Veranstaltung
Nationalratssaal
Abteilung 1.4/2.4
Stenographische Protokolle
Programm
Eröffnungsworte
Dritte Präsidentin des Nationalrates
„Make it stop“
Mira Lu Kovacs
Musikerin
„Wär ich doch klug“
Monika Helfer
Schriftstellerin
„Ich wollte ein Gedicht schreiben“
Yasmo
Rapperin und Slampoetin
„Zeitloos“
Aida Loos
Kabarettistin und Schauspielerin
„Demokratie, Klima, Menschlichkeit“
Valerie Huber
Schauspielerin und Autorin
„Groteskes und Ermutigendes“
Renate Bertlmann
Bildende Künstlerin
Beginn der Veranstaltung: 17.06 Uhr
Sonja Kato (Moderatorin): Einen wunderschönen guten Abend hier im Parlament, im Sitzungssaal des Hohen Hauses – frisch renoviert! Ich habe schon einige Gespräche im Vorbeigehen gehört, wie großartig alle diesen schönen neu gestalteten Sitzungssaal finden. Es ist von meiner Position aus gesehen jedenfalls ein großartiger Anblick, dass so viele Frauen heute in den Abgeordnetenreihen sitzen. Ich darf Sie namens der Dritten Präsidentin Doris Bures, die wir herzlich hier bei uns begrüßen, die diese wundervolle Veranstaltung initiiert hat, heute durch den Abend begleiten. (Beifall.)
Mein Name ist Sonja Kato. Ich finde das wirklich eine unsagbare Ehre, dass ich Sie heute durch diesen großartigen Abend führen darf, dessen kulturelles, künstlerisches Line-up alles sprengt, was Österreich zu bieten hat. Auch unsere Gäste zeigen ihre Ehre mit ihrer Anwesenheit: Zuallervorderst darf ich um einen Applaus für Bundespräsident außer Dienst Heinz Fischer gemeinsam mit Margit Fischer ersuchen. (Beifall.)
Ich möchte außerdem namentlich begrüßen – ich darf Sie bitten, ihrer Freude darüber, dass sie hier sind, mit einem gemeinsamen Applaus Ausdruck zu verleihen –: Bundesministerin Anna Sporrer, Bundesministerin Eva-Maria Holzleitner, Präsidentin des Rechnungshofes Margit Kraker, Landeshauptmannstellvertreterin Anja Haider-Wallner, Staatssekretär Alexander Pröll und Vizedirektorin des Parlaments Susanne Janistyn-Novák. – Danke für Ihr Kommen, herzlich willkommen an diesem besonderen Abend! (Beifall.)
Es ist eine große Freude – und ich darf auch da um einen En-bloc-Applaus ersuchen –, dass so viele aktive, aber auch ehemalige Abgeordnete zum Nationalrat sowie Mitglieder des Bundesrates und natürlich auch die eine oder andere ehemalige Ministerin hier bei uns im Saal sind. – Ihnen allen ein herzliches Willkommen und danke für Ihren wertvollen Beitrag zu Österreichs Demokratie! (Beifall.)
Es wird heute der internationale Tag der Demokratie begangen, also ein Tag, an dem sich die ganze Welt dem Thema Demokratie noch einmal spezieller widmet.
Die heutige Veranstaltung hat aber auch noch den Zusatz wehrhaft gewählt, und jeder von Ihnen wird sich dazu jetzt vielleicht etwas denken. Uns allen ist wahrscheinlich – das dokumentieren Sie sicher mit Ihrer Anwesenheit hier – gemeinsam, dass es uns ein Anliegen ist, diese Demokratie zu verteidigen und zu beschützen.
„Wehrhafte Demokratie – Wehrhafte Frauen“ – das sind Sie alle, die heute hier das künstlerische Line-up, wenn ich diesen Begriff aus der Veranstaltungswelt ausborgen darf, bestreiten. Es ist wirklich eine große Ehre, und ich darf Sie um einen Applaus ersuchen und die Damen bitten, sich zu erheben: Renate Bertlmann, Monika Helfer, Valerie Huber, Mira Lu Kovacs, Aida Loos und Yasmo – danke vielmals für Ihr Kommen. (Beifall.)
Darüber hinaus ist aber auch eine beeindruckende Vielzahl von Vertreter:innen der Politik anwesend: aus internationalen Organisationen, der Diplomatie, der Zivilgesellschaft, aus NGOs. Wir freuen uns über Vertreter:innen aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, den Hochschulen, der Wissenschaft und Bildung und natürlich der Kunst und Kultur, von den Sozialpartner:innen und Interessenvertretungen, und herzlich willkommen auch allen, die aus Wirtschaft und Unternehmungen hier bei uns sind. Auch ein Danke an die Medien und die Vertreter:innen der publizierten Öffentlichkeit, die heute hier an dieser Veranstaltung teilnehmen.
Ich darf jetzt zur offiziellen Eröffnung das Wort an unsere Gastgeberin, die Dritte Präsidentin des Nationalrates Doris Bures, übergeben. (Beifall.)
Eröffnungsworte
Doris Bures (Dritte Präsidentin des Nationalrates): Demokratie ist nie selbstverständlich. Sie ist stark, wenn wir für sie eintreten, uns solidarisieren und sie verteidigen. Und sie ist verletzlich, wenn wir sie der Gleichgültigkeit oder den Egoismen überlassen.
Unser heutiger Abend findet mit ein paar Monaten Verspätung statt, wie Sie wissen. Ursprünglich war die Veranstaltung für den Vorabend des Internationalen Frauentags geplant gewesen und wir mussten sie absagen, weil wir unsere liberale Demokratie verteidigt haben – und das erfolgreich. Denken wir nur kurz zurück: Noch vor wenigen Monaten stand Österreich an einem Scheideweg. Nach langen – glauben Sie mir! –, wirklichen langen und intensiven Verhandlungen konnten wir in einem zweiten Anlauf einen breit getragenen Kompromiss finden, nämlich einen Kompromiss der demokratischen Mitte.
Und in diesem Saal hat sich eben an diesem 7. März eine proeuropäische und der liberalen Demokratie verpflichtete Bundesregierung den 183 Abgeordneten vorgestellt – und damit auch unserem gesamten Land. Deshalb freue ich mich auch wirklich ganz besonders, die beiden Bundesministerinnen Anna Sporrer und Eva-Maria Holzleitner und Staatssekretär Alexander Pröll heute hier begrüßen zu dürfen.
Heute – es wurde erwähnt – ist der Internationale Tag der Demokratie, beschlossen von der UN-Generalversammlung. Ich dachte mir, das ist ein guter Tag, um diese Veranstaltung nachzuholen – ein Tag nämlich, der einmahnt, auf unsere Demokratie und ihre Institutionen zu achten, und wenn wir uns die Demokratien und den Zustande der Demokratien weltweit ansehen, dann gibt es allemal Grund genug dafür und leider auch Grund zur Sorge.
Als der Tag der Demokratie 2008 von den Vereinten Nationen ausgerufen und erstmals begangen wurde, waren die Demokratien global im Aufschwung. Die Hälfte der Weltbevölkerung lebte in freien, demokratischen Staaten. Heute, 18 Jahre später, ist es gerade einmal jeder vierte Mensch. Das macht mich – und ich denke, uns alle – sehr betroffen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir es nicht hinnehmen werden, wenn sich Staaten eben von diesen Prinzipien der Demokratie, der liberalen Demokratie schrittweise entfernen – ob es in Europa ist, wie Ungarn, oder ob es in der Türkei oder den USA ist.
