Bundesrat Stenographisches Protokoll 617. Sitzung / Seite 107

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

16.46

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren des Bundesrates! Wir haben heute eine ganz wichtige Regelung zu beschließen. Der bisherige Diskussionsverlauf – vor allem von den Vertretern der Freiheitlichen Partei – läßt für mich den Schluß zu, daß Sie, Herr Bundesminister, wahrscheinlich noch drei Gesetzesänderungen oder Novellen zu den Werkvertragsregelungen machen müßten, um den freiheitlichen Bundesrätinnen und Bundesräten die soziale Dimension des heute vorliegenden Regelungsvorschlages bewußt zu machen.

Ich erlaube mir aber auch, einige Anmerkungen zu Kollegen Jaud zu machen. Er ist nicht mehr da. Er wendet seine grenzenlosen liberalen Vorstellungen wahrscheinlich schon in der Praxis an und hat sich bereits nach Hause begeben. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrat Pischl: Aber nein! – Bundesrat Dr. Kapral: Hört! Hört!)

Ich glaube, er will eine grenzenlose Freiheit für die Unternehmen. Ich darf ihm sagen, daß das alles schon dagewesen ist. Die Ergebnisse, wo das hingeführt hat, kann er sicherlich in Jenbach erfragen. Wenn ihm das zu mühevoll ist, kann er das auch in den Geschichtsbüchern der Arbeiterbewegung nachlesen.

Ich könnte mir schon vorstellen, daß wir vielleicht weniger soziale Schutzmaßnahmen und Regelungen brauchen würden, und zwar dann, wenn alle Unternehmer so fair, so sozial, wie sie sein könnten, wären und nicht täglich die soziale und wirtschaftliche Schwäche der Arbeitnehmer ausnützen würden.

Lieber Kollege Jaud! Es gibt eine Vielzahl von Hinweisen, daß Sozialgesetze und Sozialeinrichtungen auch von den Unternehmern – also von seiner Klientel – in Anspruch genommen werden, genützt werden, aber auch über Gebühr ausgenützt werden.

Kollege Jaud ist so voller Emotionen gewesen. Ich möchte nicht behaupten, daß er uninformiert ist, aber wenn er hier Zweifel hat, nenne ich ihm zur Sicherheit einige Zahlen aus dem Jahre 1995: Die Gesamtaufwendungen im sozialen Bereich der gewerblichen Wirtschaft wurden – bedauerlicherweise – nur zu knapp über 30 Prozent aus Beiträgen aufgebracht, 4,7 Prozent aus anderen Erträgen und über 65 Prozent aus Bundesbeiträgen. – Auch bei der anderen selbständigen Gruppe, den Bauern, sieht es nicht viel anders aus.

Aber ich möchte all jenen, die dem grenzenlosen Liberalismus das Wort reden, nach den Beiträgen, die ich heute gehört habe, doch einiges mitgeben. Man sollte sich auf der konservativen und liberalen Seite nicht überheben. Das ist nur ein kleiner Ratschlag. Man kann sich beim Überheben auch einen Leistenbruch zuziehen. Dieser ist, wie Sie wissen, sehr schmerzhaft und sehr langwierig. Und wieviel auf eine Kuhhaut geht, weiß Kollege Jaud sicherlich besser als ich. – Ich möchte mich nun eigentlich mit einigen Anmerkungen dem heutigen Thema zuwenden.

Ich darf unterstreichen, das Ziel der Regelung betreffend die sozialversicherungspflichtigen Werkverträge war für uns von Anfang an, jene zu schützen, die zwar eindeutig einen Arbeitnehmerstatus haben, jedoch von den Arbeitgebern zu Selbständigen gemacht werden. Viel zu oft und an vielen Beispielen erleben wir in der Praxis, daß die Arbeitgeber durch geschickte Vertragskonstruktionen die Sozialversicherungspflicht umgehen. Die Umgehung der Sozialversicherungspflicht mittels Werkvertrag hat in den letzten Jahren nach unseren Beobachtungen und nach Ihrem Tun sehr stark zugenommen. Die geschätzte Zahl beträgt über 300 000. Dies bedeutet nicht nur ein Verlorengehen des sozialen Schutzes für die Betroffenen mit allen gesundheitlichen und finanziellen Konsequenzen für die betroffenen Arbeitnehmer und deren Angehörige, sondern das bedeutet auch, daß die Lasten dafür jene Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu tragen haben, die ihre Beiträge sowohl der Höhe nach als auch der Zeit nach korrekt entrichten, und das bewirkt, daß es zu sehr starken Wettbewerbsverzerrungen kommt.

Die nunmehr gefundene politische Regelung hat sicherlich eine eindeutige Zielrichtung, nämlich den Charakter eines Kompromisses. Positiv zu bewerten ist, daß der grundsätzliche Schutzcharakter der bereits bestehenden Regelungen im Prinzip aufrecht bleibt.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite