Damen und Herren, wir alle, wir waren und sind in diesen letzten Tagen und Stunden mit unseren Gedanken, mit unseren Wünschen, mit unseren Gebeten bei den Opfern, bei den Hinterbliebenen und bei den Verletzten. Fahnen sind auf halbmast gesetzt worden, es hat Trauerminuten gegeben und Menschen haben Kerzen und Lichter entzündet und viele Veranstaltungen sind als Zeichen der Pietät und der Anteilnahme abgesagt oder verschoben worden – auch das ist übrigens ein Zeichen dafür, dass das Leben weitergeht, aber unter geänderten Umständen, in einer anderen Intensität. Und trotz dieses aufrichtig empfundenen Beileids und dieses Mitgefühls muss uns eines klar sein: Es bleibt immer ein Mit-gefühl, ein Mit-fühlen, ein Bei-leid. Es geht gar nicht anders, weil niemand – niemand! –, der nicht unmittelbar betroffen ist, den grausamen Schmerz und die Not der Hinterbliebenen in der ganzen Dimension empfinden kann, und wer das von sich behauptet, der spricht die Unwahrheit.
Wir können also nur da sein, begleiten, an der Hand nehmen, Zuspruch geben, trösten, beten und in gewisser Weise begleitend von außen unterstützen, aber wir können das Leid nicht abnehmen. Wir können es nicht ungeschehen machen, leider, aber wir können es vielleicht ein wenig lindern, ein wenig – und genau das ist unendlich wichtig, unendlich kostbar und unendlich wertvoll. Das war und das ist unsere Aufgabe in den letzten Tagen und Stunden, und das wird es auch weiterhin sein.
Und ich bedanke mich an dieser Stelle daher bei allen – bei allen! –, die mit ihren Herzen, mit ihren Worten, mit ihren Gefühlen, Wünschen, Gedanken und Gebeten diese Kette der Anteilnahme gebildet haben (Beifall bei der FPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Grünen), die dieses emotionale Auffangnetz geknüpft haben, denn auch das ist Graz.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte auch die Gelegenheit dieser Debatte dafür nutzen, in Gegenwart der österreichischen Bevölkerung, die ja via Medien oder heute hier als Gäste auf der Galerie persönlich dabei ist, offiziell den Dank der freiheitlichen Fraktion auszusprechen an alle Einsatzkräfte, an alle Retter, an die Helfer von Graz, an alle, die bei dieser schrecklichen Bluttat zur Abwehr, zur Beendigung, zum Schutz oder eben im Umgang mit den Folgen dieses tragischen Ereignisses im Einsatz waren und immer noch sind. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei den Polizeikräften, den Rettungskräften, dem medizinischen Personal, den Ärzten, Sanitätern, Pflegern, den psychologischen Betreuern, den Seelsorgern, der Feuerwehr, dem Lehr- und dem Schulpersonal und selbstverständlich bei den Schülern, denn sie alle haben ihren Beitrag geleistet, so rasch wie möglich einzugreifen, die Gefahr auszuschalten, andere zu schützen, Hilfe zu leisten und Heilung da zu beginnen und zu bewirken, wo sie möglich ist.
Das, was in diesem Gymnasium geschehen ist, ist etwas, womit niemand im täglichen Leben rechnet, wovon man immer glaubt und wovon man immer hofft und betreffend das man immer davon ausgeht, dass es nie passiert – und schon gar nicht in der eigenen Familie, im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis, in der eigenen Schule, in der eigenen Stadt, im eigenen Land. Das ist die Hoffnung, das ist die Einstellung von uns allen, und das ist gut so und das ist ganz normal und das ist richtig, und das ist im Übrigen auch zutiefst menschlich!
Trotzdem haben wir aber alle – und als politisch Verantwortliche und als Entscheidungsträger vielleicht noch etwas mehr – im Hinterkopf zu haben: Es gibt natürlich ein Risiko, wir blenden es nur aus. Wir schieben es weg, aber es ist nicht weg. Die Gefahr lauert in gewisser Weise, sie ist allgegenwärtig – weil wir alle ja wissen, dass man überall anders auf der Welt, wo auch solche Tragödien passiert sind, auch geglaubt hat: nicht in meinem Umfeld, nicht in meiner Familie, nicht in meiner Schule, nicht in meiner Stadt und nicht in meinem Land – und trotzdem ist es passiert.
Dieses Verdrängte ist jetzt mit einem Schlag nicht mehr im Hintergrund, sondern es ist im Vordergrund, es schreit uns an und es fordert uns heraus, wieder in einer anderen, in einer schrecklichen Dimension. Es fordert uns dazu heraus, auf Basis von gesicherten Informationen und Analysen und auf Basis eines umfassenden, eines klaren und nüchternen Blicks auf die Problemlage die Frage zu beantworten: Was können, was müssen wir tun, um solche Ereignisse nach menschlichem Ermessen zu verhindern?
Je öfter man diese Frage stellt, je öfter man sich fragt, desto mehr wunde Punkte werden wir finden. Je öfter wir uns diese Frage stellen, desto mehr Zusammenhänge werden sich zeigen. Je öfter man diese Frage stellt, desto ganzheitlicher wird unser Bild und desto ganzheitlicher wird unsere Herausforderung werden.
Ja, Sie haben alle recht. Es geht natürlich um die Sicherheit in unseren Schulen, selbstverständlich. Darüber hinaus geht es aber um die Sicherheit unserer Kinder im Allgemeinen, um ihre Ängste, um ihre Nöte, um ihre Sorgen und auf der anderen Seite um ihre Hoffnungen, Wünsche, Pläne und ihre Träume in einer Welt, von der wir jeden Tag erleben, dass sie im Kleinen wie im Großen eigentlich immer mehr aus den Fugen gerät.
In Wahrheit geht es damit auch um den Zustand, um die Wertigkeit und um den inneren Kompass und damit auch um die Bedrohung und die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft im Allgemeinen. Die Probleme führen uns ganz, ganz tief in das Herz unserer Gesellschaft hinein.
Wir stehen unter anderem einmal mehr vor der Frage, wie wir das Recht auf Sicherheit und das Recht auf Schutz, das jeder Mensch in diesem Land hat, mit dem Recht auf Freiheit, das auch jeder Mensch in diesem Land hat, miteinander in Einklang bringen und wie wir dabei das rechte Maß finden. Das ist gar keine leichte Aufgabe, ganz und gar nicht.
In einem sehr bekannten Bibelvers heißt es, dass alles im Leben seine Zeit und seine Stunde hat: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“. Ich denke, dass jetzt hier noch nicht die Zeit ist, mit dieser oder jener Maßnahme die Lösung eines Problems zu versprechen oder anzukündigen. Ich sage Ihnen auch, warum: weil es schon viele solcher Ankündigungen und Problemlösungen gegeben hat. Denken wir die Dinge sorgfältig durch! Denken wir sie zu Ende! Machen wir alle Hinsichten und Rücksichten, die es zu machen gibt, und wenn wir das getan haben, dann handeln wir entschlossen und ganzheitlich! (Beifall bei der FPÖ.)
Ich meine, jetzt ist die Zeit, ein Bekenntnis abzugeben – und wir tun das als stärkste Fraktion in diesem Haus –, dass wir uns der riesigen Verantwortung für unsere Familien und für unsere Kinder in Österreich bewusst sind, dass Kinder in unserer Heimat das unverbrüchliche Recht haben, in Sicherheit, in Geborgenheit, in ihren Familien unter dem Schutz des Staates in Freiheit aufwachsen und sich entwickeln zu können und dass jede politische Handlung dieser Vorgabe auch zu folgen hat. Das ist unser Anspruch und ich denke und ich hoffe, dass Sie alle diese Sicht der Dinge teilen.
Nicht allein das Kind soll sich der Umgebung anpassen – das wird natürlich in gewisser Weise immer notwendig sein, das nennt sich Erziehung und ohne eine Erziehung geht es eben nicht. Aber vergessen wir dabei nicht, dass sich auch die Umgebung an die Kinder anpassen muss. Die Umgebung, die wir uns für unsere Kinder wünschen, die bedeutet Frieden, Sicherheit, Geborgenheit, Freiheit und auch Ehrlichkeit im Umgang dessen oder mit dem, was möglich ist und was nicht möglich ist.