Überall ist das Muster eigentlich das gleiche: Entscheidungen der unabhängigen Justiz werden als politisch motiviert diffamiert, Medien und Journalist:innen werden unter Druck gesetzt und beschimpft, politisch Andersdenkende werden zu Feinden erklärt, Kunst und Kultur wird als dekadent verunglimpft – also die Polarisierung, die Spaltung unserer Gesellschaft wird ganz bewusst herbeigeführt.
Unser Lebensmodell, angstfrei und in Würde, in sozialer Sicherheit und in Freiheit leben zu können, gerät dadurch massiv unter Druck – Druck, dem wir eben nicht nachgeben dürfen. Wir müssen unser Modell Europa, mit Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Solidarität, verteidigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Demokratie heißt im Kern: Das Volk ist souverän. Das heißt, auch wir Frauen sind souverän: betreffend unser Leben, unseren Körper, unsere Zukunft. Und genau deshalb beginnen autokratische Kräfte immer auch damit, die Frauenrechte einzuschränken: die politischen, die sozialen und die ökonomischen. Frauenrechte sind eben ein Gradmesser der Menschenwürde und der Freiheit.
Aus diesem Grund trägt die heutige Veranstaltung eben den Titel „Wehrhafte Demokratie – Wehrhafte Frauen“. Das soll ein Befund und ein Appell gleichzeitig sein.
In Österreich haben wir ein Sinnbild für diese Wehrhaftigkeit direkt vor dem Parlament: Pallas Athene, die Göttin der Weisheit und der Wehrhaftigkeit. Sie erinnert uns daran, dass Demokratie natürlich durch Institutionen und Gesetze geschützt wird, ganz entscheidend ist aber auch unser Handeln – mit Weisheit und Haltung, mit Mut und Courage.
Wir haben heute – sie wurden vorgestellt – sechs Künstlerinnen unterschiedlicher Genres und Generationen ins Parlament eingeladen, um eben dieses steinerne Sinnbild vor dem Parlament mit Leben zu erfüllen. Und es sind bewusst nur Frauen, und bewusst nicht aus einem Guss, wie man so schön sagt: jede mit ihrer ganz eigenen Stimme, mit ihrem eigenen Stil, ihrer eigenen Perspektive. Und jede dieser Frauen wird heute hier an diesem Pult, in diesem Raum Position beziehen – sei es eine Kritik, eine Ermutigung, vielleicht auch eine Provokation, ich denke, jedenfalls eine Hoffnung.
Ich sage es ganz offen: Ich weiß selbst nicht, was uns heute Abend erwartet, aber ich finde, das ist genau das Schöne daran, denn Demokratie lebt von Vielfalt und Demokratie lebt auch von Überraschungen. Sie lebt vom Gefühl der Gemeinschaft, und deswegen freue ich mich, dass Sie alle heute hier ins Parlament gekommen sind, in das Herz unserer Demokratie. Ich glaube, was uns noch verbindet, ist eben diese so wichtige gemeinsame Neugier, neugierig zu sein, denn Demokratie und Kunst leben von dieser Neugier.
Die Kunst stellt Fragen, wo andere ganz kurze, simple Antworten geben, sie kann aufrütteln, wenn wir schon ein bisschen müde geworden sind, und sie macht sichtbar, was allzu oft im Alltag verborgen bleibt.
Sowohl für den Weltfrauentag als auch für den heutigen Tag der Demokratie ist es wertvoll, sich von Künstlerinnen ihren Blick auf unsere Demokratie zeigen zu lassen, und, meine Damen, liebe Frauen, dafür danke ich Ihnen persönlich zutiefst. (Beifall.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Frauen! Der im März viel zu früh verstorbene Gründer des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte, Prof. Hannes Tretter hat einmal in einem Artikel das treffende Zitat erwähnt – ich möchte ihn in memoriam jetzt ganz bewusst zitieren –: Aber wo wollen Sie anfangen? Wo aufhören? Bei der Kunst? Der Literatur? Der Musik? Erst hängen wir Bilder ab, dann die Freiheit an den Nagel.
Heute erinnern uns sechs herausragende Frauen aus Literatur, Musik, Kabarett und bildender Kunst genau daran: Demokratie ist nicht nur eine politische Ordnung, sondern eine Haltung – eine Haltung, die Mut, Wehrhaftigkeit und Handlung verlangt, von uns allen. Denn wie gesagt: Demokratie ist nie selbstverständlich. – Vielen Dank. (Beifall.)
Sonja Kato: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für die offizielle Eröffnung der Veranstaltung und für die sehr nährenden Worte.
„Make It Stop“
Sonja Kato: Wir steigen jetzt in das künstlerische Programm ein, von dem wir heute alle überrascht werden, und das darf ja auch sein. Die Künstlerinnen, die heute hier mit uns ihr Können teilen, haben längst schon bewiesen, was sie können, und umso schöner ist es, dass sie sich für heute zur Verfügung gestellt haben.
Mira Lu Kovacs, der ich gleich die Bühne überlassen darf, ist Ihnen wahrscheinlich bekannt von der Festwocheneröffnung, vom Amadeus Austrian Music Award, den sie in einer Formation mit gewonnen hat, vom Popfest und vielen anderen Auftritten im Rahmen von österreichischen Kulturfestivals und weit darüber hinaus. Sie überzeugt mit ihrer ganz eigenen Musik, und wir freuen uns auf Mira Lu Kovacs mit „Make It Stop“. – Bitte schön. (Beifall.)
Mira Lu Kovacs (Musikerin): Ich darf kurz erklären, wie es zu meiner Auswahl des folgenden Stückes kam. Ich muss mich entschuldigen, ich lese jetzt ab, aber dann später nicht mehr, ich verspreche es.
Ich halte es für eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, die Hoffnung zu bewahren und im täglichen Kampf für Menschenrechte und Würde nicht zu verzweifeln. Ich verstehe es als meine Pflicht, alle Werkzeuge der Demokratie zu nutzen, um Freiheit und ein gutes Leben für alle – und wahrhaftig: alle – Menschen zu verteidigen. Aber ab und an werde zumindest ich – und ich glaube, wir kennen das – müde. Man fühlt sich wie Sisyphos, denn gerade jetzt scheinen wir als Gesellschaft so viele Rückschritte zu machen. Ich finde, wir können es uns nicht leisten, lange müde zu sein.
Mein Beitrag heute ist ein kleines Lied von mir mit dem Titel „Make It Stop“, und ich möchte, bevor ich es spiele, kurz übersetzt den Text zitieren:
Es ist einfach, sich machtlos zu fühlen
Es ist beängstigend, wie schnell ich mich gewöhne
Hand in Hand
Hand in Hand
Zu müde, um wütend zu sein
Zu gemütlich, um einen Aufstand zu machen
Hand in Hand
Hand in Hand
Es wird niemals aufhören
Wenn wir es nicht aufhalten
Alle Macht dem Kapital
Der Betrüger
Der Täter
Ruhe dich aus, Liebes, ich brauch dich hier!
Hand in Hand
Hand in Hand
Es wird niemals aufhören
Wenn wir es nicht aufhalten
Es folgt eine musikalische Darbietung von „Make It Stop“.
(Beifall.)
Sonja Kato: Mira Lu Kovacs. – Das ist Ihr Applaus.
Diese Klänge passen gut in diesen Saal, oder, Frau Präsidentin?
