Parlamentskorrespondenz Nr. 203 vom 12.03.2014

Sozialausschuss diskutiert über Pensionsrecht und All-In-Verträge

Oppositionsanträge vertagt bzw. abgelehnt

Wien (PK) –  Im dritten Teil seiner heutigen Sitzung beschäftigte sich der Sozialausschuss des Nationalrats auf Basis von Oppositionsanträgen mit der hohen Arbeitslosigkeit behinderter Menschen, Fragen des Pensionsrechts, dem verstärkten Trend zu All-In-Verträgen mit pauschaler Überstundenabgeltung und der Struktur der Sozialversicherungsträger. Inhaltliche Beschlüsse wurden nicht gefasst, die Anträge wurden vertagt bzw. abgelehnt. SPÖ und ÖVP stellten in einigen Punkten allerdings Gesetzesänderungen in Aussicht, etwa was All-In-Verträge betrifft. Zudem suchen sie nach einer Lösung für ehemalige Heimkinder, die während ihres Heimaufenthalts in Unternehmen arbeiteten, aber nicht sozial- und damit auch nicht pensionsversichert waren.

Behinderteneinstellungspflicht: Grüne wollen Freikauf erschweren

Erster Themenkomplex war die schwierige Situation behinderter Menschen am Arbeitsmarkt. Die Grünen schlagen vor, auf die zuletzt stark gestiegene Arbeitslosigkeit mit einer deutlichen Erhöhung der Ausgleichstaxe zu reagieren. Unternehmen sollen künftig ein branchenübliches Durchschnittsgehalt für jede Unterschreitung der Pflichtzahl zahlen müssen (238/A[E]). Nur so wären sie zu motivieren, eine behinderte Person probeweise aufzunehmen, glaubt Abgeordnete Helene Jarmer, wobei sie insgesamt enorme Informationslücken bei den Unternehmen in Bezug auf die Einstellung behinderter Menschen ortet. Außerdem fordert sie ein Verbot für den öffentlichen Bereich, sich von der Behinderteneinstellungspflicht freizukaufen (245/[E]).

Die FPÖ macht sich in einem Antrag (268/A[E]) für behinderte Menschen, die in Tageswerkstätten arbeiten, stark. Sie regt spezielle Arbeitsverträge an, um die Betroffenen sozialversicherungsrechtlich voll abzusichern und ihnen damit auch den Erwerb eines Pensionsanspruchs zu ermöglichen. Derzeit würden die Betroffenen mit einem Taschengeld abgespeist, kritisiert Norbert Hofer.

Auch Helene Jarmer (G) und Ulrike Königsberger-Ludwig (S) sprachen sich dafür aus, behinderten Menschen in Tageswerkstätten mehr zu zahlen als ein Taschengeld. Königsberger-Ludwig gab allerdings zu bedenken, dass es sich hier um Länderkompetenzen handelt, und verwies auf eine Arbeitsgruppe, die sich mit diesem Thema befasst. Was die geforderte Erhöhung der Ausgleichstaxe betrifft, trat Königsberger-Ludwig dafür ein, die demnächst geplante Evaluierung abzuwarten. Keinen Handlungsbedarf sieht sie im Bereich des Bundes, dieser übererfülle seine Einstellungspflicht insgesamt um 2 %.

Seitens der FPÖ regte Norbert Hofer an, die Ausgleichstaxe mit der Beschäftigtenzahl progressiv zu erhöhen, da es für größere Betriebe einfacher als für kleine Unternehmen sei, die Pflichtzahl zu erfüllen.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer wandte ein, dass das Versicherungsprinzip für Menschen in Tageswerkstätten nicht leicht umzusetzen sei. Viele könnten nur einen Tag in der Woche kommen bzw. seien nicht in der Lage, regelmäßige Arbeitsleistung zu erbringen, skizzierte er. Es gebe aber in dieser Frage Gespräche.

Allgemein betonte Hundstorfer, der Staat stelle hohe Mittel für die Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt bereit. Was den öffentlichen Bereich betrifft, wird es ihm zufolge im Innenministerium und im Unterrichtsministerium immer Probleme bei der Erfüllung der Pflichtzahl geben, weil es für PolizistInnen und LehrerInnen spezielle Anforderungen gebe. Gesamt gesehen werde die Quote aber erfüllt. Personen mit einem Behinderungsgrad von über 70 % seien zudem vom Aufnahmestopp im Öffentlichen Dienst ausgenommen.