Das ist unser Auftrag, das ist unsere Verpflichtung den Opfern von Graz gegenüber, im Übrigen genauso wie gegenüber den Opfern von Villach und viel zu vielen anderen Kindern und Jugendlichen, die in unserem Land zu Opfern von Kriminalität, Gewalt und Terror geworden sind.
Noch ein offenes Wort am Ende: Dass es diese Opfer gibt, dass es Verletzte gibt, dass es trauernde Hinterbliebene gibt, führt uns vor Augen und beweist, dass der Staat es bisher nicht geschafft hat, diese Verpflichtung einzulösen. So ehrlich müssen wir an dieser Stelle auch sein, trotz anders lautender Versprechen, trotz anders lautender Ankündigungen.
Wir werden daher viele und wir werden daher intensive Debatten brauchen und sie auch führen. Es wird die Zeit kommen, wo wir schonungslos bewerten müssen, warum es bisher nicht gelungen ist, wo überall die Gefährdungen liegen, ob wir nicht an falschen Stellen sparen und an falschen Stellen investieren – alles das getragen von der Grundüberzeugung, das umfassende Schutzversprechen einzulösen, alles das getragen von einem Bemühen um eine bestmögliche gemeinsame Lösung.
Alles im Leben hat seine Zeit. Ich hoffe und bete dafür, dass auch für die Familien und Hinterbliebenen der Opfer und für die Verletzten an Körper und Seele nach einer Zeit der Trauer und des Schmerzes eine Zeit des Trosts, eine Zeit der Zuversicht, eine Zeit der Heilung und auch wieder eine Zeit der Freude kommen kann und kommen wird. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)
9.57
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bogner-Strauß. Eingemeldete Redezeit: 5 Minuten.
RN/10
9.57
Abgeordnete Mag. Dr. Juliane Bogner-Strauß (ÖVP): Danke, Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen, werte Zuseher! Wir erleben heute eine der traurigsten Stunden dieses Parlaments. Die unfassbare Gewalttat an der Grazer Schule hat unser Land in tiefer Betroffenheit vereint. Zehn Menschen wurden brutal ermordet, viele andere tragen schwer an körperlichen und seelischen Wunden. Ihre Familien sind mit unermesslichem Leid konfrontiert. Ihnen allen gelten unser tiefstes Mitgefühl, unsere Gebete und der aus tiefstem Herzen empfundene Wunsch, dass sie die unerträglichen Erlebnisse in irgendeiner Weise ertragen können und irgendwann das Erlebte überwinden können.
In diesen Tagen sind wir alle Graz. Wir stehen zusammen, und – wie gestern gesagt wurde – wir halten zusammen. Wir sind stärker. Doch es bleibt die Frage: Warum?
Diese Tat war menschenverachtend, sie war grausam, sie war sinnlos. Sie war aber nicht nur ein Angriff auf unschuldige Menschen, sie war ein Angriff auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land, sie war ein Angriff auf unsere Werte, auf unsere Schulen als Orte des Lernens, als Orte von Freundschaften, als Orte von Geborgenheit.
Ich möchte mich bei allen Einsatzkräften, bei allen, die geholfen haben, die noch immer helfen, bei allen, die trösten, bei allen, die zur Seite stehen und den Betroffenen helfen, bedanken.
Wir werden heute langsam wieder zur politischen Tagesordnung zurückkehren, aber wir werden dabei nicht vergessen, dass für einige Menschen in unserem Land nichts mehr ist, wie es war. Sitzplätze am Familientisch bleiben leer, Tische in Klassenzimmern bleiben leer, Bilder im Kopf werden nie verschwinden. Es gibt nichts, was die Politik tun kann, um die Zeit zurückzudrehen, aber wir müssen uns ernsthaft und in aller Sachlichkeit überlegen, wie man solche Taten bestmöglich verhindern kann.
Was sich in dieser Schule ereignet hat, ist nicht nur eine persönliche Tragödie für alle, die betroffen sind. Es ist ein Weckruf für uns als Politikerinnen, als Politiker, für die Schule als Institution, es ist ein Weckruf für das Wie – wie wir zusammenleben –, für unser Bildungssystem, für unsere Familienpolitik, für uns als Gesellschaft. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Menschen in unserer Gesellschaft isolieren, radikalisieren und letztlich keinen Ausweg mehr für sich sehen außer blinde Wut, Hass und Gewalt.
Kinder und Jugendliche brauchen heute mehr denn je Halt, sie brauchen Werte, sie brauchen Orientierung. Es braucht Herzensbildung, es braucht Benehmen, und es braucht Haltung. Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen Menschen machen. Dafür braucht es starke Familien, die sie tragen; Schulen, die sie fordern, fördern, aber auch schützen; und ein Umfeld, das unsere Kinder und Jugendlichen ernst nimmt, ein Umfeld, das ihre psychische Gesundheit ernst nimmt.
Deshalb ist für mich klar: Prävention ist der Schlüssel. Sicherheit beginnt nicht erst bei der Polizei, Sicherheit beginnt bei der Prävention; sie beginnt bei der Stärkung von Familien, bei der Stärkung von Schulen, bei der Früherkennung von psychischen Problemen und auch bei einer besseren Verantwortung im Umgang mit Waffen.
Wir werden genau analysieren, wie es zu dieser Tat gekommen ist, und wir werden aus Fehlern lernen; aber wir müssen natürlich den Mut haben, unbequeme Fragen zu stellen – da geht es nicht um Ideologie, da geht es um Verantwortung –: Welche Rolle spielen soziale Isolation, Onlineradikalisierung und eine zunehmende Verrohung der Sprache in unserer Gesellschaft? Kommen Menschen zu jung und zu einfach an Waffen? Wo ist unser System zu spät dran? Funktionieren alle vorgesehenen Sicherheitsmechanismen?
Es braucht tatsächlich keine reflexartige Symbolpolitik, sondern klare, faktenbasierte Maßnahmen – und da geht mein Dank an die Bundesregierung. Wir dürfen den Rechtsstaat nicht infrage stellen, sondern wir müssen ihn stärken, nicht mit Aktionismus, sondern mit klaren Konsequenzen. Unser Ziel muss es sein, eine Gesellschaft zu bauen, in der Kinder stark, sicher, ohne Angst und mit Hoffnung aufwachsen können. Ich hoffe sehr, dass wir alle – alle – aus dieser Tragödie mehr machen als Worte: zum Schutz unserer Kinder, zum Schutz unserer Schulen und zum Schutz unserer offenen Gesellschaft. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und NEOS sowie der Abg. Zadić [Grüne].)
10.03
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Nächste Wortmeldung: Frau Abgeordnete Greiner. Eingemeldete Redezeit: 5 Minuten.
RN/11
10.03
Abgeordnete Mag. Karin Greiner (SPÖ): Vielen Dank. – Sehr geehrte Damen und Herren von der Bundesregierung! Hohes Haus! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Liebe Angehörige! Der Amoklauf in Graz hat uns alle in einer Stimmung hinterlassen, die geprägt ist von Schock, Fassungslosigkeit, Trauer und tief empfundenem Mitgefühl. Man versucht, etwas zu verstehen, was man aber nicht verstehen kann; niemand von uns kann sich die wirkliche Betroffenheit der unmittelbarst Nahestehenden vorstellen.
Diese Erfahrung werden wahrscheinlich viele von Ihnen in den letzten Tagen gemacht haben – egal wo man war, auf der Straße, beim Einkaufen, beim Arzt –: Einander nicht bekannte Leute haben begonnen, über diesen Amoklauf zu sprechen, in dem Versuch, irgendetwas verstehen zu können, was man aber nicht schafft. Jeder hat sich aber gefragt: Was kann man tun? Da sind dann Aussagen gekommen wie diese: Eigentlich kann man nur da sein – so wie die Einsatzkräfte, die in den ersten Minuten nach diesem tragischen Ereignis sofort da waren und Hilfestellung geleistet haben; das medizinische Personal, die Psycholog:innen, die Kriseninterventionsteams; oder einfach Leute, die gesagt haben: Ich spende Blut, um zu helfen!; oder Gastrobetriebe, die sofort gesagt haben: Wir übernehmen die Versorgung mit Essen und Trinken all jener, die jetzt in diesen schweren Stunden für die Allgemeinheit da sind! – Erlauben Sie mir, dass ich all diesen Personen, die mit ihrer Hilfe versucht haben, diese wirklich so schweren Stunden erträglich zu machen, ein ganz herzliches Dankeschön ausspreche. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und NEOS.)