Monika Helfer vorzustellen, ist wohl alles andere als nötig oder gar notwendig, für mich ist es ein Vergnügen und ein Privileg. Ihre Texte sind von einer besonderen Sanftheit, die ihren eigenen Mut und ihre eigene Klarheit haben. Ihre Stimme ist im wahrsten Sinne des Wortes unverzichtbar und ihre Anwesenheit heute hier im Parlament ein Privileg, eine Ehre – nur dem Titel ihrer Textauswahl mag man widersprechen, wenn er aus ihrem Munde kommt. Er heißt nämlich „Wär ich doch klug“. – Monika Helfer, wir freuen uns, dass Sie hier sind. – Bitte schön. (Beifall.)
„Wär ich doch klug“
Monika Helfer (Schriftstellerin): Ich lese zwei kleine Geschichten:
Frauen unter sich, sie saßen um einen Tisch, Teller mit Essensresten vor sich, Weingläser, halb volle, leere. Man hörte ihr Lachen, dann war es still.
Eine Frau weinte, wurde getröstet.
„Du hast zu viel getrunken“, sagte Maria. Edith, die traurige Frau, streifte die Stöckelschuhe von den Füßen und stöhnte kurz auf. Eine, die Rita hieß, hakte sich ihren engen BH auf. Isabella tunkte die Serviette in die Salatsauce und entfernte damit ihr Make-up. Sonja öffnete ihre Hochsteckfrisur, fuhr mit den Fingern durch die Haare und warf sie nach hinten.
Es war schon spät, sie hörten eine Abba-CD. Edith in Strümpfen war nun nicht mehr traurig. Sie stand vom Tisch auf, rollte den Teppich zurück und begann zu tanzen. Die anderen Frauen folgten ihr nach, einzelne Schuhe lagen um den Esstisch herum. Es sah aus, als sei ein Verbrechen geschehen.
Ein Weinglas war umgestoßen worden, Rotwein floss über das Tischtuch auf den Steinboden.
Die Frauen merkten selber nicht, dass sie laut geworden waren, sie sangen bei den Liedern mit.
Der Mann der Hausfrau streckte den Kopf zur Tür herein, er wusste, hier hatte er keinen Platz, was er sah, war ein Geheimnis, reich und schwer. Eigentlich wollte er gegen den Lärm protestieren, er wusste, das würde zwecklos sein.
Leise schloss er wieder die Tür, kurz erfasste ihn die Vorstellung, dass er unter den Frauen wäre, und er sah sich verspottet. – Warum eigentlich?
Er legte sich auf das Bett, schloss die Augen, bis alles um ihn herum schwarz war wie in einem Schrank. Er hörte ein Auto bremsen, das Zuschlagen einer Autotür. Das war dem Motor nach zu urteilen der Mann von Edith. Hatte er tatsächlich den Mut, sie jetzt schon abzuholen, oder wollte er sich unter die Frauen mischen?
Der Hausherr öffnete die Tür. „Lassen wir sie unter sich“, sagte er zu Ediths Mann. „Gehen wir auf ein Bier!“ Sie saßen in einem Wirtshaus und brachten kein ordentliches Gespräch zustande. „Wenn sie nur nicht so viel trinkt“, sagte Ediths Mann, „da verliert sie schnell die Kontrolle.“ „Was soll passieren, sie sind ja unter sich in einem sicheren Raum. Wenn sie umfallen, dann nur auf den Boden.“
„Was weißt du von deiner Frau?“, fragte Ediths Mann. „Ich weiß nichts von Edith.“ „Ich verstehe deine Frage nicht, ihr seid doch schon 20 Jahre verheiratet. Du siehst sie jeden Tag, sie ist die Mutter deiner Kinder.“ „Ich habe keine Ahnung, was sie denkt“, sagte Ediths Mann. „Null Ahnung! Was reden die Frauen, wenn sie unter sich sind? Beklagen sie sich über uns?“ „Sie singen und tanzen, und wenn sie erschöpft sind, lassen sie sich auf das Sofa fallen.“ „Da müssten sie ziemlich eng zusammenrücken, dass sie Platz haben.“
„Die liegen halb aufeinander, und eine weint garantiert, weil immer eine weint, und die wird dann getröstet, und eine andere wärmt die Mitternachtssuppe auf, davon werden sie nüchtern.“
So war das dann auch. Nach der heißen Suppe schlüpfte Edith in ihre Stöckelschuhe. Sonja zog die Haare zu einem Schwanz zusammen. Rita ließ ihren BH offen, sie war schließlich hier zu Hause.
Noch eine kleine:
Es geschah ...
Es geschah an einem Vormittag gegen 11 Uhr, als die Frau ihren Verstand verlor. Sie befand sich in der Küche und wusste nicht mehr, wer sie war, wusste nicht mehr, was sie vorgehabt hatte zu tun, wusste überhaupt nichts mehr. Sie fuhr sich mit der Hand ins Gesicht und befühlte ihre Haut. Wie hieß das, was das eine mit dem anderen tat?
Sie setzte sich auf den Holzboden, und die Dielen waren rau, aber sie kannte das Wort nicht dafür. Sie legte sich auf die Dielen, und was sie gerade tat, hatte keinen Namen. Sie rutschte nach hinten unter den Küchentisch, da fühlte sie sich geborgen. Also fühlen konnte sie, fühlen, wie etwas für sie war.
Der Mann kam nach Hause. Erst hatte er an der Tür geläutet, und normalerweise öffnete ihm seine Frau, und er liebte es, wie sie ihn empfing, mit einer Neuigkeit und einem Lächeln. Er fand die Frau unter dem Küchentisch, und die Katze saß auf ihrer Brust. Das geblümte Kleid war nach oben gerutscht, und man sah die schwarzen Strümpfe.
Der Mann dachte an einen Unfall. Er wollte zu der Frau unter den Tisch kriechen, aber da wurde es eng, und so musste er die Frau an den Beinen nach vorne ziehen. Dabei ängstigte er sich, dass die Sprießen ihren Rücken verletzen könnten.
Ihr Kleid war aus dünnem Stoff, der Boden alt und faserig. Die Katze lief davon. Er hob die Frau zu seiner Brust und streichelte über ihre weichen Haare.
„Was ist mit dir?“, fragte er. „Ist dir wieder einmal schwindlig geworden?“ Die Frau blinzelte ihn an. „Ich habe meinen Verstand verloren“, sagte sie.
Da lachte ihr Mann, er kannte den Humor seiner Frau, und es gefiel ihm, wie sie ihn passend einsetzte. „Müssen wir ihn eben suchen, deinen Verstand“, sagte er in der Annahme, dass er ihren Spaß weitertrieb.
Bald aber merkte er, dass etwas nicht stimmte. Er bemühte sich, seine Frau auf das Sofa im Wohnzimmer zu legen. Er könnte den Arzt anrufen, instinktiv wusste er aber, dass dies keine Arbeit für den Arzt war. Das wussten sie beide, Mann und Frau lösen diese unwürdigen Probleme.
Er setzte sich zu ihr auf das Sofa und nahm ihre Hand. „Überleg, mein Liebling, überleg genau, wo du ihn zuletzt noch gehabt hast!“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Wo du ihn hingelegt hast?“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Kann es sein, dass du im Garten warst?“ Er wusste, sie schnitt in letzter Zeit gerne die Rosen und bündelte sie zu einem Strauß. Er sah aber nirgendwo einen Strauß liegen.
„Ja, dann werde ich dir einen Kakao machen. Der wird dich innerlich wärmen, und wir suchen gemeinsam überall, in jedem Loch, in jeder Ecke, unten bei den Schuhen und oben bei den Büchern, bis dein Verstand gefunden ist.“
Danke sehr. (Beifall.)
