RN/4
Abgeordneter Ing. Mag. Volker Reifenberger (FPÖ): Sehr geehrte Frau Bundesminister! Die jüngsten Aussagen des Nochdirektors der Diplomatischen Akademie Emil Brix gegenüber einer ukrainischen Nachrichtenagentur sind ein massiver Angriff auf unsere Neutralität. Herr Brix bezeichnet die Neutralität de facto als Restbestand und erklärt, dass ein moralischer, wirtschaftlicher oder politischer Neutralitätskurs nicht weiter verfolgt werden solle. Auf Ö1 sagt er sogar, dass man hierzulande über eine Nato-Mitgliedschaft nachdenken sollte.
Ich halte fest, dass solche Aussagen unserer Verfassung widersprechen, diplomatisch verantwortungslos und politisch untragbar sind. Wenn führende Vertreter staatlicher Institution unsere Verfassung, auf die sie selbst angelobt sind, öffentlich infrage stellen, dann müssen wir uns die Frage stellen: Wird hier vielleicht bereits bewusst der Boden für einen außenpolitischen Kurswechsel – vorbei am Parlament und gegen den Willen der Bevölkerung – aufbereitet?
Daher folgende Frage:
„Was werden Sie angesichts der jüngsten Aussagen von Direktor Emil Brix – insbesondere zur österreichischen Neutralität und einer möglichen NATO-Nähe – unternehmen, um eine verfassungskonforme und der Neutralität entsprechende außenpolitische Linie der Diplomatischen Akademie sicherzustellen?“
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Frau Bundesministerin.
Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Danke. – Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Sehr vielen herzlichen Dank für die Frage! Zunächst einmal: Ich glaube, wir sind ein freies Land – das waren wir, das sind wir und das werden wir immer so sein, und so sollten wir das auch mit freien Meinungsäußerungen handhaben.
Der Direktor der Diplomatischen Akademie hat auf eine Frage im Ö1-Interview zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben seine persönliche Einschätzung abgegeben, was Österreich sicherheitspolitisch tun sollte. Angesichts der weltweiten Konfliktlage sagt er, dass er der Überzeugung ist, dass Österreich ein Teil eines westlich orientierten Sicherheitsbündnisses sein sollte, und er hat hinzugefügt, dass wir nicht darum herumkommen würden, über eine Nato-Mitgliedschaft nachzudenken.
Das ist, wie gesagt, seine persönliche Ansicht. Er steht an der Spitze der Diplomatischen Akademie und damit einer Bildungseinrichtung, für die – wie Sie ja wissen: für die Wissenschaft; und das ist uns sehr wichtig – die Freiheit der Forschung und Lehre gilt. Ich möchte darüber hinaus auch betonen, dass gegenüber der Diplomatischen Akademie und der Leitung der Diplomatischen Akademie von meiner Seite kein Weisungsrecht besteht.
Ich denke allerdings, dass es notwendig ist, eine breit angelegte sicherheitspolitische Debatte zu führen. Insofern begrüße ich es, dass auch die Diplomatische Akademie ein Ort dieses Diskurses sein sollte und sein wird. Wie Sie auch wissen, werden wir im Zuge der Neugestaltung der sicherheitspolitischen Debatte ja auch Bürgerforen abhalten.
Ich bin der Meinung, dass uns Neutralität allein nicht schützt. Ich teile aber nicht die Ansicht vom Emil Brix, dass die Sicherheit und der Schutz der Österreicherinnen und Österreicher ausschließlich durch einen Nato-Beitritt gewährleistet werden kann. Ich denke aber, dass wir alle unsere Kräfte darauf bündeln sollten, so wie es auch unsere Verfassung vorsieht, für eine gemeinsame Verteidigungsunion als verlässlicher Partner zu arbeiten. Und das tut diese Bundesregierung. (Beifall bei den NEOS.)
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zusatzfrage?
RN/4.1
Abgeordneter Ing. Mag. Volker Reifenberger (FPÖ): Ende Juni wurde ein umfassendes Verteidigungsabkommen zwischen der EU und Kanada unterzeichnet, ohne erkennbare demokratische Mitwirkung oder öffentliche Debatte in Österreich. Dieses Abkommen sieht unter anderem die stärkere militärische Einbindung Kanadas in europäische Strukturen, die Teilnahme an milliardenschweren EU-Rüstungsprojekten sowie die vertiefte Zusammenarbeit im Rahmen von Pesco und anderen sicherheitspolitischen Programmen vor. Angesichts der darin enthaltenen militärischen Komponenten, der Ausweitung sicherheitspolitischer Verpflichtungen sowie der engen Kooperation mit einem Nato-Staat stellen sich grundlegende Fragen zur Vereinbarkeit dieser Vorgänge mit der österreichischen Neutralität. Besonders verwundert bin ich allerdings, dass Sie, Frau Bundesminister, offenbar in das Zustandekommen dieses Abkommens involviert waren, ohne die Bevölkerung oder den Nationalrat zu informieren oder dessen Zustimmung einzuholen. Daher folgende Frage:
Wie rechtfertigen Sie die aktive Mitwirkung Ihres Ressorts an der Unterzeichnung des EU-Kanada-Verteidigungsabkommens inklusive potenzieller Pesco- und Rüstungskooperationen ohne vorherige Information oder Zustimmung des Nationalrates, obwohl dieses Abkommen sicherheits- und neutralitätsrelevante Verpflichtungen für Österreich beinhaltet?