Bei der Abstimmung wurden der Antrag der FPÖ sowie der Antrag der Grünen betreffend Erhöhung der Ausgleichstaxe mit Koalitionsmehrheit vertagt, der Antrag der Grünen betreffend Verbot des öffentlichen Bereichs von der Freikaufsmöglichkeit von SPÖ, ÖVP und NEOS abgelehnt.

FPÖ fordert 1.200 € Mindestpension, NEOS wollen Frauenpensionsalter ab 2018 angleichen

Zum Themenkomplex Pensionen lagen dem Sozialausschuss insgesamt vier Oppositionsanträge vor. So fordert die FPÖ unter anderem eine Mindestpension in der Höhe von 1.200 € brutto sowie eine regelmäßige Pensionsanpassung gemäß dem so genannten Pensionistenpreisindex (77/A). Außerdem sprechen sich die Abgeordneten Dagmar Belakowitsch-Jenewein und Norbert Hofer dafür aus, ehemaligen Heimkindern für nachweisliche Lehr- und Beschäftigungsverhältnisse während ihres Heimaufenthalts Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung zuzuerkennen (156/A[E]).

Die NEOS drängen darauf, das Regelpensionsalter für Frauen nicht erst, wie derzeit vorgesehen, ab 2024 an jenes der Männer anzugleichen, sondern bereits ab 2018 (34/A). Zudem plädieren sie dafür, im Pensionsrecht einen gesetzlichen Automatismus zu verankern, der eine Anpassung des Pensionsalters zur Folge hat, wenn sich demographische und wirtschaftliche Kennziffern wie Lebenserwartung, Verbraucherpreisindex oder Produktivität ändern (36/A[E]).

Abgeordneter Norbert Hofer (F) begründete die Forderung seiner Fraktion nach einer Mindestpension von 1.200 € damit, dass es Menschen gebe, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben und trotzdem auf eine Ausgleichszulage angewiesen sind. Der von ihm eingebrachte Antrag fand bei den anderen Fraktionen aber keine Zustimmung. Nicht nur die Koalitionsparteien, auch die Grünen und die NEOS äußerten sich skeptisch. Laut Sozialminister Hundstorfer würde eine Umsetzung der Forderung zumindest 5,9 Mrd. € kosten, er hält sie daher – trotz vieler Einzelschicksale – für nicht umsetzbar.

Auch einen eigenen Pensionistenpreisindex lehnt Hundstorfer ab. Ein solcher würde seiner Meinung nach neue Ungerechtigkeiten schaffen und andere Gruppen, etwa alleinerziehende Frauen mit mehreren Kindern, diskriminieren. Schließlich seien nicht nur die Pensionen, sondern auch andere Leistungen an den Verbraucherpreisindex gekoppelt.

Was die von der FPÖ geforderten Pensionsersatzzeiten für ehemalige Heimkinder betrifft, wies Hundstorfer darauf hin, dass es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Problemfelder gebe. So seien Heimkinder in städtischen Heimen in Wien sozialversichert gewesen, in katholischen Heimen nicht. Vielfach fehlten auch Unterlagen. Man bemühe sich aber um eine adäquate Lösung, versicherte er.

Ein gesetzlicher Automatismus zur Anhebung des Pensionsalters beim Eintreten verschiedener Faktoren wurde sowohl von den Koalitionsparteien als auch von den Grünen dezidiert abgelehnt. Die Entscheidung müsse bei der Politik bleiben, betonten die Abgeordneten Gertrude Aubauer (V), Wolfgang Katzian (S) und Judith Schwentner (G). Abgeordneter Johann Höfinger (V) kann sich bestenfalls einen vereinfachten Automatismus vorstellen, der Vorschlag der NEOS sei so nicht umsetzbar.

Katzian wies außerdem auf die Vereinbarung der Regierungsparteien hin, die geltenden Bestimmungen zu überprüfen, um das Pensionssystem zu sichern. Wenn bei der Erwerbsquote älterer ArbeitnehmerInnen nichts weitergehe und keine Arbeitsplätze zur Verfügung stünden, helfe allerdings auch eine Erhöhung des Pensionsalters nichts, machte er geltend.