Sonja Kato: Herzlichen Dank, Monika Helfer. (Beifall.) – Kusshände fliegen durch den Raum.
Yasmo ist wohl eine der prononciertesten heimischen Rapperinnen, Slampoetinnen und auch als Autorin bekannt. Sie war beim sehr renommierten FM4-Music-Award nominiert. Sie ist fixer Bestandteil der besten heimischen Konzert-Line-ups. Sie ist immer zur Stelle, wenn es darum geht, das Wort für einen wichtigen Anlass zu erheben.
Wir freuen uns, sie heute hier zu begrüßen. Der Titel ihres Beitrags: „Ich wollte ein Gedicht schreiben.“ – Yasmo. (Beifall.)
„Ich wollte ein Gedicht schreiben“
Yasmo (Rapperin und Slampoetin): Hallo! (Heiterkeit der Rednerin.) Vielen herzlichen Dank! Bin ich aufgeregt? – Ja. Lasse ich es mir anmerken? – Nein, aber ich kommuniziere es Ihnen, liebe Menschen, die heute hier sind. Ich freue mich sehr über die Einladung, ich freue mich sehr, dass ich hier einen Text vortragen darf.
Ich habe mir im Vorfeld überlegt, was ich denn hier im Rahmen dieser Veranstaltung auf dieser Bühne gerne vortragen wollen würde. Ich habe mir dann gedacht: „Wehrhafte Demokratie – Wehrhafte Frauen“ – ich stehe seit fast 20 Jahren auf Bühnen im Poetry-Slam-Bereich, im Rap-Bereich, im Literaturbereich, also ich habe so einen Stapel an Zetteln voll feministischer Texte. Das ist so ein bisschen der Klassiker.
Dann dachte ich daran: Was ist denn für mich intersektionaler Feminismus, dem ich mich zuordne? Was ist für mich Demokratie? Was ist für mich kleines Hacklerkind das Gefühl, hier gerade zu stehen? Dann dachte ich an Hierarchien, denn Hierarchien gibt es überall, die gibt es leider auch in der Demokratie. Was mir wichtig ist, zu sagen, ist: In einer Demokratie muss es klar sein, dass alle mitmachen dürfen, und mit alle müssen alle gemeint sind, weil sich, glaube ich, nicht immer alle angesprochen fühlen und auch nicht immer alle eingeladen fühlen.
Deswegen habe ich diesen Text gewählt, den ich jetzt gerne vortragen möchte. Er ist relativ einfach geschrieben.
Ich wollte ein Gedicht schreiben, weil das ist die Gschicht, und dieses Gedicht teile ich jetzt sehr gerne und gehe ein bisschen zurück an meine Anfänge, weil ursprünglich – wie schon gesagt, ich stehe schon sehr lange auf Bühnen –, also eigentlich, ganz am Anfang: Ich wollte ein Gedicht schreiben. Also habe ich das gemacht. (Heiterkeit.)
Ich war ja noch jung, so 14, 15, 16. Ich wollte irgendwie was schreiben, ich wollte was mit Wörtern machen, weil die kannte ich ja eh schon – also nicht alle, und den Duden wollte ich jetzt auch nicht lesen, aber die, die ich kannte, mit denen wollte ich was machen. Aber nicht, dass Sie denken, dass ich nicht lesen wollte! Ich habe alles gelesen. Die großen Werke habe ich gelesen, den Goethe, den Schiller, Max Frisch, Thomas Bernhard, den Dürrenmatt habe ich gelesen – all die Männer halt, Frauen gab es ja noch keine (Heiterkeit) –, bis ich ein paar Jahre später dann auf der Uni war – ja, Sie haben richtig gehört, ich habe studiert, als Erste in meiner Familie –, und da ging es dann richtig los: de Beauvoir, Crenshaw, Derrida – fuck, schon wieder ein Mann! –, na gut, ich habe dann auch die Bachmann gelesen. Gebildet habe ich mich, ich habe ja sonst nichts gehabt – also schon, Stift und Papier.
Und ich wollte ein Gedicht schreiben, also habe ich das gemacht, mit den großen Fragen für die großen Tage: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Ich habe mir nicht angemaßt, die großen Denker anzuzweifeln, dafür musste ich selbst schon herhalten, und es war nie gut genug.
Ob ich in Nebelschwaden nach Klarheit suche oder an Regentagen Wahrheit vermute, ob ich vergebens sage, was Arbeit tut in einem Leben, nachdem ich „Das Kapital“ zuschlug. Ob ich beginne, eine Perspektive zu entwickeln, mich entsinne, in die menschlichen Tiefen zu blicken, ob ich Zusammenhänge erkenne und zögerlich bekrittel, dass Verschiedenheit kein Zweck und vor allem kein Mittel, dass Beliebigkeit in echt überall drinsitzt, dass ein Wie vor einem Warum immer schlicht befindlich ist.
Aber ich wollte ja ein Gedicht schreiben, also habe ich das gemacht, habe mir meine Sprache gepackt. Sie sehen, ich kann mich ausdrücken, und je weniger Sie verstehen, desto besser, oder? (Heiterkeit.)
Ich wollte nur ein Gedicht schreiben und plötzlich ging ich auf Reisen. Wurde eingeladen in Kreise, von denen ich vorher nicht wusste, dass es sie gibt. Durfte die Welt sehen, durfte immer mehr und mehr verstehen. Das war für mein Ego Beleg, dass jeder, der es wählt, wenn er oder sie will und nur hart daran arbeitet, seinen Weg geht, denn Kultur ist ja e, also ernst.
Das wissen Sie vielleicht nicht: Die große Musik, die große Lyrik, die großen Werke, die sind ernst. Manch einer nennt es Hochkultur. (Heiterkeit der Rednerin.) Ich meine, nicht wie irgendein dahergelaufener Straßenmusikant, ich meine, nicht so wie ein Poetry-Slammer. Ich meine, wo kommen wir denn da hin, wenn wir jetzt schon englische Wörter brauchen? Ich meine, ich habe den Duden immer noch nicht gelesen, aber sonst, sonst habe ich alles gelesen. Ich habe gedacht, wenn ich alles lese, dann schaffe ich den sozialen Aufstieg, dann komme ich in Kreise, von denen ich nicht wusste, dass es sie gibt, dann würde ich mehr Geld verdienen als meine Hacklereltern je würden – meine Hacklereltern, die wissen, dass Kunst etwas Großes sein muss, dass das was Ernstes sein muss, meine Hacklereltern, die mir keinen Instrumentenunterricht zahlen konnten.
Aber Wörter, Wörter kannte ich ja schon. Ich wollte was mit Wörtern machen, auch wenn ich den Duden nie gelesen habe und meine Gedichte für die Zweifel herhalten mussten. Die Zweifel, die in der Schule schon aufkamen, weil ich eben keine Markenklamotten trug. Die Zweifel, die aufkamen, wenn ich bei Freund:innen eingeladen war zum Abendessen und nicht wusste, wie man mit mehr Besteck als Messer und Gabel umgehen soll, nicht wusste, dass man als Familie das Abendessen gemeinsam mit Gesprächen verbringt. Ich kannte nur, dass Mama müde war und Papa in der Spätschicht abhing.
Ich wollte ein Gedicht schreiben, um mir die Welt zu erklären, nicht, um damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Da, wo ich herkomme, ist Dichterin kein Beruf. Doch plötzlich war ich in Kreisen, wo man das Wort Miete nicht kennt, sondern nur Eigentum. Ich musste doch alles lesen, sonst wären die draufgekommen: Ich bin nicht eine von denen.