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Frau Ministerin.
Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Sehr geehrter Herr Kollege, es dürfte Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, dass Österreich schon seit geraumer Zeit an Pesco-Operationen teilnimmt. Ich erwähne es gerne noch einmal: Österreich hat sich auch durch den EU-Beitritt im Rahmen seiner Verfassung dazu verpflichtet, an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union mitzuwirken. Wir sind da ein verlässlicher Partner.
Ich glaube, angesichts der weltpolitischen Lage, der Zunahme von militärischen Konflikten, des zunehmenden Abgehens von einer regelbasierten Friedensordnung ist es unsere ureigenste Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass österreichische Bürgerinnen und Bürger, europäische Bürgerinnen und Bürger bestmöglich geschützt sind. Der größte Schutz oder der größte Garant für Frieden ist es, mit verlässlichen Partnern eine Verteidigungsunion in Europa zu schaffen und damit Sorge dafür zu tragen, dass niemand es wagen kann, uns anzugreifen. (Abg. Reifenberger [FPÖ]: Das ist mit der Neutralität nicht vereinbar!)
Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass die Europäische Union Kooperationen eingeht. Das ist natürlich, anders als Sie es dargestellt haben, vollends demokratisch legitimiert. Kanada, ein Land, das unsere Werte teilt, unsere Einstellung zu Freiheit teilt, zu liberaler Demokratie teilt, zur Marktwirtschaft auch teilt, ist, glaube ich, ein wunderbarer Partner. Und letztlich ist das ja auch etwas, wovon die europäische Industrie profitieren kann. Daher begrüße ich dieses Übereinkommen.
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Stögmüller.
RN/4.2
Abgeordneter David Stögmüller (Grüne): Guten Morgen, Frau Ministerin! Ich schließe jetzt ein bisschen an Herrn Kollegen Reifenberger an. Er hat nämlich gestern oder vorgestern die Militärattachés ins Parlament eingeladen, und einer der Big Elephants in the Room war die Solidarität Österreichs, wie wir die auslegen, und natürlich auch die Neutralität – das verheimlicht er immer in den Diskussionen.
Nichtsdestotrotz würde mich interessieren, da ja Österreich auch in die Sicherheitsarchitektur Europas integriert ist: Können Sie uns skizzieren, wie der österreichische Beitrag zu Europas Sicherheitspolitik abseits der Sanktionen gegen Russland dargestellt und gelebt wird und wie sich das auf der anderen Seite auch in der neuen Sicherheitsstrategie, die Sie ja ausarbeiten, entsprechend widerspiegelt? – Vielen Dank.
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Frau Minister.
Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Das mache ich sehr gerne.
Wie gesagt hat Österreich mit dem Beitritt zur Europäischen Union einen Weg beschritten, der auch bedeutet, dass wir voll an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und an der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union teilnehmen. Dies ist, anders als es von der FPÖ dargestellt wird, kein Bruch mit der Verfassung. Vielmehr ist in unserer Verfassung verankert, dass wir mit allen Kräften an der Vollendung einer Verteidigungsunion mitwirken. Ich halte das für sehr klug, und ich kann Ihnen auch sagen, warum: Ich glaube, es ist letztlich so, dass wir besser geschützt sind, wenn wir das gemeinsam organisieren. Es geht ja letztlich darum, den Frieden für alle Generationen, auch für die nächsten Generationen zu sichern und Sorge dafür zu tragen, dass uns niemand, kein Aggressor, angreift.
Österreich ist schon lange ein verlässlicher Partner, und wir als Bundesregierung haben schon in den ersten Wochen mittels eines Ministerratsvortrags unmissverständlich klargestellt, dass wir auch weiterhin ein verlässlicher Partner und ein aktiver Partner zur Weiterentwicklung der europäischen Verteidigungsunion sind.
Was heißt das? – Das heißt sehr wohl, dass wir auf Fragen wie Interoperabilität, auf eine gemeinsame europäische Beschaffung schauen, weil sich gemeinsam um die Verteidigung zu kümmern, es letztlich natürlich auch – wenn man das Wort überhaupt sagen kann – günstiger macht. Wir nehmen auch an gemeinsamen Operationen teil, wie zum Beispiel Pesco, und sind ein aktiver Partner bei der Entwicklung der Verteidigungsunion. Insofern leisten wir selbstverständlich als Land auch einen militärischen Solidarbeitrag. Den haben wir in der Vergangenheit geleistet, den leisten wir jetzt und den werden wir in der Zukunft leisten, und wir werden uns auch aktiv bei der Weiterentwicklung der europäischen Verteidigungsunion einbringen.
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Wir kommen nunmehr zur zweiten Anfrage, 34/M, jene des Abgeordneten Minnich. – Bitte, Herr Abgeordneter.