Wenn die Leute miteinander gesprochen haben, sind auch Aussagen gekommen wie diese: Man kann nur persönlich versuchen, das Bestmögliche zu tun, auch in einer so schwierigen Situation; persönlich, im menschlichen Umgang miteinander, oder auch und vor allem durch eine berufliche Tätigkeit und Verantwortung. Da beginne ich mit unserer Bundesregierung, an die gestern vom Schulsprecher der betroffenen Schule bei der Trauerfeier am Hauptplatz in Graz ein deutlicher Appell gerichtet wurde; er hat gesagt: Bitte, liebe Regierung, tun Sie etwas!
Genau das wurde bereits begonnen, dieser Prozess hat eingesetzt; es wurde sehr rasch ein Maßnahmenpaket für den Ministerrat am Mittwoch geschnürt. Worum geht es in diesem Paket? – Da geht es zuallererst einmal darum, den unmittelbarst Betroffenen schnell helfen zu können, etwa durch einen Entschädigungsfonds für die Übernahme von Begräbniskosten und für die Finanzierung der notwendigen psychologischen Hilfe. Da geht es aber auch darum, Sicherheit zu vermitteln, indem mehr Polizei, mehr Sicherheitskräfte bei den Schulen sind; da geht es darum, die Sicherheits-, vor allem die Präventionskonzepte in Absprache mit allen Bildungsdirektionen anzupassen und zu überarbeiten. Und es geht auch darum, für genau diese betroffene Schule zu klären, wie man mit der nicht abgeschlossenen Matura umgeht. Es wurde schon angesprochen, dass in diesem Maßnahmenpaket eine Flexibilisierung der Matura vorgesehen ist.
Ein wesentlicher Punkt ist auch: Es geht um eine massive Aufstockung des schulpsychologischen Angebotes, eben um zu erkennen: Ist jemand gefährdet, kann ich ihn oder sie auffangen?
Zwei weitere wesentliche Punkte spreche ich an, die auch schon breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurden: Es geht um eine Verschärfung der Waffengesetze. Zu Recht fragen sich die Leute: Wie kann es sein, dass man mit 18 ohne Weiteres zu einer Schusswaffe kommt? Wie kann es sein, dass die psychologischen Gutachten nicht tiefer gehend sind und relativ rasch das gewünschte Ergebnis – nämlich an eine Waffe zu gelangen – eintritt? Es geht darum, den Zugang zu diesen Waffen zu erschweren. Diese Diskussion wird im Wissen, dass Österreich eine der höchsten Waffendichten in Europa hat, intensiv und rasch geführt werden müssen. Ich ersuche wirklich, den Blick auch über die europäischen Grenzen hinaus schweifen zu lassen, Vorbilder zu suchen. Wir wissen, dass in Österreich auf 100 Einwohner 17 Schusswaffen kommen – in Japan hingegen sind es auf 100 Einwohner nur 0,6 Schusswaffen. Das muss alles berücksichtigt werden.
Ein ganz wichtiger Punkt als unmittelbare Ableitung aus diesem schrecklichen Ereignis vorige Woche: Ein Datenaustausch zwischen den Behörden muss unkompliziert und schnell erfolgen können.
All diese Maßnahmen zielen auch auf längerfristige Prävention ab, und ich erlaube mir, an dieser Stelle an politische Entscheidungsträger:innen, egal auf welcher Ebene, aber nicht nur an diese, sondern auch an alle beteiligte Personen den Appell zu richten, sich die Frage zu stellen: Ist es sinnvoll, bei Gewaltprävention zu sparen? Ist es sinnvoll, bei Extremismusprävention zu sparen? Ist es sinnvoll, bei beratenden Organisationen zu sparen, die genau dieser Gewalt vorbeugen sollen und Gewaltakte verhindern sollen? Und ich richte an jene, die bereits Entscheidungen diesbezüglich getroffen haben, den Appell, diese Entscheidungen zu reflektieren und gegebenenfalls zu revidieren. (Beifall bei der SPÖ.)
Sehr geehrte Damen und Herren, wir alle tragen hohe Verantwortung. (Zwischenruf des Abg. Schnedlitz [FPÖ].) Wir können den Schmerz nicht nehmen und wir können die Trauer nicht nehmen, aber uns allen ist bewusst: Wir haben die eindeutige Verpflichtung, alles Mögliche zu unternehmen, dass sich ein derart tragisches Ereignis wie vorige Woche in Graz nicht wiederholen kann. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und NEOS.)
10.09
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Als Nächste zu Wort gemeldet: Frau Abgeordnete Fiedler. Eingemeldete Redezeit: 5 Minuten.
RN/12
10.10
Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Danke, Herr Präsident! Werte Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 10. Juni 2025, 10.48 Uhr (die Rednerin ringt um Fassung): Polizeieinsatz nach Amoklauf in Grazer Schule. – Diese Nachricht hat mich als steirische Abgeordnete und als Mutter von zwei Kindern in Graz ins Herz getroffen. Ich habe sofort zum Telefon gegriffen und versucht, meine Söhne zu erreichen. Einer arbeitet in der Nähe der Schule, und der andere wäre eigentlich am Weg in die Stadt gewesen und ist Gott sei Dank zu Hause geblieben und hat das Telefon abgenommen.
Es ist für mich nur schwer und wirklich schmerzhaft nachzuvollziehen, wie es den Eltern gehen muss, die ihre Kinder nicht erreicht haben. Meine Gedanken sind bei all diesen Eltern, Familien und Freunden, die vergeblich darauf warten, dass ihre Tochter, ihr Sohn, ihre Freundin, ihr Freund oder auch ihre Enkelkinder wieder nach Hause kommen.
Zeitgleich aber sehe ich uns hier in Verantwortung, etwas zu verändern, und zwar jetzt, sofort. Ich will nicht darauf warten, dass so etwas noch einmal passiert und wieder Lücken nicht geschlossen wurden. Wir müssen auch endlich psychische Gesundheit mit körperlicher Gesundheit gleichsetzen. So stark die Emotionen derzeit auch sind, wir hier im Hohen Haus dürfen uns nicht von ihnen leiten lassen, sondern wir müssen uns unserer Aufgabe als Politiker:innen bewusst sein, professionell und verantwortungsvoll Lösungen finden und das System neu aufsetzen.
Ich möchte Ihnen Zeilen eines Vaters zuteilwerden lassen, die all das beschreiben, was ich nicht besser hätte in Worte fassen können:
„Sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung,
ich schreibe Ihnen nicht als Experte, nicht als Funktionsträger, sondern als Vater. Als Mensch. Und als jemand, der tief betroffen ist von dem, was in unserem Land gerade geschehen ist.
Am 10. Juni wurde an der Schule meiner Tochter ein Amoklauf verübt. Zwei Mädchen aus ihrer Klasse wurden getötet. Ihr ehemaliger Klassenvorstand ist tot. Der jetzige wurde angeschossen. Meine Tochter war an diesem Tag krank zu Hause. Es war Zufall. Es war Glück. Aber es hat alles verändert.
Ich schreibe Ihnen nicht, weil ich Schuldige suche. Sondern weil ich die Verantwortung spüre, aufzustehen und zu sagen: Wir müssen hinsehen. Und wir müssen endlich handeln.
Unsere Kinder sind überfordert. Nicht nur durch die digitalen Suchtplattformen, die ihnen täglich hunderte [...] Reize, Ideale und Vergleiche zumuten. Sondern auch durch die Erwartungen einer Gesellschaft, die viel verlangt, aber oft zu wenig Halt gibt. Schule, soziale Medien und gesellschaftlicher Leistungsdruck wirken zusammen – und erzeugen Stress, Angst vor Ausgrenzung und das Gefühl, nie zu genügen. Die Zahl psychischer Erkrankungen bei Kindern steigt seit Jahren.
Was unsere Kinder erleben, sind nicht nur ‚Krisen‘. Es sind Mobbing, Einsamkeit, Identitätsdruck – und Kränkungen, ausgelöst durch alltägliche Demütigungen. Sie werden in Schulen bewertet, verglichen, standardisiert. Wer die Matura nicht schafft, wird gesellschaftlich abgewertet. Wer nicht funktioniert, geht unter.