Was ich damals noch nicht wusste: Man sieht schon an den Zähnen den Klassenunterschied. Man sieht manchmal, wie viel die Eltern verdienen, und man sieht auch, ob die Eltern gar nichts verdienen, weil es Vermögen, Kapital, Grund, altes Geld ja eh schon gibt. Da liegt ein Unterschied. – Von dem wusste ich nichts. Ich war ja nur da und schrieb ein Gedicht.
Konnte mich auf der Uni nie zu meinen Kommilitonen gesellen, denn das Arbeiterkind fällt nicht auf, wenn es sich nicht traut, Fragen zu stellen. War im Kulturbetrieb manchmal unter Leuten und wunderte mich: Wie können die Kunst machen, wenn die nicht 24/7 so viel hackeln wie ich, mache ich irgendwas falsch, ist meine Kunst vielleicht nicht gut?, bis ich verstand: Ah, good for you, Eigentum! (Heiterkeit.) Ich musste doch alles lesen.
Ich wollte ein Gedicht schreiben, um Verstecken zu spielen. Was würde denn passieren, wenn die draufkommen, ich komme nicht von viel? Wenn du nicht viel hast, hast du nicht viel zu verlieren, doch plötzlich hatte ich ein Publikum, Bühnen. Ich wollte nichts riskieren, also habe ich sehr, sehr oft nicht von meiner Herkunft erzählt. Stand ich neben Mr. und Mrs. Privileg, stand ich dann dort aufrechter, das proper Artikulieren war für mich nie ein Problem. Die Welt hat mir immer und immer wieder gesagt, für meine Herkunft sollte ich mich schämen, aber irgendwann ist mir der Kragen geplatzt.
Ich wollte doch nur ein Gedicht schreiben, also habe ich das gemacht. Ich war dann umrungen von Leuten im Kulturbetrieb, die mich fragen, warum ich immer noch Poetry-Slam mache, weil ein Großteil der arroganten Hochkultur immer noch über Poetry-Slam lacht. Warum? – Weil er für alle zugänglich ist. Leute wie ich fühlen sich da zugehörig.
Ich wollte doch nur ein Gedicht schreiben und jetzt werde ich dafür bezahlt. Habe mir meinen Weg gebahnt, gearbeitet, ich habe geplant. Ich habe doch alle Bücher gelesen. Und doch habe ich gebraucht, zu verstehen: Die große Kunst ist nicht e, also ernst – ich meine, auch, aber nicht nur, und vor allem: wofür? –, die große Kunst ist, frei zu leben und, wenn es geht, zu berühren. – Vielen Dank. (Beifall.)
Sonja Kato: Yasmo. – Herzlichen Dank für diesen besonderen Text an diesem besonderen Ort.
Die Frau Präsidentin hat uns heute wirklich eine Abfolge von Kostbarkeiten organisiert und beschert, und es geht in dieser Flughöhe weiter.
Wir freuen uns sehr auf die nächste Künstlerin, die sich einen fixen Platz als Kabarettistin und als Schauspielerin erarbeitet hat. Sie ist bekannt aus großen Kabarettformaten im Fernsehen. Sie parodiert brillant, manchmal sogar so gut, dass die Parodie dann wieder verschwinden muss. Sie ist auch als Stimmimitatorin bei großen Radiosendern im Einsatz, aber vor allem durch ihre Soloprogramme, mit denen sie im deutschsprachigen Raum für Furore sorgt, bekannt. Ein Name, den man nicht so schnell vergisst – all ihre Programme spielen sich auch mit diesem wunderbaren Namen.
Ich darf unter dem Titel „Zeitloos“ Aida Loos auf die Bühne bitte. – Bitte schön. (Beifall.)
„Zeitloos“
Aida Loos (Kabarettistin und Schauspielerin): Guten Abend, meine Damen und Herren! Mein Name ist Aida Loos und ich bin heute hier, um die Demokratie zu verteidigen. Weil – so scheint es –: Sowohl die Demokratie als auch die Satire scheinen in letzter Zeit ein bisschen gefährdet zu sein. Also zumindest habe ich mir das gedacht, als ich das letzte Mal eine Rede von Donald Trump im Fernsehen gesehen habe. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber Donald Trump im Fernsehen zu sehen, finde ich persönlich schmerzhaft. Ich finde, es fühlt sich ein bisschen so an wie Brazilian Waxing – aua! Es tut weh. (Heiterkeit.) Und im Nachhinein denkt man sich ja genauso: Ja mei, der Bush war eigentlich eh okay! (Heiterkeit.)
Zurück in Wien sitze ich in meinem Stammcafé, wo mich der Kellner seit 2007 hasst, weil ich damals einmal nach 14 Uhr ein Mittagsmenü bestellt habe. Auch heute serviert er meine Melange mit einem Gesichtsausdruck, als hätte ich behauptet, die Sachertorte sei ursprünglich aus Deutschland. (Heiterkeit.) Dieser Blick aus Ekel und Verachtung spricht so perfekt Wienerisch, dass ich kurz überlege, ihn aufgrund seines emotionalen Engagements auf meine Notfallkontaktliste zu setzen. (Heiterkeit.)
Ich lese mich durch die Schlagzeilen der letzten Tage und stolpere über folgende Meldung: Trump will europäischen Firmen Diversität verbieten, weil offenbar nichts gefährlicher ist als verschiedene Menschen, die zusammenarbeiten, ohne sich gegenseitig zu erschießen. (Heiterkeit.) Die Ironie ist so köstlich, dass man sie als Vorspeise servieren könnte.
Der Präsident eines Landes, das ohne Einwanderer nicht einmal existieren würde, sitzt in seinem goldenen Turm mit Personal aus Lateinamerika, einer Frau aus Slowenien und einer Frisur von einem anderen Planeten (Heiterkeit) und predigt uns die Vorzüge von Homogenität. Als hätten wir in Europa nichts Besseres zu tun als auf die Befehle eines Mannes zu hören, der denkt, Kultur ist, wenn man Kaffee aus Pappbechern trinkt, die so groß sind, dass man darin ein Kleinkind baden könnte, und dessen Unternehmen so oft bankrottgingen, dass die Banken bei seinem Anblick automatisch die Tresore verschließen.
Trump hat den Begriff Diversität fundamental missverstanden. Er glaubt, es bedeutet, zwischen 52 verschiedenen Cornflakessorten wählen zu können (Heiterkeit) und dass Barbie jetzt auch mit Brille erhältlich ist. Es ist, als würde ein Borkenkäfer dem Wald befehlen, mehr auf sein Äußeres zu achten. (Heiterkeit.) Es ist nicht nur lächerlich, es ist ein neuer Aggregatzustand der Lächerlichkeit, für den wir noch keinen angemessenen Begriff gefunden haben.
Trump scheint wohl zu glauben, dass es Europa an Selbstvertrauen mangelt. Als ob ein Kontinent, der die Renaissance, die Aufklärung und den Espresso hervorgebracht hat, Nachhilfe bräuchte von einem Land, das glaubt, Käse käme natürlicherweise in Sprühdosen auf die Welt! (Heiterkeit.)