Zur Frage des Frauenpensionsalters hielt Abgeordnete Aubauer fest, man habe vereinbart, in dieser Legislaturperiode keine Änderungen vorzunehmen. Auch Wolfgang Katzian und Judith Schwentner sehen keinen Anlass, an der geltenden Verfassungsbestimmung zu rütteln. Es gebe nach wie vor keine Gleichstellung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt und die Lohnschere sei nach wie vor hoch, machte Schwentner geltend.

Bekräftigt wurde die Forderung nach einer vorzeitigen Anhebung des Frauenpensionsalters hingegen von Abgeordnetem Gerald Loacker (N). Das ungleiche Pensionsalter führe dazu, dass ältere Arbeitnehmerinnen keine Karriereschritte mehr machten und ihnen auch Weiterbildungsmaßnahmen verwehrt würden, argumentierte er. Damit würden sie auch weniger verdienen als Männer.

Der FPÖ-Antrag betreffend Heimkinder wurde vom Sozialausschuss mit S-V-F-G-Mehrheit vertagt, die anderen Anträge abgelehnt.

Grüne wollen All-In-Verträge und überlange Arbeitszeiten eindämmen

Grundlage für eine Ausschussdiskussion über Arbeitsbelastung und Arbeitszeiten bildeten zwei Entschließungsanträge der Grünen (31/A[E], 32/A[E]), in denen sich Abgeordnete Birgit Schatz für ein Maßnahmenbündel zur Eindämmung überlanger Arbeitszeiten ausspricht. Konkret fordert sie etwa ein Verbot von All-In-Verträgen für ArbeitnehmerInnen, die dem Arbeitszeitgesetz unterliegen, die deutliche Verteuerung von Mehr- und Überstunden für Unternehmen sowie eine klare gesetzliche Begrenzung von Durchrechnungszeiträumen zum Abbau von Zeitguthaben.

Begründet wurden die Initiativen von Abgeordneter Schatz im Ausschuss damit, dass die ÖsterreicherInnen mit durchschnittlich 42 Wochenstunden deutlich mehr arbeiten würden als die meisten EuropäerInnen. Die Konzentration und Leistungsfähigkeit lasse bei überlangen Arbeitszeiten aber nach, die Anfälligkeit für Krankheiten und für Unfälle steige, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie leide, und auch volkswirtschaftlich wäre es vernünftig, die Arbeit besser aufzuteilen. Angesichts dieser Gründe müssten auch Unternehmen Interesse an kürzeren Arbeitszeiten haben, ist Schatz überzeugt.

Wenig Verständnis für die Forderung der Grünen zeigte Abgeordneter Gerald Loacker (N). Die NEOS seien für eine Flexibilisierung der Arbeitszeit und nicht für die Kürzung von Durchrechnungszeiträumen, sagte er. Österreich müsse auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit schauen. Auch das Argument der verhältnismäßig hohen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit lässt Loacker nicht gelten. Die die Jahresarbeitszeitleistung sei in Österreich angesichts vieler Feiertage und zum Teil höherer Urlaubsansprüche kaum höher als in anderen Ländern, so Loacker.

Loacker bezweifelt darüber hinaus, dass kürzere Arbeitszeiten eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit bewirken würden, da es bei der Arbeitslosigkeit große Unterschiede zwischen einzelnen Branchen gebe. Auch innerhalb von Unternehmen seien Arbeitsbelastungen unterschiedlich verteilt, es gebe immer wieder Zeiten mit geballtem und Zeiten mit geringerem Arbeitsanfall für einzelne Gruppen. Zum Thema All-In-Verträge merkte Loacker an, er sehe das von den Grünen aufgeworfene Problem nicht, da man mit All-In-Verträgen Kollektivverträge nicht aushebeln könne.

Anders beurteilte Abgeordneter Erwin Spindelberger (S) die Situation. Er wies darauf hin, dass immer mehr Überstunden nicht bezahlt würden, und begrüßte daher die laufenden Gespräche zwischen den Sozialpartnern zum Thema All-In-Verträge. Abgeordneter Gabriel Obernosterer (V) machte darauf aufmerksam, dass im Regierungsübereinkommen eine Änderung des Arbeitsrechts vereinbart sei.