Gleichzeitig rutschen immer mehr Lehrerinnen und Lehrer in Erschöpfung oder Burnout – rund ein Viertel ist akut betroffen. 60 % der Schulleitungen bestätigen deutlich steigende Langzeitausfälle. Der Lehrermangel verschärft sich, Unterrichtsausfälle häufen sich. Auch viele Familien stehen unter permanentem Druck: Sie sollen ihre Kinder fördern, begleiten, beschützen, motivieren – und das oft inmitten von Existenzsorgen, Zeitnot und struktureller Überforderung. Das System überfordert nicht nur die Kinder, sondern auch die, die sie begleiten sollen.
Viele Schülerinnen und Schüler sehen kaum noch eine positive Perspektive für ihre Zukunft. Sie fühlen sich alleingelassen und ziehen sich in soziale Medien zurück – auf der Suche nach Zugehörigkeit, Anerkennung, Ablenkung. Doch was sie dort finden, ist oft keine Hilfe, sondern eine Verstärkung ihrer Einsamkeit. So beginnt eine stille Abkehr von unserer Gesellschaft.
Wir können so nicht weitermachen. Wir dürfen nicht warten, bis sich die nächste Tragödie ereignet.
Es reicht nicht, Waffengesetze zu verschärfen oder nur mehr psychologische Hilfe zu finanzieren. Wenn psychologische Hilfe gebraucht wird, ist der Schaden meist schon passiert. Wenn unsere Gesellschaft sicher bleiben soll, brauchen wir tiefgreifende Reformen. Das sind wir unseren Kindern schuldig.
Aber: keine Schuldigen suchen. Und keine Opfer verstecken. Alle elf Toten waren Opfer unseres Systems. Und sie klagen uns an. Weil sie heute noch leben könnten. Wir schulden ihnen mehr als Worte – wir schulden ihnen Veränderung.
Hinter diesen Opfern stehen noch tausende andere, die still und leise aus unserer Mitte verschwanden.
Eine Gesellschaft, die ihre Kinder aussortiert und alleine lässt, verliert nicht nur ihre Zukunft. Sie verliert auch ihr Herz. Und ihre Menschlichkeit. Wer Kinder zu Zahlen macht, darf sich über Kälte, Wut und Verzweiflung nicht wundern.
Ich fordere Sie auf – nicht als Ihr Gegner, sondern als Vater, der glaubt, dass unser Land mehr kann als das:
[...] Machen Sie seelische Bildung zur Pflicht: Kinder sollen lernen, mit Gefühlen, Krisen, Trauer und Konflikten so umzugehen, dass sie sich selbst und anderen nicht schaden – sondern gestärkt daraus hervorgehen können.
[...] Regulieren Sie digitale Plattformen in Bezug auf Kinder und Jugendliche, wie Sie es bei Alkohol und Tabak tun.
[...] Richten Sie echte psychologische Strukturen in Schulen ein: präventiv, niederschwellig und dauerhaft. Sie sollen nicht nur Krisen auffangen, sondern auch das Miteinander stärken – über den Schulalltag hinaus.
[...] Überdenken Sie das Notensystem und die Fixierung auf standardisierte Abschlüsse: Nicht jeder Lebensweg ist linear.
Zeigen Sie unseren Menschen in diesem Land, dass Sie sie ernst nehmen. Nicht durch Worte. Durch Taten.
Ich schreibe Ihnen, weil ich nicht nur für meine Kinder Verantwortung trage. Sondern für alle. Ich glaube: Das ist es, was Gesellschaft bedeutet.“
(Den Dank auch in Gebärdensprache ausführend:) Danke. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)
10.16
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Nächster Redner: Herr Klubobmann Kogler. Eingemeldete Redezeit: 5 Minuten.
RN/13
10.16
Abgeordneter Mag. Werner Kogler (Grüne): Danke, Herr Präsident. – Ja, zu dem, was Frau Abgeordnete Fiedler gesagt hat, möchte man meinen: Wenn man mit diesen Fragen zurückbleibt, muss man auch einmal weiter innehalten und schweigen. Aber wir sind eben auch das Parlament und Sie sind die Regierung und haben sich hier zu einer Regierungserklärung eingefunden. Also wir werden über mehr reden müssen, ich sage es gleich vorab dazu.
Ja, natürlich: Mir geht es auch immer noch so, dass das alles unfassbar ist und unbegreiflich – und plötzlich kriegen diese Begriffe eine Bedeutung. Man kann es nicht greifen, man kann es nicht fassen, weil – da möchte ich bei Klubobmann Kickl anschließen – es auch unvorstellbar ist. Man stellt es sich nicht vor, aber es ist da, die Gefahr ist da. Ich werde gleich etwas dazu sagen, aber das ist sozusagen das emotionale Dilemma, das alle rüttelt und schüttelt. Wir als Verantwortungsträger hier haben natürlich schon auch die Aufgabe, daraus Schlüsse zu ziehen, wie es ja schon angedeutet wurde.
Einige von uns waren ja gestern in Graz bei der Trauerfeier am Hauptplatz. Es ist nicht nur berührend – es wurde geschildert –, es ist auch beeindruckend, wie erstens einmal die Schülerinnen und Schüler, also die jungen Menschen, mit dieser immer noch unfassbaren Tragödie umgehen. Auch die Anteilnahme und der Zusammenhalt in Graz sind in der Bevölkerung sehr, sehr groß. Das ist bei aller Tragödie auch etwas Positives, dass man das dann auch tatsächlich spürt – denn man kann die Tragödie nicht wegkriegen, man kann ja dann nur zusammenstehen, und das passiert in Graz. Das ist letztlich auch wieder positiv und hoffnungsgebend. Das war im Übrigen das Motto: Graz hält zusammen.
Ich will nicht all den Dank wiederholen, ich richte ihn direkt an alle, die hier schon genannt wurden – wir hatten ja auch schon anderswo Gelegenheit dazu –, aber eines möchte ich noch hinzufügen, nämlich betreffend das medizinische Personal: All die Pläne, die es gibt, funktionieren offensichtlich. Die Leiterinnen und Leiter der Spitäler haben das erklärt: dass wunderbar und gut entsprechend den Plänen für diese sogenannte Lage eines Massenanfalls von Verletzten zusammengearbeitet wurde. Das hat perfekt funktioniert, und man sollte auch das einmal erwähnen, und es funktioniert offensichtlich dann doch einiges auch bei aller Tragödie sehr, sehr gut.
Ich habe es gesagt, 100-prozentige Sicherheit – ich weiß nicht – wird es nicht geben. Wir sollten gar nicht suggerieren, dass es die gibt. Die Appelle haben so geklungen, auch gestern. Die wird es nicht geben.
Bevor ich zu den Waffen komme, möchte ich noch sagen: Ja, viel wichtiger ist, wie das gesellschaftliche Klima entsteht, was da alles schiefläuft, und zwar nicht nur bezogen auf diesen Anlassfall, sondern auf viele andere. Was für eine Rolle spielen die sozialen – eigentlich die unsozialen – Medien? Offensichtlich wächst das Bewusstsein da auch bei den anderen Fraktionen. Und dann bin ich schon dort: Was kann man dort tun, um abzufangen? Das ist eigentlich noch wichtiger als die Waffengesetze, ich sage es dazu. Wenn jetzt bei den psychosozialen Unterstützungen an den Schulen etwas weitergeht: umso besser. Generell ist die Gewaltpräventionsfrage mindestens so wichtig wie die Frage nach den Waffen.
Jetzt aber, in der Kürze der Zeit, dazu: Es gibt eben keine 100-prozentige Sicherheit, aber wir sollten alles tun, um die Wahrscheinlichkeit von solchen Wahnsinnstaten zu reduzieren. Das ist unsere Aufgabe, gerade hier im Parlament als Gesetzgeber, weil am Schluss fast alles eine gesetzliche Regelung ist, weil es ja massive Eingriffe sind. Es sind massive Eingriffe – die uralte Fragestellung jeder Zivilisation –: Freiheit versus Sicherheit. Im Großen wie im Kleinen: Freiheit versus Sicherheit.
Jetzt muss man einmal zum Punkt kommen: Was ist denn das für eine Welt, in der es einen allgegenwärtigen Anspruch auf Waffen gibt? Waffen – immer mehr Waffen im privaten Bereich! – machen sie nicht sicherer, die Welt wird eher unsicherer – jedenfalls muss man den Eindruck gewinnen. Geht es um die Freiheit auf einen allgegenwärtigen Anspruch auf Waffen? – Bei diesen legeren und laschen Regelungen, die wir haben, muss man diesen Eindruck gewinnen. Geht es darum, geht es um diese Freiheit oder geht es viel mehr um die Freiheit der Gesellschaft, der anderen Individuen, um die Freiheit von Waffen, um mehr Sicherheit zu erzeugen? Das ist doch die Grundfrage, um die sich nicht so wenige herumschwindeln – ich sage das so direkt, wenn wir hier schon politisch diskutieren; wozu treffen wir uns sonst?