Ich bin mir ziemlich sicher, mehr über die amerikanische Geschichte zu wissen als Trump selbst – nicht weil ich besonderes daran interessiert wäre, sondern weil sie so kurz ist, dass man sie in einer Mittagspause vollständig studieren kann. (Heiterkeit.) In Amerika bedeutet historisches Gebäude, dass Elvis dort einmal gepinkelt hat. (Heiterkeit.) In Europa bedeutet modernes Gebäude, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut werden musste. Amerikaner:innen denken, 100 Jahre sind eine lange Zeit. Europäer:innen denken, 100 Kilometer sind eine lange Reise. (Heiterkeit.)
Was Trump nicht versteht: Unser Problem ist nicht zu wenig Selbstvertrauen. Wir haben sogar zu viel davon. Jedes einzelne europäische Land glaubt, es sei das relevanteste.
Frag mal einen Franzosen, was er vom italienischen Wein hält, oder eine Spanierin, was sie von der Schweizer Pünktlichkeit hält, oder einen Österreicher, was er vom deutschen Humor hält! (Heiterkeit.) Du wirst dreimal die gleiche Antwort bekommen: herablassende Arroganz mit einem Hauch von widerwilligem Respekt.
Unser europäisches Selbstbewusstsein ist wie ein Pfau, der so beeindruckt von seinem Gefieder ist, dass er vergessen hat, wie man fliegt. Unser Selbstvertrauen ist so groß, dass es irgendwann in Selbstgefälligkeit umgeschlagen ist. Wir sind so überzeugt von unserer kulturellen Überlegenheit, dass wir sie als Rechtfertigung für Stillstand benützen und aufgehört haben, an uns zu arbeiten. Wir sind so arrogant, dass wir uns nicht einmal die Mühe machen, arrogant zu wirken.
Europa ist wie ein adeliger Greis, der in einem verfallenen Schloss lebt, umgeben von vergilbten Fotos und einer glorreichen Vergangenheit, während das Dach über ihm einstürzt. „Ich war einmal wichtig!“, ruft er, während das Regenwasser auf seine letzte verbliebene Perücke tropft. „Ich habe Mozart hervorgebracht und den Louvre und die Demokratie!“ – Ja, all das ist zweifellos wahr, aber während er seine vergangenen Triumphe aufzählt, haben die Asiaten längst seinen Rasen gemäht und sein Auto repariert.
Vielleicht ist es das falsche Selbstbewusstsein. Es ist das Selbstbewusstsein einer alternden Diva, die sich weigert, neue Rollen anzunehmen, weil sie glaubt, sie könne mit 70 noch die 16-jährige Julia spielen, oder das eines Museumswärters, der glaubt, die Kunstwerke, die er bewacht, hätte er selbst gemalt.
Während wir wie verwöhnte Erben in einem Ruhm schwelgen, haben die Amerikaner:innen das entgegengesetzte Problem: Sie sind so besessen von ihrer Zukunft, dass sie ihre Geschichte ständig neu erfinden. Europa braucht nicht noch mehr Selbstvertrauen, genauso wenig, wie Jeff Bezos noch mehr Geld braucht.
Europa braucht Kopfhörer, um den konstanten Lärm amerikanischer Selbstbeweihräucherung auszublenden und sich endlich auf die Gegenwart zu konzentrieren.
Der Kellner bringt mir die Rechnung, ohne dass ich danach gefragt habe. Na gut, dann zahle ich halt.
Ich bin im Vorfeld darum gebeten worden, fürs Fernsehen, also für das Interview, den Satz „Demokratie ist ...“ zu beenden, und ich habe mir ein bisschen Gedanken gemacht. Hier ein paar Vorschläge:
Demokratie ist, wenn eine Fledermaus und zwei Motten darüber abstimmen, ob das Licht ausgeschaltet werden soll. (Heiterkeit.)
Demokratie ist, wenn ein Krokodil und zwei Flamingos darüber abstimmen, wer im Fluss baden darf.
Demokratie ist, wenn ein Tintenfisch und fünf Garnelen darüber abstimmen, ob Umarmen als neue Form der Konfliktlösung eingeführt werden soll. (Heiterkeit.)
Demokratie ist, wenn zwei Füchse und drei Hennen darüber abstimmen, was es zum Abendessen geben wird. (Heiterkeit.)
Demokratie ist aber auch nichts für Tiere, bei denen das Recht des Stärken gilt, sondern für Menschen. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet Donald Trump sie abschaffen will. „Let’s make America great again!“ – Wisst ihr noch? Was er eigentlich damit gemeint hat, ist: Lasst uns einfach alles abschaffen, worauf wir uns jemals geeinigt haben!
Ich habe mir damals Gedanken gemacht, was das für Österreich bedeuten würde, wenn man Österreich jetzt wieder great machen würde, und ich habe darüber ein Lied geschrieben. Falls Sie sich jetzt fragen: Warum kommen da Menschen vor, die es nicht mehr gibt?, lautet die Antwort: Damals gab es sie noch.
Musik!
Es folgt die Darbietung eines Musikstücks.
(Beifall.)
Danke schön.
Sonja Kato: Aida Loos. – Herzlichen Dank auch für diesen erfrischenden Beitrag.
Die Frau Präsidentin hat am Beginn ihrer Rede gesagt, der heutige Internationale Tag der Demokratie wurde von den Vereinten Nationen deklariert und wird seither auf der ganzen Welt begangen. Wir freuen uns daher, dass unsere nächste Beitragende zu dem heutigen Programm auch Unicef-Ehrenbotschafterin ist. Sie ist bekannt durch verschiedene Stufen ihrer Karriere: als Schauspielerin, als Essayistin, als Autorin von „FOMO Sapiens“, und wir freuen uns, dass sie heute hier unter dem Titel „Demokratie, Klima, Menschlichkeit“ einen Beitrag leistet. – Herzlich willkommen, Valerie Huber. (Beifall.)
„Demokratie, Klima, Menschlichkeit“
Valerie Huber (Schauspielerin und Autorin): Schönen guten Abend! Ich freue mich sehr, hier zu sein!
Laut einer Umfrage von Greenpeace fordern 80 Prozent der Österreicher:innen mehr Klimaschutz, der übrigens Menschenschutz heißen sollte, denn wir müssen nicht das Klima schützen, wir müssen uns selber schützen. Doch es geschieht kaum etwas. In Österreich sind 15 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet. Alle 13 Sekunden stirbt weltweit ein Kind an den Folgen von Hunger. Im Mittelmeer ertrinken jährlich Tausende Menschen. Immer mehr Kriege wüten. Im Gazastreifen sind Hunderttausende Menschen ausgehungert und ermordet worden.
Es trifft fast immer diejenigen, die am allerwenigsten für Konflikte oder Krisen können.
Wenn Demokratie nun aber bedeutet, dass wir gemeinsam Entscheidungen für das Gemeinwohl der Gesellschaft treffen, wenn die Herrschaft beim Volk liegen sollte und dieses entscheiden sollte, dann läuft jedoch etwas schief. Wir belügen uns selbst, denn wie wir leben wollen und wie wir tatsächlich leben, befindet sich im Widerspruch – eine kognitive Dissonanz unserer Gesellschaft. Unsere Demokratien sind ganz offensichtlich in einer gewaltigen Krise.
Wir haben uns verzettelt. Das Ziel unserer Gesellschaft, unseres Systems ist nicht mehr das Wohl aller. Nein, was es ist: Es ist Wachstum, Profit und Maximierung. Es geht hier nicht mehr um die Menschen, und das ist nicht demokratisch. Der Profit und die Interessen weniger stehen über allem, über Planet, Flora, Fauna und Mensch.