Beide Anträge wurden mit den Stimmen der Koalitionsparteien vertagt.

Opposition für Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger

Mit den Stimmen der Koalitionsparteien wurde schließlich ein Entschließungsantrag der NEOS abgelehnt, der auf eine mittelfristige Zusammenlegung der bestehenden 22 Sozialversicherungsträger zu jeweils nur einem Träger der Krankenversicherung, der Pensionsversicherung und der Unfallversicherung abzielt (37/A[E]). Abgeordneter Gerald Loacker hält das derzeitige System für undurchsichtig und ineffizient. Für ihn ist es unverständlich, warum zwei Nachbarn, die die gleiche Krankheit haben und zum Arzt gehen, unterschiedliche Leistungen erhalten sowie unterschiedliche Beiträge zahlen, weil sie verschieden Berufe ausüben und der Arzt unterschiedliche Honorare von der Krankenkasse erhält.

Auch die Abgeordneten Judith Schwentner (G) und Herbert Kickl (F) schlossen sich der Kritik der NEOS an, die Forderung sei, so Kickl, "ein freiheitlicher Klassiker".

EU kämpft gegen Jugendarbeitslosigkeit und Schwarzarbeit

Im Ausschuss zur Diskussion stand schließlich auch ein Bericht von Sozialminister Rudolf Hundstorfer über aktuelle EU-Vorhaben in seinem Zuständigkeitsbericht. Die EU ist unter anderem bestrebt, das Wirtschaftswachstum zu fördern, um die Beschäftigungssituation zu verbessern, und die Mobilität von ArbeitnehmerInnen zu erleichtern. Gleichzeitig sagt sie Schwarzarbeit und Steuerbetrug verstärkt den Kampf an. Im Fokus stehen auch gezielte Maßnahmen der EU-Länder zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit. Alle Fraktionen außer der FPÖ haben den Bericht zur Kenntnis genommen.

Im Rahmen der Debatte kritisierte Abgeordneter Herbert Kickl (F), dass die EU "ihren Holzweg weiter fortsetzt". Zum einen würde ständig Wachstum herbeigeredet, ohne dass die Prognosen eintreffen, klagte er. Zum anderen werde der Faktor Mobilität fälschlicher Weise als zentraler Wachstumsfaktor gesehen. Uneingeschränkte Mobilität trage aber nichts zu Schaffung von Arbeitsplätzen bei, sondern führe nur zu Lohndumping und Arbeitsplatzverdrängung, ist Kickl überzeugt. De facto würden die Rechte von StaatsbürgerInnen zu Gunsten der Rechte von EU-BürgerInnen abgebaut.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer hielt Abgeordnetem Kickl entgegen, dass auch die Mobilität ihre Spielregeln habe und das Aufenthaltsrecht in Österreich von einem Arbeitsverhältnis bzw. dem Nachweis eines gesicherten Einkommens abhängig sei. Zudem löse die Mobilität Staatsbürgerschaften und Versicherungsansprüche nicht auf. Im Übrigen gehe Mobilität in alle Richtungen.

Ausdrücklich begrüßte wurde von Hundstorfer die neue Entsenderichtlinie. Sie bringt seiner Meinung nach wesentliche Fortschritte, etwa bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Verwaltungsstrafen und der verpflichtenden Zusammenarbeit zwischen Behörden. Lohnunterlagen müssten künftig außerdem in Landessprache aufliegen, automationsunterstützte Systeme sollen beschleunigt eingesetzt werden. Auch in Bezug auf Sub-Auftragsvergaben gebe es Verbesserungen.

Aus dem Sozialfonds seien Österreich in der vergangenen Periode 528 Mio. € zugestanden, erklärte Hundstorfer gegenüber Abgeordnetem Kickl. Österreich habe davon fast 100 % abgeholt. Die Empfehlung der EU betreffend Praktika habe keine Auswirkungen auf das Bestreben Österreichs, Praktika in Arbeitsverträge "einzupacken", beruhigte der Minister Abgeordnete Birgit Schatz (G).

Als dritter Schriftführer des Ausschusses wurde Abgeordneter Marcus Franz (T) gewählt. (Schluss Sozialausschuss) gs