Freiheit von Waffen: Das sollte das Grundprinzip sein, und da haben wir genug zu tun. Da haben wir genug zu tun, und das mit einer Reihe, ich sage es dazu, sinnvoller Ausnahmen, ganz klar: Jäger:innen, Sportschützen und alle Personen, die im Übrigen – leider nimmt auch das zu – konkret, nachweisbar im eng definierten Sinn bedroht sind. Die werden wir als Staat auch nicht rund um die Uhr schützen können, aber dann dürfen wir ihnen als Staat auch nicht verwehren, dass sie sich auf diese Art vielleicht mit verteidigen können. Das sind einmal drei Ausnahmen, aber die Regel ist Freiheit von und nicht Freiheit für Waffen. Manchmal hat man den Eindruck, es geht auch um die Narrenfreiheit von Waffenbesitzern. Das muss man so benennen, und ich tue das jetzt, weil dann – ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht – schon wieder die Relativierer kommen.
Jetzt sind wir eigentlich in einer großen Trauerkundgebung. Mir ist völlig bewusst, dass ich das an dieser Stelle, und zwar absichtlich, durchbreche, weil es ein völliger Unsinn ist, zu sagen: Haltet ein, Freunde, keine Anlassgesetzgebung! – Welchen Anlass braucht es, um etwas zu tun? Ist es nicht ein Frevel, nach so einem Anlass nichts zu tun, also einen Vorhalt zu formulieren, dass man jetzt über Anlassgesetzgebung redet? Das ist doch das Problem. Die Lösungen werden wir gemeinsam finden – wir haben hier nicht die Mehrheit, mir ist das völlig bewusst.
Die Parteien haben in diesen Tagen gut zusammengearbeitet, ich habe das erwähnt: die Kommunisten und die Grünen in Graz als Führende in der Regierung, die Freiheitlichen und die ÖVP in der Landesregierung und, hinzukommend, die Sozialdemokraten und die NEOS in der Bundesregierung. Das ist eine gute Sache.
Wir werden das schon zivilisiert diskutieren. Ich habe nur gesagt, was meine Meinung und die meiner Fraktion ist. Wir haben das schon lange so gesagt, nicht erst jetzt – das noch dazugefügt. Deshalb glaube ich, dass diese Umkehr des Prinzips, von der ich geredet habe, so wichtig ist.
Ja, und am Schluss: Österreich hat nicht nur lasche Waffengesetze, es gibt – wir haben es gehört – auch eine hohe Dichte an Waffen, und zwar der legalen, aber auch der illegalen. Lesen Sie sich die internationalen Studien durch! Ich wusste das, ich gebe es ja zu, auch nicht so genau. Wir sind noch dazu ein Umschlagplatz für illegalen Waffenhandel, deshalb sind wir auch im Visier der Europäischen Union. Es gibt also genug zu tun. Im Übrigen ist auch das Einsammeln illegaler Waffen zu organisieren; in vielen Ländern hat das ganz gut funktioniert, anonym et cetera.
Ich wollte auch das noch hinzufügen: Wir sind an dieser Stelle keine Insel der Seligen. Wir sollten diese Rührseligkeit hier nicht besonders versprühen, sondern ganz bewusst diesen Anlass heranziehen, um ganz bewusst Anlassgesetzgebung zu betreiben. Das ist mein Plädoyer, auch wenn es Ihnen nicht leichtfällt. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)
10.25
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Darmann. Eingemeldete Redezeit: 8 Minuten.
RN/14
10.25
Abgeordneter Mag. Gernot Darmann (FPÖ): Besten Dank, Herr Präsident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Geschätzte Damen und Herren! Ich habe mir eigentlich vorgenommen, in Zusammenhang mit den schrecklichen Ereignissen der letzten Woche nicht unbedingt auf Vorredner einzugehen, es sei mir aber doch gestattet, Kollegen Klubobmann Kogler zumindest einen höflich formulierten Gedanken entgegenzuhalten: Es geht meines Erachtens gerade in solchen Phasen nicht vordergründig um schnelle Entscheidungen, sondern um werthaltige, vernünftige Entscheidungen.
Das ist für mich ganz wesentlich, das ist auch für meine Fraktion ganz wesentlich, immer Bedacht darauf zu nehmen, dass jedwede Emotion in diesen Tagen nachvollziehbar ist, aber wir in der Politik – so hart es klingt – auch zu funktionieren haben, unserer Verantwortung nachzukommen haben und die Sachlichkeit in den Vordergrund zu stellen haben, die Sachlichkeit in genau dieser Debatte.
Werte Kollegen, Herbert Kickl hat es in diesen Worten gesagt: Es braucht einen klaren und nüchternen Blick auf die Problemlage!, und das umschreibt es ganz gut, wenn Emotion bei der Diskussion um die Konsequenzen aus dem Attentat der letzten Woche möglichst herausgenommen und wie gesagt die Sachlichkeit in den Vordergrund gerückt werden soll.
An dieser Stelle, auch wenn es von unserer Fraktion bereits festgehalten wurde: auch von meiner Seite mein tief empfundenes Mitgefühl mit den Opfern, mit deren Familien, Mitgefühl gegenüber deren Freunden, aber auch mein aufrichtiger Dank an die Einsatzorganisationen und Privatinitiativen für deren Professionalität, aber auch für deren Hilfsbereitschaft und für deren Empathie in den letzten Tagen und auch in der kommenden Zeit.
Ich bin mir – und ich gehe davon aus, das werden wohl viele ebenso für sich mit einem Ja beantworten – bewusst, dass wir Verantwortung für unsere Kinder tragen, aber gleichzeitig darf dabei nicht ausgeblendet werden, dass wir allesamt Verantwortung für Freiheit in unserem Land, Verantwortung für Sicherheit in unserem Land tragen. Deswegen darf ich an dieser Stelle zumindest eine Anmerkung machen, wenn wir schon diese Debatte vor Beginn der Budgetdebatte führen:
Wir alle reden über Sicherheit für unsere Kinder, für unsere Bevölkerung, und ich möchte zumindest auch an dieser Stelle angemerkt haben, dass es für mich widersinnig ist, dieses und nächstes Jahr genau im Sicherheitsbudget Kürzungen vorzunehmen. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Karner. – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Überstunden gestrichen, rückwirkend! – Abg. Kickl [FPÖ] – in Richtung Bundesminister Karner –: Wir reden noch drüber!)
Ich glaube, wenn wir alle auch an das glauben, was wir hier gesagt haben – auch wenn Kollege Karner sich heute hier nicht zu Wort gemeldet hat –, wenn wir beim Thema Sicherheit Verantwortung übernehmen wollen, auch als budgetverantwortliche Institution Hohes Haus, als Nationalrat der Republik Österreich, dann haben wir auch in uns zu gehen und Adaptierungen vorzunehmen und unserer Sicherheitsexekutive als Beispiel für alle Einsatzorganisationen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit tatsächlich ein Mehr an Sicherheit gewährleistet werden kann. (Beifall bei der FPÖ.) Nach den heute gehörten Ankündigungen, was an Aufgaben nun die Polizei mehr übernehmen wird, wird es diese zusätzlichen Mittel unbedingt brauchen.
Ob es schlussendlich solche Taten verhindern kann, kann man wohl zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen oder zumindest im Ansatz bezweifeln, weil Sie es selber auch alle so ausformuliert haben, dass derartige Taten möglichst zu verhindern sein werden. Und dieses „möglichst“ beinhaltet nach aller Logik, dass sie nicht auszuschließen sind.