Doch unbegrenztes Wachstum auf einem Planeten mit begrenzten Rohstoffen ist nicht möglich. Diese Rechnung geht nicht auf, das weiß jedes Kind. Wir sind die einzige Spezies, die ihr Zuhause willentlich und mit vollem Bewusstsein zerstört, die Möglichkeit hat, dies zu ändern, aber sich ganz bewusst dazu entscheidet, es nicht zu tun.
Wir agieren nicht nur kurzsichtig, wir agieren dumm und undemokratisch. Unsere Demokratien stehen unter Beschuss. Ungleichheit, die uneingeschränkte Macht der großen Konzerne, die unmäßig besitzen, gekaufte Medien, Manipulation, Zensur, Korruption, Oligarchen, Faschisten machen es unseren Demokratien gerade schwer.
Doch es liegt an uns, da nicht wegzuschauen, sondern aufzustehen. Wir müssen nicht mitmachen, Ja sagen. Wir haben die Option, jede Sekunde das Schiff zu verlassen und in die wilden, unbekannten Fluten zu springen. Wo ist die Rebellion? Wo ist die Suche nach einem Update, einer neuen Version?
Ein Gedicht zum heutigen Thema:
Die Scheinheiligkeit der Freiheit
Die Gedanken sind frei
Doch wie frei sind sie wirklich?
Die Gedanken sind unser
Doch sie gehen langsam unter
Systematisch gelenkt,
Meinung geschenkt,
Hier, bitte – Frei zur Entnahme,
Für jeden Herrn und na gut, auch jede Dame!
Die Beherrschung der Medien
Durch großes Kapital
Ist nicht demokratisch,
Es ist fatal
Weil wir zahm, gehorsam und blind
Zu guten, braven Konsumenten
umerzogen worden sind
Weil wir nicht mehr hinterfragen,
Kaum mehr selbst denken
Sondern nur noch ertragen
Apathisch und starr
Ganz ohne Unbehagen
Die kalte Entfremdung ist hier
Und gepaart mit menschlicher Gier
Sind wir abgespalten von
Mensch, Umwelt, Natur.
Und kommen ab von der richtigen Spur
Jeder gegen jeden
Ellenbogen an Ellenbogen
So wurden wir erzogen
Auf den Rücken der vielen,
Treibt eine Handvoll ihr Unwesen
Ganz nach belieben
Wir verschließen die Augen.
Und leben im Glauben,
Das ist würdig und recht,
Bis es uns schwächt.
Wir sind entzweit
Wohlstand und Chancen sind ungleich verteilt
Denn die Ungerechtigkeit, die Ungleichheit,
ist der Feind
Der Demokratie.
Und ich frage Sie:
Was ist Demokratie heute wert
Wenn es dem Politiker nur darum geht
Dass er nach vier Jahren wiederkehrt?
Was ist Demokratie heute wert,
Wenn Wahlen gekauft und zurechtgebogen werden
Und es keinen mehr schert?
Ohnmacht schleicht sich ein
Das Vertrauen schwindet
Eine Welt voll Schein
Nichts mehr da, was uns verbindet
Wir fühlen uns Im Stich gelassen
Vom Glück Verlassen
Unsere Stimmen verblassen
Ihr bleibt gelassen
Für wessen
Interessen
Entscheidet ihr wirklich?
Für wessen Wohl
Sorgt ihr euch täglich?
Ihr seht nicht wie unsere Hoffnung auf Zukunft, Frieden und Gleichheit
Uns langsam entgleitet.
Wir brauchen den Glauben an eine wahre Demokratie
Eine die vorausschaut, es gut meint
Nicht ignoriert, negiert und ablenkt
Die für unsere Rechte kämpft, sie nicht abbaut
Und vor allem, auf eines schaut:
Auf Menschlichkeit und Solidarität
Denn sie ist es,
Die gerade leise durchs Fenster schwebt und flüstert:
Haltet mich auf
Ruft mich zurück
Denn ich bin es, die
Stück für Stück
Euch vereint, belebt, erweckt,
Bis ihr euch erhebt und hin zur Sonne streckt
Und schließlich führ ich euch zurück
Zum menschlichen, kleinen Glück.
Zu eurer wahren Identität.
Der Solidarität.
Und wenn wir von Solidarität sprechen: Ich glaube, es wäre höchste Zeit für Österreich und die internationale Gemeinschaft, den Genozid in Gaza anzuerkennen und alles zu tun, um diesen zu beenden. Free Palestine! – Danke schön. (Beifall.)
Sonja Kato: Danke, Valerie Huber, für die Texte, die Sie mit uns geteilt haben.
Ich darf zum Abschluss kommend eine Künstlerin, eine österreichische Künstlerin, aufrufen, die nicht nur als ein wesentlicher Bestandteil der feministischen Avantgarde in diesem Land vor vielen, vielen Jahren Grundstein und Maßstab gesetzt hat, ihr wurde auch der Große Österreichische Staatspreis verliehen. Sie hat Österreich bei der Kunstbiennale in Venedig vertreten, sie trägt den Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst, ist mit ihrem Werk in der Sammlung der Stadt Wien vertreten und bildet heute, an diesem besonderen Tag, den Abschluss.
Ich darf um einen besonders kraftvollen Applaus für Renate Bertlmann unter dem Titel „Groteskes und Ermutigendes“ ersuchen. (Beifall.) – Schön, dass Sie hier sind. (Beifall.)
„Groteskes und Ermutigendes“
Renate Bertlmann (Bildende Künstlerin): Ich bedanke mich herzlich für die Einladung.
Ich bin bildende Künstlerin und möchte Ihnen zwei Topics aus meinen facettenreichen, 60-jährigen Erfahrungen in Kurzfassung präsentieren. Ich hoffe, dass auch jüngere Künstlerinnen unter den Anwesenden sind, weil es besonders für diese eine Erweiterung ihres Geschichtsbewusstseins sein könnte.
Der Titel meiner Assoziationen lautet: „Groteskes und Ermutigendes“.
Ich beginne mit dem Grotesken, chronologisch:
Im Jahr 1973: Bei der Eröffnung meiner erster Personale im Künstlerhaus wurden von der AUF, der Aktion Unabhängiger Frauen, bei der ich mitgearbeitet habe, Flugzettel verteilt, mit dem Titel: Warum malt sie keine Blumen? Die Ausstellung bestand hauptsächlich aus einer Serie der sogenannten Karzinomstadien, einer Kombination von Röntgenbildern und Malerei.
Plötzlich kam ein Herr auf mich zu – er kannte mich von meiner Lehrtätigkeit an der Akademie am Schillerplatz –, wachelte mit dem Flugzettel herum und sagte: Was soll denn das? – Ich sagte ganz überrascht: Das ist ein Flugzettel von der AUF. – Er schüttete den Kopf und sagte: Frau Bertlmann, kapieren Sie denn nicht, dass Sie benutzt werden?
Im Jahre 1976: Ich fragte einen Galeristen in Wien, ob er sich eine Ausstellung meiner Arbeiten vorstellen könnte. Plötzlich sah ich, dass er meine rechte Hand fixierte, an der ich meinen Ehering trug. Er fragte mich: Sind Sie verheiratet? – Ich sagte erstaunt: Ja. – Darauf antworte er ganz cool: Dann haben Sie ja eine Ausstellung nicht notwendig. (Heiterkeit.)
Im Jahre 1978: Einmal bekam ich den eher seltenen Besuch einer Sammlerin. Sie stolperte in meinem zugegebenerweise mit Arbeiten überfüllten Atelier herum und holte sich einen blauen Fleck. Nach mehreren ratlosen Runden verabschiedete sie sich erschöpft und sagte zum Schluss, sich in der Türe umdrehend: Und das ist Ihnen alles selbst eingefallen? (Heiterkeit.)