Werte Kollegen, zum Thema Sicherheit sei auch eines gesagt, weil die Außenministerin heute von Unverständnis in der Bevölkerung hinsichtlich dieses Attentats, dieses Anschlags in Graz gesprochen hat: Ja, das Unverständnis habe ich auch vernommen. Das Unverständnis habe ich vernommen, aber insbesondere im Hinblick auf eine Tatsache, die heute auch schon verklausuliert erwähnt wurde, nämlich den fehlenden Informationsaustausch zwischen dem Bundesministerium für Landesverteidigung und dem BMI genau in Bezug auf diese psychologischen Gutachten bei der Stellung. Dieses Unverständnis habe ich wahrgenommen, lautstark wahrgenommen, mit Wut wahrgenommen, wie es in unserem Staat passieren kann, dass es ein funktionierendes System, eine Sicherheitsschleuse in einem Ministerium, in einer Stellungskommission gibt, um – ich nenne sie einmal – Risikopersonen aufgrund ihres psychologischen Gutachtens von Waffen fernzuhalten, und diese Information bis dato ihren Weg nicht dorthin gefunden hat, wo sie dann auch gebraucht würde, nämlich bei der Zuteilung einer Waffenbesitzkarte oder bei anderen Punkten waffenrechtlicher Natur.
Werte Kollegen, wieso erwähne ich das jetzt so speziell? – Weil die Abgeordneten, vermutlich aber auch die weiteren Verhandler, die Fachverhandler in den Regierungsverhandlungen zwischen der FPÖ und der ÖVP im Bereich der Landesverteidigung zu einem Schluss gekommen wären – dort war tatsächlich ein grünes Hakerl darunter –, nämlich dass negative psychologische Gutachten im Zuge der Stellung Auswirkungen auf das zivile Leben der betroffenen Personen werden haben müssen. Angeführt in Klammern waren bei diesem Punkt: Führerschein, Jagderlaubnis bis hin zum Waffenrecht. Das wurde bei den Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP von uns entsprechend vorgeschlagen, und es hätte diesbezüglich eine Einigung stattgefunden.
Die Geschichte hat uns aber überholt, die Zeit hat uns überholt: Nunmehr ist es aufgrund dieser fehlenden Informationen dazu gekommen, dass eine dafür absolut ungeeignete Person tatsächlich dann legal Waffen in die Hand bekommen hat. Das ist wohl unbestritten, und dieser systemimmanente Fehler gehört umgehend ausgemerzt.
Abschließend sei uns allen noch einmal vergegenwärtigt, dass diese so wichtige Diskussion – Diskussion ist vermutlich das falsche Wort –, diese grundlegende Verantwortung von uns allen – nicht nur von Politikern, sondern von allen, die in irgendeiner Art und Weise mit Kindern verbunden sind, ob als Väter, Mütter, Onkel, Tanten, Omas, Opas oder auch im Freundeskreis – nicht dazu führen darf, dass wir aus der Emotion heraus in die Freiheit unserer Bürger in einem überbordendem Maß eingreifen, um gegebenenfalls – so wird es zumindest da und dort gesagt – Sicherheit zu versprechen.
Herbert Kickl hat es angesprochen: Da braucht es ein korrektes Maß, einen Ausgleich, denn unsere Bürger verdienen Freiheit und Sicherheit. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)
10.34
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Als Nächster zu Wort gemeldet: Herr Abgeordneter Gödl. Eingemeldete Redezeit: 5 Minuten.
RN/15
10.34
Abgeordneter Mag. Ernst Gödl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Geschätzte Damen und Herren der Bundesregierung! Hohes Haus! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Es sind in der Tat beklemmende Tage, die wir gerade erleben – faktisch und emotional –, mit dem Gefühl eines permanenten Ausnahmezustandes, in dem sich unsere Welt befindet. Aber die Betroffenheit ist naturgemäß umso größer, je näher das Unheil, das Unfassbare, das Unvorstellbare heranrückt – so wie am vergangenen Dienstag, als mich kurz nach 10 Uhr, um 10.10 Uhr, eine SMS – in einem Ausschuss hier im Parlament sitzend – mit der Nachricht erreichte: Amoklauf an einem Grazer Gymnasium. Und da bleibt dir tatsächlich der Atem weg, wenn du weißt, dass deine eigenen Töchter gerade in einem Grazer Gymnasium sitzen.
Aber wie unvorstellbar groß müssen die Angst und die Furcht dann von jenen Eltern und Angehörigen von Kindern und Jugendlichen gewesen sein, deren Schule tatsächlich von dieser Wahnsinnstat betroffen war, von Eltern, die dann stundenlang in einer nahegelegenen Sporthalle warten mussten, ohne zu wissen, ob sie ihre Kinder wieder wohlbehalten in Empfang nehmen können! Wie unfassbar groß muss der Eindruck, das Gefühl jener Schülerinnen und Schüler am Borg Dreierschützengasse sein, die im Angesicht des Todes standen, die die Schüsse hörten, die hinauslaufen mussten!
Diese Tragödie ist eine sehr schwere Bürde für unser Land, aber ganz besonders für die Region, in der ich zu Hause bin. Während wir heute und in den nächsten Tagen hier unsere Sitzungen abhalten – aber auch in den darauffolgenden Tagen –, wird es an vielen Orten in unserer Region Abschiedsfeiern geben: in Frohnleiten, in Eggersdorf, in Graz, in vielen Gemeinden, wo die jungen Menschen und auch die ermordete Lehrerin verabschiedet und zu Grabe getragen werden. Eine ganz schwere Trauer liegt über Graz und unserer Region.
Ich war am Tag danach, am Mittwochabend, bei einer Trauerfeier am Hauptplatz in Graz, von der Muslimischen Jugend gemeinsam mit dem Landesjugendbeirat organisiert, und es war herzzerreißend. Herzzerreißend, wie der Bruder einer ermordeten Schülerin den Schmerz in Worte zu fassen versuchte, inmitten Hunderter junger Menschen und in Anwesenheit unseres Bundespräsidenten.
Ich habe gestern einen Kommentar in einer Zeitung gelesen, der sagte: „Solche Tragödien bringen“ immer „das Schlimmste und das Beste im Menschen hervor“ – das Beste im Menschen hervor. Und das Beste unter uns Menschen ist dann die Stärke unserer Gesellschaft. Wir rücken zusammen, um uns gegenseitig zu stützen, zu trösten, über alle Religionen hinweg, über alle Parteien hinweg. Die Politik stand an diesem Tag und an den Tagen danach Seite an Seite in Graz – alle Parteien, alle relevanten Parteien unseres Landes –, und sie alle standen im Zeichen der gemeinsamen Trauer Schulter an Schulter im Angesicht der Fassungslosigkeit.
Das Beste in unserer Gesellschaft muss ganz besonders hervorgehoben werden: Es sei allen gedankt, die rund um diese Amoktat im Einsatz waren oder noch immer im Einsatz sind, allen voran den Pädagoginnen und Pädagogen, dem Personal, das an dieser Schule beschäftigt ist. Ihnen allen einen großen Dank dafür, wie sie in dieser Extremsituation reagiert haben, allen voran auch der Polizei, jenem Streifendienst, der Minuten danach ganz sicher in eigener Todesangst in das Gebäude hineingegangen ist. Wenige Minuten später sind bereits die Sondereinheiten der Polizei eingetroffen, die sehr schnell wieder eine Ordnung herstellen konnten.
Es ist ganz besonders jenen aus der Mitte unserer Gesellschaft zu danken – und ich kenne selber einige Personen –, die im Einsatz waren und im Einsatz sind: den Rettungskräften, teilweise auch ehrenamtlich, oder den großen Kriseninterventionsteams, die alles tun, um die traumatisierten Menschen zu stützen und ihnen wieder Stabilität, Ordnung und Orientierung zu geben.
Ganz besonders zu danken ist den Ärzt:innen und den Pflegekräften, die bei diesem Einsatz teilweise aus Urlaub und Freizeit sofort in den Einsatz gegangen sind, um zu helfen und um die Gesundheit und das Leben von Verletzten zu kämpfen. Einfach allen in unserer Region ist zu danken, die dazu beitragen, dass die schwer Getroffenen, die körperlich Verletzten, die seelisch Verwundeten Heilung, Zuspruch und bald wieder ein Quäntchen Zuversicht erhalten.
Wir kommen nun an den Punkt, an dem alle viele Fragen stellen. Wir als gewählte Repräsentanten der Bevölkerung müssen uns natürlich fragen, welche Regeln wir verändern oder verschärfen müssen, um die Wahrscheinlichkeit, dass solche unfassbaren Taten passieren, so gering wie möglich zu halten. Wir müssen uns insgesamt, denke ich, auch selbst die Frage stellen: Wie können wir als breite Gesellschaft Aggression aus der Gesellschaft herausnehmen? Was kann jeder Einzelne von uns in den verschiedenen Lebenssituationen tun? Wie gehen wir miteinander um? Wie begegnen wir einander im echten und im virtuellen Raum? Müssen nicht wir selbst – gerade auch wir, die wir gewählte Vertreterinnen und Vertreter unserer Regionen sind – in der Weise, wie wir mit unserer Sprache umgehen, viel mehr Vorbild sein?