Im Jahre 1981: In einer Gruppenausstellung konnte ich ein größeres Plexiglasobjekt ausstellen. Bei der Eröffnung umkreiste der für Ankäufe zuständige Ministerialbeamte mein Objekt immer wieder, was mich zu hoffnungsfrohen Gedanken eines eventuellen Ankaufs verleitete. Er kam auf mich zu und sagte: So eine große Arbeit! Sie müssen aber einen reichen Mann haben. (Heiterkeit.)
Im Jahre 1988: Ich hatte vor, meine 20-jährige intensive Arbeit in einer Trilogie zusammenzufassen. Der erste Entwurf wurde ziemlich umfangreich: drei Teile in einem Schuber, zusammen ungefähr 7 Zentimeter dick, 900 Seiten, mit dem Titel „Amo ergo sum“. Ich sprach beim zuständigen Beamten für Katalogförderungen im Ministerium vor und zeigte ihm mein Projekt. Er sah ziemlich fassungslos auf mein Konvolut und sagte: Frau Bertlmann, schauen Sie, was ich hier am Tisch gestapelt habe: 30 Katalogansuchen, alle nur 1 Zentimeter dick! So müssen Sie es machen! Kürzen Sie und kommen Sie wieder! (Heiterkeit.)
Im Jahr 1990: Ich hatte einen Termin mit einem Beamten der Kulturabteilung ausgemacht, um für ein Ausstellungsprojekt um Förderungen anzusuchen. Zur ausgemachten Zeit klopfte ich an die Türe und ein Stimme sagte: Herein.
Ich öffnete die Türe und sah statt in ein Gesicht in einen aufgeschlagenen „Kurier“. Langsam sank die Zeitung nieder, ein männliches Gesicht kam zum Vorschein, das fragte: Sie wünschen? (Heiterkeit.)
Und als Abrundung etwas Aktuelles, damit wir sehen, wie sich die Zeiten rapide ändern (Heiterkeit): Im Jahre 2023 traf ich in meiner Retrospektive im Belvedere 21 einen älteren Herrn, Hochschulprofessor für Kunstgeschichte, Autor zahlreicher Bücher zur Moderne. Wir kamen ins Gespräch und nach einiger Zeit sagte er: Ich muss schon sagen, hier ist eine geniale Zeichnerin am Werk! – Oh, dachte ich, so ein Lob! Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass noch etwas unausgesprochen war. (Heiterkeit.) Ich fragte daher: Und? – Nach einer etwas verlegenen Kunstpause sagte er: Phallomanie! (Heiterkeit)
Leider hat es mir wieder einmal die Sprache verschlagen. Ich war nicht imstande, zu erwidern: In dieser Ausstellung sind 250 Werke zu sehen und nur 15 davon sind der – wohlgemerkt – Phallokratie gewidmet.
Trotzdem: Ich komme jetzt zum Teil zwei, Ermutigendes. (Heiterkeit.) Ich bin Anfang der Siebzigerjahre in die feministische Bewegung in Wien eingetaucht, habe dort Gruppenarbeit gelernt, Solidarität und das Ausmaß der Diskriminierung von Künstlerinnen am eigenen Leib erlebt. Solidaritätsaktionen wie die Weigerung vieler Künstlerinnen, an einer Alibifrauenausstellung in der Hofburg teilzunehmen – die Jury bestand nur aus Männern –, und eine ganze Reihe von politischen und sozialen Zielsetzungen haben schließlich zur Gründung der Intakt, der internationalen Gemeinschaft von Künstlerinnen geführt.
Bald wurde Johanna Dohnal auf uns aufmerksam und wurde unsere Gallionsfigur. In ihrer offenen, natürlichen Art sagte sie einmal zu mir: Renate, du, ich verstehe nichts von Kunst, aber ich kann euch trotzdem helfen, ihr müsst nur einen umfangreichen Forderungskatalog vorlegen!
Das haben wir gemacht. Sie rief 1981 die interministerielle Arbeitsgruppe zur Behandlung frauenspezifischer Fragen in Kunst und Kultur ins Leben. Diese hatte unter anderem das Ziel, Ausstellungsmöglichkeiten für Künstlerinnen zu forcieren. Mit ihrer großen Unterstützung konnte dann auch die von Valie Export und Silvia Eiblmayr initiierte internationale Frauenausstellung „Kunst mit Eigensinn“ 1984 im damaligen 20er-Haus – heute Belvedere 21 – über die Bühne gehen. Diese Ausstellung hat gezeigt, wie damals schon erfolgreich und facettenreich das Terrain Kunst auch von Frauen erobert und in Anspruch genommen wurde.
Und noch etwas macht Mut: Bei vielen jungen Kunsthistorikerinnen und Ausstellungsmacherinnen hat ein wachsendes und waches Geschichtsbewusstsein zu einer Aufarbeitung, Weiterführung dieser Zielsetzungen geführt. Das zeigt unter anderem die erfreuliche Tatsache, dass es 2026 im Belvedere 21 unter dem Titel „Feminist Futures Forever“ – FFF – zu einer umfangreichen Gruppenausstellung kommen wird, mit Künstlerinnen, die damals an der „Kunst mit Eigensinn“ teilgenommen haben und immer noch arbeiten, ergänzt mit Arbeiten der jüngeren Generation.
Im Übrigen sitzen die Organisatorinnen dieses Projektes hier. (Beifall.)
Zum Schluss möchte ich noch die überaus wichtige Pionierarbeit von Gabriele Schor erwähnen, die unter dem Begriff der feministischen Avantgarde in den letzten 20 Jahren 88 feministische Künstlerinnen, die zum Teil total unbekannt waren, ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gebracht hat, als Leiterin der Sammlung Verbund über 800 Arbeiten ankaufen konnte und sie in Form von Wanderausstellungen im In- und Ausland einem breiten Publikum vorstellte und noch immer vorstellt. Sie sitzt übrigens hier. (Beifall.)
Und so wird in der Geschichte der Kunst Schritt für Schritt ein völlig neues Bild der Frau aus weiblicher Sicht geschaffen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
Sonja Kato: Herzlichen Dank, Renate Bertlmann. Danke auch, dass Sie diesen Abend so versöhnlich geschlossen haben und auch anderen tollen Frauen noch zusätzlich Sichtbarkeit beschert haben, die das weitertragen, was heute hier in diesem Hohen Haus auf Initiative der Dritten Präsidentin Doris Bures in all seiner Bandbreite zu spüren war: das Auseinandersetzen mit Demokratie aus der weiblichen Perspektive, generationenübergreifend, kulturell übergreifend und mit unterschiedlichen Methoden.
Noch einmal darf ich Sie um Applaus ersuchen für Renate Bertlmann, Monika Helfer, Valerie Huber, Mira Lu Kovacs, Aida Loos und Yasmo – danke Ihnen allen (Beifall), aber danke vor allem Ihnen, Frau Präsidentin. Auf Ihre Einladung hin dürfen wir jetzt noch zu einem kleinen Empfang in die Säulenhalle bitten, um gemeinsam die Demokratie zu feiern. Herzlichen Dank für Ihr Kommen, einen wunderschönen Abend wünsche ich – und uns allen noch weiterhin eine stabile, lebendige und feministische Demokratie. Auf Wiedersehen! (Beifall.)
Schluss der Veranstaltung: 18.18 Uhr