Ausgehend von dem, was auch unser Herr Bundeskanzler in seiner Rede heute an Maßnahmen angesprochen hat, darf ich nun einen Entschließungsantrag einbringen, um die Punkte festzumachen, auch im Sinne dessen, was Herr Klubobmann Kogler vorhin gefordert hat: dass wir aufgefordert sind, klare Maßnahmen zu setzen und auch nach außen zu signalisieren, dass wir den Auftrag verstehen.
Ich darf folgenden Entschließungsantrag einbringen:
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Mag. Ernst Gödl, Maximilian Köllner, MA, Mag. Martina von Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Verschärfung des Waffenrechts und umfassendes Maßnahmenpaket für Schulen und Opferschutz als rasche und klare Antwort auf den Amoklauf in Graz im Juni 2025“
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Bewältigung der Ereignisse vom 10. Juni 2025 in Graz enthält. Dieses Paket soll kurzfristige Unterstützungsmaßnahmen für Betroffene sowie mittel- bis langfristige Vorkehrungen zur Verhinderung vergleichbarer Taten umfassen. Dabei sind insbesondere folgende Punkte zu berücksichtigen:
Soforthilfe für Betroffene
Sicherheit und Prävention in Schulen
Waffenrecht und Behördenkoordination
Jugend, Medien und digitale Verantwortung
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Erst vor einigen Monaten durfte ich hier im Parlament eine Schulklasse des Borg Dreierschützengasse begrüßen. Sie hat uns auch bei einer Sitzung von der Galerie hier oben zugehört. Ihnen und allen Schülerinnen und Schülern, Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern und allen Angehörigen, allen, die durch diese Amoktat körperlich oder seelisch schwer verwundet sind, mögen wir von hier aus einen ganz besonderen Gruß der aufrichtigen Anteilnahme, der ehrlichen Solidarität senden, um ihnen in diesen dunklen Stunden ein wenig Trost zu spenden. – Ich danke. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der Grünen.)
10.46
Der Gesamtwortlaut des Antrages ist unter folgendem Link abrufbar:
RN/15.1
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Der soeben vorgetragene Entschließungsantrag wurde überdies an die Abgeordneten verteilt, er ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht daher auch mit in Verhandlung.
Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Nussbaum. Eingemeldete Redezeit: 5 Minuten. – Bitte.
RN/16
10.46
Abgeordnete Mag.a Verena Nussbaum (SPÖ): Danke, Herr Präsident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Das Entsetzen über den Amoklauf in meiner Heimatstadt Graz sitzt besonders tief. Nicht nur als Abgeordnete, sondern auch als Mutter eines Sohnes, der im Herbst in die Maturaklasse des Borg Dreierschützengasse wechseln wird, ist diese Tat nach wie vor unfassbar.
Gleich zu Beginn der heutigen Sitzung haben wir der Schülerinnen und Schüler, namentlich Pauline, Luzia, Hanna, Kaid, Leonie, Lea, Anna Bella und zweier weiterer Schüler, und der Lehrerin, Frau Mag.a Wiener, gedacht, deren Leben jäh durch dieses schreckliche Verbrechen beendet wurde. Wir haben innegehalten für alle, die ihre Liebsten verloren haben, und auch bei jenen, die verwundet wurden, sind unsere Gedanken. Wir wünschen gute Besserung. Sie kämpfen sich tapfer zurück ins Leben.
Wir denken an alle Schülerinnen und Schüler, deren Alltag seit diesem 10. Juni nicht mehr derselbe ist. Sie haben erlebt, was niemand jemals erleben sollte, und tragen seelische Wunden, tief und oft unsichtbar.
Ich möchte meinen Dank an die Einsatzkräfte der Polizei aussprechen, die durch ihr rasches Eintreffen noch mehr Leid verhindern und dadurch den Rettungskräften raschen Zugang zur Schule verschaffen konnten. Auch allen Menschen, die psychische Hilfestellungen gegeben haben und weiterhin geben, gilt mein besonderer Dank.
Gewalt ist immer ein Angriff – nicht nur auf das einzelne Leben, sondern auch auf das Fundament des menschlichen Zusammenlebens. Wenn ein Mensch so ein Verbrechen begeht, verlieren viele ihr Gleichgewicht, und dennoch ist in solchen Zeiten wichtiger denn je: Die Antwort darauf darf nicht Hass, darf nicht Misstrauen sein; unsere Antwort muss Menschlichkeit sein. Graz hat auch in diesen dunklen Stunden bewiesen, dass das Gemeinsame über dem Trennenden steht.
Was passiert ist, kann leider nicht mehr ungeschehen gemacht werden, aber es gibt für uns als Politikerinnen und Politiker großen Handlungsbedarf, damit das Leben in Österreich, vor allem in Schulen, in Zukunft so sicher wie möglich ist. Die Bundesregierung hat ja bereits angekündigt, schnell Maßnahmen zu setzen. Der Entschließungsantrag dazu wurde soeben eingebracht: ein „Entschädigungsfonds“ als Hilfe für die Betroffenen, „mit dem Begräbniskosten“ und „psychologische Betreuung“ bezahlt werden, weitere daraus finanzierte Maßnahmen sollen für mehr Sicherheit am Borg Dreierschützengasse sorgen; Stärkung der Sicherheits- und Präventionskonzepte an Schulen.
Wichtig ist außerdem, dass die Zahl der Betreuungsplätze in der Schulpsychologie massiv aufgestockt wird und dass es verpflichtende Gespräche nach einem Schulabbruch geben muss.
Waffen, inklusive Messer, haben an Schulen generell nichts verloren. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP, NEOS und Grünen.) Wir müssen uns die Frage stellen, warum es in Österreich so leicht ist, legal an Waffen zu kommen. Ich frage mich persönlich sowieso: Egal in welchem Alter – wozu brauche ich zu Hause eine Waffe? Wozu braucht eine private Person eine Schrotflinte? (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten der NEOS.)
Der Erwerb von Waffen muss durch strengere Eignungsvoraussetzungen eingeschränkt werden. Auch die sogenannten psychologischen Gutachten für den Waffenbesitz sind offensichtlich unzureichend. Die Infoweitergabe zwischen den Behörden muss verbessert werden. Auch die Altersgrenze für den Waffenbesitz muss überdacht werden. Zum Vergleich: Um ein starkes Motorrad fahren zu können, muss man in Österreich zwischen 21 und 24 Jahren alt sein. Für eine Waffe reicht das vollendete 18. Lebensjahr. Da gibt es eine gewaltige gesetzliche Schieflage.
Klar ist: Je mehr Schusswaffen es gibt, umso mehr Tote durch Schusswaffen wird es geben, und das wollen wir nicht. Darum begrüße ich, dass die bereits geplanten Verschärfungen des Waffengesetzes nun vorgezogen werden. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Grünen.)
10.51
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dengler. Eingemeldete Redezeit: 5 Minuten.
RN/17
10.51
Abgeordneter Veit Valentin Dengler (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Regierungsmitglieder! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Eine Lehrerin und neun Jugendliche sind in Graz ermordet worden. Sie wurden daran gehindert, dieselben Chancen zu haben wie wir, ihr Leben zu gestalten; es ging zu Ende, noch bevor es richtig anfing. Bei der Gedenkfeier in Graz gestern Abend endete der Schulsprecher der Dreierschützengasse mit den Worten: Regierung, tun Sie etwas! – Nichts von dem, was wir jetzt sagen und tun, kann etwas an der Sinnlosigkeit der Morde ändern, aber es ist unsere Aufgabe, die richtigen Schlüsse zu ziehen, um solche Taten in Zukunft nach Möglichkeit zu verhindern.
Heute, sechs Tage nach den Morden, ist die Zeit gekommen, darüber nachzudenken, was das für uns als Gesetzgeber bedeutet. Da gibt es keine einfachen Lösungen, aber anfangen können wir mit der Abrüstung der Worte. Wenn man bei jeder harten inhaltlichen Auseinandersetzung gleich mit Beleidigungen kommt, die einen Ordnungsruf nach sich ziehen oder nach sich ziehen sollten, ist das ein Teil der Verrohung der Gesellschaft. Wir sind Vorbild im Guten wie im Schlechten.
Ich hätte es heute übrigens auch gut gefunden, wenn wir es zumindest bei der Rede des Herrn Bundeskanzlers geschafft hätten, dass alle Mitglieder dieses Hohen Hauses klatschen, für eine Rede, die nicht politisch war. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)
Wir werden einige Gesetze ändern. Gesetze gibt es aber viele, und das ist in gewisser Weise sogar der einfachere Teil. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht bei Gesetzen oder bei Symbolpolitik stehen bleiben. Es muss sich tatsächlich etwas ändern. Wir müssen uns die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wie wir das Land sicherer machen.
Der unmittelbare Grund, warum der Mörder von Graz Waffen kaufen konnte, ist, dass der eine Teil des Staates mit dem anderen nicht kommuniziert. Das Bundesheer, das jährlich jeden Jahrgang mustert, hat diesem jungen Mann den Dienst mit der Waffe verweigert, aber wenig später konnte sich dieser Mann zwei Waffen kaufen.
Natürlich können wir das Waffengesetz schärfen und sollten das auch tun. Mehr noch als das sollten wir aber darauf achten, was das Labyrinth an Gesetzen, das wir schon haben, bewirkt oder verhindert. Wenn der Datenschutz wichtiger ist als der Schutz vor Gewalt, müssen wir etwas am Datenschutz ändern. Wenn unsere Polizisten laut Rechnungshof 60 Prozent ihrer Zeit am Schreibtisch verbringen, dann müssen wir Bürokratie und Berichtspflichten angehen, damit mehr Polizei mehr Zeit auf den Straßen verbringen kann.
Wir müssen praktisch denken. Sachpolitik nennt man das – ein bisschen aus der Mode gekommen –, eine Politik der schrittweisen Verbesserungen, oft auch in den Abläufen und in der Kommunikation, nicht unbedingt immer im Gesetz. Zu Recht gibt es bittere Kommentare über die Reaktion auf Amokläufe in Schulen in den USA, wo das ja recht häufig ist, wenn Politiker danach jeweils ihre Thoughts and Prayers anbieten, ihre Gedanken und Gebete. Wenn aber unsere Reaktion darauf ist, dass wir neue Gesetze anbieten – Laws and Prayers –, aber nichts an den Fähigkeiten des Staates ändern, das zu verhindern, dann verdienen wir ähnlichen Spott.
Es ist eine traurige Tatsache, dass wir in einer Welt leben, die nicht ohne Gewalt auskommt, aber wir können erreichen, dass wir möglichst viele Gefährder frühzeitig erkennen und es ihnen so schwer wie möglich machen, anderen Gewalt anzutun. Das ist unsere Aufgabe. Nehmen wir sie ernst! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)
10.55
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Maurer. Eingemeldete Redezeit: 4 Minuten.
RN/18
10.55
Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (Grüne): Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Noch ist seit dem schrecklichen Massenmord in einer Schule in Graz keine Woche vergangen – sechs Tage Trauer und Entsetzen, sechs Tage, in denen sich über alles andere ein Schleier gelegt hat, sechs Tage, die so vieles andere belanglos erscheinen lassen.
Es sind auch sechs Tage des Innehaltens in der politischen Auseinandersetzung. Es gab echte gemeinsame Anteilnahme und einen viel ruhigeren Umgang miteinander in der Politik über alle Parteigrenzen hinweg. Das ist besonders in einer Welt, in der wir in der politischen Debatte nur zu gerne schnell in pauschale gegenseitige Kritik kippen. Ich wünsche mir aber, dass wir – die Politik – der Erwartung des Grazer Schulsprechers Ennio Resnik gerecht werden und mit Konsequenz und Mut die Schritte setzen, die notwendig sind, damit so etwas, wie es in Graz geschehen ist, möglichst nie wieder geschehen kann.
Die Regierung hat Schritte angekündigt, die wir begrüßen: Diejenigen, die am unmittelbarsten von den Ereignissen betroffen sind, sind die Schülerinnen und Schüler am Borg in der Dreierschützengasse, und ich bin froh, dass so schnell reagiert werden kann, einerseits mit der psychologischen Unterstützung in diesen Tagen, aber auch mit der, denke ich, für alle Seiten verständlichen Sonderregelung für die Abhaltung der Matura.
Darüber hinaus ist es aber natürlich Gebot der Stunde, die Schulsozialarbeit und die Schulpsychologie massiv auszubauen, und zwar tatsächlich massiv, das heißt mehr als bisher geplant. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Schülerinnen und Schüler unabhängig vom Wohnort, unabhängig von der Finanzkraft ihrer Eltern und unabhängig vom Schultyp Zugang zu psychosozialer Betreuung erhalten.
Prävention – damit wird Gewalt verhindert – muss in der Schule beginnen, muss aber natürlich noch viel weiter gehen. Einrichtungen wie der Männernotruf, an die sich Männer in Krisensituationen wenden können, sind für die Verhinderung von Gewalt enorm wichtig, und die Medienberichte, dass diese wichtige Hotline aufgrund von Budgetnot diesen Sommer erstmals seit Bestehen eine Sommerpause einrichten müsse, sind mehr als besorgniserregend. – Ich appelliere an dieser Stelle, Frau Sozialministerin: Diese Mittel müssen aufzutreiben sein! Es geht um 200 000 Euro. Das kann man nicht erklären, dass dieses Geld nicht vorhanden sein soll. Der Männernotruf muss nicht nur langfristig abgesichert, sondern in Wahrheit auch ausgebaut werden. Diese Art der Prävention verhindert aktiv Gewalt. (Beifall bei den Grünen.)
Es wird lange Zeit dauern, bis die Wunden, die diese schreckliche Tat in unsere Herzen gerissen hat, heilen. Es liegt an uns allen, konsequent und mutig daran zu arbeiten, dass so etwas möglichst verhindert wird. Wir bringen daher einen Entschließungsantrag betreffend die „Freiheit von Gewalt und Waffen“ ein, der die Punkte umfasst, die ich und auch Werner Kogler gerade erläutert haben – für einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel, für eine Freiheit von Waffen und verschärfte Waffengesetze.
Niemand versteht, wozu eine Privatperson eine Waffe braucht. Ja, wir werden Ausnahmen brauchen; aber warum, wozu braucht man eine Waffe? Wozu braucht man potenziell mehrere Waffen? Es ist mir nicht begreiflich, und es ist auch den Menschen draußen nicht begreiflich. Setzen wir da mutige Schritte!
Es geht auch um den Ausbau der psychosozialen Versorgung an den Schulen, es geht um die Verbesserung des Datenaustauschs zwischen den Behörden, den Ausbau von Krisenangeboten wie dem Männernotruf und auch um ein Programm, um all die illegalen Waffen aus dem Verkehr zu ziehen. Seien wir mutig! Tun wir jetzt das Richtige!
Ja, es gibt noch weitere Punkte, beispielsweise was Altersbeschränkungen für Social Media betrifft. Trauen wir uns jetzt, gemeinsam die großen Fragen zu stellen, die grundsätzlichen Fragen zu stellen! Drehen wir an den großen Rädern und nicht nur wieder an den kleinen!
Ich bitte um breite Zustimmung für unseren Antrag, den ich in seinen Grundzügen erläutert habe und der hiermit hoffentlich eingebracht ist. – Bitte um Zustimmung, vielen Dank. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Herr [SPÖ].)
10.59
Der Gesamtwortlaut des Antrages ist unter folgendem Link abrufbar:
RN/18.1
Freiheit von Gewalt und Waffen (52/UEA)
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Der soeben in seinen Grundzügen erläuterte Entschließungsantrag wurde an die Abgeordneten verteilt. Er ist somit ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht daher auch mit in Verhandlung.
Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.
RN/19
RN/19.1
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgordneten Mag. Ernst Gödl, Maximilian Köllner, MA, Mag. Martina von Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Verschärfung des Waffenrechts und umfassendes Maßnahmenpaket für Schulen und Opferschutz als rasche und klare Antwort auf den Amoklauf in Graz im Juni 2025“.
Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist mehrheitlich der Fall, daher angenommen. (22/E)
RN/19.2
Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Werner Kogler, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Freiheit von Gewalt und Waffen“.
Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit, daher abgelehnt.
Ich unterbreche nun vereinbarungsgemäß die Sitzung für 10 Minuten bis 11.10 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.